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radical #2: Fahrbericht Volvo 142

Achtsamkeit

Und man staunt dann schon, wie gut das vorwärtsgeht. Der B20-Motor von Volvo ist zwar nicht gerade berühmt für seine Drehfreude, 90 PS erscheinen nun auch nicht gerade wild für ein doch 1,2 Tonnen schweres Fahrzeug; geschaltet wird über einen gefühlt etwa einen Meter langen Stock, doch auch das geht gut, da haben wir bei neueren Fahrzeugen schon deutlich hakeligere Getriebe erlebt. Und so geht es dann ziemlich flott über die Landstrasse, die Neigung in den Kurven ist heftig, die Gummis pfeifen – und es ist ein wahrlich fröhlicher Fahrspass in einem Geschwindigkeitsbereich, in dem die Rennleitung noch nicht die Flagge schwingt. Gut, am Berg kommt unser Volvo 142 mit Jahrgang 1971 dann schon etwas ins Keuchen, enge Biegungen sind sein Ding auch nicht unbedingt, doch das Lächeln des Piloten bleibt, er ist Herr der Lage, braucht Kraft an der Lenkung, schaltet halt viel öfter als bei einem modernen Drehmoment-Monster, bremst viel früher, weil es halt schon ganz anders verzögert als bei einem aktuellen Modell. Das ist alles noch sehr analog – wie die Instrumente des Schweden. Und weil es so ist, alles etwas schwergängiger oder gar nicht erst vorhanden (Spurhalteassistent, das ganze Gepiepse, etc.), ist es eine sehr friedvolle Erfahrung von klassischer Fahrfreude.

Man würde es dem Volvo gar nicht so recht zutrauen, doch seine Karriere begann wahrhaft dramatisch. Am 17. August hätte er seine Weltpremiere erleben sollen, ein grosser Anlass, zeitgleich in Göteborg, Olso, Kopenhagen und Helsinki. Doch während zwei Tage vorher unter grösster Geheimhaltung drei Kisten mit je einem Volvo 144 in das Veranstaltungslokal in Göteborg gehievt wurden, erfuhr die schwedische Polizei, dass sich zwei Polizistenmörder in einem Kino nebenan in aller Ruhe einen Film anschauten. Die Umgebung wurde abgeriegelt, das Kino evakuiert – und das Geheimnis des Fahrzeugs, über das die Presse schon seit Jahren spekuliert hatte, gelüftet. Die Journalisten hatten dem neuen Volvo während der langen Jahre seiner Entwicklung sogar einen Kosenamen verpasst, Mazou.

Schon im Juni 1960 hatte die Volvo-Führung unter Gunnar Engellau ein erstes Lastenheft für das Fahrzeug mit dem internen Code P660 verabschiedet. Dass die Entwicklung so lange dauerte, ist insofern etwas erstaunlich, als dass die neue Modellreihe mit dem gleichen Radstand und auch der gleichen Motorisierung auf den Markt kam wie schon der Volvo P120, der Amazon. Die Schweden wollten sich aber dem (damals noch gar nicht bestehenden) Premiumsegment annähern, also legten sie besonders viel Wert auf Qualität und Sicherheit – und bauten sich auch gleich noch zwei neue Werke, eines im schwedischen Torslanda, eines im belgischen Gent. Und neue Typenbezeichnungen gab es auch noch, die 1 für die Modellreihe, die 4 für die Zylinderanzahl – und die letzte Ziffer für die Anzahl der Türen. Damit ist dann auch klar, dass der 142 der Zweitürer ist (ab Frühling 1967), der 144 der Viertürer (ab dem 19. August 1966), der 145 der Kombi (ab Modelljahr 1968); ab 1969 gab es dann auch noch den 145 Express mit erhöhter Dachlinie.

Das unverwechselbare Design stammte, wie könnte es bei Volvo anders sein, von Jan Wilsgaard. Und es war im Vergleich zum Amazon ein Quantensprung, was vorher rund war, wurde kantig, was vor Barock war, wurde Bauhaus. In den 60er Jahren war auch im automobilen Design die Erkenntnis gereift, dass die Form der Funktion folgen sollte. Wohl nie vorher war ein Wagen derart eindeutig nach dem 3-Box-System gestaltet gewesen, man hatte fast das Gefühl, dass sich das Heck und die Front austauschen liessen. Wilsgaard verpasste dem P660 eine so klare Linie, dass diese bis heute zu den Design-Merkmalen von Volvo gehört; neu (oder zumindest: anders) war die für die damalige Zeit sehr üppige Verglasung. Und ein Innenraum, dessen Raumangebot jenem des P120 trotz des gleichen Radstandes deutlich überlegen war. Besonders kreativ oder gar «Schöner Wohnen» verpflichtet bei der Interieur-Deko zeigten sich die kühlen Schweden allerdings nicht. Dass das Armaturenbrett mit Kunststoff gepolstert war, diente nicht dem Aussehen, sondern war den Sicherheitsbestrebungen geschuldet.

Überhaupt: «safety first». Karosse und Plattform des Volvo 140 waren für die damalige Zeit aussergewöhnlich verwindungssteif, die Fahrgastzelle verfügte erstmals über berechnete Knautschzonen sowie einen integrierten Überschlagskäfig. Die Lenksäule hatte eine neuartige Sollbruchstelle, die Türschlösser war unfallsicher und die Dreipunktgurten waren auch hinten serienmässig (später sogar: Kopfstützen auch hinten). Auch ganz neu waren das Zweikreis-Bremssystem für die Scheibenbremsen (vorne und hinten) sowie zwei Reduzierventile, die das Blockieren der hinteren Räder bei einer Vollbremsung verhinderten. Wobei, viel zu bremsen gab es ja anfangs nicht. Die Volvo 140 erhielten zuerst die B18-Motoren aus dem P120, 75 PS in der Standard-Version, 100 PS mit dem Doppelvergaser. Ab Modelljahr 1969 kamen dann die neuen B20-Maschinen zum Einsatz, die Leistung stieg in der Basis auf 82 PS, die schärfsten Geräte waren die 1971 vorgestellten 142 GT, die es mit Benzineinspritzung auf beachtliche 124 PS brachten. Und dann war ja da auch noch der 164 mit seinem B30-Reihensechszylinder mit 3 Liter Hubraum und 145 PS. Aber das ist eine andere Geschichte, er hatte ja auch einen längeren Radstand. Spannend wäre in diesem Zusammenhang noch das Thema mit dem Werkstuning, Volvo vertrieb unter dem Label «R-Sport» einige ganz interessante Kits, das schärfste trug die Bezeichnung «Stage IV» und brachte die Leistung auch über eine Hubraumerhöhung auf 2,2 Liter auf doch 190 PS bei 6500/min und 229 Nm maximales Drehmoment bei 4700/min.

1974 wurde der 140 vom 240 abgelöst, der aber eigentlich das Gleiche in Grün war. Von der Modellreihe 140 wurden in acht Jahren stolze 1’251’371 Exemplare verkauft, er war damit selbstverständlich der bis dahin meistgebaute Volvo. Und er trug viel zum guten Ruf der Marke bei, auch international – in Deutschland, zum Beispiel, wurden 1973 sechs Mal so viele Volvo verkauft wie noch 1967. Heute sieht man sie allerdings selten, viele mussten ihren Antrieb für die deutlich begehrteren P120 hergeben, dazu frass noch der Rost – an den belgischen Fahrzeugen deutlich mehr als an den schwedischen. Unser Proband, ein «de Luxe» aus dem Jahr 1971, hat dieses Problem nicht, er wirkt sehr sauber und überhaupt nicht so, als ob er über 50 Jahre alt ist. Zur Verfügung gestellt wurde uns das Fahrzeug von der Oldtimer Galerie in Toffen.

Dann noch dies: Gesamtenergiebilanz. Das ist ein wichtiges Thema für Volvo. Man versucht das im Griff zu haben bis weit hinunter in die Zuliefererkette, was nicht ganz so einfach ist. Doch die Schweden sind sich da der allfälligen Probleme viel bewusster als die anderen Hersteller, sie wollen alles ganz genau wissen. Da, wo andere bewusst wegschauen, schauen sie ganz genau hin. Aber das hat Tradition in Schweden: Ein Volvo war nie einfach nur ein Gebrauchsartikel – er soll gefälligst für alle Ewigkeit gebaut sein. Denn früher, da konnte man sich vielleicht alle 15, 20 Jahre ein neues Automobil leisten. Und mit dem Gebrauchten sollten dann die Enkel auch noch ihre Erfahrungen machen können.

Auch wenn das die Hersteller heute natürlich nicht gerne lesen, denn man lebt ja von den Neuwagenverkäufen, doch jedes einzelne nicht neu gebaute Auto ist ein wichtiger Beitrag zur Schonung der Ressourcen. Wer also seinen alten Volvo hegt und pflegt und bewahrt, der trägt seinen Teil zur Nachhaltigkeit bei. Und weil die früheren Volvo ja stabil sind, auch im Alter viel weniger Probleme machen als Fahrzeuge anderer Hersteller, einfach zu reparieren und über Jahrzehnte sehr, sehr cool bleiben, ist gerade bei solchen Fahrzeugen Achtsamkeit geboten. Und am Schluss nützt es dem Hersteller, in diesem Fall Volvo, ja auch wieder: Jeder Klassiker auf der Strasse ist ein Imagegewinn. Die potenzielle Neukundin kann das Gefühl haben, dass sie da ein Auto kauft, das die nächsten paar Jahrzehnte überdauern wird.

Ganz abgesehen davon: So ein Vintagemodell hat einfach Stil. Mann wie Frau ist mit einem klassischen Volvo jederzeit gut angezogen. Understatement der gehobenen Klasse.

Mehr Volvo finden Sie in unserem Archiv. Es ist dies eine Story aus unserer Volvo-Beilage unserer Print-Ausgabe radical #2. Deren Inhaltsverzeichnis finden Sie hier.

12 Kommentare

  1. Patrick Chollet Patrick Chollet

    Das Zweikreisbremssystem war nicht strikt vorne/hinten aufgeteilt, sondern jeweils beide Räder vorne, eins hinten, das wurde scheinbar auch gerne als Volvo-Aufteilung genannt. Der parallel weiterhin gebaute P120 wurde in den letzten Jahren offensichtlich auch damit ausgerüstet – mein 1969er war jedenfalls damit ausgestattet.

    https://www.at-rs.de/Zweikreis-Bremssystem.html

  2. „Ganz abgesehen davon: So ein Vintagemodell hat einfach Stil. Mann wie Frau ist mit einem klassischen Volvo jederzeit gut angezogen. Understatement der gehobenen Klasse.“

    Auf einen klassischen Volvo trifft das in der Tat zu, auf einen klassischen Porsche, Saab, Jaguar oder Rover ebenfalls.
    Aber die Unterschiede zu anderen Fahrzeugen der originalen Entstehungszeit bestehen auch nach Jahrzehnten weiter, ein 5er-BMW oder Mercedes W123 der siebziger Jahre hatte damals nicht den Stil des Volvos und fällt auch heute neben solch einem Volvo 140 oder 240 schon sehr ab, die Zeitlosigkeit und der nordisch-klare Stil des Volvos haben bis heute Bestand, während die bräsige Schwäbischkeit des Mercedes schon damals furchtbar war und auch durch den Puderzucker der Vergangenheit nicht besser wurde.

  3. loic dymande loic dymande

    Der Volvo 142 ist ein Auto das in 300-500 Jahren rechnet!

    Das ist der Zeitraum, in dem der rennt.
    In Stockholm ( Studentenzeit) einen Werksmeister gefragt, der meinen
    schon angekratzten “ älggulasch“ ( Volvo Tundra Övre Norrland Braun beige..
    Der Lack war so dick , dass an der ein Mercedes 190er locker zerschellt wäre)
    warum also der so simpel ist.
    ER in schweigsamen Schwedisch: “ Junge… (( Rauchpause)– es hat hier in Boden
    gerade mal Minus 25. Was meinst warum simpel?“
    Und der 142 hat mich durch ewige Polarnächte gejagt. Das waren die üblichen 130
    auf Eis und Schnee.. Stundenlang. Runter nach Stockholm.

    Ewig. Und lustig, meiner ist immer noch unterwegs. Jetzt 58 Jahre alt.
    Agrartransporter!
    Da kann sich ein hirntoter Täsle net einmal mehr erinnern, warum er schon längst 6 mal zum Scheisshausdeckel recycelt wurde. ( ich verliere meine Ruhe, weil es geht um unsere Demokratie. Al capone scheint derzeit der Weg zu sein, oder Pjutin. Und die Braindead applaudieren dazu.

    Jetzt ist gut, wir rauchen eine oder zwei und stehen da durch. ( Spitting Image. 1985
    NUke ore Nurse, Ronald Reagan, Genesis, Video)

    • Ich habe leider nie einen Volvo besessen, bin mir auch nicht sicher, ob das nochmal etwas wird, es sei denn, daß ich einen 245 Turbo Kombi in Dunkelgrün mit unter 100,000 km finde…
      Aber ich habe sie immer sehr gemocht, Designerautos ohne das aufgeregt darstellen zu müssen, die bürgerliche Alternative zum Saab, Citroen oder Jaguar.

      Die Verbindung Tesla, Autokratie, Al Capone und Putin erscheint mir jetzt nicht zwangsläufig, aber grundsätzlich gebe ich Ihnen natürlich Recht, ich bin mir zwar nicht sicher ob wir und insbesondere meine Amerikanischen Freunde das durchstehen, aber erstmal ein, zwei Cigaretten zu rauchen und einen Gin and Tonic zu trinken, das ist grundsätzlich ein guter Ansatz. Herr Ruch, rauchen und trinken Sie mit?

      P.S.: Statt Genesis lieber Tanita Tikaram, Men at Work oder Michael Nyman, bitte!

  4. Rolf Rolf

    Sehr geehrte mitlesende ältere Herren,

    vielleicht spielt bei unserer Verklärung der alten automobilen Recken doch ein bisschen Wehmut über unsere verlorene Jugend mit (?)

    Ich meine jetzt so die Zeit als unsere Libido noch verrückt spielte, uns zuverlässig bereits die Morgenlatte plagte und Sport vorwiegend als Alibi für den nachfolgenden Sauna-Besuch diente. Obwohl man nicht viel sah, vorwiegend Buschwerk.
    Nicht mal Videotheken konnten helfen, die kamen erst in der 1980ern und wer wollte sich schon für Pornos registrieren lassen?

    Ein Freund fuhr den 142 mit dem Plastikgrill und den noch kleinen Stoßstangen.
    Eigentlich war der Mist. Megaungenaue Lenkung, Seitenneigung wie ein Segelschiff.
    Und eigentlich ist er in Wahrheit ziemlich hässlich. So hätte damals ein 6-jähriger ein Auto gezeichnet. Heute wohl eher einen SUV.

    Ältere Herren klopfen gern an einen Ponton-Benz und sagen „ja, das war noch Qualität damals“. Deshalb sind die Straßen ja auch voll von denen ……

    Nein, Deutschland hatte im Winter einen höheren Salzgehalt als das Tote Meer.
    Auto begannen oft schon nach drei, spätestens nach fünf Jahren zu rosten. Auch Volvos. In jeder Kleinanzeige zum Autoverkauf war der Rost-Zustand angesprochen.
    Nach acht Jahren war ein Auto alt und nervte mit permanentem Kampf gegen den rostigen Gegner. Daher wohl auch die Weisheit, dass der Motor die Karosserie überlebt.

    Heute kann man locker ein 25 Jahre altes Auto fahren, das außen neuwertig wirkt.
    Mit dem vollverzinkten Audi 80 wurde der Kampf gegen den Rost gewonnen, heute sind die Methoden ja noch viel besser.

    Also, seien wir ehrlich, die ollen Autos sind oft schön, meist etwas fürs Herz, aber so richtig besser als die heutigen sind sie nicht.

    • „Sehr geehrte mitlesende ältere Herren,
      vielleicht spielt bei unserer Verklärung der alten automobilen Recken doch ein bisschen Wehmut über unsere verlorene Jugend mit (?)“

      Lieber, vermutlich gleichaltriger Kommentator, natürlich haben Sie Recht, es hat viel mit der Erinnerung und besonders mit den unerfüllten Wünschen der jüngeren Jahre zu tun, wenn man alte Autos, womöglich sogar aus seiner Jugendzeit, fährt oder wenigstens davon träumt.

      Mit der Libido hat es bei mir allerdings weniger zu tun…
      Eher mit dem Wunsch nach einer Vergangenheit, die – nicht nur in der Rückschau – eine schönere, optimistischere, elegantere Zeit war, eine Zeit, in der die Häuser leicht, gläsern und modern waren, in der Turnschuhe vorwiegend für Leibesübungen genutzt wurden, in der Herren in der entsprechenden Umgebung ein Jackett trugen und den Damen die Tür öffneten, in der man in der Oper einen dunklen Anzug trug und trotzdem Luigi Nono hörte, in der Eleganz, eine gewisse Noblesse und ein bürgerlicher Habitus kein Gegensatz zu Intellektualität, neuem Denken und dem Wunsch nach einer demokratischen, sozialen und offenen Gesellschaft waren.

      Nach den finsteren Jahren von ’33 bis ’45 war plötzlich ein Optimismus, eine Lust an der Zukunft, der Wunsch nach einer besseren, gerechteren Welt vorherrschend, in den sechziger Jahren wurde selbst daß etwas muffige, in manchen Kreisen der Gesellschaft immer noch den Nazis nachtrauernde Deutschland plötzlich ein offeneres, internationaleres Land, gesellschaftliche Umbrüche und der Wunsch, eine bessere Zukunft zu schaffen, spiegelten sich in der Architektur, in der Graphik, im Design nicht nur der Autos ebenso wieder wie in der Mode, die Emanzipation der Frau und die Befreiung von Urängsten auch durch die Anti-Baby-Pille, waren Zeichen einer Zeitenwende, meine Mutter fuhr ihr Peugeot Cabriolet meistens barfuß, trug schmale Hosen und hatte immer einen Knopf der Bluse weiter offen, als es in der Hanseatischen Gesellschaft angebracht war, sie hatte während der Nazizeit die schwarzen Aschewolken selber sehen müssen und genoß jetzt das geschenkte Leben in vollen Zügen, das streng moderne Haus war mit Bauhausmöbeln eingerichtet, aus der neuen Welt kamen Dave Brubeck, Mark Rothko, J. D. Salinger und die Blue-Jeans und veränderten nicht nur die Ästhetik, sondern auch das Denken.

      Und dieser Zeit, die ich als kleiner Junge und dann, in den siebziger Jahren, als Teenager, erleben durfte, der trauere ich nach, eben diesem Optimismus, dieser Ästhetik, dieser Neugierde, dieser Lust an allem Neuen.

      Und so ist mein Mini Cooper natürlich Ausdruck des Wunsches, Teil des Londons der Swinging Sixties oder wenigstens des Hamburgs dieser Zeit gewesen zu sein und wenn ich damit zum Abendessen in die Stadt fahre, fühle ich mich immer ein bißchen wie Lord Snowdon, der begnadete Photograph, der in seinem dunkelgrünen Cooper durch Chelsea fährt, wenn ich in meinem Käfer Cabrio von Kampen nach Keitum fahre, dann ist das schon eine Erinnerung an Gunther Sachs, der mit solch einem Fahrzeug beim Gogärtchen vorfuhr, in weißen Jeans und mit ein paar im Hamburg der siebziger Jahre unverkäuflichen Warhol-Originalen auf der Rückbank.

      Und im silbergrauen Jaguar habe ich im Handschuhfach gerne die Erstausgabe von Max Frischs Montauk liegen, war doch der Jaguar das einzige Luxusauto, was man als Intellektueller wirklich fahren konnte, ich nehme es Volker Schlöndorff durchaus übel, daß er mir Frischs restaurierungsbedürftigen Jaguar nicht verkauft hat…

      Und so träume ich mich denn beim Betrachten der überirdischen Eleganz eines originalen Jaguar XJ zurück in diese Zeit und diese Welt, die ich als Kind noch miterleben durfte, die aber versunken ist in einer sich zunehmend profanisierenden und radikalisierenden Gesellschaft voller Tunnelzughosen, Gipsfußsneakers, Riesenchronographen, AfD-Wählern, biedermeierlichen Wohn- und Geschäftshäusern im Stil eines Cartoon-Neoklassizismus, einer verschwindenden urbanen Öffentlichkeit, einer ästhetischen Gleichgültigkeit, eines seltsamen Wiederauferstehens von Prüderie und spießiger Political Correctness.

      Und, ja, die modernen Autos sind viel besser als die alten, empfindlichen, rostgeplagten Fahrzeuge.
      Aber sie berühren mich nur noch in seltenen Ausnahmefällen.

      • Rolf Rolf

        Das mit der Libido war ein Scherz, Sie haben das alles wunderbar beschrieben.
        Man könnte Seiten füllen mit dem was verloren ist und dem was ist, geschweige denn dem was kommt.
        Der Stil ging verloren, der Respekt, die Zuverlässigkeit, die Kompetenz, die Zuversicht, die Freude an den kleinen Dingen, die Höflichkeit, die Zufriedenheit …. ach, ich könnte ewig weiterschreiben.
        Gekommen sind all die Dinge, die alle zusammen bestens ein Mann vertritt: Donald Trump.
        Und ja, als ich meine Frau im Jahr 2000 kennenlernte fuhr sie einen 1996er Mexico-Käfer mit Riesenfaltdach und der Geruch war wieder da, das helle Klatschen der Tür und spätestens beim Starten des Motors war man wieder 18.
        Und ebenfalls ja, vermutlich sind wir altersmäßig nah beieinander.

        • Rolf Rolf

          „……..in der Herren in der entsprechenden Umgebung ein Jackett trugen und den Damen die Tür öffneten, in der man in der Oper einen dunklen Anzug trug ….“

          Da muss ich jetzt noch etwas nachsetzen.
          Als ich vor dem Jahr 2000 noch in München wohnte gingen wir gern immer mal ins Gasteig. Ich trug einen dunkelblauen oder dunkelgrauen Anzug mit Krawatte und war immer ein wenig underdressed zwischen den Smokings, Dinnerjackets und den Damen in den Abendkleidern.
          Später in Hamburg wollten wir natürlich in die Elbphilharmonie. Was anziehen?
          Die Zeiten haben sich ja (leider) geändert und so beschloss ich eine dunkelblaue Jeans, nicht verwaschen und ohne Löcher sowie ein hellblaues Button-down-Hemd ohne Krawatte, ein schlichtes dunkelblaues Super 140 Sakko und schwarze glatte Alden zu tragen. Dazu einen Oldtimer, eine kleine goldene Uhr aus 1958.
          Ich hatte das ungute Gefühl, zu schlecht angezogen zu sein.
          Nun, war ich nicht. Ich hatte das Gefühl zwischen Touristen auf dem Marktplatz von Bardolino zu stehen. Kurze bunte Hosen, irgendwelche Lappen oben und Schlappen.
          Es war zwar warm an dem Tag, aber das hatte ich nun nicht erwartet ……..

          • Lieber Rolf – ich wähle hier mal das „Hamburgische Du“, so wie in der Redaktion der Zeit… – als ich meine Frau 1997 kennenlernte, fuhr ich besagten México-Käfer, in Selvasgrün und aus dem Jahr 1985, sie für einen bildschönen, schwarzen Lancia Y10, den Käfer fahre ich bis heute, auch, um mir einen Hauch des Zaubers der Jugend zu erhalten.

            Und leider muß ich Ihnen Recht geben, es hat sich viel geändert, auch in meiner Heimatstadt Hamburg, allerdings, als Hanseat geht man eher nicht in die Elbphilharmonie, schließlich gibt es die Musikhalle und die Staatsoper, in die Hafencity gehen mehr so die Leute aus dem Umland und die Touristen…
            In Berlin haben wir ein Abonnement für die Philharmonie, ich lasse mich einfach nicht davon abbringen, im dunklen Anzug mit Krawatte ins Konzert zu gehen, allerdings bin ich in der Regel einer von Dreien.

            Meine Welt wird immer kleiner, das schlimme daran ist allerdings die Tatsache,, daß die andere, neue Welt nicht viel bietet, was mir besser erscheint.
            Daß sich die Welt verändert, das ist normal und auch gut so, allerdings verändert sich, wie in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren, nicht zum Besseren, sie macht erschreckende Rückschritte.

            Und das ist deprimierend, da sind Krawatte und stilvolle Autos nur eine Randerscheinung.

  5. Rolf Rolf

    „….allerdings, als Hanseat geht man eher nicht in die Elbphilharmonie, schließlich gibt es die Musikhalle und die Staatsoper ……“

    Lieber Hugo,

    ja, ich weiß.
    Meine Frau ist eine echte Hamburgerin und hat mich anfangs in beinahe jedes Theater und jede Konzerthalle geschleppt (na ja, ich bin schon freiwillig mitgegangen ….).
    Sie wollte unbedingt einmal in die Elphi und bekommt bei deren Anblick feuchte Augen, weil es auch ein Wahrzeichen ihres Hamburgs ist.

    • hugoservatius hugoservatius

      Lieber Rolf, jetzt schweifen wir ab, ich hoffe, daß Herr Ruch uns das nachsieht, aber als Architekt und Hamburger komme ich nicht umhin…

      Ja, die Elbphilharmonie ist tatsächlich ein Wahrzeichen der Stadt geworden, als „Landmark“ finde ich sie auch sehr gut, vor allem, wenn man sich der Hafencity von Elbabwärts auf dem Wasser nähert.
      Die Architektur ist mir zu modisch und wir werden in zwanzig Jahren sagen: „Oh, schau mal, diese Nullerjahrearchitektur hat auch ihre beste Zeit hinter sich!“

      Aber das eigentliche Problem ist für mich die aus meiner Sicht unzulässige Vermengung öffentlicher und privater Nutzung, rund um den öffentlichen Konzertsaal sind private Wohnungen und ein Hotel gruppiert, eine Konzerthalle sollte bitteschön als der Gemeinschaft gehörendes Gebäude völlig frei von kommerziellen und privaten Interessen und Nutzungen sein.

      Aber richtig schlimm ist die Tatsache, daß bei der Elbphilharmonie in Extenso das eingetreten ist, was bei so vielen kulturellen Veranstaltungen inzwischen Usus ist:
      Kultur als Event, es geht nicht mehr um Inhalte, will sagen: Das Konzert, den Dirigenten, die Musik, es geht nur noch um das Event in der Eventlocation und das es möglichst instagrammable ist.

      Herzliche Grüße in meine Heimatstadt!

  6. Christian Christian

    Entschuldigung – das was ich jetzt schreibe ist vom Volvo etwas weg.

    Solche Bauwerke wie die Elphi müssen auch unterhalten werden, wenn sie „in die Jahre kommen“. Und das geht scheinbar zur Zeit nur, wenn auch andere Dinge dort geboten werden als Kultur.
    Wir hier in München bzw. die Stadt München hat ja mit dem Olympiagelände und deren Bauten, seit der Fußball „ausgezogen“ ist, ebenfalls das Problem der Unterhaltskosten – und da gibt es heute auch Sachen, die mit Sport aber gar nix zu tun haben, aber Einnahmen generieren…Bis hin, dass im Stadion die DTM wie Gocarts „deppert im Kreis herumfährt“. Jetzt habe ich den Kreis zum Auto doch noch geschlossen!

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