Als ein Argentinier (fast) den italienischen Staat und auch noch die ganze Auto-Industrie rettete
Schon als junger Mann muss Alejandro de Tomaso, geboren 1928, ein geschliffenes Mundwerk gehabt habe. Es heisst, er habe sein Heimatland Argentinien verlassen müssen, weil er den damals herrschenden Peronisten zu sehr an den Karren gefahren war. Auch damit, mit dem an den Karren fahren, hatte de Tomaso, seine Erfahrungen: Er war ein anständiger Rennfahrer, fuhr zwei Formel-1-Rennen, startete zwei Mal bei den 24 Stunden von Le Mans (Klassensieg und 11. Gesamtrang auf einem Osca 1958) und immerhin vier Mal die 12 Stunden von Sebring (1958 Klassensieg und 8. Gesamtrang auf einem Osca, 1959 Rang 18 – da fuhr er zusammen mit seiner Gattin Isabelle Haskell, dazu mit denise McCluggage und Ricardo Rodriguez). Zur ganz grossen Karriere reichte es aber nicht, obwohl seine Frau als Erbin des GM-Gründers William C. Durant über nicht unbeträchtliche Mittel verfügte.
Also versuchte sich de Tomaso mit der Konstruktion von Rennwagen. Das klappte auch einigermassen, bis er sich der Formel 1 zuwandte – das ohne jeden Erfolg. Ab 1963 stieg er dann in die Automobil-Produktion ein, zuerst mit dem Vallelunga, dann dem Mangusta, schliesslich doch noch einigermassen erfolgreich mit dem Pantera. Doch Alejandro de Tomaso war zu Grösserem geboren als zum Kleinhersteller. 1969 kaufte er sich Vignale und Ghia, die er noch im gleichen Jahr an Ford verschachern konnte. 1971 kam Benelli in seine Hände, 1972 Moto Guzzi, 1975 Maserati und 1976 Innocenti.
Gerade die Übernahmen von Maserati und Innocenti waren wohl nicht über jeden Zweifel erhabene Geschäfte. Bei Maserati übernahm er 30 Prozent der Aktien (anscheinend für umgerechnet 100 Euro), der Rest ging in die Obhut von CEPI, einer Institution des italienischen Staates, die marode Firmen aufkaufte, um sie vor dem Bankrott zu bewahren. Und die Arbeiter vor der Entlassung zu schützen. Eine ähnliche Transaktion gab es dann auch 1976, als de Tomaso zusammen mit CEPI auch Innocenti übernahm. Es heisst, de Tomaso habe für beide «Käufe» vom italienischen Staat so richtig viel Geld erhalten, am liebsten in Köfferchen, allein bei Innocenti ist die Rede von 100 Millionen Euro (umgerechnet, aber nicht inflationsbereinigt, also: richtig viel Geld). Der schmächtige, stark kurzsichtige Argentinier, der zumeist enge, schwarze Anzüge und weisse Hemden trug, habe in jenen Jahren mehr Zeit in Rom mit Politikern verbrachte als in Modena in seinen vielen Firmen. Denn es ging ihm, der nie die italienische Staatsbürgerschaft annahm, selbstverständlich nur um eines: Er wollte dem italienischen Staat helfen, Konkurse und Arbeitslose und Streiks verhindern – unvorstellbar, was in der norditalienischen Industrie los gewesen wäre, wäre der Argentinier nicht zur Stelle gewesen.
Bei Innocenti dachte de Tomaso sogar noch viel weiter. 1931 hatte Ferdinando Innocenti in Lambrate bei Mailand einen Betrieb zur Stahlverarbeitung gegründet, der bestens lief, insbesondere im 2. Weltkrieg, als er Kanonen und andere Kriegsgüter produzierte. Nach dem Krieg entwickelte er einen Roller mit Zweitakt-Motor, der zur Sensation wurde: die Lambretta (die erste Vespa war schon 1946 auf den Markt gekommen). Von da war es ein kleiner Schritt zur Automobil-Produktion, Innocenti übernahm den Austin A40 in Lizenz, später auch andere Produkte der British Motor Corporation, vor allem: den Mini. Als Ferdinando Innocenti 1966 starb, übernahm «British Elend» das italienische Unternehmen, verlagerte die Lambretta-Produktion nach Indien, machte auch sonst alle Fehler, die Briten im Ausland (und daheim) gerne machen.
Aber immerhin unterbanden sie die Pläne von Innocenti nicht, als die Italiener Anfang der 70er Jahre über eine Modernisierung des Mini nachdachten. Man sagte zwar von Anfang an, dass dies nichts sei für England (und zog das dann auch konsequent durch), obwohl der Entwurf von Bertone durchaus überzeugend war, nicht bloss viel moderner aussah als der klassische Mini, sondern auch deutlich mehr Platz bot (auf unveränderter Basis). Ab 1974 wurde der Innocenti Mini gebaut, innert kürzester Zeit wurde das Unternehmen zum drittgrössten Auto-Hersteller Italiens. Gleichzeitig ging British Leyland in die Insolvenz, Innocenti musste die Produktion stoppen – und de Tomaso konnte für wenig Bares zugreifen. Und auch noch tief in die Schatullen des Staates.
Doch Alejandro de Tomaso wäre durchaus bereit gewesen, damit auch gleich noch die gesamte englische Auto-Industrie zu retten. Er beharrte auf der Lieferung der BMC-A-Motoren bis zum Auslaufen des Vertrages 1982 (ein letztes gutes Geschäft für die Engländer), er hatte auch sonst gute Ideen (und beste Beziehungen, etwa zu Ford), doch es hörte ihm ja niemand zu. Also beliess er es dabei, den Innocenti Mini Bertone etwas aufzumotzen und ihm seinen guten Namen zu geben. Denn viel war es nicht, was den «de Tomaso» ausmachte: Ein geänderter Absaugkrümmer und eine neuer Auspuff liess die Leistung des 1,3-Liter-Vierzylinders auf 70 PS ansteigen (anstatt 65 PS wie im Innocenti 120), innen wurde alles etwas edler (Alcantara-Vollausstattung war möglich), dazu gab es noch integrierte Nebelscheinwerfer, eine (funktionale) Lufthutze auf der Motorhaube, eine Kunststoffbeplankung rundum und ein Spoilerchen vorne.
Aber: Was für ein cooles Teil ist das heute! 3,13 Meter lang, 1,52 Meter breit, 1,38 Meter hoch, nicht einmal 700 Kilo schwer. Der aus dem 1275-GT-Mini bekannte Vierzylinder ist jetzt nicht eine Ur-Gewalt, aber mit seinen 70 PS hat er keine Mühe mit dem Italiener; wäre das Getriebe nicht so hakelig, die Schaltwege nicht so lang insbesondere von 2. in den 3. Gang nicht so lang, er liesse sich absolut sportlich bewegen. Die Lenkung ist zäh, aber auch deshalb präzis, das Fahrwerk hart (irgendwie logisch bei 2,04 Meter Radstand), man hoppelt mehr durch die Gegend als dass man fährt, doch genau das macht ja auch Spass – man ist mittendrin statt voll daneben. Schade, dass die Italiener dem Italiener keinen italienischen Auspuff spendiert haben, die Geräuschentwicklung ist schon sehr wie im alten Mini, ein ganz spezielles Summen begleitet die Insassen. So richtig viel Platz haben sie nicht, vorne nicht und hinten erst recht nicht, hinter das Lenkrad passt eigentlich nur italienischer Jockey (die sind noch kleiner), doch der Innocenti de Tomaso hat tolle Sitze (optisch, Seitenhalt bieten sie kaum), er hat eine Heckklappe – und er ist die günstigste Möglichkeit, einen de Tomaso zu fahren.
Die Innocenti Mini Bertone wurden immerhin bis 1993 gebaut, es entstanden doch 232’387 Exemplare. Ab 1982 gab es Daihatsu-Motoren, 1986 wurde Innocenti mit Maserati fusioniert (und durfte noch ein paar Biturbo bauen), 1990 übernahm dann Fiat, 1997 wurde der Name eliminiert. Auch mit Alejandro de Tomaso ging es darnieder, 1993 musste er, nach einem Schlaganfall, Maserati an Fiat verkaufen (um mit dem Erlös den auch nicht erfolgreichen Guara zu finanzieren). Es ging dann, wie immer bei de Tomaso, dem eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne nachgesagt wurde, noch lange auf und meistens ab, auch nach seinem Tod im Jahre 2003. Sein Unternehmen wurde erst 2012 aufgelöst. 2014 erweckte ein chinesischer Investor die Marke zu neuem Leben, es wurde 2019 auch ein neues Modell angekündigt, der P72, doch gemäss jüngsten Informationen soll der Chinese in den USA im Gefängnis sitzen und seine Mit-Investoren auf einem grossen Haufen Schulden. Dafür kann der Innocenti Mini Bertone de Tomaso allerdings nichts. Er wurde uns für die Ausfahrt zur Verfügung gestellt von der Oldtimer Galerie Toffen.
Mehr spannende Fahrzeuge haben wir in unserem Archiv.
Gib als erster einen Kommentar ab