Diese sonderbaren Geschichten
Es könnte dies nun etwas verwirrend werden, achten Sie deshalb bitte genau auf die Chassis-Nummern, dies ist sehr wichtig. Und wir hoffen, dass wir alles so einigermassen korrekt wiedergeben. Im Prinzip geht es um folgende zwei Ferrari 375 MM:
Chassis-Nummer: 0362AM
Erster Besitzer: Tony Parravano
Auslieferung: 31.10.1953
Die frühe Geschichte dieses Fahrzeugs ist einigermassen klar. 1954 und 1955 setzte es Parravano, zumeist mit Jack McAfee am Steuer, bei diversen SCCA-Rennen ein, es gab auch ein paar Siege. Am 1. Mai 1955 hatte McAfee in Bakersfield einen Unfall, Überschlag, danach wollte Parravano den Ferrari «kürzen» und für die Carrera Panamericana 1955 umbauen – die bekanntlich nie stattfand. 1957 kaufte Frank Arciero das unvollendete Projekt, baute seine eigene Kunststoff-Karosse darauf, setzte das Fahrzeug (ab 1959 mit einem 4,2-Liter-Maserati-Motor) bei diversen Rennen ein, mit Dan Gurney, Skip Hudson oder Bob Bondurant am Steuer; sein letztes Rennen bestritt 0362AM wohl im Oktober 1961. Aber, ganz wichtig: Parravano hatte ja so das eine oder andere Problem mit dem Behörden (wir haben die Geschichte schon erzählt, teilweise, hier). 1957 wurden einige seiner Fahrzeuge und ganz viele Ersatzteile versteigert, ein Colonel Bob Sorrell bediente sich dabei mit guten Stücken von 0362AM. 1968 dann kauften Charles Betz und und Fred Peters ein paar Überreste vom Parravano/Arciero-Fahrzeug, in erster Linie das Chassis.
Damit kommen wir zum zweiten Fahrzeug:
Chassis-Nummer: 0374AM
Erster Besitzer: Enrique Diaz Saenz Valiente, auch bekannt als «Patoruzu»
Auslieferung: 15.12.1953
Auch hier ist die Frühgeschichte eigentlich klar: Das Fahrzeug ging nach Argentinien zu Valiente, selber ein sehr tauglicher Pilot, der seinen Ferrari aber für die 1000 Kilometer von Buenos Aires 1954 Ibanez/Janices überliess; Janices schmiss den Wagen weg. 0374AM, ursprünglich blau mit gelbem Streifen, wurde repariert, rot mit schwarzem Streifen lackiert – und Valiente fuhr einige grossartige Siege heraus, den wichtigsten wohl im September 1954 bei der «Turismo Carretera». Er fuhr auf eigener Achse fast 600 Kilometer bis zum Start, gewann das 736 Kilometer lange Rennen auf öffentlichen Strassen in knapp zweieinhalb Stunden (was einen Schnitt von mehr als 210 km/h ergibt), fuhr danach wieder 600 Kilometer zurück nach Buenos Aires. Sein grösstes Problem waren: Vögel. Valiente hatte dafür extra einen Kollegen engagiert, der ihm in einem Flugzeug vorausfliegen und die Viecher verscheuchen sollte, doch er war schlicht schneller als das Flugzeug. Egal, er gewann, und gewann auch sonst oft. Auch der nächste Besitzer, Carlos Najurieta, gewann so ziemlich immer, wenn er an den Start ging – bis sein Co-Pilot Cear Rivero den Ferrari am 20. Januar 1957 in einem Baum parkte. Danach verliert sich die Spur dieses Fahrzeugs bis 1983, als es in einem desolaten Zustand in Montevideo, Uruguay, gefunden wurde.
Ab jetzt wird es etwas komplizierter: Während in den USA Betz und Peters, zwei ausgewiesene Ferrari-Spezialisten, mit der Restauration von 0362AM begannen, wurde 0374AM in Italien von Grad Vittorio Zanon di Valguriata in Obhut genommen, auch er ein ausgewiesener Kenner mit besten Verbindung. Valguriata kaufte einen 375-MM-Motor, der als 0376AM gestempelt war, doch darunter konnte man anscheinend einen weiteren Stempel erkennen: 0362AM. Und so passierte es, dass das Gerücht (und später die Geschichte) entstand, dass es sich bei 0374AM eigentlich um 0362AM handelt. Gleichzeitig suchten sich Betz/Peters in mühsamer Kleinarbeit auf der ganzen Welt Teile von 0362AM zusammen, hauptsächlich natürlich von Bob Sorrell und seinen Erben, kauften irgendwann auch einen echten 375-MM-Motor dazu, der, drei Mal dürfen Sie raten, welchen Stempel trug? Ja, genau, 0376AM.
Chassis-Nummer: 0376AM
Erster Besitzer: Alfred Erwin Goldschmidt
Auslieferung: 12.08.1953 (!)
Noch ein spannendes Fahrzeug. Gehörte zuerst Goldschmidt, dann Luigi Chinetti, der es dann an John Shakespeare verkaufte. Chinetti/Shakespeare fuhren damit in der Carrera Panamericana 1954 auf den 6. Rang (es war dies das letzte Rennen von Chinetti), es ging danach durch viele Hände (unter anderem jene von Pierre Bardinon, dessen Sammlung über jeden Zweifel erhaben war), es ist nichts bekannt über Motorenschäden oder sonstige Probleme, 0376AM gilt als sauber, mit Originalmotor (also 0376AM). Und doch gibt es wieder Fragezeichen, denn in gewissen, ansonsten durchaus verlässlichen Quellen heisst es, 0376AM sei umnummeriert worden als 0362AM. Aber eigentlich sei 0376AM ursprünglich 0382AM gewesen:
Chassis-Nummer: 0382AM
Erster Besitzer: William Spear
Auslieferung: keine Angaben
0382AM hat nun aber eine so richtige reichhaltige Renngeschichte. In den Händen von Spear, Duncan Black und George Burke nahm dieses Fahrzeug bis im Ende 1961 an sehr vielen Rennen teil in den USA, das ist alles sauber verbürgt und dokumentiert. Auch 0382AM hatte anscheinend nie einen Motorentausch und gilt heute als sauber (so sauber, wie man halt sein kann nach einer Inspektion von Ferrari Classiche).

Wir beginnen quasi von vorne: Die Bilder des Fahrzeugs hier stammen von 0374AM, der 2012 von RM Sotheby’s als 0362/0374AM angeboten wurde, hmm, fälschlicherweise. Man darf unterdessen davon ausgehen, dass es 0362AM tatsächlich gibt (wenn auch «nur» als Wiederaufbau) und 0374AM ebenfalls (in ähnlicher Form wie 0362AM – unterdessen ist es wieder blau/gelb lackiert), dass 0376AM und 0382AM wahrscheinlich etwas originaler sind. Es ist das übliche Spiel, diese Idiotie mit dem «matching numbers» von Chassis und Motor wird gerade in diesem Beispiel herrlich ab absurdum geführt. Es würde an Ferrari liegen, diese Unklarheiten zu beseitigen, Ferrari könnte das auch, problemlos, doch das liegt natürlich nicht im Interesse der Italiener, sie kassieren lieber vier Mal – und lassen Tür und Tor offen für Spekulationen. Schade.
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