Wohlfühlqualitäten
Es braucht schon eine Erklärung: MG steht für «Morris Garage», die vor genau 100 Jahren in Oxford gegründet wurde. Es gab in der langen Geschichte reichlich spannende Fahrzeuge, die günstig waren und trotzdem sportliche Fahrleistungen boten. Nach dem 2. Weltkrieg sorgten zuerst der MGA und ab 1962 der MGB für Furore. Ab den 80er Jahren ging es dann aber bergab, wie auch sonst in England, 1994 übernahm BMW die Rover Group, zu der auch MG gehörte. Doch auch das ging trotz grosser Pläne richtig schief, 2005 musste die britische Traditionsmarke Konkurs anmelden. Die Markenrechte wurden an die chinesischen Nanjing Automobile Group verschachert, die ihrerseits 2007 von der Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) geschluckt wurde. Den Chinesen ist zugute zu halten, dass sie die Marke MG am Leben erhielten, seit einigen Jahren werden mit einigem Erfolg auch günstige MG-Modelle nach Europa exportiert, in England und in östlichen Gefilden sind die Verkaufszahlen durchaus beachtlich.

Im Juni 2022 wurde dann der rein elektrische MG4 vorgestellt, den SAIC von Anfang an als Weltauto plante, sprich: Er musste auch europäischen Ansprüchen genügen. Und das hat der Stromer auch geschafft – innert kurzer Zeit mauserte er sich zum meistverkauften chinesischen E-Auto in Europa. In der Schweiz ist der kompakte Chinese erstaunlicherweise offiziell nicht erhältlich, obwohl Herr und Frau Schweizer immer gerne MG kauften, sich die Marke auch heute noch grosser Beliebtheit erfreut. Und der MG4 wäre eigentlich auch ein sehr faires Angebot: In Deutschland ist er ab rund 32’000 Euro zu haben, also eines der interessantesten Angebote auf dem Stromer-Markt.
Und auch wenn noch so mancher die Nase rümpfen mag, China, E-Auto – der MG4 macht seine Sache gut. Es gibt zwei vernünftige Batteriegrössen, 51 und 64 kWh, es gibt ihn mit umgerechnet 170 oder dann 204 PS, die Reichweite beträgt nach WLTP bis zu 450 Kilometer, geladen werden kann mit nicht wirklich begeisternden 135 kW. Das 4,29 Meter lange, 1,84 Meter breite und 1,50 Meter hohe Fahrzeug überzeugt mit einem durchaus gefälligen Design aussen wie innen; das Kofferraumvolumen liegt zwischen 363 und 1165 Liter. Nein, man darf nicht mit einer Verarbeitungs- und Materialqualität wie in einem Rolls-Royce rechnen, aber der Chinese befindet sich mindestens auf dem gleichen Niveau wie der VW ID.3 (den wir übrigens auch nach dem jüngsten Up-Date als, äh, schwierig empfinden; ja, wir sind ihn gefahren, werden aber darüber besser nichts schreiben). Das Infotainment vermag beim MG4 noch nicht komplett zu überzeugen, es ist etwas langsam, Übersetzungsfehler sorgen auch für Unterhaltung, doch es soll ja Menschen geben, die sehen ihr Automobil nicht als fahrendes Smartphone oder rasende Playstation.

Doch jetzt gibt SAIC noch einen drauf, den XPower. Das bedeutet dann Allradantrieb, umgerechnet satte 435 PS. Auf dem Papier will der Chinese in 3,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h rennen, nach oben wird er erst bei 200 km/h elektronisch eingebremst. Das sind für ein kompaktes E-Fahrzeug dann doch ziemlich heftige Vorgaben, damit bewegt er sich auf dem Niveau der heissesten unter den «hot hatches». Und er kann liefern: Bei einem ersten Beschleunigungstest fiel dem Co-Piloten das Smartphone aus der Hand, so heftig riss es den XPower nach vorne. Handgestoppt: vier Sekunden. Und das, obwohl unser Proband auf einem ziemlich schmalen Öko-Reifen antrat.
Diese Reifen waren auch der Grund, weshalb die querdynamischen Qualitäten des MG nicht ganz so überzeugend ausfielen wie seine Spurtqualitäten. Und es ist Jammern auf einem erstaunlich hohen Niveau, denn dank Torque Vectoring, variablem Allradantrieb und Sperrdifferential bringt der Chinese seine Kraft mehr als nur anständig auf den Boden, wir hatten so viel Spass mit ihm wie bisher mit noch keinem E-Auto, dessen Anschaffungspreis nicht im sechsstelligen Bereich liegt (ja, er übertrifft sogar den Abarth 500e). Klar, die Lenkung sollte mehr Rückmeldung geben, die Bremsen möchten wir gern feinfühliger dosieren können, aber so ist der aktuelle Stand bei den Fahrwerken der Stromer – besser als SAIC können das die bekannten europäischen Namen derzeit auch nicht (ausser besagter Abarth 500e).

Denn jetzt müssen wir unbedingt von Geld reden, wenn auch leider nicht in Franken. In Deutschland ist der MG XPower ab 44’312 Euro zu haben – betrachtet man nur die Fahrleistungen, ist das ein mehr als nur fairer Preis, da muss er keinen Vergleich scheuen, auch (oder gerade) zu schnellen Verbrennern nicht. Unter den kompakten Stromern steht der MG sogar ziemlich allein, ganz besonders, was den – und jetzt kommt ein grosses Wort – Fahrspass betrifft. Ja, wir würden uns Sitze mit mehr Seitenhalt wünschen und etwas weniger hartes Plastik und vielleicht etwas angenehmere Duftnoten, aber es ist ja noch so vieles im Leben: relativ.
Was dann auch noch relativ gut ist: der Komfort. Es mag auch an der Ruhe liegen, mit der der MG seine Leistung bringt, doch wenn man mit erstaunlich hohen Durchschnittsgeschwindigkeiten über schöne Landstrassen gleitet, dann ist man erfreut, wie komfortabel sich der Chinese gibt. Auf der deutschen Autobahn hört man bei höheren Tempi dann zwar schon Windgeräusche, aber diese elektrische Sportlichkeit des XPower ist irgendwie eine neue Wohlfühlqualität, die wir ihm nicht zugetraut hätten. Auf unserer Probefahrt, bei der wir beim besten Willen nicht auf Sparsamkeit bedacht waren, lag der Verbrauch bei 21 kWh/100 km, das bedeutet dann realistischerweise eine Reichweite von etwas unter 300 Kilometern.
Aber einfach, damit wir uns hier richtig verstehen: Nein, kaufen würden wir ihn uns nicht, den MG XPower. Auch wenn er im Vergleich zu anderen aktuellen E-Autos ein wirklich anständiges E-Auto zu einem für ein E-Auto vernünftigen Preis ist – noch sind die E-Autos nicht dort, wo es zu einem tieferen Preis gute Verbrenner gibt. Oder sehr gute Gebrauchtwagen (siehe auch: Der Krug), bei denen eine Lebensverlängerung eine deutliche höhere Nachhaltigkeit schafft als jedes neue E-Auto.

Wir fuhren den MG XPower im Rahmen einer Veranstaltung von #gcoty, «German Car of the Year». Dort wurde der MG4 übrigens Kategoriensieger bei den Fahrzeugen unter 35’000 Euro – verdient. Mehr Strom? zero. Alles andere: Archiv.
Der wahre Volkswagen also.
Auch gut. Vom Original haben eh viele die Schnauze voll. Und fürs Volk ist da auch schon lange nichts mehr.
Das Handy muss auch in die Hand, weil es an praktischen Ablagen fehlt.
Oder gibt es einen Induktions-Ladestelle?
Der Beifahrer hatte es in der Hand, weil er die Beschleunigungszeit messen wollte.