Grosser Mann – grosser Wagen
Charles de Gaulle war ein grosser Mann. 1,96 Meter, um genau zu sein. Und einem grossen Mann gebührt auch ein grosses Auto. So dachten Anfang der 60er-Jahre auch die Citroën-Oberen und gaben beim Haus-Karossier Chapron eine Limousine in Auftrag, die ihresgleichen suchte in «la grande nation». Chapron zeichnete und zeichnete und baute und baute, Jahre gingen ins Land, und als die DS «présidentielle» 1968 endlich fertig war, da kam es in Paris gerade zu Studenten-Unruhen, Hippie-Bewegungen und, insgesamt wohl am erfreulichsten, der sexuellen Befreiung. Die «Enragés» rauchten Gauloises, hörten Gainsbourg, lasen Sartre – dazu passte eine über sechs Meter lange und auch sonst ziemlich unförmige Staatskarosse natürlich wie die Faust aufs Aug.
Hin und wieder setzte sich de Gaulle zwar in seine Limousine, auch sein Nachfolger Georges Pompidou gab sich ein paar Mal die Ehre, doch in den vergangenen 50 Jahren kamen keine 6000 Kilometer auf den Tacho. Auch deshalb, weil de Gaulle die fest montierte Trennscheibe nicht mochte. «Mon genéral» habe sich oft und gern mit seinem Fahrer unterhalten, fama est, und deshalb ganz profane DS bevorzugt. Oder dann offene DS. Oder offene SM. Diese kamen dann auch von Chapron. Es kann also nicht am Karossier gelegen haben, dass de Gaulle so selten in der «présidentielle» sass.
Zur DS von Citroën hatte Charles André Joseph Marie de Gaulle, geboren 1880, eine besondere Beziehung. Bei einem Attentat am 22. August 1962, geplant und durchgeführt von der OAS (Organisation de l’armée secrète), schossen elf Attentäter auf die Citroën DS, in der de Gaulle und seine Frau sassen; sie drückten allerdings zu spät ab, weil sie in der Dunkelheit das vereinbarte Signal übersehen hatten. Das Präsidentenfahrzeug wurde trotzdem mehrfach getroffen, unter anderem in einen Reifen. Citroën proklamierte danach für sich, der Chauffeur habe sich samt DS und den de Gaulles nur aus dem Kugelhagel entfernen können, weil das Fahrwerk mit der hydropneumatischen Federung trotz zerschossenen Reifens eine flotte Flucht ermöglicht habe. Doch ein kaputter Pneu ist auch bei einer DS ein kaputter Pneu. De Gaulle, ein alter Kämpfer, seit 1959 Präsident der fünften Republik, besichtigte später das Einschussloch (nicht jenes im Reifen). Und sagt: «Dies hätte ein schönes, sauberes Ende gemacht».
Gepanzert ist auch die DS «présidentielle» nicht. Aber dafür riesig: 6,23 Meter lang (nur wenig kürzer als eine aktuelle S-Klasse mit langem Radstand), 2,13 Meter breit, 2,7 Tonnen schwer. Die Sitzbank für den Chauffeur ist zwar mächtig, doch sie lässt sich nicht verschieben – er sitzt dicht am Lenkrad. Das Cockpit ist ziemlich unübersichtlich, dafür eine einmalige Arbeit aus Holz. Doch spannend ist es hinten. Es ist eine wahre Couch, die dort eingebaut ist, ein mächtiges Teil aus Leder. An Kopf- und Beinfreiheit mangelt es nicht. Es gibt auch eine Bar und dicke Teppiche, in die gleich der halbe Schuh versinkt. In den Armlehnen sind diverse Knöpfe angebracht, darunter auch ein grosser, roter, über den sich aber nicht die Verbindung zum amerikanischen oder russischen Präsidenten herstellen liess, sondern bloss zum Fahrer.
Und so sass der Berichterstatter dann im gleichen Sessel wie einst de Gaulle. Das hingegen goutierte die präsidentiale DS gar nicht: Eine Kurve weiter gab sie ihren Geist auf. Durch gutes Zureden, was bei Citroën noch oft geholfen hat, war sie nicht mehr dazu zu bewegen, ihren Dienst aufzunehmen. Aber ein herbeigeeilter Mechaniker überbrückte die schwächelnde Benzinpumpe mit der klassischen Form der ganz direkten Einspritzung: Ein Kanister Benzin wird vorne in den Motorraum gestellt, dann einmal die Luft durch den Schlauch abgesogen, und kurz darauf setzte sich der Befehlsverweigerer wieder in Bewegung. Der General hätte wohl trotzdem keine Freude gehabt.
Die DS «présidentielle» ist ein Einzelstück geblieben; sie befindet sich in der Obhut des «Conservatoire» von Citroën (das derzeit geschlossen ist, im nächsten Jahr aber zu einem schönen Museum werden soll), gehört allerdings einer Dame, die den Präsidentenwagen auch gar nicht verkaufen will. Eine Meisterleistung von Chapron ist das Fahrzeug allerdings nicht, da hat der grosse Meister Henri Chapron (1886-1978) für einmal kein glückliches Händchen gehabt. Vor allem, wenn man sich vor Augen führt, welch grandiose Fahrzeuge er sonst auf die Strasse gebracht hat. Es könnte daran gelegen haben, dass der Patron Mitte der 60er-Jahre, als an der DS von de Gaulle gearbeitet wurde, bereits zu krank war, um das Heft noch wirklich in der Hand zu halten. 1968 übernahm seine Gattin das Ruder und führte das Unternehmen bis 1985, als es endgültig seine Tore schliessen musste.
Die «Ateliers Henri Chapron» wurden 1919 gegründet und befanden sich zuerst in Neuilly-sur-Seine und später in Levallois-Perret in der Nähe von Paris. Chapron machte sich bald einen Namen als ausgezeichneter, sehr eleganter Designer, und arbeitete an und mit den bekanntesten Produkten der 20er- und 30er-Jahre: Bugatti, Delahaye, Talbot, Hispano-Suiza, sogar Fiat. Seine Einzelstücke konnte der Mann, der sich viel mehr als Künstler denn als Unternehmer betrachtete, bis Mitte der 50er-Jahre verkaufen, länger als die meisten der bekannten französischen Karosserieschneider.
Als die Citroën DS 1955 auf den Markt kam, soll sich Chapron, besagt zumindest die Legende, sofort in das Fahrzeug verliebt haben. Er arbeitete damals zwar noch mit Simca, Renault und Peugeot, doch ab 1958 konzentrierte er sich voll und ganz auf die Kooperation mit Citroën. In den Jahren davor hatte er einige DS auf eigene Rechnung in Cabrios und auch Coupés umgebaut, doch 1958 kam eine offene Göttin mit der Bezeichnung «DS Décapotable Type Usine» auf den Markt. Bis 1971 wurden in Levallois 1365 Stück gebaut. Daneben versuchte sich Chapron mit weiteren DS-Sondermodellen, die alle etwas eigenartige Namen trugen, «la Croisette» etwa, oder «Caddy», «Palm Beach», «Concorde». Alle diese Fahrzeuge sind heute gesuchte Sammlerstücke. Unter dem Regime von Chaprons zweiter Gemahlin wurden auch Citroën SM verwandelt, acht Stück vom «Mylord Convertible» entstanden, und nochmals acht Exemplare vom «Opéra». Von beiden Spezialmodellen gibt es heute Dutzende von Nachbauten. Leider.
Die DS «présidentielle» war nicht das einzige Fahrzeug, das Chapron für die französische Regierung baute. Die Zusammenarbeit hatte schon 1955 begonnen, damals noch mit einem Traction Avant 15 CV, der in den «Ateliers» in ein Cabriolet verwandelt wurde. Später gab es dann auch noch verschiedene SM – eine eher eigenartige Wahl für einen Präsidentenwagen, denn gerade sportliche Fahrleistungen mussten diese Fahrzeuge ja nicht erbringen. Die DS «présidentielle» ist wie andere Wagen mit der gleichen Bestimmung mit einem so genannten Kriechgang ausgerüstet: Sie kann mit Standgas mit etwa 5 km/h einherzuckeln, ohne zu rucken. Das dauernde Nicken der Köpfe des Präsidenten und seiner Gäste hätte ja von den politischen Beobachtern falsch interpretiert werden können.
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