Jackpot
(Um ganz ehrlich zu sein: Wir sind da jetzt auch ein bisschen unsicher. In der einschlägigen Literatur gibt es sehr unterschiedliche Angaben, nicht nur zur der Anzahl der frühen Porsche 911 GT2. Das gilt ganz besonders für die Renn-Versionen, in dieser Story dann ganz unten; da hoffen wir dann auch ein bisschen auf Schwarm-Wissen. Aber wir lieben genau solche Stories, gute Anekdoten mit und um spannende Fahrzeuge, so aufbereitet kriegen Sie das ja nicht überall, oder? – Bilder unten: ein ganz «normaler GT2 der ersten Serie.)
Früher, da war das englische Pfund noch ein echtes Pfund. Als der damals 23-jährige Karl Crompton im Mai 1996 den Jackpot der englischen Lotto-Gesellschaft knackte, da waren seine 10’903’198 Pfund, die er abräumte, umgerechnet ziemlich genau 25 Millionen Franken wert. Karl, der damals 100 Pfund pro Woche verdiente, schenkte seinen Eltern eine Million und auch seinem Bruder reichlich. Er kaufte sich für 1,5 Millionen Pfund ein Haus, lud seine Freunde auf ein kleines Festchen ein, das ihn 45’000 Pfund kostete, war gern gesehener Gast bei Box-Kämpfen und an Formel-1-Rennen. Und irgendwann auch ein paar Monate im Knast, weil er, wahrscheinlich sanft angetrunken, einem anderen Gast in einer Bar ein Glas an den Kopf warf. Das dort ziemlich hässliche Narben hinterliess.
Karl galt für eine kurze Zeit auch als einer der begehrtesten Junggesellen in England. Doch dann heiratete er seine Jugendfreundin Nicole, eine Krankenschwester, das Paar hat zwei Söhne. Und ist unterdessen wieder getrennt. Und damit nähern wir uns langsam dem Kern dieser Geschichte an, denn Karl hatte auch immer ein Faible für schnelle Autos. Es heisst, dass er kurz nach dem Lotto-Gewinn 3,5 Millionen Pfund in schöne und schnelle Fahrzeuge verpulvert hat, Ferrari, BMW – und diesen ganz speziellen, absolut einmaligen Porsche.
Dafür müssen wir jetzt ein bisschen ausholen. Im September 1992 hatte Wendelin Wiedeking bei Porsche das Zepter übernommen und den kriselnden Sportwagen-Hersteller rigoros umgebaut. Schon 1993 kam dann der Porsche 911 als 993 auf den Markt – und noch niemand (ausserhalb der Entwicklungsabteilung von Porsche) konnte damals wissen, dass dies der letzte luftgekühlte 911er sein würde. 1995 legten die Stuttgarter mit dem Turbo das Top-Modell auf, der am grossen, feststehenden Heckflügel zu erkennen ist und erstmals mit zwei Turboladern die Konkurrenz verblüffte. 408 PS sowie Allradantrieb waren damals das Mass aller Dinge.
Doch Porsche hatte ein Problem. Schon 1993 war klar, dass die FIA die Reglemente ändern musste, die allradgetriebenen Porsche (961), Audi quattro, aber auch der Nissan Skyline fuhren ihre Gegner auf der Rennstrecke und den Rallye-Pisten in Grund und Boden. Es zeichnete sich bald ab, dass nur noch heckgetriebene Fahrzeuge in der GT-Klasse zugelassen sein würden. Es musste also ein neues Modell her, der GT2.
Die Absicht war klar: Man musste ein paar strassenzugelassene Fahrzeuge bauen, um die Homologation zu erreichen. Weil ja aber Wendelin Wiedeking an der Spitze des Unternehmens stand, musste das auch Geld abwerfen. Der 3,6-Liter-Twin-Turbo-Sechszylinder wurde auf 430 PS und ein maximales Drehmoment von 540 Nm bei 4500/min aufgeblasen, dies mit einem höheren Ladedruck. Der GT2 hatte die gleichen Kotflügel wie der Carrera RS und verfügte zudem über abnehmbare und austauschbare Kotflügelverbreiterungen, um breitere Räder für den Renneinsatz montieren und Unfallschäden schneller beheben zu können. Der grosse Heckflügel sorgte für zusätzlichen Abtrieb, an den Seiten befanden sich Lufteinlässe für die bessere Kühlung des Motors. Um Gewicht zu sparen, wurden die Motorhaube und die Türen aus Aluminium gefertigt, die Seiten- und Heckscheiben waren dünner. Ausserdem verfügten die dreiteiligen Speedline-Leichtmetallfelgen über verstärkte, stahlgraue Magnesiumsterne. Und um den Luftwiderstand zu verringern, wurde die Karosserie im Vergleich zum 911 Turbo um 20 mm abgesenkt. Auch innen wurde das Fahrzeug deutlich erleichtert in Sachen Komfortausstattung.
Der Preis war absurd: Ein strassentauglicher GT2 kostete 1995 stolze 268’000 D-Mark (und 1997 dann gar 278’875 D-Mark). Und trotzdem konnten 172/194 Exemplare (je nach Quelle) abgesetzt werden. Im Vergleich zur Rennversion, die auf 450 PS (später: 485 PS) kam und von der wahrscheinlich 78 Exemplare abgesetzt wurden, war das aber ein Schnäppchen: 506’000 D-Mark verlangte Zuffenhausen für das Renngerät. Doch die halbe Million lohnte sich: die GT2 fuhren auf dem Rundkurs alles darnieder. Le Mans, Nürburgring, Spa – immer war ein GT2 in seiner Klasse vorne. Das übrigens auch mit Schweizer Beteiligung: Bruno Eichmann gewann 1996 auf einem GT2 seine Klasse in Le Mans. Und wurde 1997 Zweiter, selbstverständlich wieder auf einem GT2. Ach ja, für die Renn-Saison 1998 wurde der 993er-GT2 noch einmal aufgemotzt, verbessert, verstärkt; da war der 996er-Porsche schon längst (und wassergekühlt) auf dem Markt…
Doch kehren wir zurück zu Karl Crompton. Und betreiben ein bisschen Farbenlehre. Das serienmässige Angebot an Lackierungen war damals bei allen 911er, vor allem aber bei GT2 relativ dünn, Arktis- oder Polar-Silber war beliebt, selbstverständlich gab es Rot, Gelb, Weiss. Doch Karl hatte eine andere Idee. Er reiste nach Stuttgart und präsentierte seine eigenen Vorstellungen: Turquoise Green Metallic. Porsche hatte damals, im Gegensatz zu heute, noch nicht viel Erfahrung mit Sonderwünschen, nur gerade 25 GT2 der ersten Serie erhielten eine «Lackierung nach Mass» («Paint to Sample», PTS, heisst das im Fachjargon), die meisten davon waren aber «alte» Farben, die Porsche sowieso im Angebot hatte. Weniger als ein halbes Dutzend der GT2 wurden in einer Farbe lackiert, die einem ausdrücklichen Kundenwunsch entsprach – Turquoise Green Metallic hatte es bei Porsche zwar vorher schon als Standard-Farbe gegeben, doch der GT2 von Karl Crompton blieb für eine kleine Ewigkeit das einzige Modell in diesem Farbton. Er holte ihn persönlich im Werk ab.
1997 wurde das Fahrzeug in England zugelassen. Karl, der seine Designeranzüge meist nur einmal trug, bevor er sie verschenkte, fuhr ihn selten, bis 2020 kam nur gerade 19’900 Meilen auf den Tacho. Böse englische Boulevard-Zungen behaupten, er habe den Porsche versteckt, als er sich 2020 von seiner Frau scheiden liess. Das können und wollen wir nicht überprüfen, sein Problem, auf jeden Fall wurde dieser einzigartige GT2 kürzlich über DK Engineering an den bislang erst zweiten Besitzer verkauft.
Karl Crompton, so heisst es, ist heute 20 Millionen Pfund schwer. Nur ist das Pfund halt kein richtiges Pfund mehr, umgerechnet sind das heute immer noch etwa 25 Millionen Franken. Vielleicht ist ihm nach der Scheidung auch nur die Hälfte geblieben, wir wollen es auch gar nicht wissen. Aber immerhin blieb Karl das Schicksal vieler Jackpot-Gewinner erspart, dass sie nach ein paar Jahren gar nichts mehr hatten, von der Sozialhilfe leben mussten, sich gar zu Tode soffen. Karl fährt heute einen schwarzen Land Rover Defender, selbstverständlich nicht das neue Modell – er hatte ja mit seinem einzigartigen GT2 schon bewiesen, dass er über einen ausgezeichneten Geschmack verfügt.
Noch ein paar mehr der frühen GT2? So etwas wie eine Sammlung? Klar, können wir machen.
Chassis-Nummer: WP0ZZZ99ZTS392184
Motoren-Nummer: 61T04008
Auktion: RM Sotheby’s, London 2018, Schätzpreis 725’000 bis 850’000 Pfund, nicht verkauft.
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Die 24 Stunden von Le Mans 1995 waren ein eigenartiges Rennen. Es gab kaum Werk-Teams, die sich gemeldet hatten. Und es regnete so heftig wie wohl nie zuvor in der Sarthe. Überraschender Sieger wurde der McLaren F1 GTR von Dalmas/Sekiya/Lehto, dies aber nur nur, weil der Courage C34 (mit Porsche-Motor) von Wollek/Hélary/Andretti bei einem Unfall sechs Runden verloren hatte (von denen er fünf bis Rennende wieder aufholte). Die GT2 von Porsche waren 1995 noch nicht wirklich konkurrenzfähig, die GT2-Klasse wurde in diesem Jahr von einem rein japanischen Team mit einem Honda NSX gewonnen. Das Fahrzeug, das wir hier zeigen und das erst kürzlich von DK Engineering verkauft wurde, schaffte es 1995 mit dem französischen Team van de Vyver/Ortion/Veroux aber immerhin auf den 16. Gesamtrang und den 5. Rang in der Klasse. Als Rennfahrzeug verfügten die GT2 damals über mindestens 450 PS und waren selbstverständlich noch einmal etwas leichter als die Strassen-Fahrzeuge.
Beim nächsten Fahrzeug sind wir nun, eben, unsicher. Es wird bezeichnet als 95er Porsche 911 GT2 Evo (und kommt im Rahmen der RM-Sotheby’s-Auktion der «Carrera Collection» unter den Hammer). Nun, 1995 gab es ziemlich sicher noch keine Evo, es könnte das Baujahr sein, Modelljahrgang wäre dann 1996. Dann gab es solche Fahrzeuge, wahrscheinlich elf Exemplare, doch die sahen dann vor allem hinten, beim doch sehr dominanten Heckflügel, etwas anders aus. Wir zeigen jetzt die Chassis-Nummer WP0ZZZ99ZTS393074 jetzt trotzdem, vielleicht kann uns da jemand helfen?
Die Porsche 911 GT2 (993) gehören mit all ihren Facetten unbedingt in unsere Reihe der seltenen Porsche 911. Und selbstverständlich kennen wir auch den GT2 der Neuzeit.
K o t f l ü g e l des Grauens..
993 so nicht.