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Im Gespräch: Gilles Vidal

«Kreativität trifft Technik»

Als Chefdesigner ist Gilles Vidal nicht nur verantwortlich für das Aussehen der Renault-Modelle, sondern muss heute schon die Zukunft kennen. Wohl deshalb ist der Franzose auch ein Philosoph. Zum Designer ausgebildet wurde der 48jährige Gilles Vidal in der Schweiz, am Art Center College of Design in Vevey. Er kennt die französische Autobranche wie wohl nur wenige andere, er hat schon bei Citroën und Peugeot gearbeitet, seit 2020 amtet er als Chefdesigner bei Renault.

radical: Französische Automobile waren in Sachen Design immer anders, eleganter, verspielter – wie erklären Sie sich das?

Gilles Vidal: Als Franzose bin ich vielleicht nicht der richtige Mann, um das erklären zu können. Aber es ist schon so, es gibt da einige Besonderheiten in der französischen Kultur, die von vielen Künstlern bestimmt wird, Malern, Bildhauern, Musikern und so weiter. Diese Menschen trauen sich, Dinge zu schaffen, die vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, verspielt, anders, auch unerwartet sind. Dazu kommt eine hohe Affinität für Technik, in Frankreich herrschte schon immer die Vorstellung, dass ein Ingenieur und ein Künstler zusammenkommen können, um etwas zu schaffen, das kreativ gewagt und dazu technisch sinnvoll ist. Als Beispiele seien der Eiffel-Turm genannt, die Concorde, der TGV.

radical: Welches sind denn Ihre Lieblingsfahrzeuge aus der Vergangenheit?

Vidal: Mein absolutes Lieblingsauto ist der Bugatti Atlantic, seine Proportionen sind wunderbar und die Linienführung ist grossartig. Und die Finne, die sich über das ganze Fahrzeug zieht, macht den Bugatti einzigartig. Doch auch hier, es bestand eine technische Notwendigkeit dafür – und sie wurde sehr elegant gelöst.

radical: Auch in der Geschichte von Renault gibt es viele Design-Ikonen. Mit dem R5 wird Renault eines dieser legendären Modelle im Retro-Stil als E-Fahrzeug zu neuem Leben erwecken. Sind Ihnen die Ideen ausgegangen?

Vidal: Nein, gar nicht. Wir stellen uns da schon die Frage: Kann man retro-futuristisches Design machen, kann das auch funktionieren? Dazu muss man aber zuerst einmal die Fahrzeuge in seiner Historie haben, mit denen das auch klappt. Der R5 ist ein gutes Beispiel dafür, er war ein sehr erfolgreiches, sehr populäres Fahrzeug, das in seiner Zeit auch einen coolen Zeitgeist ausdrückte. Und dazu noch erschwinglich war. Und genau das wollen wir mit dem neuen Stromer ausdrücken, cool soll er sein, ikonisch – und günstig.

radical: Hier auf der Mondial in Paris haben Sie den 4ever vorgestellt – da gehen Sie mit einem berühmten Namen, einer Design-Ikone einen ganz anderen Weg.

Vidal: «Um den 4ever Trophy in die moderne Ära zu bringen, haben wir seine Form mit technologischer Raffinesse kombiniert und die Details sorgfältig ausgearbeitet, sodass das Design bei denjenigen, die den 4L bereits kennen, ebenso gut ankommt wie bei den jüngeren Generationen, die vielleicht noch nichts von der illustren Geschichte des Fahrzeugs wissen.»

radical: Die neuen, reinen E-Plattformen würden es eigentlich ermöglichen, Automobile komplett anders aufzubauen, ihnen ein ganz anderes Design zu verleihen. Weshalb geschieht das nur in den wenigsten Fällen?

Vidal: Das ist ein guter Punkt. Jeder Ingenieur, jeder Architekt, auch jeder Designer hat seine Angewohnheiten, wie er etwas gestaltet. Wir müssen diese bekannten Codes zuerst herausfordern und in Zukunft dann brechen. Beim neuen Mégane haben wir das sicher gemacht, wir haben die vier Räder ganz nach aussen an die vier Ecken des Fahrzeugs verschoben, wir gewinnen damit viel Platz, obwohl das Fahrzeug deutlich kürzer ist als die bisherigen Modelle. Das ist schon ein grosser Gewinn, auch für unsere Kunden. Aber wir können das selbstverständlich noch viel konsequenter umsetzen – und werden das auch tun, wenn wir sicher sind, dass die Kundschaft für solche Fahrzeuge auch bereit ist.

radical: Gilt das auch für das Interieur? Da würden die komplett flachen Plattformen doch auch neue Möglichkeiten eröffnen. Man sieht aber auch in ganz neuen E-Fahrzeugen weiterhin Mittelkonsolen und Mitteltunnel, obwohl die doch gar nicht mehr nötig wären.

Vidal: Das ist auch ein Prozess. Es gibt klare Voraussetzungen, zum Beispiel die Sicherheitsstandards, die wir erfüllen müssen. Es ist interessiert den Kunden zwar nicht, wie genau eine Tür aufgebaut sein muss und welchen Aufprallschutz sie bietet, doch wir Designer und vor allem die Ingenieure sind dann in einem Korsett. Als Designer kann ich schon sagen, wir räumen den Innenraum jetzt komplett leer und möblieren ihn dann schön, doch das ist derzeit technisch noch nicht möglich. Aber der neue Mégane ist andererseits schon ein gutes Beispiel dafür, was heute alles machbar ist, wir haben die Klimaanlage in den bisherigen Motorraum verlagert, das gab uns bei der Gestaltung des Interieur ganz neue Platzverhältnisse. Und davon profitieren die Insassen auf jeden Fall.

radical: Es existieren gerade für den Innenraum bereits jetzt viele neue Materialien, Sitzbezüge aus ehemaligen Fischernetzen zum Beispiel. Wie wichtig ist es, in einem neuen E-Fahrzeug wie dem Mégane auch zu ausdrücken, dass Nachhaltigkeit ein zentrales Thema ist?

Vidal: Da hat jeder Hersteller seine eigene Vorstellung, auch beim Aussen-Design. Doch wir bei Renault wollen uns da nicht auf ein paar optische Gadgets beschränken. Als ich zu Renault kam, da war ich sehr überrascht, wie weit man bereits ist, das waren nicht Gedankenspielereien, da ist alles schon vorhanden, einsetzbar. Und das ist entscheidend.

radical: Als Chefdesigner von Renault arbeiten Sie längst an der nächsten Generation des Mégane, dazu an Fahrzeugen, die erst in 10, gar 15 Jahren auf den Markt kommen werden. Doch derzeit ist das Tempo bei der Entwicklung neuer Technologien rasant, Feststoff-Batterien, zum Beispiel, werden viel kleiner sein als die bisherigen Akkus – und den Designern wieder neue Möglichkeiten geben.

Vidal: Es muss für einen Designer immer darum gehen, den Status Quo in Frage zu stellen. Bei der Technik sind wir allerdings auf die Wissenschaft angewiesen, wir müssen auch wissen, wann was möglich sein wird. Gerade diese Feststoff-Akkus werden uns auf jeden Fall einen gewaltigen Vorteil bringen – und wir berücksichtigen das selbstverständlich. Aber wir wissen jetzt noch nicht, wann genau es so weit sein wird. Das gilt auch für neue, intelligente Materialien, die es vielleicht möglich machen werden, dass wir in Zukunft Autos bauen werden, die ihre Form verändern können, in der Stadt viel Platz und Komfort bieten, auf der Autobahn dann aber aerodynamischer werden. So weit sind wir jetzt noch nicht, aber ich kann, ich muss es mir vorstellen.

Weitere Gespräche finden Sie in unserem Archiv.

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