Auf und ab
Es war sicher eine Hassliebe, die Enzo Ferrari mit Peter Collins verband. Vielleicht war es der frühe Tod seines Sohnes Alfredo, der den Commendatore etwas nachsichtiger werden liess gegenüber dem Lebenswandel seiner britischen Piloten Mike Hawthorn und vor allem Collins, in früheren Jahren hätte er solches nie akzeptiert. Doch «früher» hätte Enzo Ferrari, der einzig und allein einen eigenartigen emilianischen Dialekt des Italienischen sprach, auch nie Ausländer für seine Scuderia engagiert. Junge Fahrer waren ihm mit Ausnahme von Alberto Ascari immer suspekt gewesen – und überhaupt verlangte er absolute Loyalität. Peter Collins, geboren am 6. November 1931 und nur ein halbes Jahr älter als «Dino», war so ziemlich das pure Gegenteil.
Peter John Collins war schon als Kind von Automobilen umgeben, sein Vater handelte damit. Mit 16 wurde er von der Schule geworfen, mit 17 gewann er sein erstes Formel-3-Rennen. Doch seinen Durchbruch schaffte er, typisch für ihn, auf einer Party von Kay Petre, einer der berühmtesten englischen Rennfahrerinnen: Dort lernte er John Wyer kennen, den Teamchef von Aston Martin, der ihn zu einer Testfahrt nach Silverstone einlud. Am gleichen Tag fuhr auch das Formel-2-Team von HVM ein paar Runden – und am Abend hatte Collins Verträge mit beiden Teams in der Tasche.
Im Formel-Rennsport lief es ihm zu Beginn gar nicht. HVM war chancenlos, er wechselte zu Vanwall, war wieder chancenlos, kam zu BRM, war dort erst recht chancenlos. Doch bei den Sportwagen lief es Collins, dem jegliches technisches Verständnis abging, der sich am liebsten einfach in ein gut vorbereitetes Fahrzeug setzte, deutlich besser: 1952 gewann er für Aston Martin die 9 Stunden von Goodwood, 1953 gewann er auf einem Aston Martin DB3S zusammen mit Pat Griffith die zur Sportwagen-Weltmeisterschaft 1953 zählende RAC Tourist Trophy (ein eigenartiges Handicap-Rennen), 1955 und 1956 wurde er bei den 24 Stunden von Le Mans jeweils Zweiter, einmal mit Paul Frère, einmal mit dem zwei Jahre älteren Stirling Moss, dies jeweils auf einem DB3S. 1955 gewann er zusammen mit Moss auch die Targa Florio, dies auf einem Mercedes 300 SLR.
Das brachte Peter Collins 1956 einen Formel-1-Vertrag mit Ferrari ein. Und er zeigte ausgezeichnete Leistungen: Er gewann in Belgien und Frankreich, er wurde Zweiter in Monte Carlo. Und er hatte vor dem letzten Rennen durchaus noch Chancen, Weltmeister zu werden, er lag nur gerade acht Punkte hinter dem ewigen Juan Manuel Fangio. Und er hätte Weltmeister werden können, falls er das Rennen gewonnen und auch noch die schnellste Runde gefahren wäre. Fangio hatte an seinem Ferrari (der ein Lancia D50 war) früh ein Problem mit der Lenkung, er wechselte auf das Fahrzeug von Castellotti, hatte wieder ein Problem – und sollte schliesslich das Fahrzeug von Luigi Musso übernehmen, was ihm den Titel gesichert hätte. Doch Musso weigerte sich, dafür sprang Collins in die Bresche. Es war ein sehr sportliches Verhalten des jungen Engländers gegenüber dem alternden Argentinier.
Die Situation war höchst kompliziert: Hätte Collins sein Fahrzeug Fangio nicht überlassen, hätte er tatsächlich aus eigener Kraft noch Weltmeister werden können. Doch er lag zu diesem Zeitpunkt an dritter Stelle, das hätte nicht gereicht. Wäre Fangio aber ausgeschieden und Collins nur Dritter geworden, dann hätte Stirling Moss den Titel geholt. Insofern war es also nicht bloss eine grosszügige Geste des Engländers, sondern auch eine Entscheidung zugunsten von Ferrari. Der erst 24-jährige Collins sagte später, er sei ja noch jung, er habe noch genug Zeit, sich den Titel zu holen.
Trotzdem: Das Verhalten von Collins war Zucker für den Commendatore. Collins wurde quasi zum Familien-Mitglied, wie ein zweiter Sohn für Enzo Ferrari, auch deshalb, weil 1956 auch noch Zweiter wurde bei den Mille Miglia. Der Engländer soll auch wieder etwas Fröhlichkeit in das Haus der Familie Ferrari gebracht haben, Enzo ging mit seiner ausschliesslich in Schwarz gekleideten Ehefrau Laura nach dem Tod von Dino jeden Tag auf den Friedhof. Es heisst, Collins habe seinen Chef darum gebeten, sich wieder mehr um sein Unternehmen, die Scuderia zu kümmern – und der Commendatore habe tatsächlich auf ihn gehört.
Bloss: So schnell wie die Liebe entstanden war, so schnell ging sie auch wieder von dannen. 1956 zog Collins auf eine Yacht im Hafen von Monte Carlo, um dem britischen Militärdienst zu entgehen. Was ihm von der britischen Presse nicht sehr hoch angerechnet wurde. Im Januar 1957 lernte er Louise King kennen, Broadway-Schauspielerin und Tochter des stellvertretenden UN-Generalsekretärs Dag Hammarskjöld, bat zwei Tage nach ihrem ersten Treffen um ihre Hand – und heiratete sie eine Woche später in Miami. Das Paar führte schnell ein ausschweifendes Leben, die Yacht in Monte Carlo war Mittelpunkt eines wilden Jet-Set-Lebens, Collins galt fortan mehr als Playboy denn als grosser Rennfahrer. Die Saison 1957 war denn auch eine Katastrophe, was aber mehr an Ferrari lag als an Collins, der mit Mike Hawthorn einen neuen Team-Kollegen erhalten hatte, mit dem er sich ausgezeichnet verstand.
1958 lief es für Ferrari deutlich besser, Hawthorn wurde ja dann auch Weltmeister. Nach einem Sieg bei den 12 Stunden von Sebring zusammen mit Phil Hill verscherzte Collins es sich zunehmend mit Enzo Ferrari, so richtig sauer war der Patron, als Collins bei den 24 Stunden von Le Mans wahrscheinlich, vielleicht extra die Kupplung verheizte, weil er es hasste, im strömenden Regen in einem offenen Fahrzeug zu fahren – so sahen das zumindest die Italiener. Und man sah ihn schon betrunken in einem englischen Pub, bevor das Rennen zu Ende war. Collins wurde aus der Scuderia geworfen, Hawthorn setzte sich für ihn ein, Collins durfte wieder Rennen fahren, wurde erneut ausgeschlossen. Dann verunglückte sein Intimfeind Musso in Reims, Collins war zurück im Team, gewann im vielleicht besten Rennen seines Lebens den Grossen Preis von England, war wieder der Liebling der Massen, der (englischen) Journalisten und auch von Enzo.
Doch schon zwei Wochen später, beim Grossen Preis von Deutschland, nahm das wilde Leben von Peter John Collins eine letzte, tragische Wende. Er jagte auf dem Nürburgring Tony Brooks auf einem Vanwall, es ging um die Führung, als Collins leicht am Pflanzgarten von der Strecke abkam, sein Ferrari 246 Dino auf einer kleinen Böschung aufprallte, sich mehrmals überschlug, der Engländer aus dem Wagen geschleudert wurde. Er verstarb einen Tag später an seinen schweren Kopfverletzungen in einem Spital in Bonn, gerade einmal 27-jährig.
Wenn man nun ein paar alte Rennberichte liest (die einst nicht sieben Minuten nach der Zieldurchfahrt schon online stehen mussten, in denen oft auch die Fahrer noch mit Kommentaren vertreten sein durften), andere Artikel, in denen Konkurrenten von Collins zu Wort kommen, dann entsteht aber ein etwas anderes Bild des jungen Engländers. Stirling Moss, dessen Stern ziemlich zeitgleich mit jenem von Collins aufging, der oft sein Team-Kollege war, schätzte ihn sehr: «Mike Hawthorn war an guten Tagen der schnellere Fahrer, doch Mike hatte selten einen guten Tag. Peter war immer freundlich, schnell, zuverlässig – er war der Mann, den man im Team haben wollte». Tony Brooks, mit dem sich Collins legendäre Kämpfe lieferte, meinte allerdings, dass Collins oft absolut am Limit und sogar darüber hinaus fuhr – und dass dies auch der Grund für seinen Tod auf den Nürburgring gewesen sein dürfte: «Ich war damals auf den Geraden schneller, Peter kämpfte sich aber in den Kurven wieder heran. Doch am Pflanzgarten war sein Ferrari jeweils absolut am Limit, federte komplett ein, da hätte er sich keinen Fehler erlauben dürfen». Doch auch Brooks schätzte Collins sehr, er sei ein «charming guy» gewesen.
Wahrscheinlich tat Peter Collins die enge Verbindung zu Mike Hawthorn nicht nur gut. Die beiden Engländer, beide nicht auf Rosen gebettet zur Welt gekommen, wollten das Leben geniessen, machten oft Party, waren dem Alkohol alles andere als abgeneigt – und machten sich ein Spiel daraus, ihren Team-Kollegen Luigi Musso zu ärgern. Doch der spätere Weltmeister Hawthorn war oft schlechter Laune, sehr eigenwillig, auch von seinen Konkurrenten nicht nur geschätzt. Die Le-Mans-Novelle von 1958, als Collins den Ferrari mit Kupplungsschaden abstellte, schreibt Stirling Moss mehr Hawthorn als Collins zu: Wenn einer eine Kupplung ruinieren konnte, sagte Moss später, dann definitiv Hawthorn. Dass sowohl Hawthorn wie auch Collins Le Mans und schlechtes Wetter hassten, sei unbedingt ein Punkt gewesen, sie hätten sich wohl abgesprochen, meint Moss. Doch das Problem wurde Collins in die Schuhe geschoben, auch, weil er mehr der Freigeist war, fröhlicher, unbefangener, weniger berechnend.
Es ist dies eine «related»-Story rund um die Sportwagen-Weltmeisterschaft 1953. Mehr schöne Geschichten finden Sie in unserem Archiv.
O-Ton radicalmag: „Die beiden Engländer (Collins, Hawthorn), beide nicht auf Rosen gebettet zur Welt gekommen, wollten das Leben geniessen, machten oft Party, waren dem Alkohol alles andere als abgeneigt.“
Ich erinnere ein Video, in dem Simon Kidston einen Aston Martin (V8) Vantage betankt. Mit den Worten: „Ein Engländer. Die trinken gern“ (sinngemäß). Gefühlte 10 Sekunden später (lächelnd nachgeschoben) „und viel!“