Der Eigenwillige
Und dann, es muss an einem Sonntag gewesen sein, schuf Marcello Gandini den Lamborghini Miura. Gandini, geboren am 26. August 1938 in Turin, war er also noch keine 28 Jahre alt, als er Anfang 1966 sein erstes und gleich schon ewiges Meisterwerk zeichnete – und war erst kurz vorher zu Bertone gestossen. Selbstverständlich war es nicht sein Werk allein, es gab klare Vorgaben der beiden Lamborghini-Genies Gian Paolo Dallara und Paolo Stanzani, Radstand, Spurweiten, Mindesthöhe, Lage des Motors, doch selbst der alte Kämpfer Nuccio Bertone soll erstaunt gewesen sein, mit welcher Leichtigkeit der junge Mann Proportionen von ewiger Schönheit schaffen konnte. In jenen Jahren eroberten die Mittelmotor-Rennwagen Le Mans, Gandini adaptierte deren Form für die Strasse – und konnte sie gleichzeitig ins Extreme steigern.

Gandini sagte von sich: «Erstens einmal kann ich gar nicht zeichnen. Ich studierte nie Design, ich liebe es ganz einfach, Autos zu entwerfen – und hatte Glück damit. Das macht mich glücklich». Sein Vater Marco Gandini, selber Orchester-Dirigent, hatte eigentlich eine andere Karriere für seinen Sohn im Kopf gehabt, doch sein Sohn hatte schon damals seinen sehr eigenen Willen. Aller Anfang war schwer, 1963 bat er bei Bertone um eine Anstellung, doch der gleichaltrige Giorgetto Giugiaro war dagegen. Erst als Giugiaro zu Ghia wechselte, war der Weg frei für Gandini. Von Vorteil war für den Turiner sicher, dass er nicht bloss schöne Träume hatte, sondern auch etwas von Technik verstand. Es heisst, dass er als 16-jähriger eigentlich ein Latein-Buch hätte kaufen sollen, doch stattdessen eine Schrift von Dante Giacosa, dem genialen Fiat-Konstrukteur, erwarb. «Gandini vereinte in seinen Entwürfen ein tiefes Verständnis der Technik mit der Faszination des Kreativen», beschrieb Silvia Baruffaldi, Chefredakteurin der Turiner Zeitschrift «Auto e Design», den grossen Designer in ihrem Nachruf: «Hinter seiner extremen Reserviertheit, mit der er sich der allgemeinen Suche nach maximaler Medienpräsenz entzog, steckte eine riesige Passion für Autos».

Seine Jahre bei Bertone waren schlicht grossartig. Mit den Konzept-Fahrzeugen Lamborghini Marzal (1967), Alfa Romeo Carabo (1968) und vor allem dem Lancia Stratos Zero (1970) definierte Gandini mit der Keilform eine komplett neue Formensprache im Automobil-Design. Beim Carabo kamen auch erstmals Scheren-Türen zum Einsatz, sowohl Keilform wie auch Scheren-Türen wurden dann beim Lamborghini Countach (1971) erstmals in die Serie übertragen. Als am 11. März 1971 auf dem Genfer Salon morgens um 10 Uhr das Tuch vom Lamborghini Countach LP500 gezogen wurde, da blieb die Welt des Automobils für ein paar Minuten stehen. Wer den gelben Prototypen auf dem Stand von Bertone sah, der wusste: Es würde nichts mehr sein wie vorher. Noch nie hatte die Auto-Welt ein solches Fahrzeug gesehen, dieser erste Entwurf, knallgelb lackiert, war frei von Spoilern, Schwellern und sonstigen Wucherungen. Es war ein Faustschlag gegen die Sehgewohnheiten, absolute Aggressivität, brutale Funktionalität – unendliches Charisma. Und vor allem: die ganz reine Lehre.

Die Verbindung von Gandini und Lamborghini war wohl die fruchtbarste überhaupt, neben dem Miura und dem Countach waren da auch noch der Espada (1968), der Jarama (1970), der Urraco (1971) und, später, der Diablo (1990). Doch auch bei Maserati hinterliess der Turiner mit dem weiterhin unterschätzten Khamsin einen tiefen Eindruck, er schenkte Alfa Romeo den Montreal (Studie 1967, Serie ab 1970), aus seiner Feder stammten die so eigenwilligen Ferrari Dino 308 GT4 (1973) und Fiat X1/9 (1973). Doch er konnte auch ganz brav, der BMW 2500 (1969), der BMW 520 (1972) und der Audi 50 (1975) gingen auf ihn zurück, genau wie der sehr konservative Fiat 132 (1972) und der innovative Mini Innocenti 90/120 (1974).

Ende der 70er Jahre zog sich Marcello Gandini aus dem Tagesgeschäft bei Bertone zurück, kaufte sich eine wunderbare Villa aus dem 17. Jahrhundert weit hinten im Susa-Tal, westlich von Turin. Dort arbeitete er vollkommen allein, er hatte keine Sekretärin und keinen Assistenten. Er brauchte diese Askese, um dem Gegenstand nicht nur eine Form zu geben, sondern auch den Nachweis der Funktion zu erbringen. Das war eine Fähigkeit, die ihn dafür prädestinierte, schon vorhandene Modelle zu modernisieren, zu perfektionieren. Ein erstes Beispiel dafür war der Fiat 131 Rally (1976), mit dem er aus einer braven Familien-Limousine einen Rallye-Weltmeister machte. Noch erfolgreicher war Gandini mit dem Renault Supercinq (1986), von dem 3,5 Millionen Exemplare verkauft werden konnten. Auch das Design des Citroën BX (1983) stammte von Gandini, wenn auch über einen Umweg, zuerst hatte er für Volvo den Tundra (1979) gestalten wollen, erhielt dafür aber eine seiner wenigen Absagen. Besser lief die Zusammenarbeit mit Alejandro de Tomaso, noch so einem eigenwilligen Charakter, für den er den Pantera auffrischte (1990) und die beiden Maserati-Biturbo-Versionen Shamal (1989) sowie Quattroporte IV (1994) schuf. An all diesen Fahrzeugen sieht man die angeschnittenen hinteren Radläufe, die seit dem Countach ein typisches Merkmal vieler Gandini-Entwürfe waren.

Es war aber natürlich nicht alles nur grossartig, was Gandini anfasste. Ende der 80er Jahre geriet er in die Machtspiele zwischen Romano Artioli und Paolo Stanzani um die Konstruktion des Bugatti EB110; Artioli zockte alle ab, vor allem Stanzani, die Rolle von Gandini blieb etwas undurchsichtig. Doch er verkaufte damals seine Entwürfe mehrfach, die Ähnlichkeiten zwischen den ersten Bugatti-Entwürfen, dem Cizeta-Moroder V16T und dem Lamborghini Diablo sind frappant. Das war dem sonst so guten Ruf des Italieners nicht unbedingt zuträglich, er geriet in die Kritik – und zog sich immer mehr in die Abgeschiedenheit des Susa-Tals zurück. In den 90er Jahren entwarf er dann auch dann auch Helikopter – und Nacht-Club-Einrichtungen. Es wurde immer schwieriger, mit Gandini in Kontakt zu treten, seine Tochter übernahm sein Management – und versuchte, seinen Ruhm zu Geld zu machen. Vor zwei Jahren, als der neue Countach vorgestellt wurde, zerstritt sich die Familie Gandini wegen ein paar Euro dann auch noch mit Lamborghini.

Marcello Gandini verstarb am 13. März in Rivoli. Er wird in Erinnerung bleiben als einer der ganz grossen Automobil-Designer – und unter diesen war er wohl der eigenwilligste, wildeste, in seiner Kreativität und seinen Gedanken freiste. Auch wenn vor allem seine Sportwagen-Entwürfe meist sehr aggressiv wirkten, so war er doch mehr der Poet, der grosse Philosoph unter den Designern. Er pflegte guten Kontakt zu seinen Berufskollegen, schätzte deren Qualitäten – und wurde trotz seiner Eigenwilligkeit allseits verehrt. Auch wenn in den vergangenen Jahren nicht mehr viele seiner Entwürfe – Gandini skizzierte bis in seine letzten Lebenstage – umgesetzt wurden, so hat er sich doch auf der Strasse ganz viele Denkmale setzten können. Und alle sind sie sofort als Gandini erkennbar – was man nicht von vielen Designern behaupten kann.
1966 Lamborghini Miura

1966 Jaguar FT
1967 Lamborghini Miura Spider
1967 Jaguar Pirana
1967 Alfa Romeo Montreal

1967 Lamborghini Marzal

1967 Fiat 125 Executive
1967 Panther
1968 Lamborghini Espada
1968 Alfa Romeo Carabo
1969 BMW 2500
1969 Iso Rivolta Lele
1969 BMW 2800 Spicup
1969 Fiat 128 Coupe
1969 Autobianchi Runabout
1970 Lamborghini Jarama

1970 Lancia Stratos Zero
1970 BMW 2002 ti Garmisch
1970 Chrysler France Shake
1971 Lamborghini Urraco

1972 BMW 520
1972 Maserati Khamsin

1972 Lamborghini Countach

1972 Citroen Camargue
1972 Suzuki Go
1973 Fiat X 1 /9
1973 Ferrari Dino 308 GT4
1973 NSU Trapeze
1974 Lancia Stratos

1974 Innocenti Mini 90/120
1974 Fiat 127 Village
1974 Maserati Quattroporte II

1974 Lamborghini Bravo

1975 Volkswagen Polo/Audi 50
1975 X1/9 Dallara
1976 Fiat 131 Rally


1976 Alfa Romeo Navajo
1976 Ferrari Rainbow
1977 Alfa Romeo Alfetta 2000
1977 Jaguar Ascot
1978 Lancia Sibilo

1979 Volvo Tundra

1979 Mazda Cosmo
1983 Citroen BX
1984 Renault Supercinq
1988 Cizeta V16T

1992 Maserati Ghibli
1994 Maserati Quattroporte IV

Mehr spannende Fahrzeuge haben wir in unserem Archiv.
Giugiaro behauptet der Initialentwurf des Miura sei eigentlich von ihm gewesen und Gandini hätte den halt irgendwie „geerbt“. Er meint aber, äusserst diplomatisch, dass es schlussendlich nicht wichtig sei, WER den Miura gezeichnet hätte, sondern DASS er gezeichnet worden sei..,.
Ciao Marcello, sei stato non solo un Designer, anzi un SignorDesigner – uno dei pui grandi e bravi dell tuo mestiere! Vivi avanti dalle creazioni, che hai regalato al mondo!
Giugiaro behauptet auch, der Ghibli wäre sein Werk, der war aber schon ein Jahr vor seiner Ankunft bei Ghia fast fertig und wurde auf dem Turiner Salon gezeigt (er hat es wohl geschafft, alle Bilder davon unter den Teppich zu kehren, im Web findet man zumindest nichts) ….. der Iso Grifo ist eine Abwandlung eines Corvette Prototyps von Tom Tjaarda.
Mir ist gar kein wirklich interessantes Auto von Giugiaro bekannt, der Mann war einfach nie wirklich kreativ. Dafür aber im Selbst-Marketing führend.
Wenn man sich nun einfach mal die Gandini-Entwürfe oben auf der Zunge zergehen lässt, dann weiß man, wer der wahre Meister seines Faches war.
Bravo, Marcello!