Zu spät
Auch Enzo Ferrari machte Fehler. Und wenn er sie machte, dann machte er sie richtig – und sass sie auch aus. Dass Lamborghini 1966 mit dem Miura einen grossen Wurf gelandet hatte, das sah auch der «Commendatore» auf den ersten Blick. Und trotzdem schickte er ab 1968 vorerst einmal den 365 GTB/4, besser bekannt als «Daytona», ins Rennen um die Käufergunst. Und auch wenn der Daytona ja ein schöner Frontmotor-Ferrari war – der Miura gab ihm mächtig die Hörner. In so ziemlich jeder Beziehung, auf der Strasse, beim Design. Doch Enzo war halt der Ansicht, dass Mittelmotor-Fahrzeuge für seine Kundschaft zu schwierig zu fahren seien, dass man ihnen nur Frontmotor und Heckantrieb zumuten könne, zumindest, wenn es um die einzige, die wahre Form des Motorenbaus gut. Gut, es gab ab 1968 die Dino mit Mittelmotor, aber das waren eben «nur» Dino, also: keine Zwölfzylinder.
Es ist aber auch klar, dass ein Mittelmotor-V12 Ende der 60er Jahre längst auf dem Prüfstand war. Im Rennbetrieb hatte Enzo Ferrari ja beste Erfahrungen gemacht mit diesen Konstruktionen. Und seine Ingenieure beknieten ihn schon lange, dieses Konzept auch für die Strassenfahrzeuge anwenden zu dürfen. Aber erst 1971 wurde der Ferrari 365 GT4 BB in Turin erstmals gezeigt; ab 1973 konnte man ihn dann auch kaufen. In erstaunlich geringen Stückzahlen, von der ersten Serie wurden bis 1976 gerade einmal 387 Stück gebaut. Was aber auch wieder an Lamborghini lag: im Vergleich zum 1974 vorgestellten Countach sah der von Leonardo Fioravanti für Pininfarina gezeichnete und bei Scaglietti gebaute BB aus wie seine eigene Grossmutter. Und fuhr sich auch so, wie es Enzo Ferrari vorausgesagt hatte: schwierig. So schwierig, dass Ferrari seinen ersten Mittelmotor-Sportwagen offiziell nicht einmal nach Amerika exportierte.
Die Bezeichnung 365 GT4 BB ist auch etwas schwierig. Die 365 ist noch einigermassen klar, der Motor hatte die gleichen Dimensionen wie die V12-Maschine im «Daytona», also 4,4 Liter Hubraum. Auch die Leistungsdaten waren ziemlich ähnlich, angegeben wurden 344 PS bei 7200/min (andernorts auch: 380 PS) und ein maximales Drehmoment von 409 Nm bei 3900/min. Das reichte für satte 302 km/h Spitze und den Paradesprint auf 100 km/h in 5,4 Sekunden; 1235 Kilo wurden als Leergewicht angegeben (in anderen Quellen: 1120 Kilo, oder auch 1160). Doch sowohl das GT4 wie auch das BB sind ziemlich irreführend; das Fahrzeug war ein reiner Zweiplätzer und weit entfernt von Gran Turismo. Und BB, was ja für Berlinetta Boxer steht, ist schlicht und einfach falsch. Zumindest, was den Boxer betrifft.
Da wollen wir doch mal noch ein bisschen ins Detail gehen. Es gibt die echten und die «falschen» Boxer, und der 365 GT4 BB gehört definitiv zu letzteren. Bei einem echten Boxermotor sind die Pleuel auf einem um 180° versetzten Hubzapfen der Kurbelwelle montiert. Somit sind die Kolben eines Paares immer in der jeweilig gleichen Position, zum Beispiel am oberen Totpunkt. Bei einem 180-Grad-V-Motor, einem falschen Boxer, teilen sich die beiden Kolben einen Hubzapfen auf der Kurbelwelle. Das bedeutet, dass, wenn ein Kolben am oberen Totpunkt angekommen ist, der andere gerade den unteren Totpunkt erreicht. Falsche Boxer werden nicht mehr produziert, zu den bekanntesten Vertretern dieser Motorengattung gehören die Triebwerke von Tatra (nur Vierzylinder) oder, eben, der Berlinetta Boxer von Ferrari.
Für diese Bauweise (und den Längseinbau) sprach im BB in erster Linie die geringere Baulänge. Gespeist wurde der 4,4 Liter von vier Weber-Dreifachvergasern (40 IF3C), was ihm einen ordentlichen Durst bescherte; wohl deshalb wurde auch ein 120-Liter-Tank verbaut. Neu waren auch die Zahnriemen – was den BB nicht unbedingt zuverlässiger machte. Aber unter den wahren Fans gilt er heute noch als das wahre Tier: wer den 365 GT4 BB beherrscht, darf sich zu den Könnern zählen.
Nachdem diese Mittelmotor-Ferrari lange von den extremen Preisanstiegen bei klassischen Ferrari ausgenommen blieben, haben sie vor ein paar Jahren massiv Fahrt aufgenommen, um dann (auf erstaunlich tiefen Niveau) wieder zu stagnieren; auch einen anständigen 365 GT4 kriegt man locker für weniger als eine halbe Million. (Das Fahrzeug oben: #17967 – kommt dann nochmals…).
Das Fahrzeug oben: #18001. Mehr Ferrari haben wir in unseren Archiv. Und natürlich liefern wir noch mehr von diesen «falschen» Boxern nach, die Geschichte dauerte ja doch ein paar Jahre und Modelle an. Einen schönen 74er 365 GT4 BB haben wir aber noch, #18057.
Und selbstverständlich braucht es hier noch zusätzlich eine Sammlung:
Chassis-Nummer: 17927
Motoren-Nummer: 00125
Auktion: RM Sotheby’s, Miami 2022, verkauft für 335’000 Dollar, angeboten mit folgendem Text: «Presented in its factory-correct finish of Rosso Dino, a vibrant orange hue, this Berlinetta Boxer was completed by on 21 May 1974 for Italian delivery. Per the car’s history report by marque expert Marcel Massini, chassis number 17927 was dispatched to Dino Ravasio & Sons of Verona in June of 1974 and sold to its first owner, Mrs. Teresa Baravasse, that July. The 67-year-old Baravasse surely must have enjoyed touring the Italian Alps in her Boxer before selling it in 1981 to noted enthusiast and gentleman racer, the late Aldo Cudone, in who’s stable it would remain for the next two decades. The car underwent a major service in 2009 at a cost of over $11,000. Work performed included the installation of a new idler pulley, oil seals, and factory exhaust pipes as well as an overhaul of the air-conditioning system».
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Chassis-Nummer: 17967
Motoren-Nummer: 00107
Auktion: RM Sotheby’s, London 2015, verkauft für 336’000 Pfund (Bilder oben); London 2022, verkauft für 218’500 Pfund, angeboten mit folgendem Text: «The example offered here, chassis 17967, is one of those few sold new in the UK, originally ordered on 2 April 1974 and supplied via Maranello Concessionaires. The attractive coupé left the Ferrari assembly line finished in Rosso Chiaro over a Pelle Blu interior. Original shipment notes from the Ferrari factory can be found in this car’s history file, further to reports by marque experts Marcel Massini and Tony Willis. In its earliest years, the Ferrari changed hands between private owners in the UK, gaining the registration number “BB 365” soon after sale by auction in 1989. This cherished plate will be transferred to the new owner of this Ferrari. The car would go on to feature in books and magazines while in the care of Richard Dyke Price, winning concours prizes including the Prescott Concours in 1985. All the while it was maintained by marque specialist DK Engineering. Later, the car was acquired by Jon Wijaya, of Southeast Asia, in whose ownership it was refinished in Rosso Corsa with Nero door sills and a Crema interior, as it is seen today».
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Chassis-Nummer: 18001
Motoren-Nummer: 00158
Auktion: RM Sotheby’s, Arizona 2017, verkauft für 346’500 Dollar, angeboten mit folgendem Text: «This 365 GT4 BB, chassis number 18001, was clothed in body number 162 and is recorded as having assembly number 172. Originally finished in Giallo Fly with black leather upholstery, the car was completed at the factory on 14 June 1974. It is documented by Ferrari historian Marcel Massini as an original left-hand-drive car, supplied new by Ferrari dealer Charles Pozzi S.A. in Levallois-Perret, Paris, just one month after its completion. Owned early in its life by Alain De Boisboissel of Belgium, the car was exported in August 1981 to the United States, where it arrived at Bob Norwood Autocraft of Dallas, Texas, to be federalized. Richard Rider, a resident of Mill Valley, California, purchased this car in 1984 and subsequently painted it black. He would go on to retain 18001 for nearly 30 years, only using it on rare occasions. It is fitted with a period-correct triple-pipe exhaust and has recently been subject to an exterior cosmetic update, with period-correct matte-black around all bumpers and below the door line. Major service work in December 2015 included replacement of the cam belt along with rectifying several minor issues, which are laid out in the accompanying service invoice on file».
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[…] MagFerrari 365 GT4 BBDer Ferrari 365 GT4 BB wurde nicht nach Amerika exportiert. Weil er zu schwierig zu fahren […]
[…] gibt es eigentlich nicht zu schreiben zum Ferrari 512 BB. Er war ab 1976 der Nachfolger des schon beschrieben 365 GT4 BB, und die Veränderungen sowie Verbesserungen hielten sich in überschaubaren Grenzen. Was deshalb […]
[…] hatten ihn schon, den Ferrari 365GT4 BB. Und auch seinen direkten Nachfolger, den 512 BB. Aber selbstverständlich geht es noch weiter, […]