Kleiner Fiesling
Die Geschichte mutet an wie ein Märchen: Am Anfang stand 2013 die Semesterarbeit des Maschinenbaustudenten Raffael Heierli an der Hochschule für Technik Rapperswil. Ihr Titel lautete: «Strukturanalyse zur Konstruktion eines Mittelmotor-Sportwagens in Oldtimer-Optik, zulassungsfähig und in kleiner Serie umsetzbar». Sein Fahrzeug der Wahl war ein klassischer Mini in einer Version der späten 1990er-Jahre.
Die Sache hatte jedoch einen Haken: Das Auto bestand nur auf dem Papier. Der unterdessen 29-jährige Raffael Heierli fragte den Unternehmer Walter Frey um Unterstützung an. Der hatte offene Ohren für das Anliegen – schliesslich hatte seine Emil Frey Gruppe den Ur-Mini jahrzehntelang importiert; er selbst war auf einem Cooper S Rennen gefahren.
Zusammen mit seinen beiden Studienkollegen Marc Bernhard und Adrian Spinnler machte Heierli sich in einer Hinterhofwerkstatt an die Arbeit. Die neu-alte Rohkarosserie wurde von British Motor Heritage gekauft, denn äusserlich sollte sich der Meanie nicht vom Original unterscheiden. Doch unter dem Blechkleid entstand ein anderes – modernes – Fahrzeug. Motor(von VW, 2-Liter-Turbo, 220 PS, 370 Nm maximales Drehmoment), Getriebe (6-Gang, selbstverständlich manuell), Rohrrahmen (vorne Doppelquerlenker-Bauweise mit direkt angesteuertem und einstellbarem Feder-Dämpfer-System; Fahrwerk in Spur, Sturz und Nachlauf einstellbar; hinten Schwingarme mit direkt angesteuertem und einstellbarem Feder-Dämpfer-System; Fahrwerk in Spur und Sturz einstellbar), Bremsen (vorne Vier-Kolben Bremssattel aus Aluminium; gelochte und innenbelüftete 260-mm-Bremsscheiben; hinten schwimmender Ein-Kolben Bremssattel mit 260 mm-Bremsscheiben), Kühlsystem, Abgasanlage und zwei Schalensitze mit Renngurten wurden eigens entwickelt oder aus aller Welt bezogen.
17 Wochen und rund tausend Arbeitsstunden später stand der Prototyp fahrbereit auf den Rädern, als Zweiplätzer und ohne Kofferraum. Ein umfangreiches Testprogramm mit Fahrten auf der Autobahn, der Rennstrecke, über Pässe und im städtischen Stop-and-Go begann. Das 847-Kilo-Leichtgewicht zeigte keinerlei Schwächen, seine unbändige Kraft liess sich bei Bedarf sehr kontrolliert auf die Strasse bringen. Für diese Bachelorarbeit, welche 2014 auch die Prüfungsexperten überzeugte, erhielten die Studenten ihr Diplom.
Als letzten grossen Schritt wollte Raffael Heierli noch die EU-Kleinserien-Typengenehmigung und damit auch die Strassenzulassung für Europa erreichen. Dazu tat er sich mit den beiden hochspezialisierten Safenwiler Emil-Frey-Betrieben Emil Frey Classics AG und Roos Engineering Ltd als Hersteller zusammen. Es folgten 18 Monate harter Arbeit. So musste Heierli 17’000 Seiten Reglemente durchackern. In einer kiloschweren Dokumentation beschrieb er den Meanie bis ins kleinste Teil, ebenso den Herstellungsprozess. Dazu galt es unter anderem beim unabhängigen deutschen Prüflabor Fakt eine Vielzahl von Tests zu absolvieren. Für den Crashtest wurde zum Beispiel ein Abbruch-Mini mit den realen Gewichten des Meanie versehen und gegen die Wand gefahren. Auch «exotische» Tests über die elektromagnetische Verträglichkeit und die Verdunstungsemissionen waren beizubringen. Selbstverständlich musste der Meanie die aktuell gültigen Abgas-, Lärm- und Sicherheitsvorschriften erfüllen.
Nach diversen Nachbesserungen klappte es schliesslich: Im Herbst 2016 erhielten die stolzen Meanie-Macher sowohl die Strassenzulassung für die EU – und damit automatisch auch für die Schweiz – als auch die Genehmigung für die Produktion einer Kleinserie. Diese erlaubt die Herstellung von jährlich bis zu tausend Fahrzeugen. Trotzdem erhält die Schweiz damit keine Automobilindustrie. Da der Meanie wegen hoher Materialkosten, aufwändiger Konstruktion und viel Handarbeit nicht rentabel gebaut werden könnte, soll nach fünf Exemplaren Schluss sein. «Die «Serienfahrzeuge» werden wir noch nach der feinen britischen Art ausstatten, unter anderem mit Leder und Alcantara“, verspricht Raffael Heierli.
Unschuldig steht er nun da, der Ur-Mini. Als könne er kein Wässerchen trüben. Doch der Schein trügt, denn in dem Kleinen pocht ja ein grosses Herz in Form eines durchzugsstarken Mittelmotors. Der Zweiliter-Turbo wuchtet saubere 220 PS auf die Hinterachse. Damit bringt der Zwerg den Paradesprint in unter vier Sekunden hinter sich, und die Tachonadel bleibt dann bei 200 km/h stehen (elektronisch abgeregelt). Damit lassen sich ausgewachsene Sportwagen jagen. Das ist ganz schön fies, weswegen sein Name nicht von ungefähr kommt: Meanie (von engl. mean = fies).
In Genf wird der Meanie nun seine offizielle Weltpremiere erleben. Zwar sind die fünf geplanten Exemplare – zu einem deutlich sechsstelligen Preis – längst verkauft. Aber man weiss ja nie.
(Und warum wir das hier schreiben – es hat alles seinen Grund. Den wir unseren Lesern hoffentlich sehr bald verraten dürfen. Mehr feine Fahrzeuge gibt es immer in unserem Archiv.)
Herrlich. Ich empfehle hierzu auch ‚Project Binky‘ auf YouTube. Die sind zwar noch nicht ganz so weit, doch der Herstellungsprozess ist in höchstem Grade unterhaltend…