Die Revolution
Das letzte Rennen zur Sportwagen-Weltmeisterschaft 1957 war für Maserati ein komplettes Desaster gewesen, am 3. November 1957 hatten die Modenesen beim 1000-Kilometer-Rennen in Caracas nicht nur den Titel an Ferrari verloren, sondern auch noch drei Werksautos, die schon verkauft gewesen waren. Das riss ein so tiefes Loch in die Kasse, dass man sich nicht nur aus dem Rennsport zurückziehen musste, sondern kurz vor dem Bankrott stand. Glücklicherweise lief schon im Sommer 1957 die Produktion des neuen Maserati 3500 GT an, ein Jahr später war bereits wieder etwas Geld vorhanden, das Chefkonstrukteur Giulio Alfieri für einen neuen Versuch im Motorsport einsetzen durfte. Denn Maserati ohne die Rennerei, das ging irgendwie gar nicht, das verstand sogar die sonst eher knausrige Besitzer-Familie Orsi. Selbstverständlich wusste der umtriebige Alfieri auch, dass die Hoch-Zeit der Sportwagen mit Front-Motor eigentlich schon vorbei war; der Italiener kommunizierte oft und gern mit Lotus-Gründer Colin Chapman, er war im Bilde, was in England geschah in jenen Jahren. Er hätte auch gern so ein Mittelmotor-Fahrzeug konstruiert, oder zumindest ein stabiles Monocoque gebaut, doch Alfieri wusste, dass dafür nicht genügend Ressourcen vorhanden waren, denn das hätte ja auch ausgiebiger Testfahrten bedurft.

So kamen Alfieri und sein Team im Oktober 1958 auf die Idee einer ganz neuen Form eines Gitterrohr-Rahmens, der aus 200 Rohren mit einem Durchmesser von 10, 12 und 15 Millimetern Durchmesser bestand, die so angeordnet wurden, dass sie nur in einer Richtung belastet wurden. Als Basis dienten drei horizontale Ebenen, die über vertikale Dreiecksrohrelemente zusammengehalten wurden, an stark belasteten Stellen wurden zusätzliche Streben montiert, als Verstärkung dienten gelochte Bleche. Die ganze Konstruktion war ein Wunderwerk der Statik, sie sah aus wie ein Kunstwerk (oder dann halt wie ein Vogelkäfig, deshalb der Übername «Birdcage») – und sie wog wohl nur etwa 35 Kilo (andere Quellen schrieben sogar: 22 Kilo, aber das ist eher unwahrscheinlich). Auch sonst gaben Alfieri und Konsorten alles. Das Fahrwerk wurde quasi unverändert vom 57er-Formel-1-Weltmeisterauto, dem 250 F, übernommen. Also vorne Einzelradaufhängung mit Querlenkern und Schraubenfedern, hinten eine DeDion-Achse mit querliegender Blattfeder. Die vier Scheibenbremsen baute Maserati selber nach Vorgaben von Girling, neu war eine für die damalige Zeit sehr präzise Zahnstangen-Lenkung. Als Antrieb wurde zuerst der deutlich aufgefrischte, 200 PS starke 2-Liter-Vierzylinder aus einem Maserati 200 S montiert, um 45 Grad nach rechts geneigt, damit er einerseits besser von Luft angeströmt werden konnte, man andererseits die Kardanwelle seitlich am Fahrer zum als Transaxle montierten 5-Gang-Getriebe nach hinten führen konnte. Klar, Trockensumpfschmierung, dies aber aus einer asymetrisch geformten, keilförmigen Wanne, die den Schwerpunkt noch tiefer zog; auch der Fahrersitz streifte quasi den Boden. Die Karosserie wurde intern gezeichnet (und dann von Allegretti e Gentillini zugeliefert) – und im Windkanal optimiert, ein Novum für Maserati.

Im Mai 1959 wurde der erste Tipo 60 mit Stirling Moss am Steuer auf Probefahrt geschickt. Man merkte schnell, dass das Chassis noch verstärkt werden musste, ein paar wenige Kilo kamen noch obendrauf auf das nur gerade 570 Kilo schwere Fahrzeug. Am 12. Juli gewann Moss auf #2451 gleich das erste Rennen, die Coupe Delamare Debauteville in Rouen. Die Kunde vom neuen Maserati-Wunderwerk eilte sofort über den Atlantik, erste potenzielle Kunden meldeten sich noch im Sommer in Modena, doch es verlangte die Amerikaner nach einem grösseren Motor. Alfieri konnte umgehend liefern, 2,9 Liter Hubraum, etwa 250 PS, rund 600 Kilo – der Tipo 61 war geboren. «Ein fabelhaftes Auto! Leicht, sehr agil, fantastische Bremsen, sehr gute Lenkung, enormes Drehmoment und viel Leistung. Ferrari und Lister-Jaguar sind dagegen Lastwagen», sagte Stirling Moss dazu.

Wahrscheinlich wurden insgesamt 22 Tipo 60/61 gebaut, dies mit folgenden Chassis-Nummern: #2451 (Tipo 60/61), #2452 (61), #2453 (61), #2454 (61), #2455 (61), #2456 (61), #2457 (61), #2458 (61), #2459 (61), #2460 (60), #2461(61), #2462 (60/61), #2463 (61), #2464 (61), #2465 (60), #2466 (60), #2467 (61), #2468 (60), #2469 (61), #2470 (61), #2471 (61) und #2472 (61). In Le Mans gewann die Maserati trotz bester Ansätze nie, aber dafür 1960 und 1961 die 1000 Kilometer auf dem Nürburgring. Sie können sich ja in etwa vorstellen, was in der Folge kommt.
Chassis-Nummer: 2454
Motoren-Nummer: 2477
Auktion: Gooding & Co., Pebble Beach 2024, Schätzpreis 5 bis 6 Millionen Dollar. Fertiggestellt wurde #2454 am 9. November 1959, schon Anfang Dezember trat der erste Besitzer Loyal Katskee damit bei der Bahams Speed Week an. Katskee hatte aber kein gutes Händchen mit dem Maserati, verkaufte 1961 an Donald R. Skogmo und sein «Dirty Bird Racing Team«, der auch nur Blumentöpfe gewann mit dem T61. 1965 wurde der Maserati ohne Motor und Getriebe für 2300 Dollar verkauft, in den 70er Jahren erhielt er in England Motor und Getriebe aus einem Maserati 300 S, erst im Besitz von Giulio Dubbini (ab 1978) wurde #2454 wieder mit einem «korrekten» T61-Motor ausgerüstet. In der Folge kam der Birdcage in die Schweiz, zuerst zu Karl Blöchle, später zu Carlo Vögele,, seit 2012 ist der Maserati in den USA.



































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Chassis-Nummer: 2461
Auktion: RM Sotheby’s, Monterey 2013, verkauft für 2’090’000 Dollar. Mit #2461 gewannen Moss/Gurney Ende Mai 1960 souverän die 1000 Kilometer auf dem Nürburgring, auch deshalb ist dieses Fahrzeug einer der berühmtesten Birdcage überhaupt. Ende 1960 verkaufte das Camoradi-Team #2461 an Alan Connell, der liess einen Ferrari-V12 einbauen, gewann damit diverse SCCA-Rennen. In den 70er Jahren kaufte der Engländer Patrick Lindsay den Wagen, liess ihn restaurieren (und einen «korrekten» T61-Motor einbauen), verkaufte ihn dann 1986 an Hartmut Ibing nach Deutschland, der ihn 1999 nach Belgien verkaufte.

















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Chassis-Nummer: 2464
Auktion: RM Sotheby’s, London 2013, Schätzpreis 2,25 bis 2,75 Millionen Pfund, nicht verkauft. Ausgeliefert am 13. Mai 1960 an Lloyd «Lucky» Casner und sein Camoradi-Team (Casner Motor Racing Division), trat der T61 schon wenige Tage später bei den 1000 Kilometer auf dem Nürburgring an. Gregory/Munaron kamen auf den 5. Rang (der Sieg ging an Moss/Gurney im T61 #2461). Bei den 24 Stunden von Le Mans kamen Casner/Jeffords nicht ins Ziel, dafür schafften Casner/Bonnier beim schwedischen Knonloppet den 2. Rang. Ende der Saison verkaufte Casner #2464 an Alan Connell, der in den USA damit einigermassen erfolgreich einige Rennen bestritt. 1962 war dann Enus Wilson der nächste Besitzer, 1964 kaufte Bobby Aylward den Maserati, setzte ihm einen 4,7-Liter-Ford-V8 ein – und verschenkte ihn 1966 an seinen Mechaniker, Ernie McCoy. Viele Jahre später kam das Fahrzeug nach Italien – und 1986 zu Thomas Bscher, dem späteren Bugatti-Chef. Bscher liess #2464 restaurieren, fand auch einen «korrekten» T61-Motor, setzte das Fahrzeug regelmässig bei historischen Rennen ein. Ab 2011 war Lord Laidlaw der nächste Besitzer.


















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Chassis-Nummer: 2470
Auktion: RM Sotheby’s, Monaco 2010, verkauft für 2’464’000 Euro. Das Fahrzeug wurde kurz vor Weihnachten 1960 an den Amerikaner Jack Hinkle verkauft, der in sieben SCCA-Rennen sechs Mal auf Podium fuhr. #2470 soll in den 80er Jahren Lord Hesketh gehört haben.











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