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Fahrbericht Aston Martin Lagonda Shooting Brake

Das Einzelstück

Wahrscheinlich ist der Aston Martin Lagonda das am meisten unterschätzte Automobil aller Zeiten. Geliebt wurde er nur selten, damals nicht, als er auf den Markt kam und auf dem Markt war. Auch heute sind die Preise im Vergleich zu anderen Aston Martin aus jenen und späteren Jahren sehr tief. Der Lagonda wurde nie verstanden, früher nicht, noch immer nicht. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Er war seiner Zeit voraus – und damals in mancher Hinsicht nicht auf der Höhe der Zeit. Wir haben es hier aber mit dem technisch wohl besten Exemplar aller Zeiten zu tun. Doch «Lilly» zickt. Sie hat nicht gern kalt. Wobei, was heisst schon kalt, die Temperaturen liegen an diesem Morgen noch deutlich im Plusbereich, es ist also knapp kühl. Und doch springt der Lagonda nicht an. Keinen Wank tut er. Keinen.

«Lilly» heisst «Lilly», weil ihr Besitzer, der auch der Auftraggeber für den Umbau des Aston Martin Lagonda zum Shooting Brake war, eine Tochter gleichen Namens hat. Nur: Die Tochter heisst mit vollem Vornamen Lilly Lagonda. Vielleicht war da auch zuerst der Gedanke, dann die Tochter. Wie auch immer, «Lilly», also das Automobil, nicht die Tochter, steht da bei uns im Unterstand – und springt nicht an. Sie tut dies auch nicht, als ihr «Mastermind» und Erbauer, Beat Roos, mit dem Booster-Pack und reichlich Werkzeug anrückt. Sie will einfach nicht, obwohl es ihr doch eigentlich bestens gehen müsste. Denn sie ist bei uns, weil wir sie fein in Szene setzen wollen, photographieren, ein bisschen mit ihr fahren, sie gerne näher kennenlernen würden. Stattdessen schieben wir das Trumm dann etwa einen halben Kilometer, weil der Transporter, der sie abholt, nicht auch nur annähernd in die Nähe des Unterstandes kommt, unter dem «Lilly» keinen Wank tut. Kleiner Spoiler nun in diesem Zusammenhang: Nachdem der Lagonda eine Nacht in der schön warmen Gerade stehen durfte, sprang er ohne weitere Zicken einfach wieder an. Gleich auf die erste Drehung mit dem Zündschlüssel. Wir haben es ja geschrieben: eine Zicke. Also, das Automobil – die Tochter haben wir leider nie kennengelernt.

Das Bewegen eines Aston Martin Lagonda ist schon aussergewöhnlich. Nicht deshalb, weil im Zeitraum zwischen Herbst 1974 und Sommer 1989 nur gerade 645 Stück entstanden, das Fahrzeug also doch ziemlich selten ist. Doch der Wagen ist riesig, 5,3 Meter lang. Abgesehen von einigen wenigen Amerikanern gab es kaum etwas auf den europäischen Strassen, das mehr Platz beanspruchte. Gleich am ersten Tag sind wir zufällig auf einen Porsche Panamera Sport Turismo getroffen, haben die beiden Fahrzeuge nebeneinander geparkt. Der Porsche wirkt im richtigen Leben ja riesig, ist aber nur 5,05 Meter lang. Und 1,43 Meter hoch. «Lilly» schafft es dagegen nur auf 1,30 Meter – nein, fragen Sie (sich) nicht, wer feist wirkt. Wobei wir jetzt fair bleiben müssen: Beim Gewicht schenken sich Panamera und Lagonda nichts, es geht bei beiden um zwei Tonnen, mindestens.

Das Fahren ist von einer wunderbaren Gediegenheit. Die Sitze sind tief, mehr Fauteuils, Seitenhalt war in den 70er-Jahren noch nicht wirklich ein Thema in der automobilen Oberklasse. Platz ist vorne mehr als reichlich; hinten staunt man heute, dass es bei über 2,9 Meter Radstand nicht etwas grosszügiger sein konnte. Wobei die Beinfreiheit durchaus gut ist, es mangelt eher oben am Kopf. Kofferraumvolumen war schon bei der Limousine viel, bei unserem Shooting Brake ist es selbstverständlich noch besser. Und was beim «Kombi» richtig gut ist: die Übersicht nach hinten, man kann ihn zentimetergenau parkieren, auch ohne die moderne Piepser. Nach vorne allerdings hilft die stark abfallende, ewig lange Motorhaube nicht – bei den ersten Versuchen lässt man mindestens noch anderthalb Meter frei. So richtig in den Griff gekriegt haben wir die Länge auch nach drei Tagen und viel Manövrieren nicht.

Was wir auch nicht verstanden haben: das Mäusekino. In der zweiten Serie gab es LED-Anzeigen, die ihrer Zeit viel zu weit voraus waren, ab der dritten Serie dann Kathodenröhren, die auch nie so richtig funktionierten. Auch wenn Roos Engineering Ltd. bei «Lilly» das Wunder geschafft hat, dass alles so leuchtet und bimmelt und plaudert, wie es die Erfinder sich ausgedacht hatten – es ist ja dann am Schluss doch unglaublich kleinteilig. Man kann die Anzeigen kaum lesen, die Schalter sind wild verstreut und entsprechend unlogisch verteilt, man spielt wie auf einer Ukulele, die aber eigentlich gerne ein Klavier wäre. Irgendwann haben wir aufgegeben, auch nur schon die vorderen Seitenfenster elektrisch öffnen zu wollen; nicht, weil es nicht geklappt hätte, aber das Suchen nach dem Schalter war ermüdend. Die Sprachausgabe immerhin funktionierte, wenn auch nur auf Englisch. Gemäss Aussage des Spezialisten grenzt aber das schon an ein Wunder.

Andererseits muss man dieses Innenleben auch in einen zeitlichen Zusammenhang stellen. Als der Lagonda nach langer Vorlaufzeit ab Herbst 1978 dann endlich für etwas unter 50’000 Pfund zu kaufen war, hatte Rolls-Royce nur den definitiv veralteten Silver Shadow als Konkurrenz zu bietet. Auch Bentley war damals nicht gerade auf einem Höhenflug. In Sachen Fahrleistungen konnte nur der Maserati Quattroporte mithalten, doch der galt als extrem unzuverlässig. Und sah innen im Vergleich zum Lagonda auch aus wie aus einem anderen Jahrhundert. Ferrari und Pininfarina versuchten sich ab 1980 mit dem Pinin, der auch über digitale Anzeigen verfügte, doch das Projekt kam nie auch nur in die Nähe der Serienreife – die Italiener bekamen die Software nicht in den Griff. Das gleiche Schicksal traf den Bristol Beaufighter. Und wann stellten die so berühmten deutschen Premiumhersteller auf digitale Anzeigen um? Erst 30 Jahre nach dem Aston Martin Lagonda. Head-up-Display? Wurde erst in den vergangenen vier, fünf Jahren im Luxussegment zum Thema.

Egal: Es fährt ganz gut. Für damalige Verhältnisse fuhr es ausgezeichnet, besser als jeder Mercedes und BMW und Rolls-Royce und Jaguar. Es fährt sich auch heute noch ganz gut. Nein, das stimmt jetzt auch nicht. Für einen 300 PS starken 5,3-Liter-Achtzylinder fährt es sich eher: mit aller Ruhe. Man hat das Gefühl, dass etwa 51 Prozent der Leistung irgendwo in der Dreigang-Automatik von Chrysler versanden. Ein heftiger Tritt auf das Fahrpedal bringt einzig den GTN-Effekt, also «gasoline to noise»: Benzin wird in erster Linie in Lärm verwandelt, nicht unbedingt in Vortrieb. Klar ist das Jammern auf hohem Niveau und definitiv auch gemessen an den Fahrleistungen aktueller Automobile. Damals, von Mitte der 70er- bis Anfang der 90er-Jahre, galt der Lagonda als fast schon feurig. Seinen einzigen direkten Konkurrenten – preislich konnten dies nur die Rolls-Royce Silver Spirit und Camargue sein – war er um Welten überlegen. Aber das war ein VW Golf 1 damals auch.

Und er gleitet halt ganz herrlich. Der Komfort wurde von den Konstrukteuren sicher höher gewichtet als die Sportlichkeit, der Lagonda war ja aber auch gedacht als der ultimative «Gran Turismo». Auch die Lenkung war sicher mehr bedienerfreundlich als auch nur ansatzweise präzis. Und so rollt man dann friedlich einher, man stresst am besten weder Motor noch den Piloten. Die Automatik will ab etwa 5 km/h schon in den höchsten Gang schalten und dort auch gerne verbleiben, bis der Lagonda wieder in der Garage abgestellt wird. Was dann für eine wunderbare Ruhe sorgt, sowohl akustisch wie auch im Geiste. Doch es gibt ja reichlich Drehmoment, ein Verkehrshindernis ist man sicher nie. Das sportliche Durcheilen von Kurven gehört trotzdem nicht zu den ganz grossen Stärken des Engländers.

Schönheit, so sagt man, liegt im Auge des Betrachters. Was da William Towns, man liest: innerhalb eines Monats, mit dem Lagonda auf die vier Räder stellte, ist die zweitextremste automobile Keilform überhaupt (die extremste: Lancia Stratos Zero – ein unfassbar konsequenter Sportwagen von Marcello Gandini, 1970). Das kam in den 70er-Jahren in Mode, war aber eigentlich auf Sportwagen beschränkt. Towns schaffte als einziger den grossartigen Spagat hin zum Viertürer, der Lagonda blieb eine kleine Ewigkeit die flachste Limousine der Welt. Und Roos Engineering Ltd. verwandelte den Lagonda schliesslich zum endgültigen, zum wahren Keil, vorne flach, hinten (relativ) hoch. Das muss man nicht mögen, aber man kann. «Leichenwagen», hört man so sagen, aber das ist definitiv zu kurz gegriffen, so sehen «Lilly» nur Menschen, die nicht genau hinschauen. Sie ist, unter anderem, nämlich dunkelblau.

Das Design von Towns inspiriert. Es entstanden wahrscheinlich zwei Coupé mit verkürztem Radstand (mindestens eines davon wurde zur Erprobung des Virage-Motors verwendet), sicher ein Cabriolet, zwei Shooting Brake. Doch das vom Werk zertifizierte Exemplar von Roos Engineering Ltd., also «Lilly», ist in noch so mancher Hinsicht ein Meisterwerk. Allein schon das Dach, fast drei Meter lang und wie aus einem Stück, darf als Kunstwerk betrachtet werden. Eine solche Alu-Fläche gibt es in der Automobilgeschichte kein zweites Mal. Und die Hecktür, selbstverständlich automatisch verriegelnd, darf als Geniestreich betrachtet werden. Auch wenn der Mechanismus und der Anschnitt ins Dach von einem Honda inspiriert wurde. Doch auf diese Lösung muss man zuerst einmal kommen – und sie fügt sich wunderbar ein in das elegante Heck. Das Ziel, die Linien des Entwurfs von William Towns grundsätzlich nicht zu verändern, weil sie ja nicht zu verbessern sind, haben Beat Roos und sein Team auf jeden Fall erreicht.

Kein einziges Teil des Spender-Fahrzeugs, einer Series 3, blieb unberührt. Das gesamte Innenleben wurde von Grund auf neu kreiert. Und dabei konnten auch gleich viele der Elektronikprobleme, welche die Lagonda immer plagten, ausgemerzt werden. Das revolutionäre Cockpit funktioniert, auch die Sitzverstellung tut, was man von ihr verlangt. Der Kofferraum ist selbstverständlich passend zum restlichen Innenraum ausgekleidet, das ist einmal mehr Handwerk vom Feinsten. Nicht bloss die hinteren Scheiben wurden von den besten Spezialisten auf Mass angefertigt, auch die Teppiche sind Massarbeit. Und so schön tief, wie man das von einem englischen Luxusprodukt erwartet.

Und genau dort muss man den Lagonda ja auch einordnen. Auch wenn böse Berichterstatter einst schlimme Dinge über den Engländer schrieben: «Wer um das Jahr 1980 herum ein auffälliges Luxusauto fahren wollte, musste je nach Geschmack auf einen Rolls-Royce Camargue oder einen Aston Martin Lagonda zurückgreifen – oder, falls man ein erfolgreicher Pornostar war, auf einen Stutz Blackhawk», stand etwa in «Thoroughbred & Classic Cars» zu lesen. Und dann auch noch: «Im Lagonda verschmelzen Handarbeit aus der alten Welt und Neuzeitliches der Micro-Chip-Ära zu einer kuriosen Mischung – so, als würden James Purdey & Sons eine Casio-Uhr bauen». Der sonst so kompetente L.J.K. Setright meinte: «Der Aston Martin Lagonda ist ein Cadillac, der vorgibt, ein Triumph TR7 zu sein». Natürlich war nicht alles Gold, was glänzte. Die Türgriffe des Ford Cortina passten tatsächlich nicht ganz zum Luxus-Anspruch der Marke. Aber das war ja auch ein Markenzeichen von Aston Martin: Man verwendete gerne Teile von anderen Fahrzeugen, wenn sie gerade passten.

Man muss tatsächlich mit etwas Selbstbewusstsein ausgestattet sein, wenn man mit einem Lagonda und ganz besonders «Lilly» ausfährt. Wohl noch selten wurden wir so oft angesprochen auf ein Auto, mehr als einmal drehte ein Automobilist um und fuhr uns nach, um dann neugierig zu fragen, um was es sich denn hierbei handelt. Beim Photographieren blieben immer wieder Menschen stehen und zückten ihre Handys, erkundigten sich nach Marke und Modell. Wir fragten dann jeweils gerne zurück, auf welches Baujahr sie das Fahrzeug schätzen würden – und es lagen eigentlich alle deutlich daneben. Manche meinten gar, es handle sich beim Engländer um ein aktuelles Fahrzeug.

Dieses Photofahrten, so langweilig sie auch sein mögen, wenn man ein Dutzend Mal auf der gleichen Strecke hin und her fährt, haben etwas Gutes: man lernt das Fahrzeug besser kennen. Man nähert sich beim Durcheilen von Kurven auch gerne mal etwas mehr den Grenzen der Haftung der Reifen. Und da sind wir dann doch erstaunt gewesen, wie gut das eigentlich geht. Klar, die Pneu jammern schnell, aber da geht dann schon noch mehr. Doch die wahren Qualitäten auch von «Lilly» liegen natürlich in längeren Reisen. Da überzeugt sie auch heute noch mit einem ausgezeichneten Komfortlevel, da ist seither kein eklatanter Fortschritt mehr zu verzeichnen. Und genügend Platz für einen längeren Ausflug bietet dieser absolut einmalige Shooting Brake ja auch.

Nun denn, wir haben zu diesem Fahrzeug ein Buch verfasst:

Man kann es bei uns bestellen. Zwei Kilo, im Schuber, exklsuive und einmalige Bilder, viel Text. Nicht ganz günstig, weil Kleinauflage: 150 Franken, plus Versand. Bestellungen gerne über office@pruductions.ch.

4 Kommentare

  1. Peter Zangerl Peter Zangerl

    Warum der Designer dieses Umbaues der fließenden Linie der C-Säule einen solchen Widerborst von in die Gegenrichtung strebenden Glaskasten hinten aufgesetzt hat, wissen wohl nur die Götter des unermesslichen Vermögens, das dafür die Portokasse geöffnet hat. Da lobe ich mir doch Red Harden’s Umbau des E-Type 2+2 Coupé in einen eleganten Hearse für den Filmklassiker „Harold and Maude“. Aber gut, der Aston ist trotz alledem phantastisch. Danke für die tolle Reportage.

    • Max Max

      Eine Volvo-mäßig gerade Dachlinie hätte wohl einen zu wuchtigen Kasten ergeben, mit großem weniger elegantem Heckfenster.

      Aber der Erbauer lebt ja noch, man könnte ihn fragen.

  2. Manu Manu

    Herrlich.

  3. yumiyoshi yumiyoshi

    Ja, ich weiß, Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Die niedrigen Preise für Lagondas liegen mglw. an der niedrigen Anzahl der Betrachter, die diesem Design etwas abgewinnen können. Kommt dann noch die erwähnte Fertigungsqualität dazu, muss man schon sehr britisch-hart im Nehmen sein, um so ein Auto haben zu wollen.

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