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Ford Mustang Boss 429

Tollwut

Der Ford Mustang Boss 302 mit seinem 4,9-Liter-V8, wir haben ihn hier vorgestellt, lief ja schon bestens. Offiziell hatte er 294 PS, aber in Tat und Wahrheit waren es eher so 370. Oder mehr. Das reichte dann 1969 für den Paradesprint von 0 auf 60 Meilen in weniger als 7 Sekunden. Ford hatte den Boss 302 entwickelt, um den Camaro von Chevrolet auf der Rennstrecke, bei der Trans-Am-Serie, die mit einigermassen serienmässigen Geräten ausgetragen wurde, Paroli bieten zu können. Doch da gab es noch eine zweite wichtige Rennserie: NASCAR, «great national division». Und dort hatte Chevrolet mit dem Camaro ZL-1 und vor allem Chrysler mit seinen 7-Liter-Hemi-Motoren ganz heisse Eisen im Feuer. Und dagegen musste Ford auch dringend etwas unternehmen. Wollen wir hier vorstellen: Ford Mustang Boss 429.

429 cubic inch – das ergibt einen Hubraum von 7031 ccm. Es wäre zwar noch grösser gegangen. Ford bastelte aus dem ursprünglichen Motor, der den Namen «385» trug und ab 1968 in einer 6,1-Liter-Variante zuerst in den Thunderbird eingebaut wurde, auch noch einen 460-ci. Also: 7,6 Liter Hubraum. Doch jenes Teil hatte nun definitiv keinen Platz mehr im relativ filigranen Mustang. Schon beim 429 waren einige bauliche Massnahmen sowie die hohe Kunst der Spezialisten von «Kar Kraft» nötig, um das fette Triebwerk unterzubringen. Der Platz war so knapp, dass der Boss 429 nicht einmal mehr eine Klimaanlage hatte, schon damals ein eigentlich unverzichtbares Accessoire für ein amerikanisches Automobil.

Das Problem: Es musste alles ein bisschen schnell gehen. Ford nahm sich nicht die Zeit, den Boss 429 schön durchzudenken – ganz im Gegenteil. Weil man zwar den scharfen Motor hatte, aber keine Kapazitäten, liebevoll an das Projekt heranzugehen, wurden Kar Kraft bestehende Mustang 428 Cobra Jet Mach 1 vor die Türe gestellt. Die Jungs sollten dann selber schauen, wie es weitergeht. Doch auch Kar Kraft war eigentlich schon voll ausgelastet. Die Firma in Brighton, Michigan, war gleichzeitig noch mit dem Boss 302 beschäftigt.

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Immerhin wurde der Vorderwagen des Boss 429 mit sauber ausgestellten Kotflügeln und einer neuen Vorderrad-Aufhängung verbessert. Die Batterie wanderte in den Kofferraum. Hinten gab es zusätzliche Stabis. Erfreulicherweise bremste der Mustang dank vorderen Scheibenbremsen auch ganz ordentlich. Von aussen sah man dem Boss 429 nicht dringend an, was für ein Tier unter der Haube steckte. Zwar gab es an den vorderen Kotflügeln ein Signet mit der Bezeichnung «Boss 429», und der Kenner sah auch noch die grösseren «Magnum 500»-Felgen mit den Goodyear-«Polyglas»-Reifen. Doch ansonsten kam der böseste aller Werks-Mustang einigermassen unauffällig daher. Das war sicher ein Grund, weshalb der Boss 429 in der Käufergunst gegen die wilden Corvette und heissen Plymouth Barracuda keinen Stich machte. Auch ein Boss 302 mit seiner Kriegsbemalung, den Spoilern und dem schwarzen Vorhang über der Heckscheibe sah aufregender aus als sein grosser Bruder.

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Aber grossartige Verkaufszahlen waren auch nicht unbedingt das Ziel von Ford. 500 mussten gebaut werden, damit sich der Boss 429 für die NASCAR-Serie qualifizieren konnte. 1969 waren es 858, 1970 dann noch 499, zumindest offiziell, denn ob Kar Kraft alle Chassisnummern tatsächlich benutzt hat, wird sich wohl nie mehr eruieren lassen. Diese Chassisnummer, übrigens, zeigen auch deutlich auf, wer hinter dem Boss 429 stand: «KK NASCAR 1201» stand dort eingepägt beim ersten Modell. «KK NASCAR 2059» war dann letzte des Jahrgangs 1969.

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Doch der Boss 429 hatte noch ein ganz anderes Problem: Er war ganz einfach zu langsam. Er konnte zwar vor lauter Kraft kaum gehen, die offiziellen 375 PS (bei 5200/min) waren in Realität weit über 500 wilde Rosse. Auch das maximale Drehmoment von 610 Nm war nicht von schlechten Eltern. Aber der Boss 429 hatte erstaunlicherweise ein sehr schmales Drehzahlband, in dem er echten Vorwärtsdrang entwickelte. Beim Drag-Racing von Rotlicht zu Rotlicht musste er auf 6000/min gedreht werden, damit er anständig vom Fleck kam. Damit sah er selbst gegen den Boss 302 ziemlich schlecht aus; die Barracuda pfiffen ihm um die Ohren, die Corvette sowieso. 6,8 Sekunden für den Sprint von 0 auf 60 Meilen, das war Ende der 60er-Jahre in den USA kein Wert, der einen Beschleunigungsfreak beeindrucken konnte.

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Und doch darf man den Boss 429 zu den ultimativen Geräten zählen, welche die amerikanische Autoindustrie in ihren besten Jahren hervorbrachte. Es war ein letztes Aufbäumen. Die 70er-Jahre standen vor der Tür, und ab dann ging es nur noch bergab. Schon nach zwei Produktionsjahren wurde der Mustang 429 wieder fallen gelassen, aus den Mustang wurden wieder lahme Pony.

Die 69er 429er gab es in fünf Farben, die so schöne Namen trugen wie Wimbledon White, Royal Maroon und Candyapple Red; innen konnte man in bester Ford-Tradition jede Farbe haben, solange es sich um Schwarz handelte. Man erkennt die 69er-Modelle daran, dass ihre Motorhaube in der gleichen Farbe lackiert ist wie der Rest des Wagens. 1970 war die Hutze auf der Motorhaube dann immer schwarz.

Wir durften mit so einem Ford Mustang Boss 429 einmal ein paar Strassen weit durch Manhattan röhren. Und hatten immer ein bisschen Angst, dass dann gleich die Schaufenster explodieren; bestialisch der Lärm aus der fast vollkommen freien Auspuff-Anlage. Noch eine zweite Angst hatten wir: Dass sich das Publikum vor lauter Ehrfurcht vor den Wagen wirft. Das manuelle 4-Gang-Getriebe ist zickig, die Kupplung will fast mit beiden Füssen getreten werden, die Lenkung ist viel zu leichtgängig für so einen Sportwagen.

Was uns aber am besten gefällt an diesem Vieh: Er wirkt optisch fast ein bisschen zurückhaltend. Die Linien, mit Hilfe von Kar Kraft erschaffen, sind sehr harmonisch, die Fastback-Form passt bestens, er ist nicht verbaut wie der 302er – es ist dies sicher einer der schönsten Mustang ever. Kein Wunder, sind die Boss 429 derart gesucht und teuer: In ihren besten Zeiten wurden sie für bis zu 350’000 Dollar gehandelt. Dann brachen die Preise ein, schafften nie mehr diese Höhen, liegen derzeit bei etwa 200’000 Dollar. Wir versteifen uns mal zu der Aussage, dass bei diesen Fahrzeugen die Preise wieder anziehen werden (Stand 2016).

Jetzt (Januar 2023) kommt wieder einmal so ein Ford Mustang Boss 429 unter den Hammer, bei RM Sotheby’s in Arizona; als Schätzpreis sind 275’000 bis 350’000 Dollar angeschrieben (was vielleicht etwas optimistisch ist). Wir zeigen ihn aber nicht nur deshalb, sondern weil wir da auch noch ein bisschen auf die für die Amerikaner so wichtigen Zahlen eingehen wollen. Selbstverständlich existiert für dieses Fahrzeug mit der Chassis-Nummer 0F02Z140991 ein Marti-Report – und er weist aus, dass dieser 70er 429er eines von 52 Exemplaren ist, die in diesem Modelljahrgang in «Grabber Green» lackiert waren. Und ausserdem mit dem «Drag Pack» sowie einem «Competition»-Fahrwerk bestellt wurde sowie bei Kar Kraft mit dem Serien-Nummer KK 2446 gebaut. Stimmt, dieses Wissen bringt einem im Leben jetzt auch nicht wirklich weiter, aber wir schätzen diese kleinen Feinheiten, die bei den US-Klassikern so gar keine Fragen mehr offen lassen.

Mehr Ford gibt es in unserem Archiv.

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