Einst ein Monster
Man sagt den Italienern ja ein besonders feines Händchen nach bei der Gestaltung, mit viel Verstand der Schönheit, der Harmonien, der Gestaltung ganz allgemein. Plaudert man über «schöne» Automobile, so ganz allgemein, dann werden sicher fast nur italienische Produkte genannt, es fallen die ganz grossen Namen, Giugiaro, Michelotti, Scaglione, Spada. Ercole Spada ist in dieser Geschichte nun nicht unwichtig, denn er war der Designer einiger der grössten Würfe von Zagato, Aston Martin DB4 GT, Alfa Romeo TZ und unbedingt auch Alfa Romeo SZ, «Coda Ronda», «Coda Tronca», da wird einem warm ums Herz.
Damit das klar ist: Auf dem Alfa Romeo mit der internen Bezeichnung ES 30 (Experimental Sportscar, 3,0 Litre) steht zwar Zagato drauf, doch mit dem Design hatte das italienische Traditionshaus herzlich wenig zu tun. Als Schöpfer des SZ darf man getrost Robert Opron nennen, der schon die Citroën SM und CX entworfen hatte und ab 1986 für das Centro Stile von Fiat arbeitete. Zagato durfte nur einige Kleinigkeiten beisteuern – und den SZ in den Hallen in Terrazano di Rho dann auch zusammenbauen. Dass man Zagato nicht zutraute, einen Alfa Romeo zu zeichnen, ist irgendwie verständlich, nach dem Abgang von Spada (1969) waren die Mailänder nicht einmal mehr ein Schatten ihrer selbst. Und ein Meisterwerk wie der einstige SZ lag den Italienern Ende der 80er Jahre definitiv fern.
Die Idee hinter dem ES30 kaum auf, nachdem Fiat 1986 Alfa Romeo übernommen und das für die Turiner doch erstaunliche Bedürfnis verspürt hatte, den ehemaligen Staatskonzern und Erzfeind wieder zu altem Ruhm zu führen. Ein zweisitziger Sportwagen, so überlegte man sich, wäre passend – weshalb man dann als Basis die Familienkutsche Alfa Romeo 75 wählte, das ist dann weniger klar. Wobei, der Antrieb war nicht so falsch, der so klassische 3-Liter-V6 mit 210 PS, Transaxle-Bauweise, also 5-Gang-Getriebe hinten.
Die Aussenhaut aus glasfaserverstärktem «Modar», einem speziellen Harz, wurde über ein Stahlskelett aufgebaut; die Rohkarossen kamen vom Zulieferer OPAC. Jeder der rund 1000 SZ wurde dann bei Zagato von Hand zusammengeschustert, was auch den exorbitanten Preis von doch 81’500 Franken erklären dürfte – und gleichzeitig den doch mässigen Erfolg. Das Problem war halt: der Alfa Romeo polarisierte. Entweder man liebte ihn (selten) – oder man empfand ihn als grauenhaft (häufiger). Heute wird das Opron-Design sicher deutlich höher geschätzt als damals, als Alfa Romeo gerne mehr Exemplare verkauft hätte. 1992 lief die Produktion des SZ schon wieder aus, man versuchte es noch mit einer offenen Variante, dem RZ, doch der war noch teurer und verkaufte sich noch schlechter (241 Exemplare bis Ende 1993). Unterdessen ist es selbstverständlich umgekehrt, die Roadster sind sehr gesucht.
Dieser Tage sind wir wieder einmal einen SZ gefahren – und es ist immer wieder eine Freude, den 3-Liter-V6 zu hören. Natürlich wirken 210 PS heute eher lächerlich, doch es reicht eigentlich bestens. Denn fahrdynamisch ist der SZ auch heute noch über fast alle Zweifel erhaben, kurzer Radstand (2,51 Meter), relativ geringes Gewicht (ca. 1300 Kilo) – «il mostro», das Monster, wie der ES30 bald genannt wurde, geht ganz gut vorwärts. Bis 245 km/h, das galt damals noch als grossartig.
So grob wollten wir es nicht treiben, aber auf der Landstrasse kann man fein cruisen mit dem Italiener – oder ihn halt ein bisschen treiben, weil der Alfa-V6 eine solch wunderbare Geräuschkulisse bietet. Das Getriebe muss man jetzt nicht als knackig bezeichnen, die Wege sind recht lang; auch die Lenkung geht recht streng, das Cockpit ist schön dem Fahrer zugeneigt. Die Sitze mögen eine zum Äusseren passende Optik haben, aber sie sind überraschend bequem, bieten guten Seitenhalt. Die Platzverhältnisse sind bestens, hinter den zwei vorderen Sitzen eröffnet sich ein wahrer Schlund, der aber schön mit Teppich ausgekleidet ist.
Der hier gezeigte Alfa Romeo SZ, Jahrgang 1990, etwas über 60’000 Kilometer, wird am 29.12.2023 von der Oldtimer Galerie Toffen in Gstaad versteigert; einen Schätzpreis gibt es noch nicht. Man darf bei diesem Alfa Romeo aber sicher davon ausgehen, dass die Preise nicht mehr sinken werden. Ob sie deswegen «schöner» werden, muss jede/r für sich selber entscheiden; wir mögen ihn heute besser als damals. Und Automobile mit einem unverwechselbaren Charakter haben sowieso einen Platz in der Geschichte verdient, heute mehr denn je.
Mehr «schöne» Automobile haben wir in unserem Archiv.
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