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related: Mike Hawthorn

Der Schwierige

Leider wird Mike Hawthorn für immer als jener Fahrer in Erinnerung bleiben, der die grösste Katastrophe im Automobil-Rennsport ausgelöst hatte. Um 18.26 Uhr, kurz vor Ende der 35. Runde, führte Hawthorn auf seinem Jaguar D-Type das Feld bei den 24 Stunden von Le Mans 1955 an, gejagt wurde er von Juan Manuel Fangio im Mercedes 300 SLR. Hawthorn überrundete den deutlichen langsameren Briten Lance Macklin in einem Austin-Healey – und schoss dann völlig überraschend nach rechts für einen Boxenstopp. Macklin zog nach links, konnte dem Jaguar noch knapp ausweichen, doch der hinter ihm fahrende Pierre Levegh, wie Fangio in einem 300 SLR, aber schon eine Runde zurück, hatte keinen Platz mehr zum Ausweichen. Sein Mercedes berührte das Heck von Macklin, das wie eine Rampe wirkte, hob ab, schleuderte auf einen Erdwall, überschlug sich, brach auseinander, der Tank explodierte, Wrackteile entzündeten sich und flogen in die Zuschauer. Mehr als 80 Zuschauer starben, auch Levegh erlitt einen unschönen Tod noch auf der Unfallstelle. Hawthorn äusserte sich nie zum Unfallhergang, gewann aber dann den prestigeträchtigsten Anlass des Jahres zusammen mit Ivor Bueb – auch weil sich Mercedes noch in der Nacht vom Rennen zurückzog.

John Michael «Mike» Hwathorn, geboren am 10, April 1929, war Sohn eines Garagisten, der in seiner «The Tourist Trophy Garage» Motorräder und zumeist Riley-Sportwagen reparierte und für Rennen vorbereitete, selber Motorrad-Rennen fuhr. Der kleine Mike war ein kränkliches Kind, er hatte Rheuma und Arthrose schon als jungen Mann, später wurde auch noch eine Niereninsuffizienz festgestellt, die ihn Zeit seines Lebens einschränken sollte. Arbeiten konnte Hawthorn eigentlich nicht, doch 1950 begann er, auf einem von seinem Vater präparierten Riley Rennen zu fahren. Das machte er glänzend, war schneller als Peter Collins und Stirling Moss – und 1952 zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die FIA hatte gerade beschlossen, die Formel 1 nach dem Formel-2-Reglement auszutragen – und Hawthorn hatte einen Cooper T20 zur Verfügung, das einzige Fahrzeug, das einigermassen gegen die damals dominierenden Ferrari 500 bestehen konnte, die 1952/53 14 von 15 Formel-1-Rennen gewannen. Hawthorn wurde Vierter in der F1-Weltmeisterschaft 1952, als bester Nicht-Ferrari-Fahrer – was ihm eine Einladung von Enzo Ferrari für eine Testfahrt in Monza eintrug.

Er überzeugte, nach gewissen patriotischen Irritationen, den Commendatore, doch 1953 war in der Formel 1 nicht seine Saison, obwohl er einmal Juan Manuel Fangio schlagen konnte; er wurde Vierter in der Weltmeisterschaft. Aber in der Sportwagen-Weltmeisterschaft schlug er sich besser: Zwar wurden er und seine Teamkollege Giuseppe Farina in Le Mans disqualifiziert, weil Hawthorn seinen Ferrari 340 MM (#0320AM) in der 12. Runde an Boxen fuhr, Bremsflüssigkeit nachgefüllt erhielt – und sofort aus den Rennen genommen wurde, auf dem 2. Platz liegend. Dafür gewann der Engländer dann zusammen mit dem italienischen Dottore die 24 Stunden von Spa auf dem ganz neuen Ferrari 375 MM (#0322AM), war Teil der Scuderia Ferrari, die sich 1953 den ersten Weltmeistertitel bei den Sportwagen sichern konnte. Doch der Engländer war unglücklich in Italien, noch unglücklicher, als sein Vater Leslie bei einem Verkehrsunfall starb – und war froh, dass er 1955 nach England zurückkehren konnte. Er fuhr für Vanwall in der Formel 1, ohne Erfolg, und für Jaguar bei den Sportwagen, wo er die 12 Stunden von Sebring sowie, wie schon erwähnt, auch die 24 Stunden von Le Mans gewinnen konnte. 1956 war dann ein Jahr zum Vergessen für Hawthorn, trotzdem erhielt er für 1957 wieder einen Vertrag von Ferrari.

Aber es war wieder ein schwieriges Jahr, 1957. Immerhin konnte sich Mike Hawthorn mit seinem Team-Kollegen Petr Collins verbünden, sie fuhren gemeinsam gegen. Luigi Musso, dem dritten Fahrer in der Scuderia Ferrari – und hatten ihren Spass dabei. Ein Jahr später bedankte sich Hawthorn in bester Weise bei Ferrari: Zwar schaffte er nur einen Sieg in Reims, doch dazu fünf zweite Plätze sowie drei schnellste Rennrunden – und kürte sich so zum Formel-1-Weltmeister 1958, nur gerade einen Punkt vor Stirling Moss. Unmittelbar danach erklärte Hawthorn seinen Rücktritt von den grossen Rennsportbühnen, ähnlich wie die Tusse Nico Rosberg. So richtig traurig war darüber niemand, denn Hawthorn war zwar immer ganz vorne, wenn hübsche Damen zugegen waren oder Alkohol verfügbar, doch viele Freunde hatte er nicht; ganz besonders die deutsche und auch englische Presse schoss tief gegen den «prankster», den selbsternannten Scherzbold, der auch in seiner Autobiographie null Mitleid für die Opfer der von ihm ausgelösten Katastrophe von Le Mans 1955 zeigte. Dass er schwer krank war, sein Nierenleiden ihn deutlich mehr behinderte, als er sich wohl selber eingestehen wollte, war dabei aber selten ein Thema.

Am 22. Januar 1959 soll Hawthorn, der bei seinen Renneinsätzen zumeist ein weisses Hemd und eine Fliege trug und deshalb von der Presse gerne als «Schmetterling» bezeichnet wurde, bei strömendem Regen in seinem Jaguar Mk. 1 auf der A3 auf einen Mercedes 300 SL aufgelaufen sein. Hawthorn, der Zeit seiner Lebens alles Deutsche abgrundtief hasste, soll im Benz Rob Walker erkannt haben, einen der Förderer von Stirling Moss – und überholte ihn mit wohl deutlich übersetzter Geschwindigkeit. Wenige hundert Meter später knallte er zuerst in eine Strassenteilung, dann in einen Baum. John Michael «Mike» Hawthorn verstarb noch auf der Unfallstelle.

An den fahrerischen Qualitäten von Mike Hawthorn gibt es keine Zweifel, er gehörte ganz sicher zu den ganz Grossen, auch wenn er von seinem 45 Formel-1-Rennen nur drei gewann. Doch er war schnell, zuverlässig und konnte seine Renn-Material einigermassen schonend behandeln, eine Qualität, die in seiner Zeit doch eher selten war. Der tragische Unfall in Le Mans, aber auch seine diversen Krankheiten machten den Engländer allerdings unnahbar, er wirkte arrogant, war wohl ziemlich oft betrunken, hatte männiglich Affären mit Groupies, so auch mit einer Französin, die er nach seinem ersten F1-Sieg in Reims traf – und die ihm seinen erst später anerkannten Sohn Arnaud Michael gebar. Dass er wahrscheinlich wusste, als er Rob Walker überholte, dass er nur noch maximal drei Jahre zu leben hatte aufgrund seines Nierenleidens, macht seine tragische Lebensgeschichte aber auch nicht besser.

Das ist wieder eine «related»-Story, bei der die Sportwagen-Weltmeisterschaft 1953 im Mittelpunkt steht. Andere gute Geschichten gibt es im Archiv.

2 Kommentare

  1. hugoservatius hugoservatius

    Eine sehr gute und neutrale Darstellung von Hawthorn, als neutrale Schweizer können Sie diese Person sicher differenzierter betrachten als ich als anglophiler Deutscher.
    Hawthorn war besessen von seinem Haß auf alles Deutsche und machte sich nicht nur dadurch das Leben unnötig schwerer,
    Gott sei Dank sind diese unschön Nationalismen weitestgehend verschwunden und kehren hoffentlich auch nicht zurück.
    Sein Ende paßte tatsächlich zu ihm und seinem unglücklichen Leben.

  2. Hömal Hömal

    Habe gerade eine Reportage zum 70. Jahrestag der Le-Mans-Katastrophe gelesen und musste an diese Biografie hier denken.

    Ja, Hawthorne hat diese Katastrophe verursacht. Wobei das zu einer Zeit geschah, als die damaligen Rennstrecken nur mehr bedingt zur Leistung und Geschwindigkeit der Rennwagen passten. Erinnerungen an die Gruppe B werden da bei mir wach. Wäre die Start-Ziel-Gerade in Le Mans nicht 6m eng gewesen (eigentlich ein Wahnsinn bei den gefahrenen Geschwindigkeiten), hätte Levegh Macklin möglicherweise noch ausweichen können. Leider musste erst etwas passieren, bis etwas passierte und sie auf ein zeitgemäßes Maß verbreitert wurde.

    Dass Hawthorn mit seinem brandgefährlichen Manöver eine Katastrophe verursacht hat, hätte man ihm wahrscheinlich noch verziehen, wenn er angemessen darauf reagiert hätte. Schwere und tödliche Unfälle gehörten damals leider noch zum Rennalltag. Nach allem was geschehen war aber lachend den Sieg zu feiern und kein Wort über die Tragödie zu verlieren haben ihm viele sehr übel genommen. Noch dazu, wo er ohne den von ihm verursachten Unfall wahrscheinlich gar nicht gewonnen hätte. Fangio/Moss führten überlegen bevor Mercedes seine Autos aus dem Rennen nahm.

    Ja, seine schwere Krankheit und der Tod seines Vaters erklären vieles. Möglicherweise bezahlte er selbst den größten Preis dafür, dass er außerstande war, angemessen auf seinen schweren Fehler zu reagieren. Sein Lebenswandel kann in diesem Licht auch als der eines innerlich sehr kaputten Menschen gesehen werden, der vor sich selbst und seinen Dämonen zu flüchten versucht. Nein, das ist keine „Stammtischpsychologie“, in der Suchtforschung sind Verhaltensmuster dieser Art seit vielen Jahren bestens bekannt. Sex uns Alkohol sind eine sehr wirksame, aber gleichzeitig leider sehr destruktive Selbstmedikation, um den inneren Schmerz zu betäuben.

    Was man im Zusammenhang mit Le Mans 1955 auch erwähnen muss ist, dass Hawthorn nicht der einzige war, der in der Kritik stand. Auch die Veranstalter wurden massiv kritisiert dafür, dass sie das Rennen nicht abgebrochen hatten, Mercedes-Benz wurde vorgeworfen, illegalen hochentzündlichen Sprit verwendet zu haben, der Rückzug aus dem Rennen wurde als „Vertuschungsaktion“ gesehen, Gerüchte von einer „explodierenden Magnesium-Karossierie“ kursierten. Verschwörungsmythen sind nichts Neues unter der Sonne.

    Tragisch, wie dieser talentierte Rennfahrer dann ums Leben kam: Bei einem völlig sinnlosen Manöver gegen einen verhassten deutschen Mercedes. Was für eine bittere Ironie des Schicksals!

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