Auto des Jahres
Es wird dies: ein Loblied. Wir wissen, da wird wieder manch einer – ganz besonders von unseren nördlichen Nachbarn – den Kopf schütteln, sich fragen, wie man denn ein Auto ernst nehmen kann, das nicht einmal über einen Schminkspiegel verfügt. Bei dem man das Knöpfchen gedrückt halten muss, wenn man die Seitenscheibe öffnen oder schliessen will. Das keine Frontleuchten mit Swarowski-Steinchen im der Sonderausstattungsliste hat. Nun denn, träumt weiter von einem gebrauchtgeleasten schwarzen Audi-Kombi mit der Basismotorisierung – wir Euch auch…
Es war: warm. Die Aussentemperatur-Anzeige stand auf 40 Grad. Die französische Autobahn war leer – der C4 Cactus dafür bis unters Dach vollgepackt. Vier Personen, das Feriengepäck für zwei Wochen, 140 km/h auf dem Tacho, die Klimaanlage auf Höchstleistung. Und doch verharrte der Durchschnittsverbrauch im Bordcomputer sauber unter 5,5 Litern. Was sich dann an der Tankstelle auch bestätigte: 749 Kilometer, genau 40 Liter. Also ein Schnitt von 5,34 Liter unter Bedingungen, die von Automobilen nicht besonders geschätzt und dann meist mit einem hohen Verbrauch abgestraft werden. Unser Dauertest-Cactus steckte das aber locker weg; dort, an der Tankstelle, war fast so etwas wie ein Lächeln auf seinem sowieso freundlichen Gesicht.
Überhaupt, der Verbrauch: 4,7 Liter haben wir im Schnitt verbraucht auf den 40’000 Kilometern, die wir mit dem Cactus innerhalb eines Jahres zurückgelegt haben. Und da waren keine expliziten Sparfahrten dabei, der Bestwert von 4,1 Litern kam im Frühling auf Schweizer Autobahnen und Landstrassen zustande. Der Höchstwert von 7,8 Litern war eine Vollgasfahrt über die deutschen Autobahnen des Nachts, mit einem Durchschnitt von fast 160 km/h. Ja, wir haben die Klimaanlage ausgeschaltet, wenn es sie nicht brauchte, ja, wir haben uns schon Mühe gegeben, den 1,6-Liter-Diesel stets im optimalen Bereich zu bewegen, doch: 4,7 Liter im Schnitt sind auf Schweizer Strassen als sensationell zu bezeichnen. Bei vernünftiger Fahrweise, also kein Geschleiche hinter Lastwagen. Das haben wir nicht einmal mit hochkomplexen – und vor allem: viel teureren – Hybriden je geschafft. Und nein, auch mit MQB nicht.
Und so kommen also erfreulich tiefe Betriebskosten zusammen. Der Service bei 20’000 Kilometern kostete 420 Franken, da ist zwar kein Schnäppchen, aber in einem vertretbaren Bereich. Öl braucht der Selbstzünder irgendwie keines, ausser, wenn man den Ölstand kontrolliert. Und die Reifen, sowohl für Winter wie auch für Sommer, sehen nach je rund 20000 Kilometern zwar nicht mehr aus wie neu, machen aber bestens nochmals eine Saison mit. Auch die Bremsen scheinen wir nur selten benützt zu haben. Diese drei Punkte, der geringe Verschleiss an Bremsen, Reifen, überhaupt Material sowie der tiefe Verbrauch, sind auf jeden Fall dem niedrigen Gewicht unseres Probanden geschuldet – das Bewegen von knapp 1000 Kilo braucht einfach weniger Ressourcen als die in diesem Segment üblichen 1,3 Tonnen.
Was, unter anderem, beweist, dass das Konzept von Citroën beim C4 Cactus aufgeht. Die Idee des Verzichts auf unnötige Gimmicks, auf die Reduktion auf das Wesentliche, funktioniert. Wir haben keinen Spurhalte-Assistenten vermisst und auch die Kofferraum-Beleuchtung nicht, die Kinder hatten Freude an den hinteren Ausstellfenstern und wir fanden uns intuitiv mit dem Bediensystem, das hauptsächlich über den grossen Touchscrenn oberhalb der Mittelkonsole und nicht mehr über Knöpfchen und Schalterchen geschieht, zurecht. Die Scheibenwischer mit den in die Wischer integrierten Düsen taten ihren Dienst bestens, den Beifahrer-Airbag, der unter dem Dach eingebaut ist und so Platz macht für ein taugliches Handschuhfach, brauchten wir zum Glück nie. Und auch an den Airbumps, die den Wagen vor kleineren Schäden schützen sollen und sich bei Bedarf für wenig Geld auswechseln lassen, gab es keinen Schaden; die Befürchtungen mancher Kritiker, dass diese Hartplastikteile bald schon nicht mehr schön aussehen werden, können wir nach einem Jahr – und einem heissen Sommer – beim besten Willen nicht bestätigen.
Ja, er ist uns ans Herz gewachsen, der Cactus. Es fällt schwer, auch aus einer gewissen Distanz betrachtet, negative Punkte an diesem charmanten Franzosen zu finden. Gut, ein paar PS mehr, etwas mehr Durchzugskraft wären vielleicht wünschenswert, obwohl wir ja mit dem 100-PS-Diesel die stärkste Variante im Test hatten. Auch ein sechster Gang wäre gerade bei langen Autobahnfahrten nicht falsch. Nicht klagen können wir über die ausladenden, breiten, sehr weichen Sitze, die sich auch auf langen Strecken als ausgesprochen komfortabel erwiesen – es kamen dabei fast nostalgische Gefühle auf, Erinnerungen an den 2CV. Auch die hinteren Passagiere maulten nie über zu wenig Platz, weder für die Beine noch für den Kopf. Und der Kofferraum ist zwar auf dem Papier mit 350 Litern nicht gerade üppig dimensioniert, doch im Alltag – und in den Ferien – zeigte er sich als überraschend gut beladbar und völlig ausreichend. Bei Bedarf kann auch die Rücksitzbank abgelegt werden, das könnte einfacher funktionieren, doch dann stehen anständige 1170 Liter Volumen zur Verfügung.
Es soll vorkommen, dass die Presse von den Herstellern speziell behandelte Testwagen erhält. Wir wissen nicht, ob das bei Citroën auch der Fall ist. Unser Testwagen hatte innerhalb eines Jahres und auf den 40000 Kilometern, die ihn unter anderem bis in den Norden Dänemarks, in den Süden Italiens, ganz in den Westen Frankreichs und auch nach England führten, nicht einen einzigen qualitativen Mangel. Doch, einen, manchmal gab es bei etwa 150 km/h auf der Autobahn ein kaum vernehmliches Windgeräusch. Das aber nach einigen Kilometern wieder verschwand. Ansonsten: keine einzige Klage. Etwas, was viele Fahrer anderer Marken einem Citroën nicht unbedingt zutrauen würden, oder?
Als Fazit bleibt: der Citroën C4 Cactus hätte den Titel des «Auto des Jahres» – es gewann heuer der VW-MQB-Passat, der Franzose wurde 2. – unbedingt verdient gehabt. Er bringt frischen Wind in die Auto-Industrie, deren wichtigste Errungenschaft der vergangenen Jahre das Bepacken der Autos mit Sonderausstattungen ist, die weder jemand braucht noch jemand will. Der Cactus zeigt, dass weniger tatsächlich mehr ist – und wenn es nur mehr Kilometer mit einer Tankfüllung sind. Bei aller Vernunft ist der Franzose aber auch wunderbar charmant – und diese Kombination macht ihn derzeit auf dem Markt einzigartig.
Mehr Citroën gibt es in unserem Archiv.
Großartig! Endlich mal ein guter Artikel! Danke euch 🙂
[…] auch Citroën-CEO Linda Jackson, Produkt-Chef Xavier Peugeot und Chefdesigner Alexandre Marval: der Cactus war so etwas wie das Kick-off-Modell für «new» Citroën. Ein erfolgreicher Versuchsballon […]
Grossartig!
Dieser Artikel bestätigt mich in meiner Entscheidung den Blue HDI 100 als Sonderedition Rio Carl bestellt zu haben. Ich freue mich sehr!
eine weise entscheidung. wir haben auf unserem Cactus unterdessen 60’000 Kilometer – und sind weiterhin nur glücklich.
Super Bericht! Ich finde das Design übrigens sensationell, hebt sich wunderbar vom Einerlei auf den Strassen ab.
Ich liebäugle schon lange mit dem Cactus als Alltagsauto…
können wir nur empfehlen.
[…] wenn das ganz viele Menschen noch nicht wissen: der Citroën C4 Cactus wird eine Ikone des Automobilbaus werden. In wenigen Jahren wird die Auto-Welt verstanden haben, […]
Hallo liebe Red,
ihr trefft den Nagel auf den Kopf. Nach 10 Monaten C4 Cactus bin ich mir sehr sicher das richtige Auto gekauft zu haben.
Danke auch für eure anderen Cactus Artikel. Die haben auch zum Kauf beigetragen.
Liebe Grüße aus MQB-Land 😉
Alex
[…] jetzt mal von vorn. 2015 zeigte Citroën die so wunderbare Studie Cactus M, die auf Basis des C4 Cactus einen ausgezeichneten Nachfolger des wahren Mehari abgegeben hätte. Es war aber damals schon klar, […]
[…] Der neue C3 ist ganz klar der kleine Bruder des C4 Cactus. Optisch ist er weniger offensiv als unser ehemaliger Dauertestwagen, sagen wir mal: weniger […]