Drehmoment
Wie es damals genau lief, wissen wir halt auch nicht. Aber es müssen wilde Zeiten gewesen sein in der Konstruktions- und der Rennabteilung der Scuderia Ferrari, denn am gleich Tag, an dem der Ferrari 625 TF sein erstes Rennen bestritt (29. Juni 1953, Gran Premio dell’Autodromo in Monza, Mike Hawthorn auf #0304TF), wurde auch sein grösserer Bruder, der Ferrari 735 S, erstmals eingesetzt, Alberto Ascari sass am Lenkrad von #0428MD. Und irgendwie war klar, dass Ascari schneller war, er holte die Pole Position, hatte im Rennen dann aber einen Unfall; Hawthorn konnte seinen 625 TF immerhin auf den vierten Gesamtrang bringen.
Die Frage ist aber mehr so: warum? Warum baute Lampredi gleich zwei neue Vierzylinder-Motoren? Klar, Ferrari hatte gute Erfahrungen gemacht mit den «kleinen» Motoren, man hatte 1952 den Weltmeister-Titel in der Formel 1 geholt (und schaffte das Ende 1953 gleich nochmals), man wollte diese Maschinen nun auch bei den Sportwagen einsetzen. Im 625 TF gab es dann anstatt 2 Liter schon 2,5 Liter Hubraum (Bohrung x Hub 94 x 90 mm) – und im 735 S auch noch 2941 cm3 (Bohrung x Hub 102 x 90 mm). Der Zuwachs an reiner Kraft war beim grösseren Motor nicht frappant (225 anstatt 220 PS), doch das Drehmoment war halt klar besser.
Und trotzdem: Durchsetzen konnte sich auch der 735 S nicht. Wie schon vom 625 TF entstanden nur gerade drei Exemplare, der schon erwähnte #0428MD, dazu #0444M und schliesslich noch #0446M (später umnummeriert als #0556MD). Erstaunlicherweise wurde er aber auch 1954 noch gebaut, als Ferrari mit dem 750 Monza längst ein weiteres, gutes Vierzylinder-Eisen im Feuer hatte. Zudem wurden zusätzliche Motoren hergestellt, die dann oft in anderen Modellen landeten, ein Beispiel zeigen wir oben, #0448MD, eigentlich ein 500 Mondial, der aber – wahrscheinlich – 1954 noch vor der Auslieferung an Tony Parravano im Werk einen 735er-Motor erhielt.
Die wildeste Geschichte unter den Ferrari 735 S hat sicher #0428MD. Nach dem Unfall von Ascari erhielt der Ferrari von Scaglietti ein neues Kleid – sein erstes war ein doch eigentümliches von Autodromo (oder gar: Lampredi? Bilder: oben) gewesen. Die Scuderia setzte den Wagen bei mehreren Rennen ein, es gab aber nur technische Probleme und Unfälle. Dann kaufte der Marquis Alfonso de Portago den Ferrari, startete damit bei der Carrera Panamericana 1954 (und kam nicht ins Ziel) sowie bei weiteren grossen Rennen im Dezember 1954 auf den Bahamas (drei Klassensiege, ein Gesamtsieg). Das Fahrzeug ging dann an Sterling Edwards, dem es 1955 auch nicht nur Glück brachte. Dann verliert sich die Spur von #0428MD, erst in den 80er Jahren tauchte der Wagen in seinem Carrera-Panamericana-Kleid wieder auf.
Warum #0446M in #0556MD 1955 umbenannt wurde, das wissen wir nicht; das Fahrzeug kam danach in die Schweiz, war später lange in der Bardinon-Sammlung, dürfte also über so ziemlich alle Zweifel erhaben sein. #0444M (unten) gewann immerhin den GP Supercortemaggiore im Juni 1954 mit Maglioli/Hawthorn. Das Fahrzeuge hatte dann eine lange und erfolgreiche Karriere in Schweden und soll sich heute in England befinden.
Es ist dies eine «related»-Story zur Sportwagen-Weltmeisterschaft 1954. Weitere schöne Geschichten haben wir in unserem Archiv.
Ein toller Bericht. Er wirft bei mir jedoch einmal mehr den sehr fragwürdigen Umgang bei Ferrari mit den Chassis-Nummern auf. Da wird fleissig umgestempelt und die betreffenden Autos doch immer mal wieder als „absolut original“ zertifiziert. Da kommt bei mir ein sehr ungutes Gefühl auf. Ich vermute dass bei genügen Money etwas zuviel möglich gemacht wird. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ein Schelm wer Böses dabei denkt!!!