Zurück zum Content

Test Alfa Romeo Tonale

Erwartungshaltungen

Erwartungshaltungen sind im richtigen Leben (und ganz besonders in Beziehungen) kein guter Ansatz. Also, eigentlich sind sie die Hölle, sehr oft das Ende. Wenn wir, zum Beispiel, einen Mercedes sehen, dann ist da die von den Stuttgartern selber geschürte Erwartung: Das Beste – oder nichts. Es ist dann leider in den letzten Jahrzehnten immer: nichts. Aber daran sind jetzt nicht wir normalen Menschen schuld, sondern Mercedes, die Stuttgarter haben selber die Latte so hoch gelegt. Alfa Romeo ist dagegen nicht selber schuld, dass die Erwartungen an alle ihre Produkte so hoch sind, die Italiener proleten das nicht in grossen Tönen in die Welt – es ist da mehr unser eigenes Problem, dass wir von jedem Alfa Romeo erwarten, dass er schön ist wie ein Tipo 33 Stradale, tönt wie ein Montreal, agil ist wie ein Bertone-Coupé. Auch wenn die aktuelle Giulia sich nicht wirklich grossartig verkauft, so hat sie die Erwartung der Fans absolut erfüllt – und teilweise sogar übertroffen, siehe GTA/GTAm. Und daran wird jetzt auch der Tonale gemessen – und hat wohl keine Chance.

Selbstverständlich darf man von einem Produkt, auf dem Alfa Romeo drauf steht, auch erwarten, dass Alfa Romeo drin ist. Nun gehören aber einigermassen kompakte SUV definitiv nicht in den Kompetenzbereich der Italiener, auch wenn sie mit dem Matta einst einen durchaus ernsthaften Geländewagen gebaut hatten und der Stelvio seine Sache ganz gut macht, der Marke derzeit das Überleben sichert. Und genau darum geht es auch beim Tonale: Überleben. Auch Alfa Romeo muss so ein kompakteres SUV im Programm haben, es ist das, was der Markt will. Es ist ein wirtschaftlicher Zwang. Punkt.

Und da kommen wir jetzt wieder zu den Erwartungshaltungen zurück. Wenn wir vom Tonale erwarten, dass er ein echter Alfa Romeo ist, dann werden wir wohl enttäuscht werden. Wenn wir vom Tonale aber erwarten, dass er ein anständiges kompaktes SUV ist, dann ist die Herangehensweise eine ganz andere – und ja, dann macht der Alfa Romeo seine Sache gut. Nein, Begeisterungsstürme löst das bei uns jetzt auch nicht aus, aber wir versuchen hier, fair zu sein, den Tonale dort einzuordnen, wo er hingehört, also zu den BMW X1 und all den anderen Produkten in diesem Umfeld. Und so ein X1 ist jetzt halt auch nicht so geil wie ein M4, oder?

Natürlich muss man sich fragen, welcher Teufel die Stellantis-Verantwortlichen geritten hat, als sie entschieden, den Tonale auf eine uralte Jeep-Plattform zu stellen. Die Antworten dafür sind auch ganz klar: Der Startschuss zum Tonale fiel noch in FCA-Zeiten, da hatte der Konzern nichts anderes zur Verfügung. Und auch nicht die finanziellen Mittel, eine neue Plattform zu entwickeln – man war damals daran, das Programm zu straffen, nicht auszubauen. Kommt dazu, dass von einem SUV nicht erwartet werden muss, dass Fahrvergnügen die höchste Priorität erhält, solches steht im Lastenheft ziemlich weit unten. Ganz oben steht dagegen die Marge, die ist bei dieser Bauform ausgezeichnet, insbesondere dann, wenn man sich auf schon vorhandenes Material abstützen kann. Ein Business-Modell, das Volkswagen mit MQB zur Perfektion getrieben hat.

Das hat noch andere Vorteile: Anlaufschwierigkeiten oder gar Kinderkrankheiten sind bei dieser bewährten Basis deshalb nicht zu erwarten. Wohl deshalb gibt Alfa Romeo fünf Jahre Garantie auf sein neues, in Süditalien gebautes Produkt. Fünf Jahre! Da sind die Italiener schon fast auf der Höhe gewisser Koreaner – und dringend erwartet werden musste das nicht. Aber es ist den Italienern ein grosses, ein wirklich dringendes Anliegen, endlich den ihnen seit dem Alfasud selig anheimgefallenen Ruch der Unzuverlässigkeit loszuwerden. Denn diesen glauben sie bei der Giulia und dem Stelvio als Wurzel allen Verkaufsübel ausgemacht zu haben, solches soll dem Tonale nicht widerfahren. Wir sind den Tonale gut 5000 Kilometer weit gefahren – und können vermelden, dass uns die qualitative Anmutung positiv überrascht hat. Da scheppert nix, um einen ehemaligen Auto-Boss zu zitieren. Auch die Materialien sind auf einem hohen Niveau, aber das darf auch erwartet werden, schliesslich ist Alfa Romeo im Stellantis-Konzern jetzt Premium.

Es ist dies jetzt eine subjektive Betrachtung, aber unter den kompakten SUV fällt der Alfa Romeo Tonale optisch sicher nicht ab, sondern vielmehr auf. Da sind einige schöne Retro-Zitate aus der Alfa-Geschichte, die (optionalen) Fünfloch-Felgen, der schwebende «Trilobo», also der Kühlergrill, die vorderen Lampen, die an den SZ erinnern wollen, die hintere Lichtsignatur und die Dach-Linie im Stil der Bertone-Giulia. Da ist aber auch ein doch recht harmonisches Verhältnis von Länge (4,53 Meter) und Breite (1,84 Meter) und Höhe (1,60 Meter), da gibt es auch richtig schöne Farben. Nein, die grosse Sportlichkeit drückt der Alfa nicht aus, das kann vielleicht so ein MQB-Cupra sogar besser, aber der Italiener tritt mit einer angenehmen Eleganz an, was man nicht von allen kompakten SUV behaupten kann. Er bietet auch gute Platzverhältnisse, nicht überragend, aber das ist in diesem Segment keiner der Konkurrenten; mit 500 Liter Kofferraum-Volumen liegt der Alfa Romeo in diesem Bereich weit vorne. Hinten wäre etwas mehr Kopffreiheit für Sitzriesen angenehm, dafür sind Knie- und Fussfreiheit unter dem Gestühl überdurchschnittlich (Radstand 2,63 Meter).

Innen ist der Tonale überhaupt ganz gut gestaltet. Direkt vor den Augen des Fahrers befindet sich die moderne Interpretation des «Cannocchiale» aus den 60er Jahren. Ansonsten ist der Tonale als erster Alfa Romeo komplett digital, da ist alles an Infotainment und Connectivity – hey, Alexa! – und modernen Sicherheitsassistenten mit an Bord, was es heutzutage anscheinend braucht. Level 2 beim autonomen Fahren. Aber leider keine Fernentriegelung für die leider auch nur zweiteilig abklappbare Rücksitzbank. Bei all den Bestrebungen, das Automobil in ein fahrendes Smartphone zu verwandeln, können solche Kleinigkeiten gut auch mal vergessen gehen.

Überhaupt, dieses Digitale. Jeder Tonale wird zu einem «non-fungible token», also einem «nicht austauschbaren digitalen Objekt». Dies kennt man in dieser «brave new world» bisher vor allem von digitalen Kunstwerken, die einmalig und unveränderbar bleiben. Beim Automobil war diese Blockchain-Technologie, mit der die Geschichte eines jeden einzelnen Fahrzeugs vom ersten Handgriff in der Produktion über die Feinheiten in der Konfiguration bis hin zu jeder Ausfahrt, jedem Tankstop, jedem Service aufgezeichnet werden kann, auch nur eine Frage der Zeit. Doch man hätte es wohl eher von Bugatti oder Koenigsegg erwartet als von Alfa Romeo. Es gibt aber sicher gute Gründe, dass die «Historie» eines jeden Tonale aufgezeichnet wird. So kann man sich als Käufer eines gebrauchten Tonale versichern, ob tatsächlich alle Servicearbeiten korrekt ausgeführt wurden, ob das Fahrzeug einen Unfall hatte, ob die angegebenen Kilometer auch der Tatsache entsprechen. Wie es um den Datenschutz steht, will uns Alfa Romeo dann noch erklären (vielleicht haben wir es auch nicht mitbekommen).

Was an unserem Probanden mit dem 160-PS-Motor gar nicht Alfa Romeo war: der Sound. Der 1,5-Liter-Vierzylinder-Mildhybrid tönt kümmerlich, das können die Italiener besser. Überhaupt ist das Aggregat nicht wirklich ein Sportsfreund, was an den Bemühungen um höchstmögliche Effizienz liegt. Der kleine Turbo verfügt nämlich über ein 48-V-Mildhybridsystem sowie ein 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe mit integriertem E-Motor (15 kW, 55 Nm), die sich gemeinsam alle Mühe geben, den Verbrauch zu senken. Bloss hat dann das Gesamtsystem manchmal etwas Mühe, sich für die gerade passende Art von Vortrieb zu entscheiden, das Getriebe sucht nach dem passenden Gang, braucht es Strom oder doch nicht – und so kommen dann die berüchtigten Gedenksekunden, bis die richtige Wahl getroffen ist. Schaltet man aber die Fahr-Modi auf D (wie dynamisch), ist das alles halb so schlimm – ohne, dass der Alfa bei den Fahrleistungen Bäume ausreissen wollte. Und auch der Verbrauch ist halt nicht so gering, dass wir dem Vierzylinder seine Anfahrschwäche und seine dröge Geräuschentwicklung nachsehen wollten. Ja, es geht mit 5 Litern, doch im Durchschnitt waren wir bei 7,5 Litern. Und auf der deutschen Autobahn dann deutlich über 10.

Hingegen wollen wir das Fahrverhalten loben – da ist der Alfa mindestens auf der Höhe des BMW X1. McPherson-Federbeine rundum zeugen von einem Aufwand, der bei den SUV nicht überall betrieben wird; Schwanken und Wanken ist nicht viel, das kennen wir von den meisten SUV ganz anders. Trotzdem bleibt der Italiener alleweil ausreichend komfortabel, auch im Dynamik-Modus; etwas, was seine deutschen Konkurrenten dann nicht mehr können, die sind ja teilweise bretterhart. Und wir schätzen halt die Lenkung des nur frontgetriebenen Alfa Romeo. Sie ist wie schon in der Giulia sehr leichtgängig, aber gleichzeitig wunderbar präzis. Und gibt auch noch gute Rückmeldung von der Strasse. Im Gegensatz zu fast allen anderen Berichterstattern schätzen wir auch die riesigen, feststehenden Paddels für die manuelle Bedienung des DKG; man findet immer eine Ecke, über die sie sich bedienen lassen. Und man bedient sie gern, sie sind aus Alu und machen Freud‘ beim Anfassen. Da kommt dann tatsächlich so etwas wie Alfa-Feeling auf. Was bei der doch recht hohen Sitzposition dann weniger der fall ist. Aber das Gestühl ist immerhin auch auf langen Strecken sehr bequem.

Mit dem 160-PS-Motor kostet der Alfa Romeo Tonale ab 48’900 Franken. Das ist nicht wirklich günstig, sondern auf dem Niveau eines BMW X1 als 20i, also mit 170 PS. Während es aber beim Bayern eine ellenlange Aufpreisliste gibt, arbeiten die Italiener neu mit Paketen, was den Bestellprozess vereinfachen soll. Wer so richtig zugreift und auch noch das Panoramadach haben will, kommt auf maximal 59’300 Franken – das tönt dann schon wieder vernünftiger, die deutschen Premium-Produkte sind dann fünfstellig teurer. Wir warten aber trotzdem noch auf die PHEV-Version des Tonale, die dann ab nächstem Jahr mit 280 PS antreten wird, da werden wir dann wohl nicht mehr über eine gewisse Trägheit jammern wollen. Aber eben, wir schreiben hier ja auch von einem kompakten SUV, nicht unbedingt vom einem Sportwagen von Alfa Romeo.

Mehr, viel mehr Alfa Romeo haben wir in unserem Archiv.

5 Kommentare

  1. pezter schwarzl pezter schwarzl

    leute… ich mag eure seiten und vor allem eure texte… wirklich…. aber eine frage haette ich doch: Was herrschaftszeiten hat Euch Mercedes angetan? wo ward ihr nicht eingeladen? geben die euch keine autos?…. mag eure vergleiche aber da spiesst es sich doch einseitig….. lg aus wien

    • Peter Ruch Peter Ruch

      zuerst einmal: herzlichen Dank fürs Lesen. und ach, Mercedes – da werde ich seit bald zwei Jahrzehnten nicht mehr eingeladen (das ist dann wieder eine andere Geschichte), Autos gibt es eh keine, manchmal miete ich mir einen, damit ich mir einen eigenen Eindruck verschaffen kann. Ich, ganz persönlich, habe zwei Probleme mit der Marke. Erstens das Design. Früher war jeder Benz so gestaltet, dass er das Zeug zum Klassiker hatte. Das ist nun schon länger nicht mehr so. Und das ist schade. Ich habe die Mercedes nie geliebt, dafür waren sie mir zu spiessig – aber ich habe sie immer bewundert. Also, früher. Doch dann ist da halt diese Haltung von «das Beste – oder nichts». Allein schon, dass man sich solches auf die Fahnen schreibt, zeugt von einer unfassbaren Arroganz. Und man sollte dann, wenn man solches in die Welt hinausposaunt, immer und immer wieder, halt auch damit leben können, dass man genau daran gemessen wird. Und zwangsläufig verlieren muss. Zumindest bei mir, ganz persönlich. Liebe Grüsse aus der Schweiz, Peter

  2. Carmelo Carmelo

    Vielen Dank Herr Ruch für den Bericht. Als Leser von euch habe ich nur darauf gewartet.
    Selber habe ich mir einen Alfa Romeo Tonale (160-PS Version) in verde Montreal bestellt.
    Nun kann ich aber daraus nicht lesen, ob Sie den Tonale selbst kaufen würden (wenn Sie ein Auto dieser Kategorie brauchen würden) oder doch lieber eins der Konkurrenz.
    Lieber Gruss von einem Alfa 75 Besitzer aus der Schweiz

    • Peter Ruch Peter Ruch

      lieber Leser, zuerst einmal: Verde Montreal ist eine ausgezeichnete Wahl. Und um den 75er beneide ich Sie. Wäre ich auf der Suche nach einem kompakteren SUV, dann käme der Tonale sicher in meine engere Wahl. Und würde dann als PHEV vielleicht, wahrscheinlich sogar ganz oben stehen. Andererseits bin ich ganz zufrieden, dass ich nicht auf der Suche bin. Mit herzlichen Grüssen.

  3. Christian Pachernigg Christian Pachernigg

    Ach ja, Mercedes – rosten heute stärker und schneller als die Alfas in den 1970ern…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.