Die sanfte Revolution
Es ist so ein bisschen ein Rätsel, warum noch niemand auf die Idee kam, eine Netflix-Serie über Piero Dusio umzusetzen (sollte jemand das wollen, ich schreibe gerne das Drehbuch). Wohl nur noch bei Giotto Bizzarrini kam so viel Automobil-Geschichte zusammen wie bei Dusio, mehr noch, Weltgeschichte. Geboren am 13. Oktober 1899 in Scurzolengo in der Nähe von Asti, war Dusio ein begabter Fussballer, spielte wohl auch drei Mal in der ersten Mannschaft von Juventus Turin. Nach einer Knieverletzung setzte er auf eine Karriere im Textil-Geschäft, gründete 1926 eine eigene Firma, produzierte auch Fahrräder (Beltrame) und Tennisschläger, bewegte sich bald in den höchsten Kreisen. Dort lernte Dusio auch Benito Mussolini kennen – und erhielt 1932 den Auftrag, für die italienische Armee Uniformen zu produzieren. Das machte ihn reich, er kaufte sich ein paar Maserati, wurde 1934 bei der Mille Miglia Siebter, holte 1935 dort gar den Klassensieg auf einem Siata-Fiat 500, wurde 1938 bei diesem Rennen Dritter auf einem Alfa Romeo 8C 2300. Dann kam der Krieg, man weiss nicht so genau, was Dusio in jenen Jahren tat.



Dann wird es spannend. Schon 1944 gründete Piero Dusio die Firma Consorzio Industriale Sportive Italiana, also Cisitalia, beauftragte den genialen Fiat-Ingenieur Dante Giacosa, einen Rennwagen zu konstruieren, der für Privatfahrer erschwinglich war. Giacosa, weiterhin bei Fiat angestellt, erhielt in der Villa des Industriellen am Corso Gallileo Ferrari drei Zimmer im obersten Stock, entwarf einen Monoposto mit Gitterrohrrahmen, in den ein 1,1-Liter-Fiat-Motor eingebaut wurde (Projekt 201). Als der Krieg zu Ende war und Giacosa zu Fiat zurück musste, engagierte Dusio Giovanni Savonuzzi als Chefingenieur und Piero Taruffi als Testfahrer. Im September 1946 fand das erste Nachkriegsrennen in Italien statt, die Coppa Brezzi, sieben der Cisitalia D46 standen am Start, Dusio lud einige der bekanntesten Fahrer der Vorkriegszeit ein, für ihn zu fahren, Nuvolari, Biondetti, Cortese, Sommer, Chiron. Dusio fuhr auch – und gewann. So nebenbei war er in jenen Jahren auch noch Präsident des Fussballclubs Juventus Turin; sein Nachfolger war Giovanni Agnelli.











Und dann ist da noch dieses etwas eigenartige Zwischenspiel mit Porsche. Es heisst, dass Dusio die Kaution für den in französischer Kriegsgefangenschaft inhaftierten Ferdinand Porsche gestellt hatte, seine Freilassung organisierte. Ob nun Ferry Porsche und sein Team zum Dank dafür oder im Auftrag von Dusio mit der Konstruktion des Cisitalia Tipo 360, einen Formel-1-Monoposto mit Mittelmotor und zuschaltbarem Allradantrieb, begannen, ist nicht ganz klar. Weil ihn das Projekt viel Zeit und Geld kostete, gab Dusio die Leitung von Cisitalia faktisch an Carlo Abarth ab. Der ihm – wahrscheinlich – den Kontakt zu Porsche gemacht hatte. Womit dann auch dieser Kreis wieder geschlossen wäre.






Auf Basis des D46 hatten Giacosa und Savonuzzi auch noch ein Strassenfahrzeug entwickelt, den Cisitalia 202. Auch diese Fahrzeuge verfügten über den Gitterrohrrahmen und wurden vom 1,1-Liter-Fiat-Motor angetrieben, der aber einen Cisitalia-Zylinderkopf erhielt und so auf zwischen 50 und 65 PS kam. Doch nicht das machte den kleinen Cisitalia berühmt, sondern ein Entwurf von Pininfarina (damals noch: Pinin Farina) aus dem Jahr 1947, der dem kleinen 202 eine erste Ponton-Karosserie mit auf den Weg gab, die bahnbrechend war, komplett anders als alle damaligen Fahrzeuge. Der Alu-Aufbau war aus einem Guss, die Linien fliessend, harmonisch, schlicht – eine Revolution. Wobei man das ein wenig relativieren muss, denn einen ersten Entwurf eines Coupé hatte schon Giacosa gemacht, Savonuzzi liess dann einen ersten verfeinerten Entwurf bei Rocco Motto bauen (dieser 202 ist als «Cassone» bekannt, wurde bei der Mille Miglia 1947 Dritter), danach wandten sich Dusio und Savonuzzi an Giovanni Farina (Stabilimenti Farina), wo Alfredo Vignale sich um die Formgebung von zwei Prototypen kümmerte. Die schon sehr stark wie jenes Fahrzeug aussahen, das Battista «Pinin» Farina schliesslich hervorbrachte, als letzte Verfeinerung mit einer niedrigeren Motorhaube und einem deutlich eleganteren Heck.







Wahrscheinlich wurden 170 dieser Cisitalia 202 gebaut, die meisten als Coupé, ein paar wenige Cabriolets gab es auch. Das Fahrzeug, das wir hier zeigen, #165SC, wird Vignale zugeschrieben, auch wenn es dem Pininfarina-Entwurf sehr ähnlich sieht; auch die von Stabilimenti Farina ausgeführten Aufbauten sehen so aus, anscheinend wurden die Schablonen einfach zwischen den beiden Werkstätten hin und her geschoben. #165SC wird von RM Sotheby’s im Februar 2025 in Paris versteigert, das Fahrzeug hat eine lange Geschichte in Argentinien hinter sich – was uns wieder zu Piero Dusio zurückbringt. Der hatte sich insbesondere mit dem Tipo 360 finanziell übernommen (und so nebenbei auch Piero Taruffi massiv über den Tisch gezogen), fand aber 1948 im argentinischen Diktator Juan Peron einen neuen Gönner. Dusio sollte im südmaerikanischen Land eine Automobil-Produktion aufbauen, was ihm aber ziemlich krachend misslang. Dusio verstarb 1975 in Buenos Aires.





Selbstverständlich wollen wir noch mehr dieser Cisitalia 202 zeigen, ein Pininfarina-Exemplar ist ein Muss, dies ist #038, steht bei Heritage Cars B.V. zum Verkauf (Dezember 2024).


























Wir gehen dann noch aus anderer Sicht auf die Cisitalia ein. Mehr schöne Fahrzeuge haben wir in unserem Archiv.
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