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Audi Quattro mit Stig Blomqvist

Mit den Füssen lenken

Es ist mehr so ein Geräusch als ein Wort. Bei einem Schweden bedeutet dieses [Jaa] – es kann auch [Jåå] sein, je nach Dialekt – sicher Zustimmung, aber auch, dass er noch etwas Zeit braucht, um darüber nachzudenken. Im positiven Sinne. Wenn man also Stig Blomqvist fragt, ob ihm die Fahrt auf den Berg, einer Sonderprüfung der San Remo, Spass gemacht hat und er mit diesem [Jaa] antwortet, dann braucht man einfach etwas Geduld, er wird dann vielleicht noch ausführlicher antworten. Oder auch nicht.

76 ist Stig Lennart Blomqvist seit zwei Tagen (geboren wurde er am 29. Juli 1946). Er könnte auch Finne sein, er spricht nicht viel. Von Beruf ist er tatsächlich Fahrlehrer, er war 1984 Rallye-Weltmeister, trat bei 122 WM-Läufen an, gewann derer elf, acht davon auf einem Audi Quattro. Die drei anderen mit Saab. Und das ist auch die Erklärung für seinen ganz besonderen Fahrstil: Blomqvist gilt als Meister des Linksbremsens. Abgeschaut hat er sich das bei Timo Mäkinen, im Audi Quattro hat er es dann perfektioniert.

Das geht so: In der Kurve bleibt Blomqvist mit dem rechten Fuss auf dem Gaspedal, bremst mit links. Dadurch blockieren die hinteren Räder und die Hinterachse bricht aus, die vorderen Räder ziehen den Wagen durch die Kurve. Damit wird das bei frontgetriebenen Fahrzeugen – Saab… – übliche und von Rallye-Piloten gehasste Untersteuern vermieden, also das Schieben der vorderen Räder in Richtung Kurvenausgang (oder Wand). Mit dem Linksbremsen wird genau das Gegenteil erzeugt, also ein erzwungenes Übersteuern. Der rechte Fuss auf dem «lauten Pedal» – wie die Profis das Gaspedal gerne bezeichnen – hatte aber beim Audi noch einen weiteren Vorteil. Der Quattro hatte ja Zeit seiner Karriere ein ziemlich fieses Turboloch – durch den gezielten Dauereinsatz, übrigens auch während der Schaltvorgänge, konnte der Blasebalg aber immer in Betrieb gehalten werden.

Stig muss ein grossartiger Tänzer sein. Was er da mit seinen Füssen anstellt auf der San-Romolo-Spezialprüfung der San-Remo-Rallye im historischen Rallye-Quattro, das ist ein Schauspiel. Der rechte Fuss bleibt immer, also: immer auf dem Gaspedal, der linke tanzt zwischen Kupplung und Bremse. Es sieht sehr elegant aus, spielerisch, man hat auch nicht das Gefühl, dass er besonders hart zutritt – Beschleunigung und Bremsvorgänge belehren den Beifahrer aber etwas anderes. Der Fünfzylinder schreit, die Bremsen quietschen erbärmlich, vom Getriebe kommen weitere üble Geräusche, alles scheppert und ächzt und knorzt: so muss das sein, es handelt sich hier um einen bald 40jährigen Rennwagen. Und Blomqvist kennt nicht viel Gnade, er haut ihn den Berg hoch (und auch wieder runter), als könne er seine Bestzeiten von 1982, als er die San Remo gewann, noch einmal unterbieten. Er ist, wie geschrieben: 76.

Blomqvist war nicht der erste Gewinner der San Remo auf einem Audi Quattro. Diese Ehre gehört dem Damenteam Mouton/Pons, 1981; den allerersten WM-Lauf mit dem Audi gewannen Mikkola/Hertz im Februar 1981 in Schweden. Aber da müssen wir jetzt sauber bleiben: Auch wenn sich Audi mit seinem Quattro gerne als das Über-Rallye-Monster darstellt, das alles in Grund und Boden gefahren hat – nein, dem ist nicht so. Die Karriere begann 1981 und endete 1987, die Konstrukteurs-WM gewann man zwei Mal (1982 und 1984; zwei Mal gewannen in dieser Zeit aber auch Lancia und Peugeot), den Fahrertitel auch nur 1983 (Mikkola) und 1984 (Blomqvist). Walter Röhrl, den man als den wahren Quattro-König darstellt, gewann übrigens nur gerade zwei WM-Läufe mit Audi.

[Jaa] sagt Fahrlehrer Blomqvist dann gern, als wir nach dem heissen Ritt vor dem Ristorante Dall’Ava in San Romolo sitzen. Er antwortet jetzt auch auf die Frage, ob es ihm Spass gemacht habe, den Quattro noch einmal über die Spezialprüfung der San Remo zu treiben: «Das sind schon gute Erinnerungen, an einige Kurven-Kombinationen konnte ich mich noch erinnern». Und weiter: «Der Quattro wird immer ein aussergewöhnliches Fahrzeug für mich bleiben, schliesslich verdanke ich ihm meinen Weltmeister-Titel». Er erzählt, dass er und Audi zwar oft von technischen Problemen eingebremst wurden, «doch die Geräuschentwicklung des Fünfzylinders gefällt mir immer noch». Das ist ein grosses Lob aus dem Mund des schweigsamen Schweden, der seinen ersten WM-Lauf 1973 bestritten hatte (da gewann er auf Anhieb die Rallye Schweden, auf einem Saab 96) – und erst 2006 seinen letzten (da wurde er, selbstverständlich in Schweden, 24., auf einem Subaru).

«Wir mussten damals lernen, ganz anders zu fahren», sagt der Linksbremser, «mit Allradantrieb hatte ja niemand Erfahrung». Man habe schnell gemerkt, dass der ursprüngliche Quattro in engen Kurven zu behäbig war – und «der Kurze» dann zu nervös, sehr schwer zu beherrschen. Es heisst, dass Röhrl, eigentlich als sehr besonnener Pilot bekannt, in kurzer Folge fünf Prototypen des Sport-Quattro zerworfen habe, bis er den Wagen einigermassen im Griff hatte. «Wir hatten keine Chance gegen Peugeot und Lancia, die mit ausschliesslich für den Rallye-Sport konstruierten Mittelmotor-Fahrzeugen antraten, das mussten wir irgendwann anerkennen», plaudert Blomqvist. Was nur selten geschrieben wird: Audi jammerte zwar gern, dass es unfair sei, dass die Gegner mit so genannten Silhoutten-Autos antraten (der Peugeot 205 Turbo sah nur aus wie ein Peugeot 205, war aber definitiv keiner). Doch in Ingolstadt lief 1984/85 selbstverständlich auch ein Mittelmotor-Quattro-Coupé – weshalb es nie zur Renn-Reife entwickelt wurde, weiss heut niemand mehr so recht.

Wir basteln gerade unsere grosse Gruppe-B-Story neu (kommt bald). Ja, wir wissen, das hier gehört nicht wirklich dazu, aber irgendwie doch. Und dann ist ja noch das Archiv.

3 Kommentare

  1. Froupe Froupe

    Danke für diesen schönen Artikel.
    Zu den für den heiligen Quattro unbequemen Fakten gehört, dass Röhrl auf einem Ascona Weltmeister wurde und im Lancia erneut die WM für Audi verhinderte.
    Als er selber dann Quattro fuhr, war dessen beste Zeit schon vorbei.
    Wenn man sieht wer und was alles für die Gruppe B entwickelt wurde, kann man nur froh sein, dass sie so schnell beerdigt wurde. Sonst hätten bei dem zu erwartenden Wettrüsten weit mehr Co-Piloten und Zuschauer ihr Leben verloren.
    Aber geil war es schon…

    • yumiyoshi yumiyoshi

      Das möchte ich so nicht stehen lassen. Natürlich war die Gruppe B extrem und der Unfall von Toivonen auf Korsika tragisch. Allerdins wirkte Toivonen am Unfalltag laut mehreren Fahrerkollegen irgendwie nicht auf der Höhe. Nicht nur Röhrl sondern auch andere meinten im Rückblick, irgendwas sei an dem Tag „anders“ gewesen bei ihm.

      Mit der Geschwindigkeit und Leistung der Gruppe B hatte der Toivonen-Unfall eigentlich gar nicht so viel zu tun. Ein tödlicher Unfall wie dieser hätte auch jederzeit mit einem Gruppe-A-Auto passieren können, wenn z.B. an der falschen Stelle etwas bricht oder ein Fahrfehler passiert. In Wirklichkeit ist es ein Wunder, dass in Korsika insgesamt so wenig passiert ist, wenn man bedenkt, wie sehr die Sonderprüfungen dort ein Tanz am Rande des Abgrunds sind. Warum Toivonen tatsächlich verunglückt ist, konnte nie geklärt werden, deswegen sind am Ende auch die Einschätzungen zu Toivonens Tagesverfassung am Unfalltag nur Spekulation.

      Der Santos-Unfall in Portugal, wo er von der Strecke abkam und mit seinem Auto drei Menschen tötete und 31 verletzte, hatte genau nichts mit der „überzüchteten“ Gruppe B zu tun, sondern einzig und alleine mit dem Unwillen und der Unfähigkeit der Veranstalter, die Menschen von der Strecke fern zu halten. So wie sich die Zuschauer im Süden damals seit Jahren aufführten, wo die Fahrer über viele Kilometer quasi in eine Menschenmauer hineinfuhren, die erst im letzten Moment zurücksprang, war die Fragen nicht, *ob* etwas passieren wird, sondern lediglich *wann*. Die Fahrer hatten seit Jahren bei der FIA protestiert und interveniert, weil das für sie extrem belastend war, es interessierte dort aber leider niemanden. Santos kam von der Straße ab, weil er genau so einem Typen mitten auf seiner Fahrlinie ausweichen wollte.

      In anderen Bereichen des Motorsports wurde weit weniger Aufhebens um Tote und Verletzte gemacht. Leveghs katastrophaler Unfall in Le Mans 1955 hat trotz 80(!!) Toter weder zum Ende von Le Mans noch zum Ende dieser Rennklasse geführt. In der Formel 1 war vor der Einführung der Carbon-Monocoques jeder schwere Unfall lebensgefährlich, es gab keine Saison, in der kein Fahrer schwer verletzt wurde oder starb. Die Sicherheitsvorgaben wurden in der Formel 1 immer wieder angepasst, wie z.B. nach Sennas tödlichem Unfall oder unlängst mit dem Halo. Die Formel 1 an sich wurde aber – anders als die Gruppe B damals – niemals in Frage gestellt.

      Tatsächlich war die Gruppe B 1986 nach Meinung etlicher Zeitgenossen technisch fortschrittlicher als die Formel 1. Toivonens Rundenzeit in Estoril mit seinem S4 hätten beispielsweise für den 6. Platz im F1-Qualifying gereicht. Ein S2-Quattro beschleunigte damals auf Schotter(!) in deutlich unter 3 Sekunden von 0 auf 100. Ja, einiges steckte noch in den Kinderschuhen. Turbomotoren, Ansprechverhalten, Fahrverhalten insgesamt – da wäre noch einiges zu tun gewesen. Und natürlich auch in Sachen Sicherheit. Die Tanks des Lancia S4 waren z.B. wirklich gefährlich montiert. Trotzdem kenne ich kein anderes Beispiel, wo eine dermaßen hochkarätige und populäre Rennklasse aus vergleichbaren Gründen von heute auf morgen eingestampft wurde.

      Tatsächlich hatte die FIA den Herstellern 1982 fix zugesagt, dass die Gruppe B bis 1988 bleiben wird und dass sie dann von der Gruppe S abgelöst wird. Es waren die Hersteller, die auf diese Zusagen bestanden, um zielgerichtet planen und entwickeln zu können. Sie wollten genau das vermeiden, was 1986 geschah, nämlich dass sie wegen einer plötzlichen Reglementsänderung dutzende Millionen für die Fahrzeugentwicklung in den Rauchfang schreiben können. Mehrere Werksteams hatten 1986 bereits erste Prototypen für die Gruppe S fertiggestellt. Das plötzliche Ende der Gruppe B traf auch die Hersteller völlig unvorbereitet.

      Was die wahren Motive der FIA und namentlich Jean-Marie Balestres für diese überhastete Entscheidung waren, darüber gibt es eine ganze Reihe Spekulationen. Die von Walter Röhrl sind in „Aufschrieb EVO 2“ nachzulesen. Nur so viel: Röhrl hat definitiv keine hohe Meinung von Balestre. Und er war nicht der Einzige, der die Sicherheitsargumente für vorgeschoben hielt.

      Von der brutalen Kastration von 1986 auf 1987, als plötzlich die ziemlich harmlose Gruppe A das Höchste der Gefühle war, hat sich der Rallyesport nie wieder erholt. Die Gruppe B war absolute Offroad-Hightech, ihre Autos waren ähnlich wie die Sportwagen-Prototypen auf der Rundstrecke maximal auf ihren Einsatzzweck hin optimiert. Die Gruppe S mit nur 10 Homologationsfahrzeugen hätte das noch weiter vorangetrieben. Sie hätte sehr wahrscheinlich für noch mehr Breite bei den Herstellern gesorgt, weil keine 400 teuren Homologationsautos mehr gebaut werden mussten. Diese 400 Fahrzeuge waren für die Hersteller regelmäßig „a pain in the neck“, wo gerne auch geschummelt wurde. Legendär z.B. die Geschichte der Homologation des Lancia S4(?), von dem offiziell je 200 Fahrzeuge an zwei verschiedenen Orten abgestellt waren. Nach der Begutachtung der ersten 200 Autos wurden die FIA-Funktionäre zu einem ausgiebigen Mittagessen eingeladen (der Legende nach wurde dort auch großzügig Wein ausgeschenkt), bevor es weiter ging zu den anderen 200. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

      Die Gruppe S hätte das weiter führen sollen, was mit der Gruppe B begonnen wurde: Rallyefahrzeuge zu entwickeln und gegeneinander fahren zu lassen, in denen das technisch maximal mögliche für genau diesen Einsatzzweck umgesetzt wird. Hätten die etwas mit „normalen“ Fahrzeugen zu tun gehabt? Natürlich nicht. Sie hätten genausowenig mit einem „normalen“ Fahrzeug zu tun gehabt wie ein F1-Rennwagen oder ein Sportwagen-Prototyp. Betrachtet man die Weiterentwicklung in anderen Rennsportklassen, dann hätte diese Weiterentwicklung sehr wahrscheinlich nicht zu noch „gefährlicheren“ Autos geführt. Kein Hersteller baut mit Absicht z.B. ein schwer zu beherrschendes Rennfahrzeug, weil das die Siegchancen deutlich schmälert. Die Autos wären gereift und sehr wahrscheinlich insgesamt besser beherrschbar und sicherer geworden.

      1986 hielt der Rallyesport in Sachen Popularität locker mit der Formel 1 mit. Warum? Bis zur Gruppe B reizten Rallye-Rennwagen das technisch Mögliche in diesem Bereich so weit wie möglich aus. Sich nach der Gruppe B für die Gruppe A zu begeistern war ein bisserl schwierig. Auch mit meiner Liebe zum Rallyesport war es dann vorbei. Ja, 1997 folgten die WRC, aber die sind ja auch nur ein Rallye-Abklatsch der Gruppe A mit hohen Anforderungen an die Seriennähe. Die Gruppe S wäre im Grunde nur eine ehrliche Gruppe B gewesen, die mit ihren Evolutionsstufen in Wirklichkeit ja auch eine Prototypen-Rennklasse war. Der Peugeot 205 Turbo 16 war z.b. ein reines „Sihouettenfahrzeug“, das dem „normalen“ 205 optisch zwar ähnlich sah, technisch aber genau gar nichts mehr mit ihm zu tun hatte.

      Schade also, dass die beste Rennklasse im Rallyesport, die wir jemals hatten, 1986 aus nicht ganz koscheren Gründen von heute auf morgen gekillt wurde und in diesem Bereich seither keine andere Rennklasse nachkam, die auch nur annähernd das technische Niveau bieten kann, das die Gruppe B damals hatte. Rallye wäre ansonsten heute möglicherweise ein ähnlich gigantisches globales Spektakel wie die Formel 1.

      • Peter Ruch Peter Ruch

        wunderbare Analyse, ganz herzlichen Dank!

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