Wunderbare Spätfolgen
Es waren schwierige Zeiten damals für Porsche, im Geschäftsjahr 1991/92 konnten nur knapp 23’000 Autos verkauft werden, die Zahlen waren dunkelrot. Auch die (Kunden)Sport-Abteilung war Anfang der 90er Jahre eigentlich arbeitslos, der 962 wurde nicht mehr weiter entwickelt, die Idee der eigenen Marken-Pokale wurde nicht mehr verfolgt, und am auslaufenden 911/964 gab es eigentlich auch nichts mehr zu arbeiten, am kommenden 911/993 noch nichts. Nun sassen da aber einige Herren nicht gerne untätig herum, und manch einer handelte in jenen Jahren auch ohne klaren Auftrag von der Geschäftsführung. So soll Roland Kussmaul halt eben doch mit neuen Bauteilen und Verbesserungen an der Karosserie für den 964er experimentiert haben, im Windkanal, aber auch mit umgebauten Fahrzeugen auf der Strasse. Und Jürgen Barth soll dann die Marketing-Strategen überzeugt haben können, dass man unbedingt wieder ein Gerät für den Motorsport brauchte, es gab ja noch so einige Serien weltweit, in denen ein anständiger 911er immer noch erfolgreich hätte sein können.
Kussmaul hatte sich einen 964er mit Modelljahr 1990 modifiziert. Und die Veränderungen, die dann auch in die Kleinserie von 1993 einflossen, waren tiefgreifend. Es gab selbstverständlich keine Servolenkung mehr, es gab verstellbare Stabis (vorne 24 Millimeter, in fünf Stufen einstellbar; hinten 21 Millimeter, in die drei Stufen einstellbar), eine Domstrebe vorne sorgte für mehr Stabilität. Die Bremsen stammten vom Turbo S, also Vierkolben-Alu-Festsattelbremsen, die auf perforierte und innenbelüftete Scheiben wirkten. Dieses erste Fahrzeug war als Renngerät aufgebaut, in der Kleinserie gab es dann noch einige weitere Veränderungen, die an verschiedenen Punkten verstärkte Karosse mit dem eingeschweissten Überrollkäfig, den Recaro-Rennsitz mit Sechspunkt-Gurten, den Feuerlöscher. Das Fahrwerk wurde noch konsequenter auf Rennsport abgestimmt, Unibal-Gelenke, Bilstein-Stossdämpfer, Rennkupplung, Renn-ABS, ein nur 43 Liter grosser Tank (für Langstrecken-Rennen gab es auf Wunsch eine 100-Liter-Variante).
Spannend ist aber die Geschichte des von Kussmaul gepimpten Fahrzeugs, das zu den berühmteren Porsche gehört, weil es auch häufig für Presse- und Photozwecke verwendet wurde. Nach einem Unfall auf der Nordschleife wurde der (rote) Wagen – ohne Motor – verschachert, er soll sich in nicht besonders gutem Zustand in Schweden befinden. Interessant ist aber schon auch, dass Porsche zuerst die Rennsport-Variante entwickelte, später für 270’000 Mark als Porsche 911 Carrera 3.8 RSR angeboten, bevor man sich man sich an das Serien-Produkte machte. Der RSR war auch gleich erfolgreich, er gewann 1993 die GT-Klasse bei den 24 Stunden von Le Mans mit Barth/Dupuy/Gouhier, er gewann die 24 Stunden auf dem Nürburgring mit Irmgartz/Wirdheim, und zweimal hintereinander rund um die Uhr in Spa mit Alzen/Jarier/Fittipaldi.
Mit den Produktionszahlen ist das ein bisschen schwierig (diese Problematik kennt man ja auch bei Porsche, siehe Turbo S Leichtbau, oder auch: 1 Million): Beim RSR gab es die offiziellen Chassisnummern WP0ZZZ96ZPS496001 bis WP0ZZZ96ZPS496109. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sämtliche Nummern auch verwendet wurden, obwohl man solches in der Literatur an verschiedenen Orten lesen kann. Die Wahrscheinlichkeit liegt gemäss Norbert Franz von www.turbo-look.de, einer der besten Porsche-Quellen überhaupt, hoch, dass 48 Stück linksgelenkt und eines rechtsgelenkt gebaut wurden. Plus ein Rennwagen, der nicht im Werk auf einer Roh-Karosse aufgebaut wurde. Plus halt jener 90er 964er, der die Basis der ganzen Geschichte darstellt. Verwendet wurden wohl nur die Chassisnummern zwischen 060 und 109.
Nicht besser ist es bei den Strassen-Versionen, den Porsche 911 Carrera 3.8 RS, die offiziell von WP0ZZZ96ZPS497062 bis WP0ZZZ96ZPS497129 nummeriert waren. Wieder gemäss Franz wurden 52 Stück linksgelenkt, 3 Exemplare rechtsgelenkt und ein Basis-Modell auf Basis eines 93er 964er hergestellt, nicht verwendet wurden (anscheinend) die Nummern ab 114 bis 126. Die Gründe für die Nummerierungen und Lücken sind schleierhaft.
Optisch sind die Serien-RS 3.8 mit dem damaligen 911 Turbo quasi identisch. Es gab noch einen zusätzlichen Spoiler vorne, zwei Lufteinlässe im Stossfänger sorgten für mehr Frischluft für die Ölkühler. In den neu gestalteten Motordeckel aus Kunststoff war ein grosser, grosser Heckflügel mit sechsfach verstellbaren Leitwerk integriert. Hauben und Türen bestanden aus Alu, die Heck- und Seitenscheiben aus Dünnglas. Innen wurden quasi sämtlicher Komfort sowie die Rücksitze entfernt, es gab Schalensitze von Recaro. Und der Tank wurde beim RS 3.8 auf 92 Liter vergrössert. Trotzdem sank das Gewicht um stolze 140 Kilo im Vergleich zu einem herkömmlichen Carrera 2, 1210 Kilo sind ein feiner Wert. Sowohl RS wie auch RSR wurden mit Speedline-Felgen ausgeliefert, vorne 9J x 18 (Reifen 235/40 ZR18 von Pirelli oder Dunlop), hinten 11J x 18 (Reifen 285/35 ZR 18).
Sehr interessant war auch die Hubraumsteigerung auf 3,8 Liter. Es wurde nicht bloss die Bohrung von 100 auf 102 Millimeter vergrössert (bei gleichbleibendem Hub von 76,4 Millimeter), es wurde eigentlich die ganze Maschine grundlegend überarbeitet. Die Kolben waren logischerweise grösser, aber trotzdem leichter, genau wie die Kipphebel, die in Feinguss-Technik hergestellt wurden. Die Motor-Steuerung übernahm (wie später im Carrera RS) die Bosch-Motronic Typ 2.10, die auch eine adaptive Klopfregelung und eine optimierte Kennfeldkennung ermöglichte. Die im Gasstrom angebrachte Luftfilteranlage und die in den Kanälen erweiterte Ansauganlage mit sechs Einzeldrosselklappen schafften zusammen mit der sequentiellen Benzineinspritzung eine ausgezeichnete Zylinderfüllung in allen Drehzahl- und Lastbereichen. Auch eine neue Abgasanlage wurde konstruiert. Das manuelle 5-Gang-Getriebe entsprach dem Carrera RS, verfügte allerdings über kürzere Schaltwege, ein gewichtsoptimiertes Schwungrad und eine verstärkte Kupplung; das Differential an der Hinterachse verfügte über eine 40-prozentige Sperre.
All diese Massnahmen erbrachten dann 300 PS bei 6500/min und ein maximales Drehmoment von 360 Nm bei 5250/min; der rote Bereich lag bei 7100/min. So aufgerüstet (und dank geringerem Gewicht) kam der Porsche 911 Carrera RS 3.8 auf 4,9 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h sowie eine Höchstgeschwindigkeit von 270 km/h. Die Rennversion kam auf 350 PS bei 6900/min. Diese RSR wurden hauptsächlich Grandprix-Weiss bestellt (27), es folgten Speed-Gelb (13), Schwarz (3), Indischrot (2), Polarsilber-Metallic (2), Signalgrün (1) und Ferrari-Gelb (Sonderwunsch); bei den RS gewann Speed-Gelb (12) vor Indischrot (10), Grandprix-Weiss (8), Polarsilberweiss (5), Schwarz (5), Maritim-Blau (2), Schwarz-Metallic (2), Nachtblau-Metallic (1), Mint-Grün (1), Amazonasgrün-Metallic (1), Kobaltblau-Metallic (1); als Sonderfarben wurden Hellgelb (2), Blutorange, Ferrari-Gelb, Dunkelblau, Silber-Metallic und Zermattsilber-Metallic gewünscht.
Die zwei Fahrzeuge, die wir hier zeigen, wurden kürzlich von RM Sotheby’s auf Amelia Island versteigert. Der Porsche 911 Carrera RS 3.8 mit der Chassisnummer WP0ZZZ96ZPS497111 wurde für 1’655’000 Millionen Dollar zugeschlagen, der RSR mit der Chassisnummer WP0ZZZ96ZPS496080 kam auf «nur» 1,270’000 Millionen Dollar.
Selbstverständlich müssen wir auch hier eine Sammlung eröffnen. Zwar kommen nicht viele dieser Modelle auf den freien Markt, aber wenn, dann sollen sie auch hier zu finden sein.
Porsche 911 Carrera RSR 3.8
Chassis-Nummer: WPOZZZ96ZPS496067
Motoren-Nummer: 62P85569
Auktionen: Bonham’s, Goodwood 2014, verkauft für 449’500 Pfund.
–
Chassis-Nummer: WP0ZZZ96ZPS496069
Stand im November 2019 in Abu Dhabi bei RM Sotheby’s zum Verkauf, zugeschlagen für 782’000 Dollar (Bilder oben). Kommt im Mai 2021 wieder bei RM, diesmal auf Amelia Island, schon wieder zum Verkauf, Schätzpreis 750’000 bis 850’000 Dollar (Bilder unten).
–
Chassis-Nummer: WP0ZZZ96ZPS496079
Motoren-Nummer: 62P85578
Steht bei Girardo & Co. zum Verkauf (Stand September 2022), angeboten mit folgendem Text: «The Porsche 964 Carrera RSR 3.8 we’re thrilled to be offering is chassis number 496079. The order for the car was placed with Jürgen Barth in September of 1993 by the US-based German privateer racing driver/team manager Jochen Rohr during a Porsche Parade in Cincinnati. Finished in Grand Prix White, this RSR was specified with air jacks, centre-lock wheels, the Le Mans-specification exhaust and the larger 120-litre endurance fuel tank. These racier options were chosen by Rohr with a view to entering chassis 496079 in the 1994 IMSA GT Championship. It was to be a successful season for the Rohr Corporation, which ran two Carrera RSR 3.8s that year. Driven predominantly by John O’Steen, this car finished in the top five of every race it started, including podiums in the 12 Hours of Sebring and the three-hour Glen Continental at Watkins Glen. In fact, the speed and consistency of chassis 496079 earned John O’Steen third place in the IMSA GTU class championship – this car remains the highest-finishing RSR in the fiercely competitive American GT series. After a final outing under the Rohr Corporation banner in the 1995 Daytona 24 Hours (where it finished fifth in class, no less!), this Porsche was acquired by Charles Coker’s Hendricks Porsche outfit and raced in the 1995 and ’96 IMSA GT Championships. Alex Job Racing was the next respected privateer team to prepare and run chassis 496079, contesting the 1997 season. Between 1999 and 2000, the car made four further appearances, including in the Grand Prix of Las Vegas, the curtain-closing round of the 1999 American Le Mans Series. Once time had been called on this RSR’s impressive six-year competition career, it was sold to Michael Harley, who kept the car stateside until 2007. It was only at this point chassis 496079 returned to Europe, having been acquired by Paul McLean. Paul founded GT Classics, the respected Porsche marque specialist which focuses on the lightweight models from the 1990s. McLean took the opportunity to comprehensively strip, inspect and restore this 964 Carrera RSR 3.8 to its original specification and 1994 Rohr Corporation IMSA GT Championship livery. And he clearly cherished the car, as he kept it for almost a decade, selling only in 2017 to another UK-based Porsche collector. In the five years since then, chassis 496079 has changed hands twice, been fully road-registered in the United Kingdom, issued with its Porsche Letter of Origin and featured prominently in Jürgen Barth, Norbert Franz and Robert Weber’s definitive book on the Porsche 964 Carrera RS 3.8 book.»
–
Chassis-Nummer: WP0ZZZ96ZPS496081
Auktionen: Gooding & Co., Pebble Beach 2017, Schätzpreis 900’000 bis 1’100’000, verkauft für 946’000 Dollar. Stand auch schon bei www.maxted-page.com zum Verkauf.
–
Chassis-Nummer: WPOZZZ96ZPS496086
Motoren-Nummer: 62P85628
Ausgeliefert im Dezember 1993 nach South Dakota, ab 1999 in Japan, ab 2007 in England. Hat nur 4021 Kilometer auf dem Tacho. Wurde am 7. Juli 2018 von Artcurial in Le Mans versteigert, Schätzpreis: 800’000 bis 1’000’000 Euro. Früher: Gooding & Co., Amelia Island 2016, Schätzpreis 1’1200’000 bis 1’400’000, nicht verkauft.
–
Chassis-Nummer: WP0ZZZ96ZPS496090
Motoren-Nummer: 62P85644
Auktion. Gooding & Co., Pebble Beach 2022, noch kein Schätzpreis
–
Chassis-Nummer: WP0ZZZ96ZPS496107
Motoren-Nummer: 63R80551
Getriebe-Nummer: 2000575
Auktionen: RM Sotheby’s, Villa Erba 2017, verkauft für 2’016’000 Euro (und dazu gibt es ja auch die schöne Geschichte mit den schönen Bildern, hier…).
–
Porsche 911 Carrera RS 3.8
Chassis-Nummer: WPOZZZ96ZPS497064
Motoren-Nummer: 62P85589
Getriebe-Nummer: G5010 2004329
Auktionen: steht bei Artcurial am 17.6.2019 in Paris zum Verkauf, Schätzpreis 700’000 bis 1’000’000 Euro. Stammt aus der Sammlung von Eric Coicaud*.
–
Chassis-Nummer: WP0ZZZ96ZPS497078
Motoren-Nummer: 62P85598
Auktionen: wird am 8.3.2019 von Gooding & Co. auf Amelia Island versteigert, Schätzpreis 1’200’000 bis 1’500’000 Dollar.
–
Chassis-Nummer: WP0ZZZ96ZPS497097
Motoren-Nummer: 62P85637
Getriebe-Nummer: 2004406
Auktionen: RM Sotheby’s, London 2016, verkauft für 716’800 Pfund.
–
Chassis-Nummer: WP0ZZZ96ZPS497098
Motoren-Nummer: 62P85636
Auktionen: RM Sotheby’s, London 2018, Schätzpreis 800’000 bis 1’000’000 Pfund, verkauft für 933’125 Pfund.
–
Chassis-Nummer: WPOZZZ96ZPS497099
Stand bei www.maxted-page.com zum Verkauf.
–
Chassis-Nummer: WP0ZZZ96ZPS497102
Motoren-Nummer: 62P85647
Auktionen: Gooding & Co., Pebble Beach 2019, Schätzpreis 1’600’000 bis 2’000’000, verkauft für 1’710’000 Dollar (mit nur 4253 Kilometer).
–
Chassis-Nummer: WP0ZZZ96ZPS497105
Motoren-Nummer: 62P85655
Erstbesitz: Hans Bigler, Schweiz
Auktionen: Gooding & Co., Pebble Beach 2018, Schätzpreis 1’100’000 bis 1’400’000, verkauft für 1’001’000 Dollar.
–
Chassis-Nummer: WPOZZZ967PS497129
Motoren-Nummer: 62P85642
Auktionen: Bonham’s, Zoute 2013, verkauft für 270’250 Euro.
–
Unbedingt lesenswert ist in diesem Zusammenhang natürlich auch die Geschichte der ersten Carrera RSR. Mehr Porsche haben wir immer im Archiv.
Vielen Dank für den interessanten Bericht über dieses wunderschönen Porsche-Modell. Ich finde es sehr faszinierend, die Änderungen an Design und Bauteile zu sehen. Die Feinguss-Technik erlaubt nach wie vor die Herstellung von Bauteilen der höchsten Qualität.