Zurück zum Content

Fahrbericht Renault Espace

Von der Realität eingeholt

Wir wollen gar nicht erst versuchen, alle Trends und Marktentwicklungen verstehen zu wollen. Weshalb die so sehr familienfreundlichen Minivans, auch MPV (Multi Purpose Vehichles) genannt, in den vergangenen Jahren bei der Kundschaft völlig ausser Rang und Traktanden gefallen sind, ist eine dieser Wendungen in der Automobil-Geschichte, für die es eigentlich keine nachvollziehbaren Begründungen gibt. Renault ist als MPV-Pionier davon doppelt betroffen, schon die letzte Generation des Espace wurde vom Minivan zum Crossover, auch der Scenic fristet längst nur noch ein Schattendasein (und kommt deshalb bald rein elektrisch). Und wenn gleich zwei einstige Bestseller in der Verkaufsrangliste weit zurückfallen, muss man etwas dagegen unternehmen. Und so wird der Renault Espace in seiner sechsten Generation zu einem ganz klassischen SUV. Und nein, man braucht nicht darüber zu diskutieren, ob die Bezeichnung Espace nicht etwas Besseres verdient hätte als so ein profanes SUV – der einstige Pionier wurde einfach von der Realität überholt und muss jetzt schauen, wo er bleibt.

Er ist gross geworden, der Renault Espace, denn er muss ja auch noch die Rolle als Top-Modell der französischen Marke übernehmen. 4,72 Meter lang ist er, 1,84 Meter breit, doch 1,64 Meter hoch; der Radstand beträgt 2,74 Meter. Zwar ist der Espace im Vergleich zu seinem Vorgänger 14 Zentimeter kürzer, doch die nutzbare Innenlänge hat sich trotzdem verbessert, auch das maximale Kofferraumvolumen wuchs auf stolze 1818 Liter. Dies allerdings nur beim Fünfsitzer, wer – ohne Aufpreis – die siebensitzige Variante bestellt, muss mit gut 100 Liter weniger auskommen. Sind alle Sitzgelegenheiten besetzt, bleibt hinten noch Raum für 159 Liter Gepäck. Übers ganze Fahrzeug verteilt finden sich zusätzlich weitere Ablagen mit 39 Liter Volumen.

Und genau das darf man den Franzosen hoch anrechnen: Sie nutzen die Möglichkeiten der CMF-CD-Plattform schon sehr geschickt. Die zweite Sitzreihe lässt sich in der Neigung verstellen und um 22 Zentimeter verschieben; ist sie ganz hinten, ist die Beinfreiheit fürstlich. Auch wenn der Schweizer Importeur damit rechnet, dass 80 Prozent der neuen Espace als Siebensitzer bestellt werden, so muss doch erwähnt sein, dass der Zugang zu den hintersten zwei Plätzen einer Turnübung gleichkommt; die Schwiegermutter wird solches nicht sehr schätzen, die Kinderchen wahrscheinlich schon.

Auch der Ausblick nach oben ist wunderbar, das 1,33 Meter lange Panoramadach lässt die Sterne auf alle Plätze im Interieur leuchten. Dieses kommt einem bekannt vor: Das Cockpit folgt der vom Elektro-Megane vorgegebenen Richtung. In der Mitte des Armaturenbretts sitzt ein leicht dem Fahrer zugewandter, hochformatiger 12-Zoll-Multimediatouchscreen. Zusammen mit dem digitalen 12,3-Zoll-Kombiinstrument bildet er die Schaltzentrale, über die sich der Wagen ähnlich wie ein Smartphone bedienen lässt. Nur die Klimaanlage wird noch analog über Drucktasten eingestellt. Wobei: Das ganze Google-basierte System lässt sich auch über Sprache steuern. Das funktioniert auch prächtig. Zudem lässt sich die Software des Autos per Updates over the Air jederzeit aktualisieren. Auch will Renault Kunden die Möglichkeit geben, neue Funktionen nachträglich zu erwerben. Andere Innenraumbeleuchtung, neue Apps? Ein paar Klicks, schon wird die neue Software aufgespielt. (Und nein, wir wollen hier auch nicht darüber diskutieren, was die Einbindung von Google bedeutet, das machen wir dann sonstwo.)

Angetrieben wird der neue Renault Espace ausschliesslich von einem 146 kW/199 PS starken Vollhybriden. Dieser kombiniert einen 96 kW/131 PS starken Benziner mit einem 50 kW/68 PS starken E-Motor. Dazu kommt ein zweiter, kleiner Elektromotor als Startergenerator sowie eine 1,7 kWh grosse Lithium-Ionen-Batterie. Dass der Benziner mit drei Zylindern und nur 1,2 Litern Hubraum auskommt, ist nicht unbedingt ein Nachteil. Vor allem im Stadtverkehr mit viel Stop-and-Go-Verkehr produziert das System genügend Strom, um den Akku immer wieder nachzuladen. Über Schaltwippen am Lenkrad lässt sich die Rekuperation einstellen, in der stärksten Stufe lässt sich der Espace fast wie ein E-Auto im Ein-Pedal-Modus bewegen. So fährt der Wagen weite Strecken elektrisch und soll gemäss WLTP mit einem Verbrauch von 4,6 Litern auskommen. Was zumindest auf dem Papier dann eine Reichweite von 1100 Kilometern ermöglichen würde. Auf der ersten Testfahrt pendelte sich der Verbrauch zwischen 6,5 und 7 Litern ein – auch das ein sehr passabler Wert für ein Auto dieser Grösse. Gegenüber dem Vorgänger wurde die sechste Generation über 200 Kilo leichter, das hilft sicher auch.

Nicht nur begeistert hat uns allerdings das Zusammenspiel von Benziner, E-Motor und Getriebe. Letzteres verfügt über Formel-1-Gene und folglich etwas gar viele Möglichkeiten, will diese anscheinend auch alle ausleben, dreht den Dreizylinder manchmal etwas gar hoch. Das passt dann irgendwie nicht so recht zur doch sehr komfortablen Auslegung des Fahrwerks, die den Franzosen zu einem vorzüglichen Reisewagen macht. Die Lenkung ist etwas gewöhnungsbedürftig, was aber an der (für die Basis-Version aufpreispflichtigen) Allradlenkung liegt, die bei Renault ja unterdessen Tradition hat – und den grossen Espace gerade im Stadtverkehr wendiger macht.

Interessant ist die Preispolitik: Die Preisspanne beginnt schon bei 44’300 Franken, für den Esprit Alpine sind 47’100 Franken fällig, für den wirklich sehr voll ausgestatteten Iconic werden 49’100 Franken verlangt. Die Top-Version ist also mehr als 10’000 Franken günstiger als ihr Vorgänger als Crossover mit dem geringen Platzangebot – das ist eine gute Ansage. Auch in diesem Bereich hat Renault die Zeichen der Zeit erkannt.

Es ist unterdessen viel SUV bei Renault. Da ist der kompaktere Austral, es steht dessen Coupé-Variante Rafale in den Startlöchern, jetzt also auch noch der Espace; alles Benziner. Zwar können sich die Franzosen auch E-Pioniere nennen, haben mit dem Megane und bald mit dem R5 sicher ganz attraktive Stromer-Angebote im Angebot, doch sie wollen halt auch die klassische Kuh noch melken, solange es noch möglich ist. Was sicher nicht der falsche Weg ist, aktuell; die Lust auf E-Geräte scheint etwas abgeflacht, das Bedürfnis nach individueller Mobilität aber nicht. Und während sich der grosse Rest der europäischen Auto-Industrie gerade hintersinnt, wie es denn weitergehen könnte, haut Renault eine Neuheit um die andere raus, den Grossteil davon als Verbrenner. Weil der Grossteil der Käuferinnen Verbrenner will. Es könnte gut sein, dass sich die Franzosen auf dem richtigen Weg befinden.

Im Archiv gibt es auch anderes als SUV.

Gib als erster einen Kommentar ab

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert