Dogmatismus – aber mit Pragmatismus
Vielleicht ist das alles auch nur Zufall. Am vergangenen Sonntag sass Stellantis-Chef Carlos Tavarez noch mit dem französischen Präsidenten Macron beim Dinner zusammen, wir hatten es schon angedeutet in «Ein Stück Seife». Dort will er dem Staatsoberhaupt noch genau erklärt haben, dass die Euro-7-Norm nur eine Verschwendung von Ressourcen sei, von Geld, vor allem aber von Geist, die besten Ingenieure müssten jetzt unbedingt an der Zukunft arbeiten. Und nicht an einer nochmaligen Senkung der CO2-Emissionen, die in keinem Verhältnis zum Aufwand stehe, vor allem Klein- und Mittelklasse-Fahrzeuge unnötig teurer mache und zu gar nicht erfüllbaren Compliance-Problemen führe. Kurz darauf reiste Emmanuel Macron nach Brüssel zum EU-Rat – und wenig später kippte die entsprechende EU-Kommission ihren Vorschlag für neue Normen. Auch mit der Begründung, dass es bis zum Verbrenner-Aussteige 2035 nicht noch einmal neue Regulierungen brauche.

Eben, vielleicht war das alles nur Zufall. Vielleicht wusste Tavarez schon länger, dass die EU-7-Norm in der bisher vorgeschlagenen Form nicht kommen würde. Vielleicht hat sein Wort aber auch Gewicht, zumindest in der französischen Politik. Es ist gut vorstellbar, Stellantis ist ein wichtiger Arbeitgeber in Frankreich – und der analytische Verstand des Firmen-Chefs wird weltweit hoch geschätzt. Der 64jährige Portugiese ist in noch so mancher Sprache höchst eloquent, er ist extrem direkt, er kommt sofort auf den Punkt. Und kann das alles auch erklären, sehr plastisch.
Wir sassen am Montag mit dem Stellantis-Chef zusammen. Kein Interview, kein 1:1, ein so genannter «Round Table». Es macht keinen Unterschied, eigentlich, man stellt ihm eine Frage – und dann spricht nur noch Tavarez. Ohne Notizen – ohne Unterbruch. Die Zahlen hat er sowieso im Kopf – und in welche Richtung er das «Gespräch» drehen will, das weiss er schon vorher. Die Euro-7-Norm ist nur ein Nebenschauplatz für ihn, eben, eine Verschwendung von wertvollen Ressourcen, von Zeit, von Ingenieursleistungen. Und das könne sich die europäische Auto-Industrie nicht leisten.

Tavarez ist ein grandioser Erzähler. Und er packt seine Zuhörer auf einem Nenner, auf den sich wohl alle einigen können: Vernunft. Die EU-Kommission müsse vernünftige Entscheidungen treffen, die Politiker müssten dem Willen und vor allem den Bedürfnissen des Volkes folgen. Passiere das nicht, sei die europäische Auto-Industrie in Gefahr (alle, ausser Stellantis, «Stellantis geht es gut, wir sind stark, wir werden das überstehen»), dann seien sehr viele Arbeitsplätze in Gefahr, dann sei die Mittelklasse bedroht, dann drohten «soziale Verwerfungen». Die Euro-7-Norm ist nur ein kleines Mosaiksteinchen, Tavarez malt da aber lieber grössere Bilder.
Man müsse unbedingt die Produktion und die Lieferketten in den Griff bekommen. Dort produzieren, wo man die Produkte brauche – Stellantis baue deshalb, zum Beispiel, eigene Batterie-Fabriken in Italien, Frankreich, Deutschland. Die dann auch mit den natürlichen Ressourcen aus Europa beliefert werden müssen, eigenes Lithium zum Beispiel. Aber da müssten auch die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, sofort, keine langwierigen Bewilligungsverfahren. Sonst ist es zu spät. Klar, dem kann man folgen, alles: vernünftig.
Und dann: China. «Selbstverständlich stellen wir uns der Herausforderung, Konkurrenz ist wichtig», sagt Tavarez, «und wir haben keine Angst, wir scheuen keinen Vergleich». Aber: «Wir müssen mit gleich langen Spiessen kämpfen können». Die EU habe in den vergangenen Jahren China Tür und Tor geöffnet, es gebe keinerlei Handelsbeschränkungen mehr. Aber das sei einseitig, die Chinesen können importieren, die Europäer aber nicht im gleichen Masse exportieren. Die Chinesen dürften alles, Menschenrechte missachten, Billigstlöhne zahlen, Umweltvorschriften würden ja eh keine bestehen. «Das ist nicht fair», sagt Tavarez mit ganz leiser Stimme, er weiss, dass er sein Publikum im Griff hat.

«Ich bin gegen Import-Zölle», sagt er dann, «aber wir brauchen sie jetzt. Wir brauchen eine Übergangsphase, damit wir uns neu aufstellen können, bis wir bereit sind, bis wir der Herausforderung auf Augenhöhe begegnen können». Dabei gehe es vor allem um «preislich vernünftige» Fahrzeuge, die aktuellen E-Autos aus europäischer Produktion seien zu teuer, «das können sich viel zu wenige Menschen leisten. Und das verlangsamt den Umsteig. Und dann können wir die von der Politik eingeforderten Ziele nicht erfüllen». Gegen den Dogmatismus der Politiker und Beamten könne man sich nicht mehr wehren. Diesem aber etwas Pragmatismus hinzuzufügen, das sei durchaus noch möglich.
Derzeit, zeigt Zahlenmensch Tavarez auf, sei das Auto auf den europäischen Strassen durchschnittlich 12 Jahre alt – und werde immer älter. Weil sich zu wenige Menschen ein neues Fahrzeug leisten können. Ja, Stellantis könne ein E-Auto für weniger als 25’000 Euro bauen, bald. Aber für weniger als 20’000 Euro, dafür brauche es noch ein paar Jahre. Wenn dann aber in dieser Zeit die chinesischen Hersteller ihre preislichen Vorteile ausspielen könnten, dann, er hatte es schon einmal aufgezeigt: dann ist die europäische Auto-Industrie in Gefahr, dann sind sehr viele Arbeitsplätze in Gefahr, dann ist die Mittelklasse bedroht, dann drohen «soziale Verwerfungen». Man kann Tavarez bestens folgen, die Analyse ist logisch, verständlich.

Und auch wenn Tavarez noch mit Macron zusammensass – er will keine Politik machen. Stellantis hat den grossen europäischen Branchen-Verband ACEA verlassen, stattdessen das «Freedom of Mobility Forum» gegründet. Damit will Tavarez das Volk, die Auto-Käufer erreichen, mit der potenziellen Kundschaft über ihre Bedürfnisse diskutieren, Mobilität dort ansprechen, wo sie gebraucht wird. Nicht in Brüssel, nicht im Präsidenten-Palast, nicht mit Lobbyisten, sondern quasi auf der Strasse. «Wir wollten keine E-Autos», sagt er deutlich, «wir haben ganz deutlich gesagt, dass die Welt noch nicht bereit ist für eine Umstellung von 80 Prozent fossiler Energie auf 80 Prozent erneuerbare Energie. Das braucht 20 Jahre, mindestens. Das Erstellen einer passenden Infrastruktur braucht 10 Jahre. Wir können dann die passenden Fahrzeuge in fünf Jahren liefern. Doch jetzt läuft es genau umgekehrt, wir müssen liefern, obwohl noch gar niemand bereit ist dafür. Das ist falsch».
Schliesslich spricht Tavarez auch noch über das Geschäft. Aber das ist nicht so spannend, die Zahlen zeigen und interpretieren, das könnten andere Mitarbeiter auch. Das Grosseganze aufzeigen, das kann er aber so gut wie kein anderer. Mehr Gespräche finden sich in unserem Archiv.
„Jetzt sieht es aus als wehre er sich gegen die Geister, die er rief. Am Tag, als Europa harsche Zölle gegen E-Autos aus China verkündete, wandte sich der Autokonzern Stellantis in einer klaren Mitteilung gegen die Pläne: „Stellantis unterstützt keine Maßnahmen, die zur Fragmentierung der Welt beitragen“, hieß es. Konzernchef Carlos Tavares hatte die Zölle schon vor einigen Wochen in München als „gewaltige Falle“ gegeißelt.“
Carlos Tavares: Der Mann, der Europa die Autozölle einflüsterte
Stellantis-Chef Carlos Tavares auf einem Empfang mit Frankreichs Premierminister Emanuel Macron und Chinas Staatspräsident Xi Jinping
© ABACAPRESS / IMAGO
von Lutz Meier
13.06.2024, 14:02
4 Min.
Der Chef des Autokonzerns Stellantis drängte Emmanuel Macron lange zu Maßnahmen gegen E-Autos aus China. Jetzt, wo Europa die Zölle beschlossen hat, geißelt Carlos Tavares sie als „Falle“
https://www.capital.de/wirtschaft-politik/carlos-tavares–der-mann–der-europa-die-autozoelle-einfluesterte-34795904.html
„Dem Portugiesen wird angekreidet, in den USA in den vergangenen Monaten eine falsche Strategie gefahren zu haben. Tavares hatte versucht, die in der Pandemie gestiegenen Auto-Preise zu halten. Doch anders als von ihm erhofft zahlte sich das nicht aus: Stellantis hat rasant Marktanteile verloren, weil die Amerikaner zu Marken mit besserem Preis-Leistungs-Verhältnis wechselten.“
Der Macher von Stellantis hat es sich mit allen verscherzt – und tritt ab
Artikel von Christoph Kapalschinski
https://www.welt.de/wirtschaft/article253953202/Opel-Mutter-Der-Macher-von-Stellantis-hat-es-sich-mit-allen-verscherzt-und-tritt-ab.html
„Es kann gefährlich sein, Amerikas Feind zu sein; aber Amerikas Freund zu sein, ist verhängnisvoll.“
Bonmot von Henry Kissinger
«Man darf nichts ausschliessen», sagte Tavares der französischen Zeitung «Les Échos». Wenn die Chinesen am Ende ihrer Offensive einen Marktanteil von zehn Prozent in Europa erreichten, bedeute dies ein Volumen von 1,5 Millionen Autos. «Das entspricht sieben Montagewerken. Die europäischen Hersteller müssten diese dann entweder schliessen oder an die Chinesen übergeben.»
Zu den von der EU geplanten Strafzöllen auf chinesische Elektroautos sagte der Stellantis-Chef, China werde diese Barrieren umgehen, indem es in den Bau von Fabriken in Europa investiere. «Wenn das geschehen ist, darf man sich nicht wundern, wenn Standorte geschlossen werden müssen, um die verschärften Überkapazitäten abzubauen.»
Stellantis-Chef schliesst Werksschliessungen nicht aus
Angesichts der Konkurrenz aus China befürchtet der Chef des Opel-Mutterkonzerns Stellantis, Carlos Tavares, Überkapazitäten in der europäischen Autoindustrie. Das könnte Werkschliessungen zur Folge haben.
Stellantis-Chef Tavares befürchtet Überkapaziäten in europäischer Autonindustrie (Archivbild)
Quelle: KEYSTONE/EPA/FABIO FRUSTACI
Von SDA
am 14.10.2024 – 18:48 Uhr
https://www.handelszeitung.ch/newsticker/stellantis-chef-schliesst-werksschliessungen-nicht-aus-758374-1
Reaktion auf Strafzölle
GAC prüft Produktion von E-Autos in Europa
Der staatliche chinesische Autobauer erwägt, Elektroautos in Europa zu produzieren, um EU-Zölle zu umgehen.
Publiziert: 14.10.2024, 09:46
https://www.fuw.ch/gac-prueft-produktion-von-e-autos-in-europa-273633795902
„Stellantis-Chef Tavares tritt mit sofortiger Wirkung zurück“
„Der Chef des Autokonzerns Stellantis, Carlos Tavares, ist mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Der Verwaltungsrat habe den Rücktritt des 66-jährigen Portugiesen bereits akzeptiert, erklärte der multinationale Autobauer am Sonntagabend.“
Von SDA
am 02.12.2024 – 04:18 Uhr, aktualisiert vor 1 Stunde
„Zur Begründung verwies der Konzern auf Meinungsverschiedenheiten, Einzelheiten nannte er aber nicht.
Die Suche nach einem Nachfolger solle im ersten Halbjahr 2025 abgeschlossen sein, erklärte Stellantis. Bis dahin übernehme Verwaltungsratschef John Elkann den Posten.
Wechsel war 2026 vorgesehen
Im September hatte der Konzern bereits mitgeteilt, Tavares werde Stellantis Anfang 2026 nach Ablauf seines Fünf-Jahres-Vertrags verlassen. Zudem kündigte Stellantis mehrere sofort wirksame Personalwechsel in der oberen Managementebene an. Stellantis hatte die erwartete Gewinnmarge für das laufende Jahr zuvor deutlich nach unten korrigieren müssen.“