Nichts für Warmduscher
Es darf schon auch erwähnt sein: Ich kann jetzt einen Countach rückwärts einparken. Das wird jetzt den Lauf der Geschichte nicht wirklich beeinflussen, aber für mich selber ist das schon noch wichtig. Nicht, dass ich jetzt jeden Tag so einen Lamborghini in die oder aus der Garage fahren müsste, aber zu wissen, dass ich es könnte, das tut gut. Und sieht halt schon auch sehr cool aus, so auf dem Schweller sitzend, den rechten Arm auf dem Dach. Geht übrigens auch vorwärts ganz gut, falls man einmal den grossen Auftritt haben möchte.

Die meisten Countach werden aber eh so parkiert, dass man gleich wieder vorwärts weiterfahren kann. Doch auch dann erkennt man einigermassen schnell, wer der geübte Fahrer ist, wer nicht so: beim Ein- und Aussteigen. Der Schweller ist breit, die Scherentüren öffnen nicht sonderlich hoch, der Fussraum ist schmal. Am besten geht es, wenn man das rechte Bein mal innen platziert, sich dann am äusseren Sitzrand anlehnt – und sich unter Mitnahme des linken Beins langsam in den engen Stuhl gleiten lässt. Auf gar keinen Fall: mit dem Hintern voraus. Da hat man/frau dann verloren. Damen sei noch empfohlen, keine allzu kurzen Röcke zu tragen.

Andererseits: Es wird dann schon warm im Countach. Auch wenn unser Proband zur letzten Ausbaustufe gehört, ein 25th Anniversary ist, von dem zwischen 1988 und 1990 noch 657 Stück gebaut wurden – es ist alles etwas eng. Kopffreiheit ist bei allen, die grösser sind als italienische Jockeys, eher knapp, Gas und Kupplung liegen sehr eng beieinander (war da noch etwas dazwischen?), die Frontscheibe ist nah, der Motor auch. Und der liegt ja hinter den Passagieren. Es heisst, dass der 25th Anniversary der mit Abstand alltagstauglichste aller Countach sei. Ja, dann viel Vergnügen in allen anderen Versionen.

Also, der 25th Anniversary, der offensichtlich 25 Jahre nach der Gründung der Marke Lamborghini auf den Markt kam: er wird nicht allerorten geliebt. Die einst so puristische Form des Countach ist in dieser letzten Variante kaum mehr zu erkennen, die Anbauteile sind halt so typisch 80er Jahre, als es ja auch noch Schulterpolster gab in den Jacken. Ja, vielleicht ist er nicht so schön wie der LP400, aber je länger man den 25th betrachtet, desto mehr entsteht diese Faszination, der man sich kaum mehr entziehen kann. Es hat aber auch sein Gutes, dass diese Modellvariante nicht so beliebt ist: der Markt ist nicht völlig ausgetrocknet, die Preise sind nicht komplett absurd.

Die Folge: LP400 (1974-1978, 157 Ex.), LP400S (1978-1982, 237 Ex.) LP500S (1982-1985, 321 Ex.), LP5000S Quattrovalvole (1985-1988, 610 Ex.) und dann eben der 25th Anniversary (1988-1990, 657 Ex.) – wir haben da auch schon eine bebilderte Ahnenreihe. Angetrieben wird der 25th vom gleichen 5,2-Liter-Zwölfzylinder wie der LP5000S QV, also 455 PS und 500 Nm maximales Drehmoment bei 5000/min. Auf dem Papier machte das 4,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h und 295 km/h Höchstgeschwindigkeit, dies bei einem Leergewicht von 1590 Kilo (das waren aber 100 Kilo mehr als beim LP5000S QV).
Doch nicht das Gewicht macht den Countach etwas schwerfällig, sondern das komplette Nichtvorhandensein von Servohilfen. Die Kupplung ist ein fieser Bock, die Schaltung braucht richtig Kraft, genau wie die Lenkung. Dies wird noch erschwert, weil man halt so ziemlich gar nichts sieht, man hat keine Ahnung, wo der Lamborghini anfängt und wo er aufhört (ausser natürlich, man hat gelernt, rückwärts zu parkieren…). Auf den ersten Kilometern halte ich Abstand, sehr viel Abstand, vom Strassenrand, vom Vordermann. Aber es ist ja sicher nicht falsch, wenn man solch einen Klassiker zuerst einmal mit viel Respekt behandelt.

Wir fahren von Sant’Agata an Bologna vorbei in Richtung Raticosa, eine dieser Mille-Miglia-Legenden. Verkehr hat es kaum mehr, es wird jetzt auch langsam Zeit, die Vorsicht etwas abzulegen; vorne sitzt Lamborghini-Testfahrer Vincenzo in einem Audi Q3, er lässt es jetzt fliegen. Da merkt man dann bald, dass unser Lambo drei Jahrzehnte Rückstand hat: es ist harte körperliche Arbeit, den Countach einigermassen flott zu bewegen, schweisstreibend. Ich bin es mich gar nicht mehr gewöhnt, das Lenkrad derart fest festhalten zu müssen, ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, dass Schaltwege so lang sein können (der erste Gang ist links hinten, dafür gehen dann der Zweite und der Dritte in einem Zug; Zwischengas beim Runterschalten ist extrem hilfreich), ich bin erstaunt, dass eine Kupplung einen derartigen Kraftaufwand benötigen kann. Erholung hat man eigentlich bloss auf der Bremse, die sich nicht so gut dosieren lässt – und bei weitem nicht so gut verzögert, wie man das von einem modernen Fahrzeug gewohnt ist. ABS ist eh etwas für Warmduscher.
Doch es geht dann schon gut vorwärts. Sehr gut. Sehr laut. Klar, ein 5,2-Liter-Sauger hat nicht wirklich Drehmoment-Probleme, die Kraftentwicklung des Vierventilers ist wunderbar linear – so ab 3500/min wird die ganze Sache dann richtig lebendig. Haben wir schon erwähnt, dass es dann auch richtig laut wird, so quasi direkt am Ohr? Es ist wieder einmal eine dieser Erfahrung für alle Sinne, die das Fahren eines klassischen Automobils so wunderbar macht: Es gibt was auf die Ohren, es riecht (nach klassischem Fahrzeug, irgendwie nach Benzindämpfen), es braucht Körpereinsatz. Bloss das Sehen ist etwas eingeschränkt, ausser geradeaus sieht man nicht so viel.

Es tut vor allem aber auch gut, wieder einmal ein Automobil zu bewegen, das schon 30 Jahre auf seinen diversen Kanten hat. Die Unterschiede zu einem aktuellen Fahrzeug sind: gewaltig. Wenn man bedenkt, dass der Countach 25th Anniversary Ende der 80er Jahre zum gröbsten gehörte, was man für Geld kaufen konnte, man heute aber Mühe hat, einem profanen Q3 zu folgen, dann spürt man sehr direkt, welche Fortschritte die Automobil-Industrie gemacht hat. Am frappantesten: Bremsen, Grip, da ist man heute in ganz anderen Dimensionen.

Aber, und hier kommt ein ganz grosses Aber: Das Vergnügen, diesen Countach zu fahren, ist ungleich grösser. Es geht noch um: Fahren. Und nicht um: Gefahrenfahren (mit Hilfe von Dutzenden von Assistenten). Ich behandle das Gaspedal wie ein rohes Ei, ich trete die Bremse wie ein Pferd, meine Hände sind schweissnass (und stehen nach fast 300 Kilometern kurz davor, sich mit Schwielen zu überziehen). Doch in erster Linie habe ich unfassbare Freude, ich bin hier der Chef, ich muss das Auto im Griff haben, ich bin verantwortlich für die Fehler, die ich mache, ich bin der König, wenn ich das Kurvengeschlängel so richtig sauber hinkriege. Nichts piept – noch so etwas, was mich zum Lächeln bringt.

Lamborghini Countach 25th Anniversary – die Daten:
Zwölfzylinder in V, 5167 cm3, 335 kW/455 PS, 500 Nm bei 5000/min, manuelles 5-Gang-Getriebe, Heckantrieb, viele Liter/100 km, viele Gramm/km CO2, Effizienz Null.
0–100 km/h: 4,9 s, Spitze: 295 km/h.
L/B/H: 4140 / 1999 / 1069 mm, Reifen vorne 225/50 VR15, hinten 345/35 VR15, Leergewicht: 1590 kg, Zuladung: 190 kg, Ladevolumen: sonst noch Fragen?.
Preis: 220’000 Franken (1989)

Bilder: Vesa Eskola. Mehr Lamborghini? Reichlich, im Archiv.
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