Zurück zum Content

Der Krug

Gedanken zum Ist-Zustand

Monterey ist vorbei. Die älteren Millionenstücke mit Preisen überhäuft, die neueren Millionenstücke allesamt per Handschlag versprochen. Vier Millionen für eine Elektro-Berlinetta, 30 Millionen für einen Rolls der grossen Koalition, dazu neu interpretierte Luftboxer von Ruf, wunderbares Zeugs, perfekt arrangiert, perfekt orchestriert, aber eben bloss: kaum mehr als eine Randnotiz. Nächstes Jahr ist alles grösser, besser, schneller – teurer.

Heute ist Caravan Salon, ich weiss nicht einmal genau wo, es interessiert mich auch nicht. Man schreibt die Zeilen zum California Concept, fragt sich, ob der T7 – dieser elende Rohrkrepierer, der den Namen Bulli gar nicht verdient – vielleicht in dieser Zweitür-Version erstmals richtig funktionieren könnte und der ganzen Baureihe zu Ruhm verhelfen kann. Doch dann ist der Text auch schon raus, die Kommentare sammeln sich, die Likes, Dislikes, Interaktion, was auch immer. Es spielt keine Rolle, weil man schon an der nächsten News sitzt, oder sich zumindest am Kopf kratzt, ob das Solardach auf dem Transit-Camper eine weitere News wert ist. #vanlife, geht eh immer. Oder doch bloss eine Randnotiz? Nächstes Jahr ist alles grösser, besser, schneller.

Morgen ist IAA. Die erste, die wir seit 1997 verpassen. Die Erklärung ist simpel: Der Krug ist zerbrochen. Er war zu oft am Brunnen. Nehmen wir Opel als Beispiel. Aus Angst, im Vorankündigungsfeuer der Grossen zerfetzt zu werden, haben sie ihren Messesuperstar schon vor Wochen angekündigt. Schöne Bilder, ein toller Fotograf, ein guter Freund, doch das Auto: WTF? Vielleicht war die Taktik der Rüsselsheimer, dass man das Experiment bereits vergessen hat, wenn es dann endlich endlich auf der Messe steht – und es so noch einmal als Premiere feiern kann. Zwei zum Preis von einem. Tavares wird Applaus klatschen ob derlei Effizienz. Der Kunde: Es ist ihm egal. Der Kunde will einen Manta. Einen echten Manta. Er kriegt keinen, er kriegt irgendeine seelenlose SUV-Mettwurst mit Elektrounterbau, die ihn tränenüberströmt auf dem Ölfleck-getränkten Garagenboden über dem CIH-Eisenschwein zusammenbrechen lässt. Auf das die Ersatzteilversorgung nie abreissen möge. Doch es kümmert keinen. Das Rad muss sich weiterdrehen, die Richtung ist egal. Nächstes Jahr ist alles grösser, besser, schneller.

Und dann ist man wieder beim Dauertest-Dacia. Ein fehlerloses Auto. No-Nonsense. Klar, ohne Radhausverkleidung und ohne Konservierung des Unterbodens wird man auch ihn in fünf Jahren auf dem Kehrblech zusammenzukehren. Aber so muss es ja sein, sonst würde der Karussell ja nicht weiterdrehen, weshalb wir dem tapferen Rumänen hier keinen Vorwurf machen wollen, schliesslich war der Einsatz für ihn auch übersichtlich.

Doch der Einsatz ist bei allem jenseits eines Dacia alles andere als übersichtlich. Er ist irrsinnig. Der Porsche 911 S/T zum Beispiel. 350‘000 Franken (in Deutschland ist er im Vergleich dazu: günstig, unter 300 Kilo!) – und wofür genau das? Für einen GT3 RS ohne Spoiler, den man auch für 100 grosse Scheine weniger kaufen kann. Dazu die «Limitierung»: 1963 Stück. Das sind fast 200 Millionen mehr Umsatz bei null Mehrkosten. Im Gegenteil, die ganze sündteure Aktiv-Aero vom RS haben sich die gewieften Schwaben sogar weggespart. Die Jünger stehen dennoch Spalier, klar, wir auch. Und warum: Weil das Auto eine Seele hat. Weil sich der Vierliter am 9000er-Gipfel derart in den Gehörgang fräst, dass es dem Tesla-Kollegen am Supercharger glatt den Stecker zieht.

Und doch, auch wenn der S/T in allen Bereichen ein absolutes Optimum darstellt, so fragt man sich doch, wie sie in Zuffenhausen so frech sein können: Das Ding eiskalt nur wenige Monate vor dem Facelift des 992 ins Rampenlicht zu schieben, wohlwissend, dass der Kult alle 1963 Stück innert Sekunden ausverkauft, selbst gestandene Sammler, die in den letzten Jahren Millionen (!) in Neuwagen mit dem Rössle investiert haben, um eine Allokation ringen müssen, das können nur Schwaben. Weil sie wissen, dass sie die Nummer nach dem Facelift noch einmal durchziehen können. Noch einmal ein letzter handgeschalteter Vierliter-Sauger mit Rennsport-Genen. Noch einmal einmal einmal. Dann heisst er halt SC/RS, RSL – an ruhmbekleckerten Bezeichnungen ist man ja zum Glück nicht arm in Stuttgart. Und schon sind die nächsten 200’000’000 eingefahren. Einfach so, weil es geht. Aber vielleicht, es fällt uns wirklich schwer, es auszuformulieren, vielleicht kann auch eine Marke wie Porsche seine Geschichte überreizen. Erschwerend kommt hinzu, was man hinter vorgehaltener Hand vom Macan EV hört. Da ist nicht jeder Mitarbeiter in Weissach zu einhundert Prozent glücklich. Und das ist noch eine freundliche Umschreibung.

Was bleibt als Ausweg? Nichts? Natürlich nicht. Es gibt immer einen Ausweg. Und nichts liegt uns ferner als zu jammern. Und ja, auch wenn man die elektrische Zukunft nicht gutheissen mag, wir empfehlen sie wärmstens. Wer in der günstigen Position eine Zweifahrzeughaushalts ist und daheim laden könnte, der wäre dumm, nicht auf ein elektrisches Auto umzusteigen. Der Alltag ist ein Traum. Lautlos, kraftvoll, mühelos. Einsteigen, aussteigen und dazwischen keinen Gedanke an das Fahren verschwenden. Die anderen machen es ja auch nicht. Und was hilft der Zwischengas-blaffende Boxer, wenn er sich mit 27 km/h auf der uneinsehbaren Landstrasse vom Supermarkt zurück ins Dorf hinter einem Ü80-Pärchen im Hyundai i20 mit Viergang-Wandlerautomat hintenanstellt? Nichts. Gar nichts. Ausser hohem Blutdruck vielleicht. Probieren Sie in dieser Situation etwa einen (nun leider nur noch gebrauchten) BMW i3. Vorzugsweise mit harman/kardon-Soundsystem. Freude am Fahren.

Libertäre wittern spätestens jetzt den totalen Verrat. Doch weit gefehlt. Man muss sich seine Energie aber weise einteilen, weil sie dieser Tage an so vielen Stellen unnütz verprasst wird. Man muss die Gelegenheiten suchen. Und im Alltag, im Neuwagen, in der Elektrokiste wird man sie nicht finden. Man findet sie stattdessen auf dem Kiesplatz. Abseits von den Junggebrauchten. Dort wo Export angeschrieben steht, oder: ohne Gewährleistung. Dort, wo der Händler sich angesichts der geltenden Käuferschutzgesetze mehr als zweimal überlegt, ob er die Kiste nicht in Teilen verkaufen oder gleich in die Presse schicken soll.

Dort findet man Gelegenheiten. Dort findet man Geschichten. Dort findet man das automobile Glück. Denn der Krug mag zwar zerbrochen sein. Doch der Brunnen hat noch Wasser. Man muss nur tief hinunter.

Warum wohl haben wir: Projekte?

2 Kommentare

  1. Richard Richard

    Ein wunderbarer Bericht.
    Genau so ist es (leider?) !

  2. Markus Markus

    Spricht mir aus der (Auto-Maniac)-Seele… Ein wunderbarer Artikel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert