Einer der Grössten
Eigentlich hiess er ja Viktor Janos. Seine Eltern war wenige Jahre vor seiner Geburt (22. April 1891) aus Ungarn nach Italien eingewandert, sein Vater stieg bald einmal auf zum technischen Direktor der Eisenbahn in Turin (nach anderen Quellen: der Porta-Nuova-Zeughauses), der junge Vikor besuchte das Instituto Professionale Operaio, eine Fachschule. Er arbeitete zuerst als Zeichner bei kleinen Autohersteller Rapid, 1911 ging er dann zu Fiat – und stieg schnell zum Chef der Konstruktionsabteilung auf, dies unter der Leitung von Carlo Cavalli. Doch 1923 klopfte ein gewisser Enzo Ferrari, damals bei Alfa Romeo für die Verkaufs- und Rennabteilung zuständig, an seiner Haustür. Im Oktober 1923 zog Vittorio Jano von Turin nach Mailand um.

Chefkonstrukteur bei Alfa Romeo war damals Giuseppe Merosi. Der schon 1914 den ersten Motor mit zwei obenliegenden Nockenwellen konstruiert hatte. Merosi war gut, aber die Rennwagen und Höchstleistungen waren nicht sein Ding, deshalb wurde extra für Jano das «Ufficio di Studi Speciali» geschaffen. Erstaunlicherweise kamen sich die beiden Ingenieure nicht in die Quere, ganz im Gegenteil, man half sich gegenseitig – und Merosi gab den sehr jungen Luigi Fusi an Jano ab. Und Jano konnte den begabten Zeichner Gioachino Colombo überzeugen, von Fiat in seine Abteilung bei Alfa Romeo zu wechseln. Sein Team stand für höchste Kompetenz.

Man muss wissen: Fiat dominierte damals die höchste Stufe des Rennsports mit dem Tipo 805, ein 2-Liter-Achtzylinder mit zwei obenliegenden Nockenwellen, hemisphärischen Brennräumen und einem Roots-Kompressor. Doch Jano kannte halt auch die Schwächen dieses Motors, er konstruierte eine sehr ähnliche Maschine, doch der Antrieb der Nockenwellen erfolgte über Zahnräder anstatt einer Königswelle, der Kompressor war nach den Umbauten von Jano und seinem hochtalentierten Team viel leistungsfähiger, die Ventilfedern, überhaupt der Motor deutlich zuverlässiger. Gleich das erste Rennen, den Grossen Preis von Frankreich, konnte der neue Rennwagen, P2 getauft, für sich entscheiden. 1925 gewann Alfa Romeo mit diesem Fahrzeug den ersten offiziell ausgeschriebenen Konstrukteurs-Weltmeister-Titel. Und verlor noch vor diesem glorreichen Sieg seinen besten Fahrer, Antonio Ascari, den Vater des späteren Formel-1-Weltmeisters Alberto Ascari.

Doch da kam noch mehr von Vittorio Jano. 1924 konstruierte er einen leichten Sechszylinder mit 1,5 Liter Hubraum – der Alfa Romeo 6C 1500 war geboren. Anfangs nur mit einer einer Nockenwelle, gab es diese Maschine auch bald mit zwei Nockenwellen und mit oder ohne Kompressor, es war dies sicher der fortschrittlichste Motor jener Jahre. Man weiss, wie es weiterging, 1927 kam der 6C 1750, 1935 dann der ewige 6C 2300. Aber fast noch wichtiger: 1930 konstruierte Jano einen Achtzylinder, zwar in Reihe, aber doch in der Mitte geteilt. Alle Nebenantriebe wurden in der Mitte der Kurbelwelle angeordnet, vor allem der Antrieb der Nockenwellen. Seitlich kam der Antrieb der Roots-Gebläse, ihnen gegenüber auf der Seite der Auspuffanlage der Antrieb für die Pumpen für Öl und Kühlwaser. Zylinderkopf und -block bestanden aus Alu. Es gab auch noch gleiche Bohrung, gleicher Hub wie beim Sechszylinder (65 x 88 mm), was viele Gleichteile und geringere Produktionskosten bedeutete. Der Reihen-Achtzylinder kam zuerst als 8C 2300 auf den Markt, es gab damit vier Le-Mans-Siege in Folge (1931 bis 1934) und drei bei der Mille Miglia (1932 bis 1934), später gab es grössere Versionen, den 8C 2900 mit vier Siegen bei der Mille Miglia (1935 bis 1938).

Es ging im gleichen Stil weiter: Für die Rennsaison 1932 entwickelte Jano den Tipo B, auch bekannt als P3. Dieses Fahrzeug erhielt den wunderbaren Achtzylinder aus dem 8C 2300, allerdings mit Trockensumpfschmierung, zwei Roost-Kompressoren, zwei Weber-Vergasern, Magnet-Zündung, Wasserkühlung und 2,7 Liter Hubraum. In der Gran-Prix-Version wog der 215 PS starke Einsitzer 700 Kilo und war dauerhaft 225 km/h schnell – hallo, das war vor mehr als 90 Jahren. Selbstverständlich gewann der P3 von Jano in jenem Jahr die Weltmeisterschaft mit Siegen bei allen wichtigen Grand Prix des Jahres. Den grössten Sieg schaffte Tazio Nuvolari aber 1935 beim Grossen Preis von Deutschland gegen eigentlich übermächtige Konkurrenz aus Nazi-Deutschland (beleidigen wir hiermit Mercedes-Benz?), doch das lag damals mehr am Fahrer als am Fahrzeug; im gleichen Jahr gewann Carlo Maria Pintacuda auch die Mille Miglia auf einem Einzelstück eines P3, der für den Strassenverkehr modifiziert worden war.

Doch Vittorio Jano stand damals schon unter Druck. Gioachino Colombo wollte mehr Macht, erhielt sie auch. Jano schuf noch die Voraussetzungen für die wohl wichtigsten Alfa-Romeo-Rennwagen überhaupt, die Tipo 158 und Tipo 159, Alfetta, doch er verliess im Oktober 1937 Mailand, um nach Turin zurückzukehren. Vincenzo Lancia war gerade verstorben, Jano sollte ihn ersetzen. Er brachte in kürzester Zeit die Aprilia auf die Strasse, dann auch die Ardea – und dann kam der 2. Weltkrieg. Doch Jano konnte auch Mangelwirtschaft: Für den Lastwagen Esatau entwickelte er schon 1946 einen Dieselmotor, der besser war als alles, was man vorher in Sachen Selbstzünder gekannt hatte. 1950 kam die Aurelia, aus der sich die Rennversionen D20, D23, D24 und D25 ableiteten – mit den entsprechenden Erfolgen in der Sportwagen-Weltmeisterschaft 1953 und 1954. 1955 konstruierte Jano den Lancia-D50-Rennwagen, die dann zu Ferrari kamen, 1956 die F1-Weltmeisterschaften gewannen; Jano gab es für Ferrari quasi gratis mit dazu. Und hätte er seinen Lancia-V8 weiter entwickeln dürfen – die Geschichte von Ferrari würde heute wohl anders aussehen.

Vittorio Jano fuhr für den Rest seines Lebens nun einmal oder zwei Mal pro Monat nach Maranello, er diente Enzo Ferrari als technischer und strategischer Berater, Wie der Commendatore hatte auch Jano seinen Sohn, Francheschino, früh verloren (1956), die beiden Männer trugen Trauer. Doch Jano arbeitete weiter, führte die Ideen von Alfredo «Dino» Ferrari weiter, er entwickelte den V6-«Dino»-Motor, führte die Colombo/Lampredi-V12-Konstruktionen im 290 MM zusammen, schuf den 290 S, den 315 S, den 335 S, die 412 MI und S für 1958, überzeugte seinen Chef dann, den grossartigen Carlo Chiti einzustellen. Als sein zweiter Sohn Giorgio 1965 an Krebs starb und ihm selber die gleiche Krankheit diagnostiziert wurde, setzte Vittorio Jano seinem Leben am 13. März 1965 mit einer Pistole ein Ende.

Der bescheidene, ruhige Vittorio Jano war sicher einer der grössten Automobil-Konstrukteure aller Zeiten. Schon bei Fiat leistete er in jungen Jahren Entscheidendes. Alfa Romeo führte er zu Ruhm und Ehr’, die bis weit in die 50er Jahre Bestand hatten. Lancia machte er so gross, wie Lancia vorher und nachher nie wieder war. Und bei Ferrari war er die entscheidende, massgebende Persönlichkeit in den 50er Jahren, der besten Zeit, die Ferrari je hatte. Wohl wie kein anderer prägte er vier Jahrzehnte feinste italienische Automobil-Ingenieurskunst – und war so nebenbei noch einer der grössten Rennsport-Strategen überhaupt. Eine ganz grosse Karriere, gepflastert mit ganz vielen auch persönlichen Tragödien, aber auch den schönsten Erfolgen, die man sich nur vorstellen kann, Le-Mans-Siege, Mille Miglia, Formel 1 – so viele Triumphe wie Vittorio Jano schaffte niemand sonst.

Es ist dies eine «related»-Story zur Sportwagen-Weltmeisterschaft 1953. Mehr feine Geschichten finden sich in unserem Archiv.
…und Herr Lampredi machte dann für Fiat den Dinomotor, der wiederum von Dino Ferrari und Jano „erdacht“ wurde, tauglich für den Einsatz in einem „normalen“ Auto für den tagtäglichen Straßenverkehr. So treffen sich im italieneischen Motorenbau viele Protagonisten immer wieder….
„Hut ab“ vor der (Lebens)Leistung dieses Mannes!