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Im Gespräch: Massimo Bottura

«Kultur zieht Kultur an»

Es ist etwas Zeit vergangen, seit ich das letzte Mal mit Massimo Bottura gesprochen habe. Es ist viel geschehen unterdessen, Bottura ist nicht mehr unter den besten 50 Köchen der Welt verzeichnet (2016 und 2018 war er noch Nummer 1). Es kam Corona, doch er hat sich mit dem Landhaus «Casa Maria Luigia» einen Lebenstraum erfüllt, ein halbes Dutzend weitere Restaurant rund um die Welt eröffnet – und mit der von seiner Tochter Alexa angestossenen «Kitchen Quarantine» auf den sozialen Medien einen grossartigen Publikumserfolg gelandet. Bottura ist grauer geworden, der Bart länger. Aber seine Augen funkeln wie immer. Bottura ist und bleibt aber vor allem der wohl grandioseste Selbstdarsteller unter der an Pfauen nicht armen Gastro-Branche, der Kunstsammler ist selber zum Kunstwerk geworden, seine Menus sind mehr Operetten als klassische Küche.

radical: Kochen Sie für ihre Familie, Herr Bottura? 

Massimo Bottura: Wo denken sie hin, dafür habe ich keine Zeit. Wir sind hier alle eine grosse Familie, etwas zu essen kriegt hier jeder jederzeit. Das war nur während dem Lockdown anders, da war ich zuhause mit meiner Familie, da haben wir dauernd gekocht. Aber jetzt ist es wieder anders.

Bottura ist verheiratet mit Lara Gilmore, einer Amerikanerin, die aus dem Kulturbanausen eine Marke geformt hat. Er hat zwei Kinder, Alexa und Charlie. In und um seine Osteria Francesca in Modena arbeiten unterdessen gegen 200 Personen. Er schreit, er flüstert, er zeichnet, das Gespräch mit ihm ist ein Schauspiel, er ist klug, er ist charmant, er widerspricht sich. Dabei war die Frage doch ganz einfach gewesen:

radical: Was macht die Emilia-Romagna so einmalig, aussergewöhnlich? Warum ist das Essen so grossartig, warum kommen die berühmtesten Auto-Hersteller aus der Umgebung, warum ist die Lebensqualität so hoch?

Das muss man dann ertragen können, was auf diese Frage folgt. Bottura, 1962 in Modena geboren, spricht mit den Händen und den Augen, laut, deutlich, engagiert, zuerst von der Feindschaft zwischen Bologna und Modena, Bologna sei immer vom Papst abhängig gewesen und deshalb stark und fett (deshalb wird die Stadt ja auch als «la Grassa» bezeichnet), während in Modena die weltlichen Herrscher über Jahrhunderte eine Kultur der Kunst, des Handwerks, der harten Arbeit aufgebaut hätten. Bottura weiss, wann die Universität gegründet wurde (1175), er erzählt blumig und ausführlich die Geschichte der Familie Este, die Modena ab dem 13. Jahrhundert geprägt hatte – und schliesst sie mit der Ermordung von Franz Ferdinand in Sarajevo, die zum Ausbruch des 1. Weltkrieges führte. Ja, er versteht sich bestens in Zusammenhängen, der Bottura, und er findet sie auch dort, wo sie gar nicht bestehen.

radical: Zurück zum Thema, bitte, Herr Bottura – warum ist das Essen so grossartig in Modena und Umgebung, warum die hohe Kunst des Aceto Balsamico, woher der Culatello, weshalb Schinken, Käse, Pasta von wunderbarer Qualität?

Bottura: Kultur zieht Kultur an. Die Herzöge d’Este verpflichteten die besten Baumeister, die besten Handwerker, die besten Künstler. Diese bleiben in Modena, vererbten ihre Fähigkeiten, bildeten ihre Nachfolger aus, wurden reich und reicher. Sie wollten dann schön wohnen und auch gut essen. Die Landwirtschaft profitierte vom fruchtbaren Land – und vom Geld der Städter. So kam eines zum anderen, es war alles eine logische Folge – auch, dass immer nur die besten Arbeiter zuzogen. Und dass die besten Rennfahrer aus der Umgebung der Stadt kommen.

So verpflanzt er dann auch gleich noch seinen Freund Valentino Rossi in die Emilia-Romagna, obwohl dieser aus den Marken stammt. Und er zeigt seinen Motorrad-Helm, geschmückt von einem «tortolino»: «Wir haben hier Mut, wir lieben die Geschwindigkeit». Bottura ist Modenese durch und durch, abgesehen von seiner kurzen Lehrzeit hat er immer in Modena gelebt (und seine Frau doch in New York kennengelernt). Selbstverständlich liebt er Automobile, «ich habe Enzo Ferrari gekannt», sagt er, auf seinem Arbeitstisch steht ein gerahmtes Portrait des und unterschrieben vom «commendatore» (den seine Mitarbeiter allerdings «il drago» nannten, den ganz bösen Drachen); einer seiner wichtigsten Sponsoren ist Maserati (1914 im verhassten Bologna gegründet, aber in Modena mit offenen Armen empfangen).

Dass ausgerechnet Bottura die italienische Küche neu definiert hat, wundert nicht. Er war oft in seinem Leben zur richtigen Zeit am richtigen Ort, er schmiss sein Jura-Studium und kaufte 1986 die Trattoria del Campazzo, dort spazierte zufällig Alain Ducasse rein – und lud ihn zu Kochkursen nach Monte Carlo ein. 1995 kaufte er die Osteria Francescana in der Altstadt von Modena, er lernte Fernan Adria vom El Bulli kennen, lernte ein paar Monate beim Katalanen, erhielt 2005 seinen dritten Stern von Michelin. Es war eine Zeit der kulinarischen Leere in Italien, der beste Koch des Landes war damals ein Deutscher, und mit seiner Mischung aus der traditionellen Küche seiner Grossmutter, Mutter und Tante, den modernen Techniken aus der Molekular-Küche und seiner clownesken Phantasie wurde der Modenese schnell zum Aushängeschild der italienischen Gastronomie. Dass sich in seinem Restaurant die bekanntesten zeitgenössischen Künstler die Klinke in die Hand geben, hat sicher ebenfalls zu seinem Ruhm beigetragen: Elliott Erwin hat den Koch portraitiert, Maurizo Cattelan extra Tauben gestopft, es hängen Eliasson und Borofsky und Schifano an der Wand, es steht, sehr sinnbildlich, «trash» von Gavin Turk nahe beim Eingang. Ach ja, Damien Hirst ist allerorten, aber das versteht sich ja von selbst.

radical: Sie haben unterdessen fast 200 Mitarbeiter – wie finden Sie Talente?

Bottura: Ich schaue den Menschen in die Augen. Wenn sie funkeln, vor Leidenschaft sprühen, dann sind sie bei mir richtig. Ich lese keine Lebensläufe, das interessiert mich nicht.

radical: Mit der Casa Maria Luigia haben Sie sich einen Lebenstraum erfüllt.

Bottura: Ja. (Dann wird er ganz ruhig.) Sie wissen, dass ich dieses Haus meiner Mutter gewidmet habe? Es ist so grossartig geworden. Fünf Jahre haben wir gebraucht, bis wir das Land so kultivieren konnten, dass wir jetzt unser eigenes Gemüse anbauen können. Und Kräuter. Und diese Bäume. Dort steht auch mein Maserati Mistral. Wenn ihn nicht gerade Michael Stipe (Anmerkung der Redaktion: kreativer Kopf hinter der Rock-Band R.E.M.) fährt, der sich in dieses Auto verliebt hat. Und in Maria Luigia.

Es ist dies nur ein Auszug aus einem langen Gespräch. Das Interview erschien zuerst in der «auto-illustrierte». Einen Erklärungsversuch, was die Emilia Romagna so besonders macht, haben wir schon einmal versucht: the italian jobs.

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