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Fahrbericht Ford Bronco Raptor

Auferstehung

Verdammt kalt ist es an diesem Sonntagmorgen in Detroit. Draussen am Eastern Market räumen ein paar müde Gestalten den Dreck der vergangenen Nacht weg, kaputte Flaschen, Essensresten, all das, was den Party-Gästen sonst noch durch den Kopf gegangen ist. Ja, es wird wieder gefeiert in Detroit, nach Jahrzehnten des Niedergangs erlebt die Stadt eine mehr als nur erstaunliche Renaissance. Am Eastern Market, noch vor wenigen Jahren Treffpunkt der Junkies, werden nun überteuerte Bio-Produkte verkauft, es gibt coole Metzgereien und schicke Bäckereien – und selbstverständlich noch so manch coole Bar. Abends, nachts ist das Publikum so jung und urban und schön wie sonst vielleicht nur noch in New York, vielleicht sogar etwas wilder, kreativer. Denn es sind in den vergangenen zwei, drei Jahren sehr viele aufstrebende Künstlerinnen und Musiker nach Detroit gezogen, die Mieten sind günstig – und der Boden fruchtbar für die jungen Wilden. Und das zieht dann wiederum nach sich, dass die Bars cooler sind und die Köche kreativer, es ist ein Kreislauf, der sich immer schneller dreht. Deshalb ist Detroit derzeit wohl die angesagteste Stadt in den USA; verdammt kalt ist es trotzdem an diesem Sonntagmorgen.

Auch deshalb gibt es keine Parkplatzprobleme. Gut, die gibt es in den USA eh nie, es ist alles XXL, doch in europäischen Parkhäusern dürfte es etwas schwierig werden, so einen Ford Bronco Raptor abzustellen. Es ist für einmal nicht die amerikanische Über-Länge (4,85 Meter), sondern zuerst die Höhe (ohne Dachreling: 1,98 Meter), dann aber vor allem die Breite: mit angelegten Ohren sind es 2,18 Meter. Aber eben, hier draussen, etwas ausserhalb der City, gibt es keine Platzprobleme, ich stelle den Raptor einfach direkt vor Germack ab, gegründet vor bald 100 Jahren, immer am Eastern Market beheimatet, jetzt plötzlich «a place to be». Der riesige «Latte» (ohne Hafermilch, danke) kostet 5 Dollar, das ist im Vergleich zu anderen amerikanischen Städten: ein Schnäppchen.

Doch ich will ja nicht Kaffee trinken, sondern der Raptor ein bisschen bewegen. Und mich in Detroit umschauen, einer Stadt, die ich seit mehr als 30 Jahren immer wieder besuchte, mindestens jährlich, meist im Winter. Anfang 2019 war ich zuletzt dort, schon damals spürte man den «wind of change», der die Stadt umwehte, doch was ich jetzt sehe, erlebe, ist wirklich erstaunlich, erfreulich. Corktown, eben noch eine Ruine von einem Quartier, in das man sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr wagte, sieht jetzt aus wie aus dem Tourismus-Prospekt, sehr farbig, voller Leben, Restaurants, Bars, Boutiquen, Galerien. Und doch sehr entspannt, vernünftige Preise, es ist ein bisschen, als ob es schon immer so gewesen wäre. Gleich daneben die gar nicht so zentrale Central Station, während Jahrzehnten ein Schandfleck der Stadt, jetzt mit Millionen von Ford restauriert, sie dürfte zum Mittelpunkt des «neuen» Lebens in Detroit werden. Doch ich fahre etwas weiter, ins Mexican Village, das älteste mexikanische Restaurant in Detroit; dort ist es wie immer, man spricht ausschliesslich spanisch, die Suppe ist heiss und scharf, die Tacos sind fast so gut wie in Mexiko, aber viel grösser.

Nach dem Ausflug in den «Süden» muss ich nachschauen, wie es im Norden aussieht, ob sich dort, wo einst ganz viel Auto-Industrie daheim war, auch etwas geändert hat. Nein, hat es sich nicht. In der Fisher Body Plant 21 (Bilder oben), 1919 erbaut, wurden einst Cadillac montiert; seit 1984 steht die Fabrik still und leer, und das ist immer noch so. Und es wird sich wohl so schnell nicht ändern, noch hat die Stadt genug Platz, um weiter zu wachsen. Weiter zur Packard-Fabrik (Bilder unten), eröffnet 1908, stillgelegt 1958, einst einer der grössten Produktions-Orte der Welt, er zieht sich über mehrere Quadrat-Kilometer hin. Doch, hier wird gearbeitet. Abgerissen werden dürfen die Gebäude nicht, aber restauriert und umgenutzt; erste Anfänge werden gemacht, gewisse Bereiche sind abgesperrt, doch noch immer ist die Packard-Fabrik ein Paradies für alle, die Industrie-Ruinen lieben.

Mit dem Raptor kann ich mich auch etwas tiefer in die Hallen hineinwagen. Er rollt auf 37 Zoll grossen BFGoodrich-All-Terrain-K02-Reifen, die Bodenfreiheit wird mit 33 Zentimeter angegeben, der Federweg vorne ebenfalls mit 33 Zentimetern, hinten sind es gar 35,5 Zentimeter. Natürlich muss man vorsichtig sein, überall sind Scherben, scharfe Kanten, eingebrochene Schächte, aber er geht halt locker auch einmal über einen mächtigen Holzbalken, über Schutthügel. Off-Road einmal anders. Denn wunderbar übersichtlich ist das kantige Gerät auch, nach vorne sowieso, da sind zwei Handgriffe plus noch etwa 30 Zentimeter, hinten sieht man das Reserverad. Es wiegt übrigens 45 Kilo. Auch deswegen wurde der Rahmen mit Zusatzstreben sowie die Aufhängung deutlich verstärkt gegenüber den Basis-Bronco-Produkten; Schotterstrassen oder Parkplätze mit aufgerissenen Beton-Platten unterfordern den Raptor komplett. Wir würden ihn gern mal durch eine Wüste hauen. Dort wird aber wohl noch mehr als die durchschnittlich 15,7 Liter Benzin aus dem 80-Liter-Tank durch die Einspritzdüsen an die sechs Zylinder verteilt, die das Werk angibt. Aber der Ford Bronco Raptor steht ja auch wie eine Fussball-Wand im Wind. Es soll trotzdem in weniger als 6 Sekunden von 0 auf 100 km/h rennen.

Kraft ist ein wichtiges Thema. Einen Achtzylinder wollte Ford auch dem bösen Bronco nicht spendieren (ausser im DR, doch von dem wurden nur 50 Stück gebaut), doch der EcoBoost-3-Liter-V6 wird mit zwei Turbo auf anständige 424 PS und ein maximales Drehmoment von 597 Nm gebracht. Diese Power wird über eine 10-Gang-Automatik selbstverständlich an alle vier Räder gebracht, es gibt reichlich Fahr-Modi, in denen man seinen Spass selber beeinflussen kann. Am fröhlichsten ist da wohl der betont hecklastig ausgelegte Baja-Modus, den wir in Detroit nicht ausfahren konnten, aber vom Ranger Raptor her kennen; der Bronco Raptor ist ja noch einmal ein anderes Vieh, stärker, mit 2,6 Tonnen Leergewicht aber halt auch deutlich schwerer. Trotz der gewaltigen Reifen ist die Lenkung aber präzis, sogar um die Mittellage herum gibt es kaum Spiel, was man sich von amerikanischen Fahrzeugen ja nicht wirklich gewohnt ist.

Was der Ford Bronco Raptor aber halt auch ist: ziemlich bequem. Das Gestühl erinnert an einen Jäger-Hochsitz, auch in den USA, wo es doch reichlich mächtige Fahrzeuge gibt, schaut man auf ziemlich alle anderen Verkehrsteilnehmer hinunter. Die Sitze sind zwar ausladend und vor allem bequem, doch man rutscht in Kurven nicht durch das halbe Fahrzeug, braucht sich nicht am Lenkrad festzuhalten. Was auch daran liegt, dass der Bronco kaum ins Wanken zu bringen ist. Es gibt innen zwar reichlich Plastik, doch die Gestaltung ist sehr erfreulich, der Bronco ist ein Nutz-Fahrzeug, genau so präsentiert er sich auch: nützlich. Und doch gibt es für das Auge überraschend viele Gimmicks, die Spass machen, die aufzeigen, dass Ford hier ein Fahrzeug konstruiert hat, an dem die Ingenieure und Designer Freude hatten. Das dürfte auch den unglaublichen Erfolg erklären, der Bronco ist seit seiner Vorstellung 2020 und seiner Markteinführung im Sommer 2021 durchgestartet und dominiert aus dem Nichts sämtliche Segmente, in denen er angeboten wird (und das sind: reichlich, eine Auflistung aller Varianten würde hier zu weit führen).

Es könnte auch daran liegen, dass die Preise halt sehr vernünftig sind (und die Farbauswahl sehr gross). Den kleinen Bronco Sport gibt es in den USA für weniger als 30’000 Dollar, den normalen Bronco ab 32’295 Dollar, den bösen Raptor ab 68’500 Dollar. Viel Konkurrenz ist da ja nicht, der in Europa ebenfalls nicht erhältliche Jeep Wrangler/Gladiator Rubicon 392 kostet gut 20’000 Dollar mehr, ein Mercedes G500 rund das Doppelte. Bei Ford selber kommt ja dann noch der F-150 Raptor R mit acht Zylindern und etwa 700 PS, da sind die Preise aber noch nicht bekannt. Und ein F-150 ist halt ein Pick-up, der Bronco ist ein deutlich vielseitiger verwendbarer Geländewagen. Und gerade im Alltag macht er seine Sache halt schon sehr gut, ist auf der Strasse trotz (oder dank?) hinterer Starrachse schön komfortabel, es herrscht eine friedliche Ruhe, die Platzverhältnisse sind ausgezeichnet. Und irgendwie wirkt er nicht nur dank seiner Kulleraugen-Lichtern sehr sympathisch, konnte beim Design viel von seinen beliebten Vorfahren mitnehmen, ohne dabei «retro» zu wirken (ein paar Worte zu den früheren Bronco finden sich: hier; unten zeigen wir den 76er Bronco, den sich Gilles Villeneuve einst selber verbesserte und der kürzlich für über 130’000 Euro versteigert wurde).

Ford hat gerade auch noch den ewigen Focus beerdigt (der Fiesta und der Mondeo mussten ja schon früher im Jahr abdanken), dafür wollen die Amerikaner nun den F-150 Lightning und vor allem ein paar Bronco-Varianten nach Europa bringen. Ob der Ford Bronco Raptor auch darunter sein wird, ist eher unwahrscheinlich, CO2-Vorgaben lassen sich mit ihm sicher nicht erreichen. Andererseits: Kein anderes Ford-Modell verkörpert den neuen Marketing-Claim «Adventure Spirit» besser als dieses Gerät, das den europäischen Warmduscher- und Schattenparker-SUV in so ziemlich jeder Beziehung um die Ohren fliegt. Nicht nur optisch. Da sind wir auch ziemlich überrascht von Ford, die Amerikaner werden zwar ab 2030 nur E-Autos bauen, doch bis dahin lassen sie es noch richtig fliegen, nicht nur mit den verschiedenen Raptor, sondern auch und ganz besonders mit dem neuen Ford Mustang.

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1 kommentar

  1. Eindrückliche Bilder, mutiger Fotograf!

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