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Fahrbericht Bristol 408 «Series 6»

Restomod

Sie haben mir vorab nichts gesagt, die Mädels und Jungs von der Oldtimer Galerie Toffen, die mir den Bristol 408 für eine Ausfahrt zur Verfügung gestellt haben. Ich freue mich über jeden Bristol, den ich fahren darf (da war schon einmal einer, siehe Fahrbericht Bristol 411) – und merke, dass etwas «nicht stimmt», als ich mit dem Zündschlüssel rumfuchtle und einen Ort suche, wie ich den Engländer starten kann. Als ich nur einen Startknopf finde und mich dann etwas umschaue, wird mir klar: Aha, da wurde ein Fahrzeug aus den 60er Jahren modernisiert. Ganz kleiner Schalter für die Automatik, überhaupt sieht alles ein bisschen aufgeräumter aus als man sich das aus einem Bristol gewohnt ist. Überhaupt ist alles neu – perfekt, keine Patina, wie man sie bei den Briten so gerne sieht. Natürlich bin ich jetzt aufmerksamer.

Der Achtzylinder erwacht zum Leben, ganz ruhig – er verschluckt sich auch nicht, wie das ein amerikanischer V8 aus den 60er Jahren unbedingt tun würde, wenn er noch kalt ist. Auch die Automatik braucht keine Gedenkminute, bis sie dann endlich bereit ist, den Gang zu wechseln, sondern macht das ganz sanft, ruckfrei. Da wurde als auch am Antrieb gearbeitet (siehe weiter unten, als ich unterwegs war, wusste ich das alles ja noch nicht). Das ist noch spannend, ein gutes Gefühl, ein zwar bald 60jähriges Automobil, doch mit den Manieren eines modernen Fahrzeugs, das macht durchaus Freude. Ich fahre die übliche Strecke, das fährt sich gut, vernünftige Lenkung, auch die Bremsen sind bestens – das ist eine ganz neue Form von Fahrfreude, ein ganz neues Gefühl. Das zuerst einmal einen Rückblick und irgendwie eine Erklärung verdient.

Die Briten sind anders. Es geht hier nicht um den Brexit, es geht mehr um Dinge wie das warme Wasser, das sich auf keinen Fall mit dem kalten Wasser durchmischen soll. Oder Fenster, die auf keinen Fall dicht sein sollen oder gar gegen Regen schützen, denn Regen ist ganz normal auf den Inseln, aber hinter dichten Fenstern könnte man ja allenfalls ersticken. Warum auf den Inseln prozentual mit Abstand am meisten Cabrios verkauft werden, obwohl auf den Inseln mit dem gleichen Abstand das grauenhafteste Wetter überhaupt herrscht, ist auch eines dieser Rätsel. Und dann wäre da auch noch die Frage, wie man auf die Idee kommen kann, Pfefferminzsauce zu Lammfleisch zu servieren.

Und dann ist da noch der Auto-Hersteller Bristol. Denn Bristol müsste eigentlich gar nicht Bristol heissen, denn das Werk befand sich immer in Filton; Filton nun befindet sich immerhin in der Nähe von Bristol, und in der Nachbarschaft des Flughafens von Filton baute die Bristol Aircraft Company ab 1910 Flugzeuge. Dies sogar mit einigem Erfolg, doch nach dem 2. Weltkrieg ging nicht mehr viel, man musste sich neue Betätigungsfelder suchen. Das Automobil lag nahe, auch deshalb, weil Bristol schon im Juni 1945 Frazer-Nash übernommen hatte. Frazer-Nash wiederum besass seit 1934 das Recht, BMW-Automobile in England zu bauen und zu vertreiben; in den ersten Wochen nach dem Krieg war es Oberst H.J. Aldington ausserdem gelungen, die Konstruktionszeichnungen der BMW 326, 327 und vor allem 328 zu übernehmen – und dem BMW-Ingenieur Fritz Fiedler anzuwerben. Weil Zeit und Geld knapp waren, entschied sich Bristol gegen eine Neukonstruktion und für die Weiterentwicklung der BMW-Vorkriegskonstruktionen, schon im Frühling 1946 konnte auf dem Genfer Salon ein erster Prototyp, der 400, gezeigt werden. Im April 1947 trennten sich Frazer-Nash und Bristol bereits wieder, Aldington baute wieder Sportwagen – und Bristol den 400, der ein ziemlich eindeutige Kopie des BMW 327 war, inklusive 2-Liter-Sechszylinder-Motor, Getriebe, Fahrwerk. Sogar die Niere wurde beibehalten.

Das sorgte für reichlich Kritik. Und so zählte Bristol fröhlich weiter und legte schon 1948 den 401 nach, der mit einer Alu-Karosserie von Touring versehen war. Technisch blieb alles beim Alten, buchstäblich. Vom 401 gab es dann auch ein Cabriolet, als 402 Drophead Coupé bezeichnet. Der 1953 vorgestellte 403 war dann wiederum optisch gleich wie der 401, wurde aber technisch verbessert. Die ehemalige BMW-Maschine kam mit einem neuen Zylinderkopf auf 100 PS, das Fahrzeug schaffte auch eine Höchstgeschwindigkeit von 100 Meilen. Ab dem 404 (und dem davon abgeleiteten 405) wurde es besser, eigenständig, der Radstand wurde um 40 Zentimeter gekürzt, die Alu-Karosse wurde von einem Holz-Skelett gestützt. Es gab eine ewig lange Fronthaube, dafür kurze Türen, dann kam schon die B-Säule – und dahinter ein Fliessheck.

1957 kam dann, obwohl noch gar nicht fertig, der 406 mit einem erneuerten, 105 PS starken 2,2-Liter-Reihensechszylinder auf den Markt. Den gab es eigentlich doppelt, zuerst mit einer Karosserie von Beutler aus der Schweiz, dann auch noch von Zagato, schliesslich mit einem optischen Eigengewächs, das bis 1961 angeboten wurde. Dann wurde mit dem 407 wieder alles anders, dieser erhielt einen 5,1-Liter-V8 von Chrysler, hatte mehr als doppelt so viele PS wie der 406 – und kostete auch so richtig, richtig viel Geld. Schon 1963 gab es den 408, der sehr, sehr gleich war wie der 407. Schon 1965 gab es den 409, der wiederum sehr, sehr gleich war wie der 408. Und schon 1968 gab es den 410, der dem 409 sehr ähnlich war. Dann kam bereits 1969 der 411, der wurde bis 1976 in fünf verschiedenen Serien gebaut, die sich teilweise deutlich mehr voneinander unterschieden als der 406 vom 410, aber trotzdem alle die gleiche Bezeichnung hatten. Engländer.

Hier haben wir es mit einem Bristol 408 zu tun. Dieser wurde 1963 als Nachfolger des 407 vorgestellt – und unterschied sich kaum von seinem Vorgänger. Chefdesigner Dudley Hobbs spendierte dem neuen Modell eine flachere Frontpartie mit zwei zurückversetzten Scheinwerfer, hinten wurde die runde Leuchte durch eine vertikale Einheit ersetzt, die man sich beim Humber Spectre auslieh, das Dach wurde etwas flacher gezogen. Beim Antrieb gab es zwei Serien, die Mk. 1 hatten einen 5,1-Liter-Chrysler-V8 mit etwa 250 PS, die Mk. 2 dann einen 5,2-Liter-Chrysler-V8 mit ein paar PS mehr. Spannend waren die neuen Teleskop-Stossdämpfer an der Hinterachse, die sich aus dem Cockpit einstellen liessen. So ein 4,91 Meter langer, 1,73 Meter breiter, 1,5 Meter hoher und 1,6 Tonnen schwerer Bristol 408 rannte gut über 200 km/h schnell. Weil Bristol selber nie Produktionszahlen veröffentlichte, reichen die Vermutungen von zwischen 80 bis 280 Exemplaren aus.

Dieses Fahrzeug nun, das wir hier zeigen und das am 29.12.2023 von der Oldtimer Galerie Toffen in Gstaad versteigert wird, ist unter all diesen aussergewöhnlichen Bristol noch einmal etwas sehr Spezielles, bezeichnet als «Series 6». Es handelt sich dabei um einen Mk. 1, Chassis #7055, einen von nur drei gebauten Linkslenkern; ausgeliefert wurde er am 17. Februar 1965 in Richtung Beirut. Über seine frühe Geschichte ist nichts bekannt, bis ihn ein Schweizer Käufer direkt bei Bristol erwerben konnte. Dort war der 408 bereits seit 2008 in Restauration und nach der Übernahme entschied der Käufer, den Briten unter Beibehaltung des alten Erscheinungsbildes technisch zu modernisieren – was Bristol dann als «Series 6» bezeichnete. So wurden ein Corvette-LS3-Motor mit 6,2 Liter Hubraum und 480 PS sowie eine passende Vierstufenautomatik mit Overdrive verbaut. Die Bremsanlage wurde der erhöhten Leistung mittels AP-Racing-Produkten angepasst und die gesamte Aufhängung wurde revidiert und optimiert. Die Karosserie wurde komplett abgelaugt und im aktuellen Dunkelblau neu lackiert, die Innenausstattung mit grauem Leder komplett erneuert; für zusätzlichen Komfort sorgen eine Servolenkung, eine Klimaanlage sowie eine Zentralverriegelung. Nach seiner Fertigstellung 2014 wurde der Bristol in die Schweiz importiert und nach einem nervenaufreibenden Prozedere und Erstellung einer FIVA-ID der Kategorie D/3 schliesslich im Dezember 2020 erstmals zugelassen. Die Gestehungskosten dieses einmaligen Fahrzeuges beliefen sich inklusive Import und Zulassung auf rund 300’000 Franken. Der Schätzpreis liegt bei 150’000 bis 175’000 Franken, der «moderne» Bristol ist unbedingt ein Schnäppchen.

Und auch wenn wir hier auf radical viel altes, schönes Blech zeigen, teilweise etwas streng sind, wenn es um Chassis-Nummern und Originalität geht – wir finden solche «Restomod» grossartig. Wichtig ist doch vor allem, dass sie als solches gekennzeichnet sind – und wenn dem so ist, dann darf man machen, was man will. Die ultrastrenge Linie, die von gewissen Oldtimer-Fanatikern (und auch den Strassenverkehrsämtern) gefahren wird, ist völlig lächerlich, am Schluss geht es einzig und allein darum, dass Automobile auf die Strasse gehören und dort auch Spass machen sollen. Selbstverständlich gibt es Ikonen, die bitt’schön so bleiben sollen, wie sie einst gebaut wurden, ein Bugatti Type 57 SC sollte jetzt nicht unbedingt elektrifiziert werden, in eine Giulietta gehört kein V8, aber wenn jemand schimpft, dass man doch eine lahme Pagode oder einen millionenfach gebauten Käfer nicht mit Strom betreiben dürfe, dann fehlt mir irgendwie die Geduld für Diskussionen mit solchen Puristen. Klar ist dieser Bristol, den wir hier vorgestellt haben, nun nicht mehr der Bristol, der er einst war, doch er hat seinen unvergleichlichen Charakter behalten – und ist jetzt viel besser zu fahren. Der Zweck heiligt – meistens – die Mittel. Und das Festhalten am Ewiggestrigen zeugt auch von einem Mangel an Phantasie.

Mehr spannende Klassiker haben wir in unserem Archiv.

3 Kommentare

  1. Christian Christian

    Artikel wie immer sehr gut und die Meinung passt. Leider haben wir in Dummland den TÜV und in Dummland fährt man nicht Auto um Spass zu haben sondern um Recht zu haben! Daher auch die „strenge“ Auslegung (=Zulassung) von Oldtimern. Der TÜV mag alte Autos nicht – und es hat sich noch niemand Gedanken darüber gemacht, warüm ein Prüfverein so eine Macht und eine Möglichkeit zum Gelddrucken bekommen hat? Nur wenn der TÜV einen Damm prüft, diesen für in Ordnung findet und dieser Damm dann einen Tag später bricht, Folgen bekannt…und die prüfen Autos???
    Nein, im Ernst, der Bristol ist hübsch, den Restomod sieht man ihm nicht an, man kann ihn „erfahren“ und wenn es dem Besitzer so gefällt, umso besser. Wer`s nicht haben will braucht`s ja nicht zu kaufen. Ich wünsche mir bei meinem Dino auch manchmal Servolenkung – man wir nicht jünger!

  2. Schöner Wagen, feine Farbgebung, im Sinne des Fahrzeugs erfolgte Modernisierung.
    Alles gut.
    Aber:
    WARUM UM HIMMELS WILLEN HAT MAN DIESES PHANTASTISCHE AUTO MIT CUPHOLDERN RUINIERT???
    Wie furchtbar sehen diese zwei Höhlen vor dem Schalthebel aus?
    Wer möchte sich in solch einem Interieur Pappbecher von McDonalds oder Starbucks vorstellen?
    Wer kann sich überhaupt vorstellen, daß jemand, der solch einen Wagen fährt, tatsächlich zu Starbucks und nicht zu Sprüngli geht?
    Ich bin entsetzt, enttäuscht, deprimiert.

  3. Klaus Leuschel Klaus Leuschel

    Apropos „Cupholder“: „Wat den Eenen sin Uhl, is den Annern sin Nachtigall“, heißt es im hohen Norden. Mit so einem „Gentleman’s Express“ dürften sogar Langstrecken, ob nun nach Filton oder bis zur Côte d’Azur, zum Vergnügen werden. Vorausgesetzt, (01) am Start ist der Tank voll, (02) man fährt gegen den Strom und (03) verfügt in einer (SIGG?) Thermo „Trinkflasche“ über mindestens drei, besser vier oder fünf, Espressi. Erst mit einem Pappbecher von Starbucks mutiert eine Fahrt, und wäre sie nur halb so lang, zu einer Strafexpedition.

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