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110 Jahre Alfa Romeo (2)

Glanz und Gloria – und Kaugummi

Den ersten Teil unserer grossen Alfa-Romeo-Geschichte finden Sie: hier.

Es hätte ja auch alles anders kommen können. Fiat hatte Anfang der 20er Jahre die internationalen Rennen dominiert, bis Sunbeam den Italienern den verantwortlichen Renn-Ingenieur Vicenzo Bertarione abwarb und mit einer sehr offensichtlichen Fiat-Kopie die grossen Siege einfahren konnte. Nachdem der Giuseppe Merosi konstruierte Grand-Prix-Wagen kaum vom Fleck kam, wollte Alfa Romeo den gleichen Weg gehen wie Sunbeam, engagierte Fiat-Ingenieur Luigi Bassi. Der wies den damaligen Alfa-Romeo-Rennleiter Enzo Ferrari aber darauf hin, dass das wahre Talent bei Fiat ein gewisser Vittorio Jano sei. Also sicherte sich Alfa Romeo 1923 die Dienste des damals 32-jährigen Piemontesen, dessen Eltern erst wenige Jahre vor seiner Geburt aus Ungarn eingewandert waren. Jano machte sich sofort ans Werk – und sein P2 (Bild unten) war schon ab 1924 ein grosser Wurf. Doch diese Geschichte haben wir ja schon einmal erzählt, hier.

Doch Vittorio Jano, bald schon als Nachfolger von Merosi zum Chef-Konstrukteur von Alfa Romeo ernannt, führte die Italiener 1925 nicht nur zu ihrem ersten Weltmeister-Titel, sondern bestimmte mit seinen bahnbrechenden Entwicklung die Geschichte der Marke für die nächsten 15 Jahre entscheidend. 1927 kam sein 6C 1500 auf den Markt, der erste Sechszylinder der Marke – ein ganz feine Maschine mit obenliegenden Nockenwellen und später auch Kompressoren (die Geschichte gibt es ausführlicher: hier). Und schon ein Jahr später konnte Alfa Romeo mit einem 6C 1500 den ersten Sieg bei der Mille Miglia feiern; 1929 wiederholten Giuseppe Campari/Giulio Ramponi ihren Erfolg, dies aber mit einem 6C 1750. Die verschiedenen Jano-Konstruktionen dominierten dieses wichtige Strassen-Rennen der Welt mit einer Ausnahme (Caracciola auf Mercedes, 1931) durchgehend bis 1938, ab 1932 dann mit den 8C 2300 und 8C 2900 (der 1947 noch einen letzten Mille-Miglia-Sieg schaffte). Bilder unten: Alfa Romeo 6C 1500 SS von 1928.

Selbstverständlich war auch der 8C eine Konstruktion von Vittorio Jano. Die ersten Exemplare kamen 1931 auf den Markt, der Reihen-Achtzylinder, der aus zwei zusammen gegossenen Vierzylindern bestand, verfügte über einen Hubraum von 2,3 Liter und kam mit zwei obenliegenden Nockenwellen und einem Zylinderkopf aus Aluminium in der Serien-Version auf 142 PS; für Rennen waren locker 180 PS möglich. Die 8C 2300 machten Alfa Romeo auch international berühmt, denn sie fuhren bei den 24 Stunden zwischen 1931 und 1934 vier Mal in Folge zum Sieg. Targa Florio? Drei Siege in Folge für den 8C 2300, 1931 bis 1933. Und dann war da auch noch der Tipo B, besser bekannt als P3, der 1932 bei den Grand Prix sämtliche Gegner in Grund und Boden und auch noch Asche fuhr. Selbstverständlich sind uns alle diese Fahrzeuge, 8C 2300, 8C 2900 und P3 dann jeweils noch eine eigene Geschichte wert – Alfa Romeo war in den 30er Jahren wirklich Glanz und auch noch Gloria. Bilder unten: Alfa Romeo 6C 1750 GS von 1930.

Doch exemplarisch sollen hier schon einige einzelne, besonders erinnerungswürdige Rennen beschrieben sein. Beginnen wollen wir mit der 22. Targa Florio, die am 10. Mai 1931 stattfand. Zwar hatte Achille Varzi im Vorjahr seinen legendären Sieg mit dem brennenden Alfa Romeo P2 erringen können, doch weil ihm die Bugatti, die zwischen 1925 und 1929 fünf Mal hintereinander gewinnen konnten, für die Strecke auf Sizilien geeigneter erschienen, wechselte er die Marke. Um kurz vor dem Rennen zu erfahren, dass Bugatti ihm keine Werksunterstützung bieten konnte (oder wollte) für seinen T51 (Reihen-Achtzylinder, 2,3 Liter Hubraum, 160 PS). Alfa Romeo hingegen stellte Tazio Nuvolari und Luigi Arcangeli zwei von den neuen 8C 2300 (die bei der Mille Miglia noch mit technischen Problemen ausgeschieden waren) zur Verfügung, Campari, Borzacchini und d’Ippolito traten mit den älteren, aber sehr zuverlässigen 6C 1750 an. Und dann war da noch Maserati mit drei 26M mit Fagioli. Biondetti und Dreyfus (dem von seinem eigenen Fahrstil derart schlecht wurde, dass er das ganze Rennen über mit See-Krankheit zu kämpfen hatte). Varzi durfte als Vorjahressieger als Erster starten, über dem Himmel von Sizilien hingen dunkle Wolken, er war auch vorne nach der ersten der gut 150 Kilometer langen Runden. Nuvolari war nur Dritter – und verlor noch viel Zeit bei einem Boxen-Stopp, auf den seine Crew nicht vorbereitet war; es heisst, er habe sich die Wartezeit mit einem Glas Wein und ein paar Zigaretten versüsst. Unterdessen hatten sich die drei durchaus konkurrenzfähigen Maserati längst ausgeschieden, alle nach Fahrfehlern ihrer Piloten. Nach drei von vier Runden führte Varzi immer noch deutlich, doch unterdessen regnete es stark – und Nuvolari holte auf. Er kam Varzi so nahe, dass er ihn wahrscheinlich hätte überholen können, doch im Gegensatz zu seinem ewigen Kontrahenten wusste er, dass er damit eigentlich schon in Führung lag. Der Bugatti-Pilot fuhr als Erster über die Ziellinie, er fühlte sich auch als Sieger und liess sich vom Publikum feiern – bis ihm mitgeteilt wurde, dass die absolute Zeit zählte und nicht die Position im Rennen. Sogar Borzacchini auf dem 1750er-Alfa war noch schneller als Varzi, der eine der grössten Enttäuschungen seiner Karriere erlebte. Bilder unten: Alfa Romeo 6C 1750 GS von 1931.

Beim den 24 Stunden von Le Mans im Jahre 1933 waren die Alfa Romeo 8C 2300 nach dem Sieg von Raymond Sommer/Luigi Chinetti im Vorjahr wieder die Favoriten. Sommer holte sich Tazio Nuvolari ins Team, Chinetti fuhr das zweite vom Werk gemeldete Fahrzeug zusammen mit dem Franzosen Philippe de Gunsburg, in weiteren Alfa Romeo sassen Louis Chiron und Franco Cortese. Als stärkste Gegner eingestuft wurden ein Bentley Blower der Franzosen Gas/Trévoux sowie der 7-Liter-Duesenberg des rumänischen Prinzen Nikolaus. Doch schon früh wurde klar, dass nur die Alfa um den Sieg kämpfen würden, und weil Nuvolari 16 Minuten an der Box stehen blieb, weil sein Tank leckgeschlagen hatte, führte überraschenderweise Franco Cortese das Rennen lange an. Doch dann hatte der Italiener einen schlimmen Unfall, Nuvolari musste acht Minuten vor dem Ende wieder mit leckem Tank an die Box (geflickt wurde er – mit Kaugummi…), und so kam es in der letzten Runde zum grossen Kampf zwischen Chinetti und Nuvolari. Die Führung wechselte mehrfach, dann musste der Amerikaner einem langsameren Fahrzeug ausweichen – und Sommer/Nuvolari sicherten sich den Sieg mit nur gerade 10 Sekunden Vorsprung. Es sollte auf viele Jahre hinaus die knappste Entscheidung bei den 24 Stunden von Le Mans bleiben; Chinetti erhielt von einem privaten Sponsor die damals unfassbare Summe von 60’000 Francs, obwohl er «nur» Zweiter geworden war. Die Geschichte mit dem Kaugummi, nun, es heisst, dass Sommer und Nuvolari fleissig gekaut haben sollen, damit auch genügend Dicht-Material zur Verfügung stand. Se non è vero, è molto ben trovato (Giordano Bruno). Bilder unten: Alfa Romeo 8C 2300 Le Mans von 1932.

Doch auch Achille Varzi konnte auf Alfa Romeo gewinnen; seinen einzigen Sieg bei der Mille Miglia erreichte er 1934 auf einem 8C 2300 (der aber in Wirklichkeit mehr ein 2600 war) der Scuderia Ferrari. Nuvolari hatte sich wieder einmal mit Enzo Ferrari zerstritten, er trat auf einem 8C 2300 an, der allerdings im Vergleich zum Fahrzeug von Varzi etwas untermotorisiert war und von der Scuderia Siena gemeldet wurde. Bei strömendem Regen hatte bei Halbzeit in Rom noch der talentierte Mario Tadini geführt (selbstverständlich auf Alfa Romeo), doch auf dem Rückweg nach Brescia waren Varzi und Nuvolari deutlich schneller. In Imola befahl Ferrari Varzi, die Reifen zu wechseln, weil der Regen immer stärker wurde – und das sollte sich als richtige Entscheidung des «commendatore» erweisen. Weil Nuvolari zudem beim Tanken Probleme hatte, gewann der italienische Gentleman nach 14 Stunden Anstrengung mit acht Minuten Vorsprung auf seinen ewigen Rivalen; Louis Chiron, der erstmals bei der Mille Miglia und auf einem Alfa Romeo antrat, hatte am Ende mehr als eine Stunde Rückstand auf den Zweiten. Bilder unten: Alfa Romeo 8C 2300 Monza von 1931.

Seinen wohl denkwürdigsten Auftritt hatte Tazio Nuvolari – schon wieder er – aber wohl beim Grossen Preis von Deutschland 1935, der vor über 300’000 Zuschauern auf dem Nürburgring ausgetragen wurde. Das nationalsozialistische Regime hatte den Tisch gedeckt für ein grosses Fest der deutschen Automobil-Industrie, Mercedes trat mit gleich fünf W25 an, am Steuer Caracciola, von Brauchitsch, Fagioli, Geier und Lang; Auto Union meldete vier seiner V-16 mit Stuck, Rosemeyer, Pietsch und Varzi. Alfa Romeo durfte nach Ansicht der Organisatoren etwas Farbe ins Feld bringen, die P3 hatten ihre beste Zeit schon hinter sich und auch bei weitem nicht so viele PS wie die deutschen Maschinen; als Piloten meldete Rennleiter Enzo Ferrari Tazio Nuvolari, Louis Chiron und René Dreyfus. Es gab auch noch einige Maserati, Taruffi auf einem Bugatti, ein paar Engländer auf E.R.A.. Nach zwei Runden führte Caracciola deutlich, Nuvolari war nur Sechster. Doch bis zur 10. Runde hatte er sich bis ganz nach vorne gearbeitet, das Publikum traute seinen Augen nicht. In der elften Runde, zur Halbzeit des Rennens, kamen die führenden vier Wagen fast gleichzeitig an die Boxen. Caracciola war schon nach 47 Sekunden wieder abgefertigt, nur Nuvolari stand. Und stand. Und stand. Erst nach zwei Minuten und 14 Sekunden preschte er wieder los; wieder einmal hatte er ein Problem beim Tanken gehabt. Unterdessen hatte sich Manfred von Brauchitsch an die Spitze geschoben, in der 13. Runde hatte er mehr als eine Minute Vorsprung auf Nuvolari. Und nur langsam kam er näher, drei Runden vor Schluss hatte der Mercedes immer noch 43 Sekunden Vorsprung. Die letzte Runde begann, von Brauchitsch, der dafür bekannt war, mit dem Material nicht besonders schonend umgehen zu können, lag 35 Sekunden vor dem Alfa Romeo, doch die Reifen des Mercedes waren schon fast am Ende. Doch er gab alles, Nuvolari gab noch mehr, kam unwiderstehlich näher, am Karusell hat er den Benz schon in Sichtweite – da platzte von Brauchitsch, auch genannt «der Pechvogel», hinten links der Reifen. Nuvolari fuhr grimmig lächelnd auf seinem eigentlich veralteten Alfa Romeo ins Ziel, das Publikum war völlig konsterniert – und bei der Siegerehrung konnte zuerst nicht einmal die italienische Hymne abgespielt werden, die Organisatoren waren sich so sicher, dass ein deutsches Produkt gewinnen würde, dass sie vergessen hatte, sich die entsprechende Schallplatte zu besorgen. Nuvolari konnte aushelfen, der «Marcia Reale» war immer mit dabei in seinem Gepäck. Bilder unten: Alfa Romeo Tipo B (P3) von 1932.

Das Problem war: Alfa Romeo war damals zwar weltberühmt – doch die Mailänder verdienten kein Geld. Die 6C gewannen viele Rennen und fast alle Schönheitskonkurrenzen, doch Alfa Romeo machte mit jedem verkauften Auto rückwärts; die 8C galten als der wahre Gipfel des Automobilbaus in den frühen 30er Jahren, sie bescherten den Mailändern sowohl viel Ruhm wie auch noch grössere Verluste. 1933 war es wieder einmal so weit, das staatliche «Instituto per la Ricostruzione Industriale» (IRI) übernahm die Leitung des Konzerns, übergab die Führung an Ugo Gobbato. Dieser sollte sich als Glücksfall für das Unternehmen erweisen, auch wenn er zuerst einmal mit dem eisernen Besen ausmistete, das Grand-Prix-Programm stoppte («wir haben unsere Unbesiegbarkeit bewiesen») und stattdessen mehr auf die Produktion von Gerätschaften für das Militär setzte. Andererseits: Gobbato übergab die Renn-Aktivitäten 1933 an die Società Anonima Scuderia Ferrari, die Enzo Ferrari schon 1929 gegründet hatte. Im Vertrag inbegriffen waren auch Entwicklungsarbeiten für neue Renn-Fahrzeuge. Die Veränderungen unter Gobbato zeigten schnell Folgen: Die Anzahl der Mitarbeiter stieg in kurzer Zeit von 1000 auf 9500 – und Alfa Romeo wurde zum wichtigsten Arbeitgeber für die europäische Elite der besten jungen Ingenieure. Jano zeichnete noch verantwortlich für die Entwicklung der 6C 2300, 6C 2500 und der Rennwagen Tipo C und 12 C, doch im Jahr 1937 verliess er Alfa Romeo. Bilder unten: Alfa Romeo Tipo C 12C von 1936.

Es hatte dies sicher auch einen Zusammenhang damit, dass Gobbato den Katalanen Wifredo Ricart nach Portello geholt hatte. Ricart, ein Flugzeug-Ingenieur, war eigentlich engagiert worden, um die immer wichtiger werdende Abteilung für Flugzeug-Konstruktionen zu leiten; er entwickelte in der Folge auch den Flugzeug-Motor 1101, der ein technischer Meilenstein war. Ab 1940 leitete Ricart die Design-Abteilung sowie das «Special Research Department» – zu dem auch Alfa Corse gehörte, die Renn-Abteilung, die Gobbato 1937 von Ferrari zurückgekauft hatte. Das Meisterwerk von Ricart wäre der Tipo 512 gewesen, doch dann brach der 2. Weltkrieg aus, und Alfa Romeo wurde einer militärischen Verwaltung unterstellt; der Katalane gründete nach dem Krieg dann die Marke Pegaso. Gobbato aber lenkte Alfa Romeo mit viel politischem Fingerspitzengefühl durch die wirren Kriegsjahre; er selber erlebte das Kriegsende nicht, am 28. April 1945 wurde Gobbato in Mailand auf offener Strasse erschossen. Ironie des Schicksals: Seine Mörder sassen in einem Lancia Augusta. Bilder unten: Alfa Romeo 8C 2900 Le Mans von 1938.

Viel, ganz viel Alfa Romeo gibt es in unserem Archiv. Wir haben auch ein kleines Alfa-Romeo-Lexikon. Und nochmals: Den ersten Teil unserer grossen Alfa-Romeo-Geschichte finden Sie: hier.

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