Fertig lustig
Als ich vor gut zehn Jahren erstmals einen Lamborghini Aventador fahren durfte, erschien er mir die automobile Umsetzung von Dantes Hölle. Damals hatte noch nicht jedes zweite SUV jene 700 PS, die den Bullen an allen vier Rädern nach vorne rissen, damals waren die über 2 Meter Breite (2,03 Meter, um genau zu sein – und das ohne Rückspiegel) noch sehr aussergewöhnlich auf öffentlichen Strassen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit einem schwarzen Aventador in die Berge südlich von Bologna fuhr – und Blut und Wasser schwitzte bei jedem Dreirad-Piaggio, das mir entgegenkam. Rückwärtsfahren: schwierig. Vorwärtsfahren: der Traum. Zwölf Zylinder, 6,5 Liter Hubraum, die schon erwähnten 700 PS, freisaugend – es war der absolute Wahnsinn.

Seither ist viel Wasser den Po hinuntergelaufen, es kamen noch viel bescheuertere Geräte auf den Markt, der Chiron von Bugatti knallt rund doppelt so viele Pferde auf die Gasse, zwei Meter breit fühlen sich schon kompakte Crossover mit 3-Zylinder-Downsizing-Motörchen an, die weniger als drei Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h schafft unterdessen jedes zweite E-Auto. Es wurde über die zehn Jahre Produktionszeit so der eine und auch noch andere Aventador, den ich fahren durfte. Im Roadster fuhr ich zum ersten Mal über 300 km/h – also offen über 300 km/h. Im SVJ fuhr ich zuerst gar nicht (weil irgendein Depp das Gerät, das ich hätte fahren sollen, in der Leitplanke versenkt hatte), dann wie ein Anfänger (ich mag keine Rennstrecken – und unter den Rennstrecken Estoril am wenigsten) – und schliesslich, als SVJ Roadster, dann doch noch bestens, zwei Tage lang quer durch die Emilia Romagna, Michelin-Bib-Beizen, Culatello-Produzenten, Markt in Modena, ach, schön war es.

Um ehrlich zu sein: Einst war ich mehr so der Ferrari-Mann. So ganz allgemein Heritage, Formel 1, Le Mans – Lamborghini hat da ja nichts zu bieten. Und war mehr so: Goldkettchen. Dauerwelle. Brusthaar-Toupet. Es begann mit dem Gallardo, sich zu ändern – und zuerst der Murcielago, dann der Aventador waren dann schon gute Gründe, sich intensiver auch mit der Geschichte von Lamborghini zu beschäftigen. Klar, Miura, auch klar: Countach. Diese Kompromisslosigkeit, die den Aventador schon immer ausgezeichnet hat, passte bestens ins eigene automobile Weltbild. Er war nie elegant, er war immer das Brett vor dem Kopf, er wollte nie etwas anderes sein als ein brutales Vieh – und genau das macht ihn heute noch aus. Aventador elektrifiziert? No way. Wenn er nicht schon im Stillstand 25 Liter verbrennt, wenn er nicht mehr danach aussieht, als ob er parkiert und ohne laufenden Motor mehr als 100 Dezibel laut ist, dann ist es kein Aventador mehr. Aber wir haben ja jetzt noch einen, nicht «Ultimae», sondern den SVJ.

Es ist eine wunderbare Gasse dort, von Bologna zuerst noch öd nach Sasso Marconi, dann über Pianoro nach Loiano und Monghidoro hoch auf den Raticossa, eine dieser Mille-Miglia-Legenden. Es ist kaum Verkehr, warum auch, alle fahren über die A1, aber auch deshalb sind die Strassen nicht gut, viele Schlaglöcher, eng. Sehr eng teilweise. Man könnte meinen, dies sei nicht das optimale Geläuf für einen 770 PS starken und 2,09 Meter breiten Sportwagen wie den Lamborghini Aventador SVJ, man kommt ja auch nie über den dritten Gang. Doch wir haben grad keine Rennstrecke zur Hand, auf die Autobahn wollen wir auch nicht, bleiben uns jede Menge Kurven und dann ein Espresso oben auf dem Pass.
Unterdessen hat Lamborghini, wie erwähnt, noch den Ultimae nachgereicht als wirklich letzte Ausbaustufe des Aventador, doch eigentlich ist so ein SVJ das, was man haben will. Unverfälscht, richtig, richtig böse, auch optisch. Er hat diese hinten hochgezogenen Kaminrohre, auch Auspuffendrohre genannt, und er hat vor allem ALA (Aerodinamic Lamborghini Attiva). Da arbeitet der Lamborghini: mit dem Wind. In der Kurve kann ALA den Anpressdruck asymetrisch erhöhen, also in der Linksbiegung links mehr Druck ausüben und die rechte Seite entsprechend entlasten. Vor allem aber gibt es einen mächtigen, schön gebogenen Heckspoiler, der muss einfach sein, nur schon für das Gefühl. Und auch deshalb, weil er sämtliche Sicht nach hinten verbaut – wer will schon nach hinten schauen in einem Aventador SVJ? Ob ALA uns jetzt schneller gemacht hat auf dem Weg zum Raticossa, wagen wir zu bezweifeln. Ist aber auch nicht so wichtig.
Aber ja, wir können Ihnen versichern, dass wir schnell waren. So richtig. Auch wenn nicht die groben Pirelli-Trofeo-R-Reifen, die es gegen Aufpreis gibt, montiert waren, so verfügt der Allradler doch über jenseitig viel Grip. Der SVJ ist zwar betont hecklastig ausgelegt, die Hinterradlenkung hilft da auch noch etwas mit, doch das Ding macht keinen Wank. Nichts, auch wenn man mit Verve versucht, es hinten zum Ausbrechen zu bringen. Die hinteren Räder drehen zwar manchmal durch, gerade, wenn man im ersten Gang aus der engen Kurve hinausbeschleunigt, doch der Aventador hält auch dann eisern die Spur. Für gröbere Manöver fehlte uns da auf der engen Gasse schlicht und einfach der Platz. Doch wir wollten das ja auch gar nicht, wir wollten einfach schön flüssig und schnell hoch auf den Berg. Und da kommen uns jetzt nicht viele Fahrzeuge in den Sinn, mit denen das besser, flotter, mit intensiveren Gefühlen geht als mit diesem Lamborghini Aventador SVJ. Vielleicht auch: keines.
Das hat ganz viel mit dem Motor zu tun, denn es ist ein herrliches Aggregat, das den SVJ antreibt: Zwölf Zylinder in V-Anordnung, 6,5 Liter Hubraum, 770 PS bei 8500/min, ein maximales Drehmoment von 720 Nm bei 6750/min. Dieser Motor, der leicht zur Seite versetzt eingebaut ist und seine urige Kraft auf alle vier Räder abgibt, soll den trocken 1525 Kilo schweren SVJ in nur gerade 2,8 Sekunden auf 100 km/h beschleunigen (und in 24 Sekunden auf 300 km/h); als Höchstgeschwindigkeit sollen über 350 km/h möglich sein. Doch grau ist alle Theorie – und herrlich laut die Maschine, wenn sie bei 8700/min in den Begrenzer knallt. Opera buffa, das ganz grosse Theater, wie es halt nur die Italiener können, für die anscheinend andere Lärm-Grenzwerte gelten als für andere Hersteller. Und das ganz direkt mitten ins Ohr und dann ins Hirn. 12 Zylinder in einem Winkel von 60 Grad, ganz klassisch, sind und bleiben die edelste Form von Motorenbau. Es muss wieder einmal geschrieben sein: spätestens seit dem Miura sind die Lamborghini-Motoren optisch schlicht die schönsten, da sollten sie in Maranello vielleicht einmal darüber nachdenken. Das Auge hört ja auch mit. Oder so.

Und so sitze ich oben auf dem Raticossa, trinke einen Espresso, um mich vor allem Motorrad-Fahrer. Doch auch sie schauen verschämt auf das Vieh, das dort auf dem Parkplatz knistert und knackt, nähern sich ihm, ehrfürchtig, zücken die Kamera. Er war nie elegant, der Aventador, er wollte nie etwas anderes sein als das Sinnbild für automobile Kompromisslosigkeit – und genau das macht seine Faszination immer noch, immer wieder aus. Es wird auch nie wieder so ein Automobil geben, alles nach dem SVJ kann nichts anderes als lauwarm sein.

Also, weiter, noch bis zum Futa, dann eine breitere, weitere Landstrasse zurück Richtung Bologna. Dort ist er erst recht in seinem Element, der Lamborghini, gefällt mit etwas Rest-Komfort, einer unglaublich präzisen Lenkung, wahnsinnigen Bremsen. Das Problem ist: Ich bewege mich dauernd in Geschwindigkeitsbereichen, die dann wohl auch der grosszügigste italienische Freund und Helfer nicht mehr angebracht finden würde. Aber man kann gar nicht anders im Aventador, es ist eine Sucht, diese unfassbare Beschleunigung, dieser grossartige Lärm, dieser Ausdruck von Kraft und Macht. Das Fingerschnippen an den riesigen Paddels für den nächsthöheren Gang. Da kommt man dann auf der Geraden auch mal auf deutlich über, aber lassen wir das. Latscht man so richtig auf das Bremspedal, dann setzt das Kleinhirn kurz aus, der Körper wird von den Gurten zurückgehalten, der Kopf setzt noch zum Überholen an.

Als ich dann wieder eintauche in den Grossstadtverkehr rund um Bologna, beschleicht mich: Wehmut. Ich streiche sanft über das Alcantara-Lenkrad des SVJ, berühre mit einer gewissen Demut das in Karbon und anderen feinsten Materialien ausgekleidete Innenleben des Lamborghini. Ach, das können sie einfach besser in Italien als irgendwo sonst, die Verarbeitung ist wunderbar, das Zusammenspiel von Farben, Handwerk, Qualität, Liebe noch zum kleinsten Detail ist auf einem Niveau, das nur im «Motor Valley» rund um Modena existiert. Ich streichle ein Automomobil? Das hier ist auch ein Abschied. Es ist vorbei, ich muss es akzeptieren. Aber es tut weh.
Denn es ist fertig lustig. Es ist sowieso Schluss mit allem Bösen, Groben, Lauten. Ferrari hat sich schon vor längerem verabschiedet in vegane Abteilung, political correctness, zu den elektrifizierten Heul-Bojen. Auch der Nachfolger des Aventador wird verstromert werden, Brüssel will das so. Die Kunden wohl eher nicht, sie bestellen gerade wie wild, es gibt wohl kaum mehr freie Aventador-Slots, aber das ist den binären Politiker***innen wurschd, auch wenn sie Feinstaub nicht von CO2 unterscheiden können. Und trotzdem, wahrscheinlich ist das auch der richtige Weg, für das Klima und die Umwelt und das Leben auf diesem Planeten. Aber wir werden ihn trotzdem vermissen, den Aventador, dieses Sinnbild für die allerhöchste Evolutionsstufe des Verbrenners.

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