Na, endlich!
Morgen ist schönes Wetter, sagte Reinhard, komm vorbei, wir haben da etwas für Dich. Wenn Reinhard solches sagt, dann ist das etwas mehr als nur eine Aufforderung – man muss sich ja auch nicht gegen alles wehren im Leben. Und so stehe ich am nächsten Morgen bei schönstem Wetter in Toffen, vor dem Eingang zur Oldtimer Galerie brummelt, in ganz klassischem Rosso Chiaro, ein Ferrari 365 GTB/4 im Leerlauf vor sich hin. Na, endlich!



Damals, als Bub, da war es ganz klar der Daytona. Nicht bloss, weil man damit beim Quartettspielen quasi den besten Trumpf hatte, sondern auch: diese ewig lange Fronthaube. Und diese grossartigen Auspuffendrohre. So stellte ich mir Sportwagen vor, damals, so mussten sie aussehen, so habe ich sie gezeichnet. Und als ich dann auch einmal einen hörte, so mit 11, 12: so mussten sie tönen. Je mehr ich mich dann aber über die Jahre mit Automobilen zu beschäftigen begann, desto mehr rückte der Ferrari 365 GTB/4 aber in den Hintergrund, er wurde von den Lamborghini Miura und Countach überholt – wie im richtigen Leben ja auch. Die Ferrari-Liebe ging dann mehr hin zu älteren Modellen, sicher auch zum Vorgänger 275 GTB, sogar die dem Daytona nachfolgenden Mittelmotor-Gerätschaften rückten mehr in den Vordergrund. Seit ein paar Jahren ist das Verhältnis wieder wärmer, sicher auch deshalb, weil der Frontmotor-Ferrari nicht mehr so sehr wie einst im Mittelpunkt steht, auch die Preise nicht (mehr) völlig absurd sind. Unterdessen scheint mir der Daytona in dieser komischen, also für jeden Klassiker-Freund sehr subjektiven Gleichung aus Begehrlichkeit, Geschichte, Design, Technik, Stückzahl, tatsächliche Fahrleistungen, Faszination fast ein wenig unterbewertet.





Reinsetzen also, endlich einmal. Und das ist dann halt schon sehr 60er Jahre, im negativen wie im positiven Sinne. Gut ist: Damals machte Ferrari noch ganz klassische Cockpit, reichlich Uhren direkt im Blick der Pilotin, acht, um genau zu sein, ein bisschen Heizung und Lüftung in der Mitte, darüber vier Luftströmer, darunter in erster Linie ein doch mächtiger Schaltstock. Und da ist es wie bei allen frühen Ferrari: 1, 3 und 5 gehen, 2 und 4 wollen erst dann mittun, wenn das Öl wirklich auf Betriebstemperatur ist. Aber wir haben Zeit, wir gönnen dem Daytona, der offiziell gar nie so hiess (die Entstehungsgeschichte haben wir schon ausführlich erzählt, hier), die Ruhe, die ein älteres Fahrzeug halt braucht. Rutschen ein bisschen auf diesen Sitzschalen herum, ohne je eine gute Position zu finden: Einst, da waren die Menschen nicht so gross wie heute. Und vielleicht ein wenig weniger adipös als meine Wenigkeit. Aber diese italienischen Jockeys sahen damals dafür nicht über diese ewig lange Motorhaube.




Unterdessen läuft der 352 PS starke 4,4-Liter-V12, Tipo 251, schön rund, die sechs Doppelfallstrom-Vergaser (Weber 40DCN20) wissen, was sie zu tun haben – man hört förmlich, dass sie ihren Lebenssaft gern reichlich zu sich nehmen. Auch die Gänge lassen sich durchschalten, das macht dann schon mehr Spass in der Schweiz, da braucht man in erster Linie die zweite und die dritte Welle, man will den betagten Ferrari ja nicht bis zu den möglichen 7500/min drehen. Das maximale Drehmoment von 449 Nm liegt zwar erst bei 5400/min an, aber der Italiener geht so ab 3500/min ganz prächtig. Auch akustisch: Es ist eine wunderbare Geräuschentwicklung, sie wirkt dann bei höheren Drehzahlen zwar etwas theatralisch, aber das passt zu einem Ferrari – er ist mehr Diva als Muskelprotz. Und der Daytona ist mehr Gran Turismo als hartgesottener Sportwagen. Zwar rannte er in einem Test von «auto, motor und sport» mit 275 km/h schneller als der Lamborghini Miura P400, aber von 0 auf 100 km/h verlor er fast 1,5 Sekunden (6,1 s) und auf 200 km/h dann schon fast derer 5. Für das gepflegte, flotte Vorankommen ist der Ferrari aber halt einfach grossartig, auch heute noch.



Die Lenkung, selbstverständlich ohne Servo, ist streng, aber doch einigermassen präzis. Das Fahrwerk ist noch einigermassen komfortabel ausgelegt, zumindest für heutige Verhältnisse, doch der Strassenhalt bleibt gut, auch wenn man die Biegungen etwas flotter angeht. Die Bremse ist so hart wie die Lenkung (und die Kupplung), man muss da schon mit Kraft arbeiten, doch es verzögert anständig – auch wenn der Ferrari über 1600 Kilo wiegt. Man weiss nicht so recht, woher die kommen, denn so ein Daytona ist nur 4,43 Meter lang, nur 1,76 Meter breit, gerade einmal 1,25 Meter hoch; der Radstand ist 2,4 Meter doch ziemlich kurz, was daran liegt, dass der gesamte Unterbau inklusive Frontmotor quasi unverändert vom 275 GTB übernommen wurde. Der 365 GTB/4 also schon, als er 1968 auf den Markt kam, kein modernes Automobil mehr war. Da war ihm der Miura weit voraus – und viel schwieriger zu fahren. Aber auch: spassiger.



Damals galt der von Leonardo Fioravanti gezeichnete Ferrari aber trotzdem noch als: futuristisch. Man darf ihn sicher als einen der besten Entwürfe von Pininfarina bezeichnen, diese harmonische Mischung aus Rundungen und messerscharfen Kanten wirkt heute wohl noch besser als früher – so gut, dass das Centro Stile Ferrari beim neuen 12 Cilindri die Front schön kopiert und so zumindest vorne das gelungenste Modell seit dem traurigen Abgang von Pininfarina hingebracht hat (über das schwarze Heck des Neuen schweigt des Sängers Höflichkeit). Wenn man so ein paar Meter Abstand nimmt vom Daytona, vor ihm in die Knie geht, dann sieht man ein wahres Gesamt-Kunstwerk, das in seinen Proportionen aus jedem Blickwinkel stimmig ist. Ob Rosso Chiaro nun die beste Farbe für diesen Ferrari ist, das muss der Betrachter selber entscheiden (ein paar weitere Farb-Beispiele haben wir: hier).











Am schönsten aber ist der Daytona am dünnen Holzlenkrad. Die Gasse ist leer, die Kurven sind langgezogen, in schön flüssigen Bewegungen zu bewältigen. Der Ferrari brüllt nicht, man muss auch nicht mit dem Messer zwischen den Zähnen bewegen, sondern gepflegt, friedlich, zufrieden, auch mit Respekt und Demut – man nennt das wohl dann den «Flow». Es gibt nicht viele Automobile auf dieser Welt, in denen man dann selber besser aussieht. Ich kann sogar den linken Ellenbogen aus dem Fenster halten. Womit ich dann allerdings auch nicht besser aussehe. Aber es ist ja auch der Daytona der Star, er zieht die Blicke auf sich, auch Nichtkennerin sehen (und hören), dass es sich hier um ein ganz besonderes Automobil handelt. Zwar mag heute jedes zweite Kompakt-SUV mehr Pferde haben und schneller auf Hundert rennen als der Ferrari, doch es zählen glücklicherweise auch noch andere Werte. Und davon hat der 365 GTB/4 im Überfluss. Das ist allerdings auch ein Problem: Man mag sich dann den modernen Einheitsbrei gar nicht mehr antun.






Wir bedanken uns bei der Oldtimer Galerie Toffen, die uns diesen Ferrari zur Verfügung gestellt hat. Mehr interessante Fahrzeuge haben wir in unserem Archiv.
DANKE!
Wieder ein schöner Bericht aus dem goldenen Zeitalter.
bella mac c i naaaaaaa…. 3 6 5 GTB 4 Daytona 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂
Sie schaffen es, dass man zwischen den Zeilen, den Geruch des
alten Leders riecht und wie das Benzin durch die Vergaser rinnt.
Der Motor… erste Sahne. SOUND!
Das Innenleben, befreit von Mc Donalds Theken, äh Tablett -monitoren.
Einfach all das, was Sie auch spüren, wenn Sie eine Palladio Villa
betreten. Dieser Rausch.. das Unmögliche..aber doch.
Und nachher genötigt sind im echten Leben Ikea als
Möblierung zu ertragen.
(lebst DU NOCH ODER ERSCHIESST DU DICH SCHON..)
Das Leben ist wertvoll.
Jetzt um so mehr.
Danke 🙂
Zitat, Schlusssatz: „Man mag sich dann den modernen Einheitsbrei gar nicht mehr antun.“ – wie wahr, wie wahr!
Nein, früher war nicht alles besser aber eben anders!
Danke für die schönen Berichte und auch ein großes Danke an die Oldtimergalerie Toffen, dass die Euch immer solche „Kaliber“ ausleihen. D`rum – ich bleib dran!