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Im Gespräch: Matt Windle

Aufbruch zum Umbruch

Wohl keine andere Marke ist schon häufiger in eine glorreiche Zukunft aufgebrochen als Lotus. Wir machen uns dazu so ein paar Gedanken – und sprechen mit dem Lotus-CEO Matt Windle.

Nur ganz kurz: Lotus-Gründer Colin Chapman verstarb 1982. 1986 übernahm General Motors die Macht. 1993 übernahm Romano Artioli, dem damals auch die Bugatti Automobiles SpA gehörte; kurz darauf ging er in Konkurs (nicht ohne die Elise noch auf den Weg gebracht zu haben). Ab 1996 gehörte Lotus zum malayischen Konstrukt Proton, irgendwann kam der Schweizer Dani Bahar ins Spiel und hatte tollkühne Pläne, die 2012 den Bach hinuntergingen. 2017 übernahm dann die Chinesen von Geely. Damals kam auch Matt Windle zu Lotus, seit vergangenem Jahr amtet er als Managing Director. Vielleicht noch wichtig: Matt war von 1998 bis 2005 schon einmal bei Lotus – und gehörte danach sieben Jahre lang zum engsten Kreis bei Tesla.

radical: Lotus hat eine lange, bewegte Geschichte – welches waren Ihrer Meinung nach die wichtigsten Autos der Marke?

Windle: Es gab viele Autos von Lotus, die innovativ waren, aber ich würde sagen: die Elise. Die Technologie des geklebten Aluminiumchassis war wirklich bahnbrechend. Und wurde seither von vielen anderen Marken kopiert. Es ist alles, was Lotus ausmacht – eine einfache und leichte Lösung mit genügend Torsionssteifigkeit, um dem Lotus Weltklasse-Fahrdynamik zu verleihen. Unser Erbe ist sehr wichtig für uns und trägt dazu bei, unsere Zukunft zu gestalten. Wir verfügen bereits über eine Reihe bedeutender Fahrzeuge, die die Geschichte von Lotus veranschaulichen und zum Leben erwecken. Ein Beispiel dafür ist ein Turbo Esprit von 1981, der der letzte «Dienstwagen» unseres Gründers Colin Chapman war. Wir werden die Sammlung im Laufe der Zeit erweitern, um mit den Besitzern und Fans auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten.

In den vergangenen fünf Jahren hat sich viel getan bei Lotus. Zuerst war da die Ankündigung des Elektro-Hypercar Evija (Type 130), auf 130 Exemplare limitiert, bis zu 2000 PS stark und mindestens 1,75 Millionen Pfund teuer. Das Ding wurde tatsächlich schon fahrend gesehen, aber aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen ist zu vernehmen, dass sich das Interesse in ziemlich engen Grenzen hält. Es folgte der Emira, dessen erste Auslieferungen in den nächsten Tagen (was immer das auch heisst) erfolgen sollen – es wird dies (wahrscheinlich) der letzte thermisch betriebene Lotus sein.

radical: Autos wie der Emira werden – wahrscheinlich? – kein langes Leben haben, zumindest nicht in Europa. Aber Sie sehen das grosse Ganze, weltweit?

Windle: Die ersten Emira-Kundenautos werden in diesem Sommer ausgeliefert, er hat also noch ein langes Leben vor sich! Wie alle Automarken, die weltweit verkauft werden, unterliegen wir den Vorschriften der einzelnen Märkte, und diese werden bei der Weiterentwicklung unserer Geschäftsstrategie berücksichtigt.

radical: Sollen wir in diesem Zusammenhang über den Rennsport, die Formel 1 sprechen – oder wollen Sie das Thema für Überraschungen offen halten?

Windle: Ich freue mich, mit Ihnen über den Rennsport zu sprechen! Anfang des Monats haben wir den Emira GT4-Rennwagen bei einer Veranstaltung in Hethel vorgestellt, und er ist für das erste Jahr bereits ausverkauft. Was die Formel 1 angeht, so würde ich niemals nie sagen, aber das ist nichts, was wir im Moment in Betracht ziehen.

Nach dem Emira folgte der Eletre (Type 132), das erste SUV von Lotus. Der erste Lotus, der in China gebaut wird. Um es ganz freundlich auszudrücken: ein sanftes Kontrastprogramm zu allem, was man bisher von Lotus kannte. Wir nähern uns dem Thema deshalb ganz behutsam an.

radical: Lotus hat in der Vergangenheit viele Veränderungen und Herausforderungen durchgemacht. Aber das, was jetzt passiert, scheint das Grösste überhaupt zu sein, nicht wahr?

Windle: Sie haben Recht, Lotus hat eine erstaunliche Reise hinter sich, mit vielen Höhen und Tiefen in mehr als sieben Jahrzehnten. Die laufende Transformation macht Lotus von einem britischen Sportwagenhersteller zu einem wirklich globalen Unternehmen und einer Marke für Hochleistungsfahrzeuge. Und ich bin begeistert, Teil des Teams zu sein, das diese Entwicklung leitet.

radical: Wie viel vom Geist des Gründers wird in Zukunft in der Marke zu spüren sein? Oder wird Lotus ein völlig neues Kapitel aufschlagen?

Windle: Colin Chapman war ein visionärer Ingenieur und eine Führungspersönlichkeit, und viele der Innovationen, die er und sein Team entwickelt haben, sind der Grund dafür, dass der Automobilbau und der Motorsport heute so sind, wie sie sind. Dieser unkonventionelle und leicht rebellische Geist der Leidenschaft und des Erfindungsreichtums ist bei Lotus noch heute lebendig. Schauen Sie sich nur die drei Fahrzeuge an, die wir in den letzten drei Jahren vorgestellt haben – den Evija, das leistungsstärkste Serienfahrzeug der Welt mit einem der wohl fortschrittlichsten Design aller Zeiten; den Emira, unser letztes Benzinfahrzeug und zweifellos das beste seiner Art; und den Eletre, das erste Hyper-SUV der Welt, das unsere Marke in eine aufregende, neue Richtung führt.

radical: Lotus lebt zusammen mit einer Vielzahl von Marken unter dem Dach der Geely-Gruppe. Wie werden Sie es schaffen, einen Lotus-Charakter in Ihre Produkte zu bringen? Und was werden diese Merkmale sein?

Windle: Lassen Sie mich das klarstellen. Lotus nutzt nicht die SEA-Architektur von Geely. Wir haben für das Jahr 2021 angekündigt, dass die nächste Generation von Lotus-Fahrzeugen – unsere Lifestyle-Fahrzeuge mit dem Codenamen Type 132, der Eletre-SUV, der Type 133, eine viertürige Sportlimousine, und der Type 134, ein kleinerer SUV – alle auf völlig neuen und eigenen Lotus-Plattformen gebaut werden sollen. Das gibt uns die perfekte Ausgangsbasis, um die «Persönlichkeit» von Lotus in jedem Fahrzeug zu entwickeln, einschliesslich des erstklassigen Fahrverhaltens und der Handhabung, die jeder von uns erwartet.

radical: Natürlich verstehen wir, dass Lotus ein elektrisches SUV braucht – weil der (amerikanische, chinesische) Markt danach verlangt, um Geld zu verdienen. Wie schwierig war es, dieses «Konzept» der Belegschaft in Hethel zu «verkaufen»?

Windle: Es war überhaupt nicht schwierig. Ich würde sagen, dass die Stimmung unserer Kollegen in Hethel und in der gesamten weltweiten Lotus-Gemeinschaft noch nie so gut war. Das Team in Hethel bringt dieses Jahr den Emira und den Evija zu den Kunden und entwickelt den Type 135, einen neuen Elektro-Sportwagen. Sie sehen, dass die Zukunft von Lotus so sicher ist wie seit einer Generation nicht mehr, und wir sind stolz darauf, Teil der Reise zu sein, auf der sich Lotus befindet.

radical: Die Elise wurde 25 Jahre lang gebaut. Heute ist die Geschwindigkeit der Veränderungen in der „Technik“ viel höher als in den letzten 125 Jahren. Wie weit können Sie im Moment in die Zukunft planen? Wie zum Beispiel, dass die Festkörperbatterien das Spiel wieder verändern werden.

Windle: Das ist eine gute Frage. Wir lassen uns seit 2018 von der Vision80 leiten; das ist unser 10-Jahres-Plan, der Lotus bis zu seinem 80-jährigen Jubiläum im Jahr 2028 führt. Und wie Sie erwarten können, sind wir mit der Unterstützung unserer Aktionäre bereits weit fortgeschritten, was die Zeit danach angeht. 

radical: Ferry Porsche hat einmal gesagt: Das letzte Auto, das gebaut wird, wird ein Sportwagen sein. Kann es auch ein Elektro-Sportwagen sein?

Windle: Es besteht kein Zweifel daran, dass die Kunden weltweit Sportwagen lieben, und es besteht kein Zweifel daran, dass die Elektrotechnologie das Herzstück der nächsten Generation aller Autos sein wird. Wir arbeiten an einem rein elektrischen Sportwagen, dem Typ 135. Aber ich möchte die Frage an Sie zurückgeben – ist Elektrizität die endgültige Lösung für die menschliche Fortbewegung? Die Ingenieurteams von Lotus untersuchen weltweit zahlreiche andere alternative Antriebsmöglichkeiten.

radical: Nein, wir werden nicht nach zukünftigen Produkten von Lotus fragen. Aber wenn Sie uns etwas erzählen wollen.

Windle: In Bezug auf Ihre letzte Frage kann ich Ihnen sagen, dass unser EV-Sportwagen, der Type 135, im Jahr 2026 auf den Markt kommen und sensationell werden wird. Und ich kann Ihnen sagen, dass diese aktuelle Palette an aufregenden neuen Produkten erst der Anfang ist. Es wird noch so viel mehr von Lotus kommen.

radical: Sie haben noch eine letzte Tankfüllung – wohin würden Sie fahren, mit welchem (klassischen) Automobil?

Windle: Ich würde den Tank teilen und eine Hälfte in den Typ 72 stecken, um ihn auf der Lotus-Teststrecke in Hethel zu geniessen, und die andere Hälfte würde ich in einer Mk I Elise mit offenem Verdeck an die Küste fahren.

Wir haben einige schöne Lotus-Geschichten in unserem Archiv, einen letzten Fahrbericht mit einer Elise MkI zum Beispiel. Oder die sehr ausführliche Historie des Esprit. Oder ein paar Gedanken im und um den Elite 504. Und sonst bleibt ja immer noch das Archiv.

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