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Tucker 48

Ausgeträumt

Ja, der Tucker 48 hatte auch einen Rückwärtsgang. Der war 1948 natürlich bei allen Autos selbstverständlich, aber Tuckers erster Prototyp, der die Interessenten hinhalten sollte, hatte keinen. Das fiel zwar nicht weiter auf, weil der Prototyp überhaupt und aus vielen Gründen (ständig brechende Radaufhängungen, zum Beispiel, das Auto war hastig zusammengebastelt) nicht fuhr. Der fehlende Rückwärtsgang wurde aber dennoch so hartnäckig publik, dass das Gerücht flügge wurde und als Fussnote des Desasters die Geschichte des Tucker Torpedo begleitete. Die war ebenso schillernd wie kurz, nicht weiter verwunderlich, bei der Person dahinter.

Auftritt Preston Thomas Tucker, 1903 auf einer Pfefferminzfarm bei Capac, Michigan, geboren und früh dem Automobil zugewandt. Und früh war wirklich früh, mit 11 Jahren fuhr er Auto, mit 16 kaufte er Autos, um sie zu reparieren und mit Gewinn weiterzuverkaufen, was besser gelang als die Ausbildung an der Cass Technical High School in Michigan: Schulabbrecher Tucker heuerte als Office Boy bei Cadillac an und revolutionierte seinen Job insofern, als er auf Rollschuhen unterwegs war, um flinker zu sein. Um Polizeiautos und -motorräder fahren zu können, wurde Tucker anschliessend Polizist – nachdem er ein Loch ins Armaturenbrett geschnitten hatte, um mittels Motor-Abwärme den Fahrgastraum zu heizen, war er den Job auch schon wieder los. Lange hielt es Tucker nirgends aus, er arbeitete bei Ford am Fliessband, verkaufte Autos verschiedener Marken, hatte eine Tankstelle gepachtet, und alle paar Monate war der neue Job schon wieder der gewesene.

Etwas dauerhafter war Tuckers Partnerschaft mit Harry Miller, der damals die erfolgreichsten Autos für die 500-Meilen-Rennen in Indianapolis präparierte, die beiden gründeten sogar eine gemeinsame Firma, aber Tucker tüftelte und schraubte auch in der Scheune seines neuen Anwesens in Ypsilanti, Michigan. Seine Mission diesmal, Ende der 30er Jahre, als sich der Krieg in Europa schon abzeichnete: einen sehr schnellen Panzerwagen auf die Räder zu stellen, das holländische Militär hatte bereits geordert. Der sah dann aus wie eine Trutzburg auf Rädern, fuhr tatsächlich 185 km/h, kam aber für Holland zu spät, weil das Land bereits von den Nazis besetzt war. Das US-Militär lehnte mit der originellen Begründung ab, der Panzerwagen wäre zu schnell, aber immerhin der Geschützturm wurde von etlichen Rüstungsbetrieben nachgebaut. Da sie dabei Tuckers Patentrechte verletzten, musste der mühsam um sein Geld prozessieren.

Man merkt spätestens hier, dass Tucker seine Ideen selten schnurstracks ins Ziel brachte. Das hinderte ihn allerdings nicht, seinen üppigsten Traum anzupacken: Das revolutionärste Auto der USA. Werbeslogan: Heute das Auto für morgen. Tuckers Automobil war in den frühen Nachkriegsjahren die radikale Antithese zur banalen Massenware von Ford, Chrysler und General Motors: futuristisch, aerodynamisch und flach, Scheinwerfer auf mitlenkenden Kotflügeln, Lenkrad in der Mitte, Sicherheitsfeatures wie Scheibenbremsen, gepolstertes Armaturenbrett, Sicherheitsgurte, bei Unfällen herausfallende Frontscheibe. Ebenso neu in den USA war der Heckmotor, hier ein Sechszylinder-Alu-Boxer mit 9,7 l Hubraum, hydraulisch betätigten Ventilen und 150 PS bei 1500 U/min. Von der geringen Drehzahl versprach sich Tucker 7,5 l Verbrauch auf 100 km, die Kraft sollte getriebelos über hydraulische Wandler direkt an die Räder finden. Tucker heuerte begabte Ingenieure an, den Motor sollten Mitarbeiter des verstorbenen Harry Miller entwickeln, das Design kam von Alex Tremulis, davor schon bei Cord, Auburn und Duesenberg unsterblich geworden. Tremulis bekam sechs Tage, um das Design zu vollenden, 1947 schaltete Tucker Inserate mit dem Entwurf und postulierte: „So haben 15 Jahre Test das Auto des Jahres geformt.“ Gemeinsam mit einem sensationell niedrigen Preis von 2450 Dollar und dem Charme des Autoverkäufers überredete Tucker potenzielle Interessenten zu Anzahlungen für ein Auto, das lediglich in seiner Fantasie und auf wenigen Skizzen existierte. 50’000 Neugierige und 1800 Händler zahlten 25 Millionen Dollar ein.

Mit Hilfe der Regierung konnte Tucker auch die grösste Fabrikshalle der Welt mieten, 1,92 Quadratkilometer gross. Dann kam er unter Zugzwang, in zwei Monaten sollte ein herzeigbarer Prototyp fertig sein, die Fertigung wurde zur Katastrophe: Ein altes Oldsmobile-Chassis wurde mit Blech beplankt, 300 kg Zinn glätteten die Fugen. Statt des 9,7-l-Boxers (die Gasfüllung in den riesigen Zylindern klappte nicht, ein ausreichend grosser Starter war nicht zur Hand) kam ein Hubschraubermotor ins Heck (Tucker hatte den Hersteller kurzerhand gekauft), die mitlenkenden Kotflügel entfielen, der Fahrer wäre links gesessen, wäre das Auto gefahren.

Die Premierengäste warteten stundenlang, waren dann aber ebenso begeistert wie die Journalisten. Weniger begeistert zeigte sich die Konkurrenz, die Preston Tucker fortan fleissig sabotierte: Die Übergabe der riesigen Fabrikshalle verzögerte sich, Tucker konnte auch zwei Stahllieferanten nicht so schnell kaufen wie erhofft, in einem offenen Brief liess er am 15. Juni 1948 den «Big Three» diffuse Drohungen zukommen. Obendrein begann dann auch noch die Wirtschaftskontrollbehörde SEC, Tuckers Finanzierungsmodell zu zerpflücken, vor weiteren Investitionen in seine Firma wurde gewarnt, damit waren alle revolutionären Ideen endgültig an banalen Barrieren zerschellt: Nach 50 handgefertigten Tucker Torpedo und einem Prototyp war Schluss, zweitausend Arbeiter waren ohne Job. Der Prozess gegen Preston Tucker zog sich von Oktober 1949 bis Jänner 1950, am Ende wurde er in allen 31 Anklagepunkten freigesprochen. Ohne Fabrik und mit gegen ihn prozessierenden Händlern nahm Tucker einen letzten Anlauf, aber der für Brasilien angedachte Sportwagen kam übers Planungsstadium nicht hinaus.

Der an Lungenkrebs erkrankte Preston Tucker starb 1956 an einer Lungenentzündung, sein Leben wurde 1988 von Francis Ford Coppola mit Jeff Bridges in der Hauptrolle verfilmt. Da Coppola und Produzent George Lucas praktizierende Tucker-Torpedo-Fans sind, geriet der Film so überzuckert, wie die Realität nie war. Gut war das Leben nur zu den 51 gefertigten Tucker Torpedo: 48 davon haben überlebt, und wer heute einen sucht, sollte eine siebenstellige Summe bereithalten. (Das Fahrzeug oben ist der Tucker mit der Chassisnummer 1003, wie er 2013 von RM Sotheby’s auf Amelia Island angeboten wurde, Schätzpreis 1,5 bis 1,9 Millionen Dollar, nicht verkauft; das folgende Fahrzeug ist Chassisnummer 1044, ebenfalls von RM Sotheby’s angeboten in Arizona 2017, zugeschlagen für 1’347’500 Dollar.)

Technische Daten:
Motor, Antrieb: 6-Zylinder-Boxermotor (wassergekühlt) im Heck, Benzineinspritzung, hydraulische Ventilsteuerung, ein Drehmomentwandler pro angetriebenem Hinterrad.
Hubraum: 9650 ccm
Leistung: 150 PS/1500/min
Fahrleistungen: 175 km/h,
0–100 km/h ca. 10 sec
Verbrauch: ca. 7,5 l/100 km
Fahrwerk: Einzelradaufhängung an Querlenkern mit Elastomer-Federung. Scheibenbremsen rundum. Reifen 7,00 x 13.
Eckdaten: L/B/H 5350/1920/1340 mm
Gewicht: 1350 kg.

Und ja, selbstverständlich gibt es auch von den Tucker eine schöne Sammlung:

Chassis-Nummer: 1003

Auktionen: RM Sotheby’s, Amelia Island 2013, Schätzpreis 1’500’000 bis 1’900’000 Dollar, nicht verkauft. (Mehr Bilder: oben, im Artikel.)

Chassis-Nummer: 1021

Auktion: Mecum, Kissimmee 2024, Schätzpreis 1’700’000 bis 1’900’000 Dollar, angeboten mit folgendem Text: «Tucker No. 1021 is one of the original 50 Tucker 48s produced by Preston Tucker’s eponymous Tucker Corporation. Factory records show the car being completed on August 29, 1948, and additional factory records show Black as its original color of paint. Black is the rarest Tucker color, making this example one of only four Tucker cars ever produced in that color. Production documents show No. 1021 as having engine No. 33591, which it retains to this day. The car was originally sold from the Tucker Corporation on February 16, 1949 to one of Tucker’s Californian dealers, Charles DeCosta, who loved the Tucker automobile and kept this car until May 1967, when he sold it to another California-based Tucker enthusiast, Gene Clarke, an active member of the Tucker Automobile Club of America. He maintained the car and kept it roadworthy until 2021 when failing health intervened; in 2023, following Mr. Clarke’s passing, No. 1021 was purchased by Mark Lieberman, senior director of the Tucker Automobile Club and noted Tucker historian. An extremely original example, No. 1021 is presented largely in “as found” condition and wears its original color scheme of black paint and beige interior. The car had been repainted only once in preparation for its role in the movie, “Tucker: The Man and His Dream,” starring Jeff Bridges in the title role. It retains original body paint in its door jambs, luggage compartment and engine bay. The original carpeting remains inside the luggage compartment as well. The interior was reupholstered just prior to the movie’s production, although the robe rail, grab straps and sun visors remain original and quite exceptional».

Chassis-Nummer: 1029

Motoren-Nummer: 33596

Karosserie-Nummer: 29

Auktionen: RM Sotheby’s, Arizona 2018, zugeschlagen für 1’792’000 Dollar (wir haben noch ganz viele Bilder…)

Chassis-Nummer: 1036

Auktionen: RM Sotheby’s, Monterey 2014, zugeschlagen für 1’567’500 Dollar (wir haben noch ganz viele Bilder).

Chassis-Nummer: 1040

Motoren-Nummer: 33579

Auktion: RM Sotheby’s, Arizona 2019, Schätzpreis 1’500’000 bis 1’700’000 Dollar.

Chassis-Nummer: 1044

Motoren-Nummer: 33574

Karosserie-Nummer: 1044

Auktionen: RM Sotheby’s, Arizona 2017, zugeschlagen für 1’347’500 Dollar (mehr Bilder oben).

Chassis-Nummer: 1045

Auktionen: RM Sotheby’s, Monterey 2014, zugeschlagen für 1’127’500 Dollar.

Chassis-Nummer: 1046

Motoren-Nummer: 33555

Karosserie-Nummer: 1046

Auktionen: RM Sotheby’s, Monterey 2018, Schätzpreis 1’800’000 bis 2’100’000 Dollar (wir haben noch viel mehr Bilder…).

Chassis-Nummer: 1049

Motoren-Nummer: 33528

Karosserie-Nummer: 1049

Auktionen: RM Sotheby’s, Monaco 2016, zugeschlagen für 1’344’000 Euro (wir haben noch viel mehr Bilder).

Chassis-Nummer: 1052

Auktionen: RM Sotheby’s, Fort Lauderdale 2016, Schätzpreis 950’000 bis 1’250’000 Dollar.

Wir bedanken uns ganz herzlich bei der «auto revue» für den Text. Und andere schöne Amerikaner finden sich in unserem Archiv.

3 Kommentare

  1. Sgt. PEPPer’s Lonely Hearts Club Band Sgt. PEPPer’s Lonely Hearts Club Band

    Lesen tue ich Benzineinspritzung, sehen tue ich aber immer nur einen Vergaser.
    Trotzdem sehr schöner Bericht und ein toller Motor der aufgrund seiner langhubigen Auslegung trotz seines niedrigen Verbrauchs anscheinend genug Abwärme produziert um den Lack auf dem Heckdeckel schrumpfen zu lassen, siehe Bilder des bronzenen Modells.

    „Der von Ben Parsons entworfene Sechszylinder-Boxermotor erwies sich als problematisch, so dass man sich entschied, Serienmodelle mit einem 345-cu.in auszustatten. Franklin-Sechszylindermotor, hergestellt von Air Cooled Motors (den Tucker bald kaufen würde, um die Lieferkosten zu senken) und für den Einsatz in Flugzeugen bestimmt war. Im Auslieferungszustand wurde der Motor von seinem ursprünglichen luftgekühlten Design auf wassergekühlt umgerüstet und seine Leistung wurde auf 166 PS und ein Drehmoment von 372 Pfund angegeben. Tucker verzichtete auf das komplexe Drehmomentwandler-Design und entschied sich stattdessen für konventionellere Cord-Vorwahlgetriebe, und für das endgültige Design wurde eine Fließheck-Limousine (ebenfalls aus der Feder von Tremulis) mit konventionellen Sitzen für sechs Personen gewählt.“

    https://www.hemmings.com/stories/2013/08/01/cars-of-futures-past-1948-tucker-48

  2. Sgt. PEPPer’s Lonely Hearts Club Band Sgt. PEPPer’s Lonely Hearts Club Band

    „Die Entwicklung der Prototyp-Triebwerke erwies sich als problematisch, die Entwicklung wurde schließlich aufgegeben und ein neuer Motor gesucht. Der luftgekühlte Bell 47 Hubschraubermotor wurde von der etwas einfallslos benannten Air Cooled Motors (ursprünglich Franklin Engine Company) entwickelt und hergestellt.

    Der Air Cooled Motors Franklin O-335 Motor war ein Aluminium-Boxermotor mit einer Leistung von 166 PS, einem Hubraum von 334 Kubikzoll (5.470 cm³) und luftgekühlt.

    Die Tucker-Ingenieure trafen die Entscheidung, ihn auf eine Flüssigkeitskühlung umzustellen, was Automobilhistoriker seither vor ein Rätsel stellt, aber es gelang ihnen, und dies war der Motor, der in den etwa 50 Serienfahrzeugen des Tucker 48 verwendet wurde, bevor das Unternehmen seine Türen schloss.“

    https://www.hemmings.com/stories/2013/08/01/cars-of-futures-past-1948-tucker-48

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