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Kann «radical» auch driften?

Instabiler Zustand

Zuerst fuhr ich (einigermassen) schnell Motorrad, bevor ich mich auch auf vier Rädern heimisch zu fühlen begann. Und auf zwei Rädern werde ich weiterhin ziemlich nervös, wenn das hintere Rad zu rutschen beginnt. Im Auto ist das nicht weiter schlimm, da habe ich es einigermassen im Griff. Aber ich halte es auch da lieber mit Walter Röhrl: Ich fahre Biegungen lieber schnell als quer. Wobei Röhrl auch sagt: Driften ist die Kunst, einen instabilen Zustand stabil zu halten. Klar, mit dem richtigen Spielzeug, einer Alfa Romeo Giulia QV etwa, kann es früh morgens am Nufenen durchaus vorkommen, dass ich dann vor dem Scheitelpunkt der Serpentine ganz bewusst mal zu früh auf den Pinsel stehe; mein Sohn erzählt auch Geschichten von Kreiseln, die sich für ihn im Toyota GR86 sehr speziell angefühlt haben. Doch prinzipiell bin ich nicht so der Drifter. Und deshalb muss jetzt Yves Meyer her. Und ich mit dem hecklastigen Toyota GR86 ins Eventcenter Seelisberg.

Yves Meyer kann es so gut wie wenige andere, das Driften. Vize-Weltmeister war er schon, derzeit bestreitet er die Drift Masters European Championship, in seinem Eventcenter Seelisberg gibt er die entsprechenden Fahrkurse für Gruppen und Private. Ich denke: Mit mir wird er es schwer haben, ich bin jetzt seit bald vier Jahrzehnten auf zwei und vier Rädern unterwegs – ich weiss ich doch schon ziemlich gut, wie man am Lenkrad dreht und die zwei oder drei Pedale im Fussraum malträtiert.

Also gibt es zuerst einmal: Theorie. Unter Driften, erklärt Meyer, versteht man das bewusst eingeleitete Übersteuern eines Autos – es lenkt stärker in die Kurve ein, als es der Radius vorgibt. Damit es sich dabei nicht dreht, lenkt der Fahrer gegen: Die Vorderräder zeigen dabei scheinbar entgegengesetzt zur Kurve (tatsächlich geben sie allerdings die eigentliche Richtung vor, in die sich das rutschende Auto bewegt). Auf dem Papier, das Meyer da bemalt, ist ja alles ganz klar, also: Auslösen, Halten, Abschliessen. Und ganz wichtig: Nein, wir lösen nicht mit der Handbremse aus und auch nicht mit der Kupplung, sondern ausschliesslich mit dem Gas und der Lenkung. Wir spielen dann nicht mit dem Gas, sondern versuchen es zu halten. Und ja, viel sowie schnell Gegenlenken. Kann ja nicht so eine Hexerei sein, denk ich. Denn etwas, was ganz wichtig ist, weiss ich ja auch schon von diversen Fahrkursen: Schau immer dorthin, wohin du fahren willst. Beim Driften also meist aus dem Seitenfenster.

Also raus auf die Strecke. Sie hat einen leichten Bogen, führt leicht bergauf, hat am Rand einem weissen Belag, schön genässt und mit geringem Haftungswiderstand. Meyer sagt: «Schön langsam, etwa 25 km/h. Mit einem gezielten Gasstoss auslösen, also das Heck zum Ausbrechen bringen. Und dann schaust halt mal, was passiert». Es passiert genau das, was nicht passieren sollte: Ich fahre wieder dorthin, wo ich hergekommen bin. Zweiter Versuch: Deutlich besser, das Heck kommt, ich lenke gegen, diesmal sogar schnell genug. Bloss vergesse ich vor lauter Konzentration auf das Lenken, dass ich ja auch weiterhin Gas gegen sollte. Sieht also nicht so gut aus, ich komme kaum den Berg hoch. Dritter Versuch: besser. Vierter Versuch: eine Katastrophe. So nach etwa 10 Minuten kriege ich es endlich hin, dass ich drei Mal hintereinander so ziemlich alles richtig mache, den Toyota auch wieder in den Griff kriege, dort ausfahre, wo ich soll und dabei nicht fast das Lenkrad von Lenksäule reisse. Aber Yves hatte es von Anfang an gesagt, zwei Dinge: Geduld. Und: Üben, üben, üben.

Die nächste Übung ist schon schwieriger: Meyer stellt ein paar Pylonen auf, wieder geht es leicht bergauf, wieder ist es nass mit wenig Haftung – und ich soll einen schönen Slalom fahren. Links quer, rechts quer, links quer, rechts quer. Das sollte ich können, denk ich mir, das mit dem Auslösen geschieht ja jetzt im Fluss der Bewegung, also los. Und es geht auch, ganz gut sogar, bloss bin ich dann ab dem dritten Tor viel zu langsam, da geht gar nichts mehr quer. Daran muss ich arbeiten: Gas halten. Mit dem Lenken habe ich es einigermassen im Griff, mit dem Schauen auch, aber der rechte Fuss, der tut sich doch einigermassen schwer mit der richtigen Dosierung.

Meyer schickt mich in den Kreisverkehr. Da steht dann nur eine Pylone. Und ich soll schön rundherum driften. Aha, Königsdisziplin. Also gut, Konzentration: Sauber anfahren, Gasstoss, damit das Heck kommt, sofort Gegenlenken – und dann schön auf dem Gas bleiben, nicht zu viel, nicht zu wenig. Ok, mehr, also nächster Versuch. Ok, weniger, also nächster Versuch. Ich selber bin ja nicht ganz sicher, ob ich wirklich schön die 360 Grad um den Töggel drifte, den ich durch das Seitenfenster anstarre wie die Cobra die Maus, doch irgendwie scheint es zu klappen. Diverse Runden lang. Ist doch gar nicht so schwierig. Und dann ist schon fertig für heute.

Die zwei Stunden Privatlektion sind vergangen wie im Flug, die Zeit ist buchstäblich an mir vorbeigedriftet. Und wie fühle ich mich jetzt, muss Meyer Angst haben, dass ich ihm bald schon Konkurrenz mache? Muss er nicht. Zwar nehme ich viel mit, ich weiss jetzt tatsächlich, wie es theoretisch geht. Mit dem Praktischen hapert es noch, die Hand-Auge-Fuss-Koordination dürfte noch (viel) besser werden – ich muss es mehr spüren als im Kopf zu bewältigen versuchen. Das Spielerische geht mir ab, die Eleganz sowieso, es fehlt mir das Gefühl im Hintern und mehr noch jenes im rechten Fuss. Aber wie hat es Meyer von Anfang an gesagt: Geduld. Und: Üben, üben, üben. (Unten: Yves Meyer in seinem Toyota GR Supra im Einsatz)

Drift-Kurse im Eventcenter Seelisberg buchen kann man: hier. Die passenden Automobile dafür gibt es hier: Archiv. Fotos: Kevin Fluri.

1 kommentar

  1. Martin Krauer Martin Krauer

    Was in diesem Artikel völlig fehlt, ist der Hinweis auf den 4-wheel-drift, wie ihn m.E. ein Jim Clark auf meisterliche Weise beherrschte; die Formel 1 Boliden waren in den early sixties gertenschlanke Zigarren mit wirklich freistehenden Rädern der Generation „schlank ist geil“ (wobei, dieses Wort verstanden wir seinerzeit noch gaaaanz anders…). Item, mit diesen Kisten war erst wirklich schnell, wer es auf bei höchsten Tempi fertigbrachte, den Wagen über alle vier Räder rutschen zu lassen – mit dem Risiko, den Bogen zu überspannen und dann RICHTIG abzufliegen (aus der Kurve raus, und nicht in sie hinein).
    Ist leider alles Schnee von gestern, denn die heuteigen Rennwagen haben downforce; das lezte, was man da haben will, ist ein Drift. Langweilig zum Zuschauen, undankbar für den Fahrer – das schnellste AUTO gewinnt, nicht der schnellste FAHRER 🙁

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