Das kleine Wunder
Die Gebrüder Maserati hatten 1937 ihr Lebenswerk an den Industriellen Adolfo Orsi verkaufen müssen, der sie zudem noch verpflichtet hatte, zehn Jahre für ihn zu arbeiten. Quasi am gleichen Tag, als sie aus dieser «Zwangsarbeit» entlassen wurden, gründeten Ernesto, Ettore und Bindo Maserati die Officine Specializzate Costruzione Automobili, O.S.C.A., dies wieder in San Lazzaro di Savena, wo sie schon ab 1920 ihr Hauptquartier gehabt hatten. Und sofort machten sie sich wieder daran, Rennwagen mit kleinvolumigen Motoren zu bauen, das, was sie am besten konnten. Gleich ihr erstes Fahrzeug, der MT4 (für Maserati Tipo 4 cilindri) war eine Sensation.
Der MT4 war eine Weiterentwicklung des Maserati 4CL von 1939, basierte auf sehr ähnlichen Gitterrohrrahmen. Den Vierzylinder konstruierten die Gebrüder komplett neu, Zylinderblock und -kopf aus Alu, zuerst 1092 cm3 Hubraum, 72 PS bei 6000/min. Schon 1949 konnte Luigi Villoresi den Grossen Preis von Neapel gewinnen – bis 1966 (!) kamen 91 weitere Gesamtsiege und 109 Klassensiege dazu. Man darf davon ausgehen, dass zwischen 1948 und 1956 zwischen 72 und 79 Exemplare gebaut wurden, wahrscheinlich waren es 77.
Die Entwicklung schritt dauernd voran, 1950 erhielt der MT4 zwei obenliegende Nockenwellen (MT4-2AD), kam dann mit 1350 cm3 schon auf 100 PS bei 6300/min, 1953 wurde der Hubraum auf 1453 cm3 erhöht, was dann 110 PS bei 6200/min ergab. Ein Jahr später gab es einen quasi neuen Motor, Bohrung x Hub 78 x 78 Millimeter (also genau gleich wie einst beim Maserati 4CL), also 1491 cm3, Doppelzündung, 120 PS bei 6300/min. Zum Vergleich: Der so berühmte Fuhrmann-Motor von Porsche (Typ 547), angetrieben von Königswellen, schaffte es damals auf 110 PS bei 7800/min – und war bei weitem nicht so zuverlässig wie die Osca-Maschine. Geschaltet wurde über ein selber konstruiertes 4-Gang-Getriebe.

Eine erste Barchetta kleidete Osca noch selber ein, später lieferte man nur noch Chassis und Antrieb, die Kunden konnten sich dann selber für einen Aufbau entscheiden. Die meisten Aufbauten kamen von Morelli, aber auch Moho, Vignale und Frua lieferten Karossen für die Barchetta; einige wenige Berlinetta wurden von Vignale und Frua eingekleidet.
Die kleinen Osca, knapp 600 Kilo schwer und extrem wendig, schafften immer wieder grossartige Platzierungen. 1951 wurde Luigi Fagioli Achter bei der Mille Miglia, holte selbstverständlich den Klassensieg bis 1,1 Liter Hubraum, genau wie Cabianca 1952. In der Sportwagen-Weltmeisterschaft 1953 fuhren Cunningham/Lloyd auf einem MT4 1350 bei den 12 Stunden von Sebring auf einen feinen fünften Gesamtrang. Genau bei diesem Rennen hatte der MT4 dann 1954 seinen ganz grossen Auftritt: Stirling Moss/Bill Lloyd konnten sich auf ihren 1450er-Osca den Gesamtsieg holen, sich gegen die Werk-Teams von Lancia (vier D24), Maserati (ein A6GCS/53) und Aston Martin (drei DB3S) durchsetzen. Es sollte dies der einzige Sieg eines 1500er-Rennwagens in der Sportwagen-Weltmeisterschaft bleiben.
Das Fahrzeug, das wir hier zeigen, Chassis-Nummer 1147, ist einer von wahrscheinlich 19 MT4 mit «quadratischen» Motor. Die Werks-Piloten Lance Macklin und Pierre Leygonie hatten damit bei den 24 Stunden von Le Mans 1954 in ihrer Klasse einen Vorsprung von 15 Runden auf einen Porsche herausgefahren, als Macklin in der 23. Rennstunde einen Unfall hatte. Zwar brachte er das Fahrzeug noch ins Ziel, wurde aber disqualifiziert, weil ein Zuschauer ihm geholfen hatte, den Osca wieder auf die Strecke zu bringen. Und einfach, damit man spürt, wie sehr diese Osca heute noch geschätzt werden: 1147 wurde in diesem Jahr von RM Sotheby’s in Le Mans für 1’270’625 Euro versteigert.
Der MT4 war so etwas wie der Höhepunkt der Osca-Geschichte. Zwar konnten die Italiener für Fiat ab 1959 noch Motoren liefern für die Modelle 1500S Coupé und Cabriolet sowie 1600S (ab 1962), insgesamt entstanden 3089 dieser «scharfen» Fiat. Zwischen 1961 und 1963 entstanden zudem wohl 128 Osca 1600 GT, die meisten davon mit Zagato-Karosserie. 1963 verkauften die Maserati-Brüder Osca an den Grafen Domenico Agusta, den Besitzer von MV Agusta, 1967 wurde der Betrieb eingestellt. Osca war zwar nur ein kurzes, aber sehr schönes Kapitel der Automobil-Geschichte.
Dies ist eine «related»-Story rund um die Sportwagen-Weltmeisterschaft 1953. Andere schöne Geschichten gibt es in unserem Archiv. Für einmal hängen wir noch eine Bildergalerie unten an, Chassis-Nummer 1142. Das Fahrzeug, wahrscheinlich das erste mit Doppelzündung, wurde an den bekannten italienischen Privatfahrer Cabianca verkauft, der damit 1954 auf den 10. Gesamtrang bei der Mille Miglia fuhr.
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