J6 (1980-1989) – Mehr ist mehr
Man muss es klar sehen: Als der J5 1977 erstmals in Deutschland angeboten wurde, da war er schon ein altes Automobil. Dessen Grundkonstruktion tief in die 50er-Jahre zurückging. Das hatte man zwar lange Jahre mit der sprichwörtlichen Zuverlässigkeit einigermassen überspielen können, doch in den 70er Jahren hatte sich viel geändert. Jeep hatte 1974 mit dem Cherokee den Wagoneer deutlich verbessert, schon 1970 war der Range Rover auf den Markt gekommen; anfangs noch relativ primitiv, doch über die Jahre erwuchs dem Toyota Land Cruiser im Engländer eine mehr als nur ernsthafte Konkurrenz (was jetzt aber nicht auf die Zuverlässigkeit gemünzt ist). Toyota musste etwas unternehmen. Und Toyota machte den ganz grossen Schritt. Die Arbeit begann schon 1976, die Führung hatte Chefingenieur Hiroshi Ohsawa. Das Problem war, dass sich die Voraussetzungen und Bedürfnisse der einzelnen Märkte sehr schnell änderten, die erste Ölkrise (1973/74) hatte man zwar hinter sich, doch Ende der 70er Jahre stürzte Japans Wirtschaft erstmals seit dem 2. Weltkrieg in einen Krise – und in Europa sorgten Themata wie Waldsterben und grüne Politik für ganz neue Schwerpunkte (Bilder unten: FJ60, 1987).
Das Motto für den Nachfolger des J5 war klar: Mehr. Mehr Luxus, mehr wie ein Personenwagen, mehr Platz, mehr Komfort. Gleichbleiben mussten die Zuverlässigkeit – und unbedingt die Geländefähigkeiten. Weniger gab es nur in Sachen Verbrauch und Schadstoffemissionen. Sprich: es brauchte (endlich) eine komplette Neu-Konstruktion. Ok, vielleicht nicht komplett, aber doch: neu. Also zumindest dort, wo es nötig war. Nun, eigentlich übernahm man das Chassis des gegenüber dem J4 deutlich verbesserten J5 – und überarbeitete es dort, wo es wirklich nötig war. Zwar gab es zu Beginn der Entwicklungsarbeiten auch Diskussionen darüber, ob der neue Land Cruiser vorne eine Einzelradaufhängung brauchen würde, doch man entschied sich bald dagegen; vorne gab es beim J6 dafür innenbelüftete Scheibenbremsen und einen Querstabilisator. Doch wohl noch wichtiger: Obwohl der neue Land Cruiser deutlich flacher wurde (zum Design und den Dimensionen kommen wir dann noch), wurde die Spur um stolze 60 Millimeter verbreitert (Bilder unten: HJ60, 1985).
Auch bei den Motorisierungen blieb Toyota bei den bewährten Antrieben, der Diesel 3B und der Benziner 2F wurden aus den J4/J5 übernommen. Doch dann war da auch noch der 2H, ein frei saugender Sechszylinder-Diesel mit vier Liter Hubraum. Auf dem Papier sind 105 PS (bei 3500/min) und ein maximales Drehmoment von 241 Nm (bei 1800/min) zwar nicht wirklich wild, doch es war die Art und Weise, wie dieser Selbstzünder seine Leistung erbrachte, die überzeugen konnte: laufruhig (dank siebenfach gelagerter Kurbelwelle), gepflegt, extrem souverän. Ein Wunder an Spontanität war dieser schwere Brocken wahrlich nicht, doch er strahlte mit seiner Ruhe und Kraft jene Robustheit und Solidität aus, die man sich von einem Land Cruiser wünschte. Der H kam aber nicht von Toyota selber, sondern war eine Entwicklung des Lastwagenherstellers Hino. Als diese Maschine dann 1985 in die Kur von Toyota kam, wurde sie zur Legende: Als 12H-T bezeichnet, erhielt der Diesel einen Abgasturbolader, einen neuen Zylinderkopf, eine Direkteinspritzung und einen neuen Block mit modifizierter Kurbelwelle und Kolben. Das ergab dann 136 PS (bei weiterhin 3500/min) – und ein wahrhaft phänomenales Drehmoment von 315 Nm (bei weiterhin 1800/min). Die Laufruhe blieb, die Durchzugskraft grossartig – und der Verbrauch lag noch einmal tiefer als beim H. Der schon locker nur die Hälfte verbrannte der als sehr trinkfreudig bekannten Benziner. Doch auch da gab es im Laufe der Jahre klare Verbesserungen: 1988 wurde aus dem 3F dank einer elektronischen Steuerung der 3F-E, der mit seinen 155 PS für eine angemessene Fortbewegung sorgte, deutlich weniger verbrauchte – und erst noch mit einem Katalysator ausgestattet werden konnte (Bilder unten: FJ60, 1985).
Einen grossen Anteil an den besseren Verbrauchswerten hatte aber sicher auch die weitere Entwicklung bei den Getrieben. Schon zu Beginn war ein manuelles 4-Gang-Getriebe Serie bei den J6, ab 1983 gab es dann sogar fünf Gänge, manuell. Und ein Jahr später erhielt der 3F-Motor eine 4-Stufen-Automatik – der erste Automat, der für einen japanischen Allradler verfügbar war (und ganz besonders wichtig für den amerikanischen Markt). Die Kraft wurde weiterhin prinzipiell an die Hinterräder übertragen, die Vorderachse war zuschaltbar und mit manuellen Freilaufnaben bestückt; für grobes Gelände gab es weiterhin das Untersetzungsetriebe. Neu waren mechanische Differentialsperren für die beiden Achsen, die über zwei Hebel auf dem Mitteltunnel zugeschaltet werden konnten. 1986 kam dann eine elektrisch-pneumatische Zuschaltung des Allradantriebes und der beiden Sperren. Diese wurden über einen Druckschalter bedient, zuerst hinten, dann vorne. Diese Vorgabe montierte Toyota aus Gründen der Sicherheit. Und überhaupt ist alles relativ: Auf manchen Märkten bleiben das Viergang-Getriebe und die manuelle Bedienung des 4×4 bis zum Auslaufen des J6 erhalten (Bilder unten: FJ60, 1986).
Ganz, ganz neu war aber das Design, zum ersten Mal fielen die freistehenden vorderen Kotflügel weg. Das heisst: ganz weg fielen sie nicht, eine Kante, die hinter den vorderen Radkästen zur A-Säule abfiel, sorgte optisch für eine Andeutung dieses so typischen Merkmals des Land Cruiser. Auch die vorher einigermassen spitz zulaufende Motorhaube musste geraden Linien weichen – mehr denn je glich der Land Cruiser einem Brotkasten, auch wenn die Linien weicher waren. Doch diese Form ergab Sinn, es ging ja weiterhin darum, ein möglichst grosses Raumangebot auf einer geringen Fläche anzubieten. Der J6 war im Vergleich zum J5 zwar gleich lang (4675 Millimeter), doch sechs Zentimeter breiter (1800 Millimeter) und sechs Zentimeter flacher (1785 Millimeter, mindestens); der Radstand wuchs um drei Zentimeter (2730 Millimeter), was den hinteren Passagieren zu Gute kam. Es gab weiterhin eine horizontal geteilte Heckklappe oder die bekannte Doppeltür, welche wie schon beim J5 die Sicht nach hinten entscheidend einschränkte (Bilder unten: FJ62 High-Roof, 1986).
Im Laufe der Jahre erhielt der J6 zwei grossartige Veränderungen: 1982 wurde das so genannte «High Roof» eingeführt, 100 Millimeter mehr Kopffreiheit. Das wäre zwar nicht unbedingt nötig gewesen, sondern mehr eine Mode-Erscheinung. Die wie die knalligen Bi-Color-Lackierungen zu den auftoupierten Frisuren und den Schulterpolstern, die in jenen Jahren en vogue waren, passte. 1988 mussten die runden (Halogen)-Scheinwerfer einem Doppelpack an eckigen Exemplaren weichen (Bilder unten: FJ60, 1987).
Mehr ist mehr galt aber vor allem für den Innenraum. Es gab kein Stückchen Blech mehr zu sehen, sondern Türverkleidungen, einen Dachhimmel, dicke Teppiche, Stoff- oder Velours-bezogene Sitze. Auch das Armaturenbrett verdiente nun seinen Namen (zuerst eckig, ab 1988 dann sogar sanft gerundet, unter Einbezug des «Infotainments»), es gab ein höhenverstellbares Lenkrad, Liegesitze, Scheibenwischer mit Intervall-Schaltung, eine Scheinwerfer-Reinigungsanlage, einen Heckscheibenwischer mit Waschfunktion, getönte Scheiben, ein abblendbarer Rückspiegel, ein abschliessbares Handschuhfach, eine Heizung für die hinteren Passagiere, getönte Scheiben – der J6 war ein Luxus-Produkt, das ab 1988 in Japan endlich als Personenwagen homologiert werden konnte. Für den arbeitenden Teil der Bevölkerung, die den Land Cruiser in erster Linie als Arbeitsgerät brauchte, gab es aber auch simplere «Vinyl-Versionen». Mit einem Stauraum bei komplett abgeklappter Rücksitzbank von 2760 Litern war der J6 auch als Transporter mehr als nur tauglich. Ab 1982 gab es zur Basisversion noch eine GX-Variante (mit High-Roof und elektrisch bedienbarem Schiebedach und von innen verstellbaren Aussenspiegeln und…), ab 1985 ging es mit dem VX sogar noch eine Stufe höher (Bilder unten: FJ62, 1988).
Bis im Dezember 1989 wurden stolze 406’700 Exemplare des J6 gebaut, die meisten davon bei Araco in Japan, ein kleinerer Teil in Venezuela, in Cumana – jene Exemplare hielten den Beinamen Samurai. Wie schon der JJ5 stellte der J6 ganz wichtige Weichen für Toyota und den Land Cruiser, es wurde die jährliche Modellpflege eingeführt («Minor Model Change») – und man bewegte sich zielgerichtet auf eine klare Unterteilung zwischen «Arbeitstieren» und «Luxus-Versionen» zu. Letztere trugen auch sehr viel zum grossartigen Ruf des Land Cruiser bei, denn im Gegensatz zu den Konkurrenten konnte der J6 zwar auch viel Plüsch bieten, bleib dabei aber das Mass aller Dinge im Gelände und bei der Langlebigkeit. Es war jetzt nicht mehr «nur», dass man mit dem Land Cruiser überall hin kam und auch wieder zurück, man konnte dies noch auch noch ganz gepflegt und mit Stil tun (Bilder unten: FJ62, 1989).
Es gab folgende Versionen:
– BJ60 (Motorisierung 3B, 3,4-Liter-Saugdiesel, 90 PS)
– BJ61 (Motorisierung 3B, 3,4-Liter-Saugdiesel, 95 PS)
– HJ60 (Motorisierung 2H, 4-Liter-Saugdiesel, 103 PS)
– HJ61 (Motorisierung 12H-T, 3,4-Liter-Turbo-Diesel, 136 PS)
– FJ60 (Motorisierung 3F, 4-Liter-Benziner, 137 PS)
– FJ62 (Motorisierung 3F-E, 4-Liter-Benziner, 155 PS – Bilder unten: FJ62, 1989)
Den ersten Teil unserer Land-Cruiser-Story (Ursprünge) finden Sie hier, auch einen zweiten (J2/J3), dritten Teil (J4) und vierten Teil (J5) gibt es bereits, dazu selbstverständlich eine schöne Übersicht. Mehr spannende Automobile haben wir in unserem Archiv. Alle Photos stammen von Bring A Trailer, in Europa sind die J6 ziemlich selten.
Interessant, wenngleich syntaktisch verbesserungswürdig. Danke für den Artikel.
frech )