Die Langlebigen
Total unglücklich war man zu Arese und Portello wohl nicht, als Rennleiter Enzo Ferrari in Richtung Emilia-Romagna abzog mit seiner Scuderia Ferrari, welche die Farben von Alfa Romeo wohl etwas zu lang vertreten hatte auf den Rennstrecken dieser Welt (und, unter anderem, den so sehr begabten Konstrukteur Wilfredo Ricart vetrieben hatte). Alfa Romeo hatte Ende der 30er-Jahre erfreulichen wirtschaftlichen Erfolg, bei den Sportwagen war man quasi unschlagbar; die Chefetage wollte nun aber auch in den höchsten Rennsport-Klassen mittun, obwohl die deutschen Hersteller mit zweifelhafter Unterstützung bei den Grand Prix als unschlagbar galten. Doch es gab da ja noch eine weitere Kategorie, jene der «Voiturettes» mit bis zu 1,5 Liter Hubraum, und dort rechneten sich die Italiener gute Chancen aus. Also wurde Alfa Corse gegründet – und Gioachino Colombo als Leiter eingesetzt.
Innert kürzester Zeit wurde der GP Tipo 158 entworfen. Es war dies ein innovatives Konzept, Transaxle, also das 4-Gang-Getriebe samt Kupplung mit dem Differential an der Hinterachse verblockt, ein 1,5-Liter-Reihenachtzylinder mit Roots-Kompressor vorne. In einer ersten Version hatte die Alfetta, wie sie von den Alfa-Mitarbeitern bald schon liebevoll genannt wurde, 195 PS, doch Anfang 1939 erreichte man schon 225 PS. Was für eine beeindruckende Höchstgeschwindigkeit von 232 km/h ausreichte.
Man muss sich im Klaren sein, um welch grossartige, fortschrittliche Konstruktion es sich bei diesem Motor handelte. Es waren zwei Vierzylinder-Blöcke in einem Guss mit dem Zylinderkopf aus dem Leichtmetall Elektron, zwei obenliegende Nockenwellen, anfangs ein Doppelvergaser (später: ein Dreifachvergaser), der grosse Roots-Kompressor, eine frühe Form der Doppelzündung, Trockensumpfschmierung.
Gleich das erste Rennen, die Coppa Ciano 1938, gewann der 158 – 1,5 Liter Hubraum, 8 Zylinder – vor einer grossen Masse begeisterter Zuschauer. Es folgten viele weitere Siege. Und dann der Ausbruch des 2. Weltkrieges. Die Fahrzeuge von Alfa Corse, sechs Stück sollen es gewesen sein, wurden in Melzo in der Nähe von Mailand auf einer Schweinefarm versteckt. Und überlebten den Krieg sowohl unbeschadet wie auch unentdeckt.
Nach dem Krieg kam der rennsport nur langsam wieder in die Gänge. Und die Alfetta war 1947, 1948 und 1949 quasi unschlagbar – dies aber auch, weil es kaum Konkurrenten gab. Doch dann kamen kurz nacheinander die Werksfahrer Jean-Pierre Wimille, Achille Varzi und Carlo Felice Trossi um ihr Leben. Und Alfa Corse zog sich kurzfristig von den Rennplätzen zurück. Die Italiener handelten dabei aber nicht nur aus Pietät, sondern sie hatten auch einen Hintergedanken: 1950 sollte erstmals eine Formel-1-Weltmeisterschaft stattfinden. Und Alfa Corse wollte sein bestes Pferd im Stall so gut wie möglich auf die neue Saison vorbereiten.
Das Resultat waren 350 PS aus einem mittleweile zweistufigen Roots-Gebläse – da konnten die 4,5-Liter-Sauger, die das Reglement ebenfalls erlaubte, nicht mithalten. Und mit dem Fa-Fa-Fa-Team sowieso nicht: Nino Farina, Juan Manuel Fangio und Luigi Fagioli fuhren die Konkurrenz bei sechs von sieben Rennen in Grund und Boden (beim siebten Rennen, den 500 Meilen von Indianapolis, traten die Europäer damals nicht an). Schon der allererste WM-Lauf im britischen Silverstone endete mit einem Dreifach-Sieg für Alfa Romeo. Der Italiener Giuseppe «Nino» Farina gewann nach 325 Kilometern vor Luigi Fagioli (Italien) und Reginald Parnell (Großbritannien). Farina erzielte auf dem ehemaligen, heute noch von der Formel 1 genutzten Flugplatz der Royal Air Force ausserdem die Trainingsbestzeit und fuhr auch die schnellste Runde. König George VI. persönlich gratulierte den drei Erstplatzierten. Am Ende der Saison wurde Nino Farina mit drei Siegen (Großbritannien, Schweiz, Italien) erster Weltmeister in der Geschichte der Formel 1 vor den Teamkollegen Juan-Manuel Fangio (Siege in Monaco, Belgien, Frankreich) und Luigi Fagioli. Nicht so schlecht für ein Automobil, das schon 12 Jahre auf seinen schönen Buckeln hatte.
Aber Alfa Corse wusste, dass die Zeit des GP Tipo 158 eigentlich abgelaufen war. Und dass die Konkurrenz stärker sein würde als im Vorjahr. Für die Saison 1951 wurde das Renngerät derart intensiv überarbeitet, dass es einen neuen, «unlogischen» Namen erhielt: GP Tipo 159. Aus dem 1,5-Liter-Achtzylinder wurden 425 PS bei 9300/min gepresst, die Höchstgeschwindigkeit stieg auf 305 km/h. Das Wägelchen wog 710 Kilo, hatte hinten eine DeDion-Achse (also: starr) und rundum Scheibenbremsen. Die Alfa begannen die Saison gewohnt dominant, doch beim vierten Rennen, dem GP von England, gewann José Froilan Gonzalez für Ferrari das erste GP-Rennen. Berühmt die Worte, die Enzo Ferrari in einem Brief an Alfa Romeo wählte: «Heute habe ich meine Mutter umgebracht.» Auch die nächsten Rennen gewann Ferrari – und vor dem letzten Rennen in Spanien lagen Alfa-Pilot Juan Manuel Fangio und Ferrari-Fahrer Alberto Ascari gleichauf.
Es kam zu einem grossartigen Showdown. Die Ferrari waren eigentlich schneller – und deutlich weniger durstig als die Alfetta. Doch Alfa Corse hatte schon nach wenigen Trainingsrunden erkannt, dass die Reifen entscheidend sein würden – und entschied sich kurz vor dem Rennen, dem Wagen von Fangio einen anderen Reifentypen aufzuziehen. Dies auch im Wissen, dass der Argentinier extrem schonend mit seinem Material umgehen konnte. Und während Ascari dann über die Piste rutschte, konnte Fangio in aller Ruhe seinen ersten von fünf Weltmeistertiteln nach Hause fahren. Es war dies auch der letzte grosse Triumph der Alfetta, die sicher einer der grossartigsten Rennwagen aller Zeiten ist.
«radical» durfte ja schon zwei Nächte im Museo Storico von Alfa Romeo verbringen; die Bilder oben stammen aus der ersten Nacht. Unten folgt nun mehr Material von der zweiten Nacht:
Die Übersicht zu allen Stories im Zusammenhang mit 110 Alfa Romeo: hier. Wem das noch nicht reicht in Sachen Alfa Romeo: das Lexikon.
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