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related: Lancia D20, D23, D24 und D25

Die Vergessenen

Stratos, klar, auch 037 und Delta S4, auch noch LC2Lancia hat einige der ganz grossen Rennsport-Ikonen gebaut. Die wahrscheinlich interessantesten Sportwagen von Lancia gehen aber gern vergessen, vielleicht, weil es schon 70 Jahre her ist, vielleicht, weil nur so wenige Exemplare gebaut wurden, wahrscheinlich, weil Ferrari wie so oft alles überstrahlte. Auch in dieser Geschichte hatte Enzo Ferrari seine Finger drin, wenn auch etwas anders als üblich.

Doch wir müssen ein bisschen zurückblenden, zuerst: Viktor Janos wurde am 22. April 1891 geboren (und er erhält dann noch eine ganz grosse «related»-Geschichte), seine Eltern war erst ein paar Jahre vorher aus Ungarn nach Italien eingewandert. 1911 begann er, unterdessen als Vittorio Jano, bei Fiat zu arbeiten, 1923 kam er, wahrscheinlich mit ein bisschen Einfluss von Enzo Ferrari, zu Alfa Romeo, wo er in der Folge einige der ganz grossen Legenden konstruierte, P2, die verschiedenen 6C, die grossen 8C, den P3, teilweise noch den Tipo 158. 1937 verkrachte sich Jano mit dem damalige Alfa-Chef Ugo Gobbato – und ging zurück nach Turin, zu Lancia. Es war aber eine schwierige Zeit, Firmengründer Vincenzo Lancia war im Februar 1937 verstorben, seine Witwe Adele Miglietti übernahm das Zepter, hatte aber keinen blassen Schimmer vom Geschäft. Erst als Gianni Lancia, Sohn von Vincenzo und Adele, sein Studium beendet hatte und als 23-Jähriger ab 1949 den Vorsitz übernahm, kehrte wieder so ein bisschen Ruhe ein.

Und Gianna Lancia verantwortete zuerst einmal die Aurelia. Noch im 2. Weltkrieg unterhielt er sich oft mit Jano und Francesco De Virgilio, er sah die Zukunft des Automobils mehr in einem Citroën Traction Avant, in leichteren Motoren, in schöneren Karosserien. Jano baute ihm einen Sechszylinder im 60-Grad-Winkel, der ab 1950 in der Aurelia B10 tatsächlich angeboten wurde. Dann ging es schnell, es gab grössere Versionen, B20, B21, man holte Klassensiege bei der Mille Miglia und auch in Le Mans (1951, noch besser 1952 – da schafften Valenzano/Castiglioni sogar den sechsten Gesamtrang, Bonetto/Anselmi wurden Achte). Und Gianni Lancia liebte den Rennsport – und er wusste mit Vittorio Jano den richtigen Mann an seiner Seite.

Da ging noch mehr, viel mehr, das war offensichtlich. Der V6 war war leicht, er liess sich fast beliebig vergrössern, in einer ersten Rennversion von 1952 kam das dann als B110 bezeichnete, auf 2,5 Liter Hubraum vergrösserte Aggregat locker auf 180 PS. Man baute das mal in eine Aurelia ein, #002, und das war schon fein, doch Jano bastelte weiter, 3 Liter Hubraum, 215 PS, dann 2,7 Liter, aber mit Kompressor, 240 PS. Bei der Mille Miglia 1953, die zur Sportwagen-Weltmeisterschaft 1953 zählte, wurden vier dieser Fahrzeuge eingesetzt, nicht als Aurelia bezeichnet, sondern als D20, denn es gab auch eine neue Karosse – und Felice Bonetto schaffte es auf den dritten Rang. Obwohl das Fahrzeug vorher kaum einen Kilometer getestet worden war. Kurz darauf gewann Umberto Maglioli auf einen D20 Palermo-Monte Pellegrino, doch das war es dann auch schon mit Erfolgen für den D20, von dem insgesamt sieben Exemplare gebaut wurden.

Denn Gianni Lancia und Vittorio Jano waren schon weiter, schon Ende Juni kam der D23 zum Einsatz. Ein neues Fahrzeug, ganz offensichtlich, kein Coupé mehr, sondern ein bei Pininfarina entworfener Spyder. Es gab wieder den 3-Liter-V6, der unterdessen auf 220 PS kam, das Fahrwerk wurde verbessert, das Gewicht wurde auf 750 Kilo gedrückt (der D20 hatte noch 800 Kilo gewogen). Es entstanden vier Exemplare, Bonetto schaffte gleich beim ersten Rennen, dem Gran Premio dell’Autodromo di Monza, einen zweiten Rang hinter Villoresi in einem Ferrari 250 MM. Und dann einen Sieg in Lissabon, Ende Juli, genau wie Castellotti Ende September bei Catania-Etna. Castellotti wurde dann auch bei der Carrera Panamericana 1953 auf einem D23 Dritter, hinter zwei Lancia D24; bei diesem Rennen verlor tragischerweise Felice Bonnetto, der auf einem D24 gestartet war, sein Leben.

Aber damit wären wir schon mittendrin: D24. Schon zu den 1000 Kilometern auf dem Nürburgring am 30. August 1953 kam der ganz neue Lancia D24. Obwohl er seinem Vorgänger D23 optisch sehr ähnlich sah, war der D24 technisch fast völlig neu, nur die Bremsen und die Vorderradaufhängung wurden vom (kurzlebigen) Vorgänger übernommen. Der Motor des D24, der Mitte Juli von Ettore Zaccone Mina entwickelt wurde, ist nach wie vor ein 3,3-Liter-V-6-Zylinder mit 60°-Winkel und vier obenliegenden Nockenwellen (zwei pro Zylinderbank). Der Hubraum beträgt 3284,35 cm3 (Bohrung x Hub 88 x 90 mm), hat aber neue Gussteile für den Zylinderblock sowie geänderte Zylinderköpfe, die Kurbelwelle rotierte auf dünnwandigen Vanderwell-Lagern. Neu im Vergleich zum D23 war die Trockensumpfschmierung.

Die Zündung erfolgte weiterhin mit zwei Zündkerzen pro Zylinder, mit einem Doppelverteiler, ie Kraftstoffversorgung über drei Weber 46 DCF3-Doppelvergaser; das System erhielt zwei elektrische Mona-Pumpen. Nach den Problemen bei der Premiere auf dem Nürburgring wurde die Batterie in den Fahrgastraum auf die Beifahrerseite verlegt. In seiner ursprünglichen Konfiguration lieferte dieser Motor eine maximale Leistung von 245 PS bei ca. 6200 U/min (die Höchstdrehzahl lag bei ca. 6500 U/min). Wobei, das ist kompliziert: Für die Carrera Panamericana wurde der Hubraum auf 3,1 Liter reduziert, die Leistung lag noch bei 230 PS bei etwa 6000/min. Für die 12 Stunden von Sebring 1954 wurde wieder die ursprüngliche Konfiguration verwendet, die Leistung wurde aber auf 265 PS bei 7000/min gesteigert. Bei der Mille Miglia 1954 waren es wohl wieder 245 PS, im Sommer 1954 wurde erstmals eine 3,7-Liter-Version (D25, siehe weiter unten) mit rund 300 PS eingebaut, seine letzten Rennen bestritt der D24 dann aber wieder als 3,3-Liter mit «sicheren» 270 PS bei 6800/min. Luigi Bosco entwarf für den D24 eine neue Kupplungs-/Getriebe-/Differenzialeinheit. Da der Radstand gegenüber den D20/D23 um 20 Zentimeter verkürzt wurde, konnte das Getriebe nicht mehr zwischen Kupplung und Differenzial angeordnet werden, sondern wurde hinter die Radachse verlegt.

Vergleicht man die Abmessungen des 3,3-Liter-Motors mit denen seines 3-Liter-Vorgängers, so ergibt sich ein Zuwachs in der Länge von 6 Zentimeter, vor allem aber eine Verringerung der Höhe um 10 Zentimeter, wodurch die Gürtellinie des Fahrzeugs deutlich abgesenkt werden konnte. Das Chassis (der endgültige Entwurf datiert vom 25. Juli 1953) bestand aus zwei Seitenträgern mit oberen und unteren Tragrohren und unzähligen Dreiecksverstrebungen zur Versteifung; es war nur gerade 70 Kilo schwer. Die vordere Aufhängung entsprach jener des D23, während die hintere als De-Dion ausgelegt war, die aus einem speziellen, quer verankerten Stahlrohr, halbelliptischen Blattfedern, Gummipuffern am Fahrgestell undund hydraulischen Teleskopstossdämpfern bestand. Interessant auch die Veränderungen an der Karosserie über die einzelnen Rennen: Zuerst gab es einen einzelnen Lufteinlass auf dem rechten Kotflügel, bei der Carrera Panamericana wurde dieser dann aber direkt über dem rechten Scheinwerfer angenietet – und später wieder entfernt.

Nun wird es richtig kompliziert. Mancherorts kann man lesen, dass nur gerade zwei D24 gebaut wurden. Das ist natürlich Unsinn, denn allein schon an der Carrera Panamericana 1953 starteten drei dieser Lancia. Wir versuchen das ganz systematisch, erheben aber selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit:

#0001: aus Teilen früherer D20 gebaut, registriert am 20. August 1953, Kennzeichen TO151241; debütierte am 30. August 1953 bei den 1000 km des Nürburgrings (Piero Taruffi/Robert Manzon), danach Grand Prix Supercortemaggiore (Piero Taruffi), 12 Stunden von Sebring (Luigi Valenzano/Porfirio Rubirosa), Targa Florio (Eugenio Castellotti). Erhielt dann wahrscheinlich den D25-Motor zu Testzwecken (und ein neues Kennzeichen TO158156), Alberto Ascari fuhr damit den Grossen Preis von Porto. Wieder mit dem 3,3-Liter-Motor beendete #0001 seine Karriere, Piero Taruffi fuhr damit Catania-Etna und der Coppa D’Oro in Siracusa.

#0002: wurde aus Teilen früherer D20 gebaut und am 20. August 1953 mit dem Kennzeichen TO151240 zugelassen; am 30. August 1953 debütiert er bei den 1000 Kilometern auf dem Nürburgrings (Juan Manuel Fangio/Felice Bonetto), danach Supercortemaggiore sowie Bologna-Raticosa (wo Felice Bonetto den ersten Sieg des D24 erringt). Im November 1953 Carrera Panamericana teil, ist das Fahrzeug des tödlich verunglückten Felice Bonetto. Nach seiner Rückkehr nach Italien «neu aufgebaut», am 4. Februar 1954 (als völlig neues Auto) neu registriert (TO 157846) und mit der Chassis-Nummer #0005 versehen.

#0003: am 6. September 53 mit dem Kennzeichen TO 151544 neu zugelassen. Carrera Panamericana, 12 Stunden von Sebring (Piero Taruffi/Robert Manzon). Danach an Eugenio Castellotti übergeben, Coppa della Toscana, Grosser Preis von Porto, Bozen-Passo della Mendola, Treponti-Castelnuovo, Firenze-Siena (letztes Rennen und letzter Sieg eines D24).

#0004: zugelassen am 6. Oktober 53, Kennzeichen TO152974. Carrera Panamericana (es ist der siegreiche Wagen mit Juan Manuel Fangio), 12 Stunden von Sebring (Alberto Ascari/Luigi Villoresi). Danach erhielt er – wahrscheinlich – die Chassis-Nummer #0002 und das Kennzeichen des verunglückten D24 von Felice Bonetto (TO 151240). Luigi Villoresi (Coppa della Toscana), Ersatzfahrzeug bei der Mille Miglia 1954, Aosta-Passo del Gran San Bernardo (Eugenio Catellotti), Tourist Trophy (Piero Taruffi/Juan Manuel Fangio, anstelle von Roberto Piodi) teil. Es handelt sich – wahrscheinlich – um das Fahrzeug, das im Automobilmuseum in Turin ausgestellt ist.

#0005: neu nummeriert (von 0002 wurde er zu 0005), neu zugelassen (TO 157846). 12 Stunden von Sebring (Juan Manuel Fangio/Eugenio Castellotti), Sizilien-Rundfahrt, Targa Florio (Piero Taruffi, Sieger), Grosser Preis von Porto (Luigi Villoresi), Tourist Trophy (Robert Manzon/Eugenio Castellotti). Dies ist – wahrscheinlich – das Exemplar, das 1955 dem argentinischen Präsidenten Juan Domingo Perón geschenkt wurde.

#0006: im Februar 1954 neu gebaut (unter Verwendung von Teilen aus D20/D23), zugelassen am 26. April 1954, Kennzeichen TO162250. Sieger Mille Miglia (Alberto Ascari), danach eingelagert, später zum D25 «umgebaut» (#D25-0002).

#0007: Kennzeichen TO162251, Mille Miglia 1954 (Piero Taruffi), später zum D25 «umgebaut» (#D25-0003).

#0008: Kennzeichen TO162249, Mille Miglia 1954 (Eugenio Castellotti), später in D25 «umgebaut» (#D25-0004).

#0009: Kennzeichen TO162248, Mille Miglia 1954 (Luigi Valenzano), Unfall, wahrscheinlich komplett zerstört.

Anfang 1954 erkannte Lancia, dass die Leistung des 3,3-Liter-D24 nicht ausreichte, um mit der Sportwagen-Konkurrenz mitzuhalten (obwohl man eben erst die Carrera Panamericana dominiert hatte), und begann mit der Arbeit an einem Motor mit grösserem Hubraum (3,7 Liter) – bekannt als D25. In einen D24 eingebaut, gab dieses Aggregat am 27. Juni 1954 beim Grand Prix von Porto sein erfolgloses Debüt. Natürlich beschränkt sich das D25-Projekt nicht auf eine Vergrösserung des Hubraums, sondern sollte – so war zumindest die Absicht – die gesamte Mechanik des Wagens erneuern. Dieses Projekt wurde jedoch nicht mit der notwendigen Entschlossenheit vorangetrieben, was irgendwie verständlich war. Lancia hatte mit dem Formel-1-Projekt D50 viele Ressourcen gebunden, die Verkäufe der Aurelia waren enttäuschend, auch die neue Appia brachte zu wenig Geld in die Kasse; Gianni Lancia musste sparen. Und er sparte bei den Sportwagen. Trotzdem wurde der neue D25-Motor in zwei entsprechend umgebauten D24 bei der Tourist Trophy 1954 eingesetzt, wieder ohne Erfolg. Es war das Ende der Entwicklung, also: fast.

Denn Anfang 1955 wurde noch ein spezieller D25 mit einer komplett neuen Karosserie – selbstverständlich von Pininfarina – und einem niedrigeren und breiteren Kühlergrill gebaut. Man geht davon aus, dass dies auf Wunsch von Alberto Ascari geschah, der Ende des Jahres noch einmal an der Carrera Panamericana teilnehmen wollte. Der Tod von Alberto Ascari (26. Mai 1955) und die unerwartete Ankündigung der Streichung der Carrera Panamericana durch die mexikanische Regierung markierten das endgültige Ende des D25. Das fast vollständige Exemplar wurde sofort in die Lancia-Lagerhallen verbannt.

Es ist dies eine «related»-Geschichte, die sich rund um die Sportwagen-Weltmeisterschaft 1953 dreht. Mehr schöne Stories haben wir in unserem Archiv.

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