«Ja, wir müssen wieder mehr vereinfachen»
Mit dem Emblème (siehe unten) zeigt Renault, wie man sich die automobile Zukunft vorstellt. Das Concept Car ist so ausgelegt, dass es in seinem gesamten Lebenszyklus 90 Prozent weniger CO2 verursacht als ein aktuelles Modell. Gilles Vidal ist nicht bloss Chefdesigner bei Renault (und als solcher Schöpfer der neuen Renault 4 und 5), sondern gehört auch zu den wichtigsten Strategen der Franzosen, zu jenen, die über den Tellerrand hinaus denken dürfen und können. Er ist ein sehr angenehmer Gesprächspartner, ein profunder Kenner der Automobilgeschichte, ein guter Erzähler – und er hat klare Vorstellungen, wie es weitergehen wird.



radical: Ermöglichen die neuen Elektroplattformen tatsächlich neue Designansätze? Oder bleiben die Designer «gefangen» in den Seh-Gewohnheiten der Kunden?
Gilles Vidal: Es ist immer die gleiche Herausforderung: Wir müssen ein Design schaffen, das den Kunden gefällt. Das ist schwierig, es wird immer jene geben, die es lieben – und die anderen, denen es nicht gefällt. Aber wir wissen ja schon auch, wer unser Zielpublikum ist. Unsere E-Plattformen nun haben ausgezeichnete Proportionen, wie man das etwa beim neuen R5 sieht. Er ist nur 3,92 Meter lang, hat sehr grosse Räder, sehr kurze Überhänge, deshalb einen langen Radstand. Das wirkt alles sehr harmonisch, das Fahrzeug sieht auch in der Serie so aus wie bei den ersten Zeichnungen. Man kann das nun alles wissenschaftlich analysieren oder einfach aus dem Bauch entscheiden, doch gute Proportionen machen ein Fahrzeug einfach attraktiver. Ja, E-Plattformen machen es uns durchaus einfacher, was man ja auch beim E-Scenic gut sieht. Dort kommt dann aber auch noch ein sehr grosszügiges Platzangebot dazu.

radical: Platzangebot, ein gutes Thema. Man hatte doch das Gefühl, noch vor wenigen Jahren, dass E-Autos viel mehr Platz bieten könnten, weil sie zum Beispiel keinen Motor mehr haben, der eingeplant werden muss.
Vidal: Nehmen Sie zum Beispiel den rein elektrischen Scenic, da erhalten sie bei vergleichbaren Dimensionen wie bisher doch viel mehr Raum. Klar – der neue R5 bietet hinten nicht überragend viel Platz, aber trotzdem: Für seine Grösse ist er innen sehr grosszügig dimensioniert, dank der E-Plattform. Aber Sie haben natürlich recht – wir diskutieren auch ständig mit unseren Ingenieuren, was wir noch verbessern, kleiner machen können, die ganze Fahrzeugstruktur, Materialien. Die Autos sind in den vergangenen Jahren immer grösser geworden, schwerer, aus Gründen der Sicherheit. Doch für die Zukunft muss das Ziel schon sein, dass wir die Dinge wieder kleiner, schmaler, leichter, also effizienter machen.
radical: Es gibt immer wieder neue, stabilere und doch leichtere Materialien, sogar Carbon wird immer günstiger. Wird das neue Designmöglichkeiten eröffnen?
Vidal: Gut, Carbon gehört jetzt eher zu Alpine als zu Renault. Doch wir haben sonst so viele Möglichkeiten, das geht bis zum Lack und zum Innenleben der Sitze. Doch es muss alle Bereiche betreffen, wenn wir zum Beispiel einen neuen Sitzbezug machen aus recycelten Materialien. Dann muss der auch leichter sein – und gleichzeitig in unser Konzept der Kreislaufwirtschaft passen. Bei den E-Fahrzeugen ist das noch wichtiger, dieser ganzheitliche Ansatz, auch deshalb, weil das Gewicht eine entscheidende Rolle für die Reichweite spielt.
radical: Mit dem rein elektrischen R5 verfolgt Renault einen Retro-Design-Ansatz. Auch der interessante R17-Show-Car von Ora Ito spielt mit der Vergangenheit. Warum?
Vidal: Es ist klar – die Kunden lieben das. Das sehen wir zum Beispiel beim R17. Viele haben das Gefühl, das sei ein neues Concept Car von Renault, man erwartet solche Fahrzeuge von uns. Dabei war es «nur» ein Projekt des Designers Ora Ïto, wie wir auch schon andere Kunstprojekte hatten. Doch schauen wir uns doch das Konzept der R5 an, die Idee dahinter. Alle, die ein E-Auto haben wollten und von Anfang an überzeugt waren von der Technik, die haben unterdessen ein solches Fahrzeug. Auch die zweite Welle nach den «early adopters» ist unterdessen eingedeckt. Jetzt kommen wir in die schwierigste Phase. Wir müssen nun jene Menschen von der Elektromobilität überzeugen, die sich bisher kein E-Auto kaufen wollten. Deshalb spielen wir jetzt die emotionale Schiene – die Leute sollen sich an die guten alten Zeiten erinnert fühlen, ein Gefühl von Freiheit haben anstatt Reichweitenangst. Wir sind überzeugt, dass die jungen Leute den R5 lieben werden, aber wir müssen auch ihre Eltern überzeugen können. Und Retro kann da helfen, es erzeugt ein Gefühl von etwas, das man kennt.
radical: Das Design von Kleinwagen wie dem R4 oder R5 gilt als grösste Herausforderung. Sportwagen kann ja jeder. Sehen Sie das auch so?
Vidal: Für mich ist alles eine Herausforderung – auch ein Lieferwagen, auch ein Kangoo. Man muss sich in den potenziellen Kunden versetzen, wissen, was er braucht und will, dabei aber auch innovativ sein, denn man kann nicht immer das Gleiche machen. Sportwagen sind natürlich ein Vergnügen, aber man muss es auch da klar sehen: Es ist einfach, Aufmerksamkeit zu erregen, aber man kann trotzdem alles falsch machen. Mir macht es mehr Spass, am nächsten Clio oder dem R5 zu arbeiten, weil die Vorgaben viel strenger sind. Wäre ich ein Stylist, dann würde ich lieber Sportwagen machen wollen. Aber als Designer sind für mich diese komplizierten Objekte viel interessanter.

radical: Es macht den Eindruck, als ob Lichtsignaturen heute eines der entscheidenden Unterscheidungsmerkmale unter den einzelnen Marken sind. Wird das nicht überbewertet?
Vidal: Natürlich ist das im Moment grosse Mode. Aber man muss auch sehen, woher das kommt. Die Regularien und Vorschriften machten es notwendig, dass wir uns mehr mit dem Licht beschäftigen mussten. Damit meine ich in erster Linie das Tagfahrlicht. Und es ist ja schon auch so, dass die Lichtsignatur das erste ist, was man von einem Auto aus der Ferne erkennen kann. Deshalb ist das ein wichtiger Designaspekt. Und es gibt auf jeden Fall Fahrzeuge, die sehr gut aussehen, spannend sind. Aber ja, ich denke auch, dass es gewisse Marken übertrieben haben, und dass sich das, wie bei allen Moden, wieder beruhigen wird.
radical: Endlich gibt es wieder richtig kräftige Farben, zumindest werden die Fahrzeuge so präsentiert. Doch die Kunden wollen dann doch lieber Grau. Fiat hat nun für gewisse Modelle ein Grau-Verbot eingeführt. Wird Renault das auch machen?
Vidal: Ich denke, dass gerade bei kleineren Fahrzeugen die stärkeren Farben wieder etwas mehr in Mode kommen werden. Beim R5, der ja auch so etwas wie ein Popstar ist, werden wir auch die entsprechenden Farben haben; manche sind durchaus gewagt. Übrigens: Die am meisten geliebte Farbe an einem Auto ist Blau. Es gibt da noch einen Aspekt, den man gerne vergisst bei diesen Farbdiskussionen: Wir bauen in der gleichen Fabrik verschiedene Modelle. Für einen Megane oder Scenic brauchen wir unbedingt auch Grau. Also werden wir für den R5 auch Grau anbieten, ganz einfach deshalb, weil es sowieso schon da ist. Andererseits sind wir da halt limitiert, wenn wir neue Farben einführen wollen.

radical: Sprechen wir noch vom Innenraumdesign. Sind diese riesigen Touchscreens eine Mode? Kommt das auch wieder anders?
Vidal: Man kann das durchaus philosophisch betrachten. Für mich ist die Frage: Was ganz genau läuft auf diesem Bildschirm ab, was ist der Inhalt? Wenn man es eh nicht lesen kann, weil die Schrift zu klein oder überhaupt alles viel zu kompliziert ist, dann braucht es wirklich keine so grossen Tablets. Man sagt mir, dass die Kunden das wollen, doch ich glaube, es ist der verkehrte Weg. Viel wichtiger ist die genaue Definition der Interaktion zwischen Fahrzeug und Insassen. Es braucht einfachere Menus, weniger Untermenus, es muss weniger kompliziert werden. Sicher darf es auch ein bisschen Unterhaltung bieten, die Passagiere zum Lächeln bringen, doch die Automobilindustrie steckt da noch in den Kinderschuhen. Wir müssen noch viel lernen. Es ist aber auch so, dass es immer neue Vorschriften gibt. Das scheint wie eine Maschine zu funktionieren, die ständig neue Regeln hervorbringt. Es piept jetzt quasi immer. Das macht keinen Sinn mehr, weil man gar nicht mehr weiss, warum es jetzt piept. Ja, wir müssen wieder mehr vereinfachen, da sind wir auch dran. Wir müssen verstehen, was es wirklich braucht.
radical: Wird das autonome Fahren, so es denn irgendwann möglich sein wird, das Autodesign verändern?
Vidal: Es könnte, ja. Ganz sicher im Interieur. Schon mit Level 4 wäre es möglich, dass das Lenkrad sich irgendwie wegbewegt, dass das Auto zur Lounge wird. Und bei vollautonomen Fahrzeugen könnte man das Innenleben wie die gute Stube daheim gestalten. Man darf da aber auch nicht zu viel erwarten. Es handelt sich auch dann immer noch um ein sich bewegendes Objekt, das den Regeln der Physik unterworfen ist
radical: Eine letzte Frage: Sie haben noch einen letzten vollen Tank. Mit welchem Auto würden Sie welche Strecke fahren wollen?
Vidal: Mein Vater und mein Onkel sind früher Rennen gefahren. Ich erinnere mich noch gut an Rallyes und Bergrennen, damals in der Auvergne. Mein Favorit war immer der Renault 5 Turbo, auch, weil er einen so grossartigen Lärm machte. Und ja, mit so einem Turbo würde ich gern noch einmal auf diesen Strassen in der Auvergne fahren.

Es ist diese Story Teil der Renault-Beilage in unserer Print-Ausgabe radical #2. Deren Inhaltsverzeichnis finden Sie hier.
Hallo Herr Ruch,
Und wo gibt’s jetzt die radical #2 ?
LG
Danke für das Interview, bitte mehr davon!