Zwischen Wahn und Wirklichkeit
Sieben Jahre. Das ist in etwa ein Modellzyklus bei einem Automobil. In sieben Jahren, also 2030, wollen diverse Automobil-Hersteller nur noch rein elektrische Automobile auf den Markt bringen, das reicht von VW bis Volvo, von GM bis zu Ford, von Bentley zu Rolls-Royce. Diese Strategie wird überall gleich begründet: Man muss vorwärtsmachen, damit man nicht zurückbleibt. Wir wagen hier die Behauptung: Das ist viel zu kurz gedacht.
Es müssen mal ein paar Fakten auf den Tisch. Ab 2035 soll der Verkauf von Verbrennern in der EU, Japan und Kalifornien verboten werden; beschlossen ist das noch nicht, aber Stand heute sehr wahrscheinlich. Das restliche Amerika, also der ganze Kontinent von Alaska bis Feuerland, will sich für den Verbrenner-Ausstieg keinen Termin setzen. China, der mit Abstand grösste Markt der Welt, nennt einen solchen: 2060. Bis dahin fällt dort noch manch eine Reisschaufel um. Indien, bald schon das bevölkerungsreichste Land der Welt, hat ganz andere Infrastruktur-Probleme als ein landesweit funktionierendes Netz an Ladesäulen, das gilt auch für ganz Afrika; in Australien wird es wohl auch noch ein paar Wochen dauern, bis man rein elektrisch von Brisbane nach Perth kommt.
Klar, dem E-Fahrzeug gehört derzeit das berühmte Momentum. 2022 wurden weltweit 10,5 Millionen Stecker-Fahrzeuge ausgeliefert, also reine Stromer und Plug-in-Hybride. Das sind doch stolze 55 Prozent mehr als noch 2021. Auch der Anteil am weltweiten Gesamtmarkt (81 Millionen, minus 0,7 Prozent im Vergleich zu 2021) stieg beträchtlich, von 8,6 Prozent auf jetzt 13 Prozent; der Anteil an reinen Stromern (BEV) liegt bei 9,5 Prozent. Doch das gilt es zu relativieren, der mit Abstand grösste Zuwachs stammt aus China, wo der E-Markt um 82 Prozent zulegte und jetzt 27 Prozent der Verkäufe ausmacht. In Europa sind es 20,8 Prozent (+15 Prozent bei den Verkäufen), in den USA weiterhin schwache 7,2 Prozent (+48 Prozent). Ein weitere spannende Zahl auch noch: Derzeit sind geschätzt 27 Millionen BEV/PHEV auf den Strassen dieser Welt unterwegs – ein doch eher geringer Anteil am Gesamtbestand von 1,5 Milliarden Fahrzeugen.
Also, knapp 10 Prozent reine Stromer im vergangenen Jahr, weltweit. Aber selbstverständlich werden die Zahlen weiter nach oben gehen.
Die entscheidende Frage ist aber: wie hoch?
Noch Anfang des Jahrzehnts waren sich die meisten Analysten und Industrievertreter einig: bis 2030 wird der Anteil auf 60 Prozent steigen. Neuere Zahlen etwa von KPMG und Morgan Stanley, dazu Umfragen unter relevanten Führungsmitgliedern der Auto-Hersteller, zeichnen unterdessen aber ein anderes Bild. Es wird eher von 40 Prozent ausgegangen. Umgerechnet heisst das: Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Auto-Industrie will sich zukünftig nicht mehr beteiligen am grösseren Stück des Auto-Kuchens. Nicht mehr mittun in jenem ganz ansehnlichen Segment, das sie aus jahrelanger Erfahrung ziemlich gut beherrschen. Und das ihnen derzeit zu absoluten Rekordgewinnen verhilft.
Doch was führt zu diesen deutlich pessimistischeren Prognosen? Ganz sicher: China. Auf dem grössten E-Wachstumsmarkt gehen auch die staatlichen Stellen davon aus, dass sich der Anteil an reinen Stromern bei etwa 50 Prozent einpendeln wird, auch über 2030 hinaus. Gründe dafür sind die Infrastruktur in diesem riesigen Land, allfällige Fahrverbote in den Innenstädten – und die hohen Kosten für neue E-Autos. Aus China kennen wir die Zahlen nicht, aber in den USA wurden im vergangenen Jahr für den Kauf eines E-Autos durchschnittlich 65’000 Dollar ausgegeben, stolze 16’000 Dollar mehr als sonst für einen Neuwagen. Das kann sich nun auch nicht jeder leisten, in Indien, in Brasilien, in Griechenland.
Also, zusammengefasst sprechen drei Punkte gegen einen endgültigen Siegeszug der Stromer: Infrastruktur (und da geht es nicht nur um das Ladenetz, sondern auch um Einschränkungen der individuellen Mobilität), Kundenbedürfnisse und Anschaffungskosten. Das mag für Zentral-Europa alles nicht gelten, für den grossen Rest der Welt, dessen Marktanteil immer grösser wird, aber schon.
Wie man so hört aus der Branche, haben einige der Hersteller, die den Ausstieg aus dem Verbrenner-Business schon vollmundig verkündet hatten, unterdessen und deshalb ein mulmiges Gefühl. Bei Mercedes heisst es unterdessen, ja, 2030 – aber nur innerhalb der EU. Auch Ford wird seinen Abgang wohl auf klar definierte Märkte beschränken – also jene, in denen die Politiker und nicht die Kundenwünsche die Verkaufsstrategien vorgeben. Der Volkswagen-Konzern «korrigiert» still und leise nach hinten, unterdessen ist 2033 eine Zahl, die herumgeboten wird. Bei Volvo macht man sich ernsthafte Sorgen um den in den vergangenen Jahren hart umkämpften Marktanteil – und andere Marken fürchten jetzt schon um ihr weiteres Überleben. Cadillac, um ein ganz extremes Beispiel zu nennen, war einst der grösste Luxushersteller der Welt – und durfte sich im vergangenen Monat über 122 Bestellungen seines ersten und vorerst einzigen vollelektrischen Modells freuen. 122.
Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, soll Konrad Adenauer einst gesagt haben. Bis in sieben Jahren sind wohl die meisten der aktuellen CEOs der grossen Auto-Hersteller eh pensioniert oder mit einem goldenen Fallschirm irgendwo auf einer Karibik-Insel gelandet. Sie können jetzt gut eine Strategie aufsetzen, die auch die Aktionäre befriedigt; die Scherben in Form ausbleibender Gewinne können ja dann die Nachfolger zusammenwischen. Um in diesem Zusammenhang auch mal wieder eine schöne Zahl zu nennen: Sogar Elon Musk musste in jüngerer Vergangenheit eine Korrektur des Börsenwertes von Tesla in der Höhe von 700 Milliarden Dollar hinnehmen. Der Verlust an Marktkapitalisierung ist höher als der gesamte Firmenwert der Konkurrenz – die den kapitalintensiven Schritt in die E-Mobilität ja erst noch vor sich hat.
Und auch wenn sie von der Börse kurzfristig vielleicht abgestraft werden, belächelt von all den selbsternannten ProphEten, die beste Taktik dürfte auch mittelfristig tatsächlich darin liegen, sich nicht festzulegen. BMW hat sein Stammwerk vor kurzem so umgebaut, das alles vom gleichen Band laufen kann, ICE, E, FCEV – das mag ein hoher Aufwand sein, ermöglicht aber hohe Flexibilität. Dank der man jederzeit auf die Marktentwicklungen reagieren kann. Auch Toyota, immer erfolgreichster Auto-Konzern der Welt, will weiterhin die ganze Klaviatur bespielen; die Japaner lagen in der Geschichte häufiger richtig als alle andern.
Jato Dynamics schreibt von rund USD 33k für den durchschnittlichen Preis eines Elektroautos in China.
In Zeiten, in denen vor allem deutsche Politiker aus dummer Ideologie heraus die Atomkraft verdammen und lieber auf Kohle setzen, in solchen Zeiten glaube ich der gesamten EU nicht, was sie für die Zukunft plant. Da wird es Ende der 2020er Jahre schon noch Krisengipfel geben, wo die ganzen Mitgliedsstaaten, denen es finanziell nicht so gut geht, Aufschübe vom Verbrenner-Ausstieg verlangen. Wie man am Beispiel BMW. Toyota, aber auch Hyundai sieht, stellt man sich ja mittlerweile auf die politische Willkür ganz gut ein.