Hinterherfahren
Formel-1-Rennen braucht man sich ja nicht mehr anzuschauen, wenn es nur noch darum geht, wer auf den dritten Rang fährt; es dürfte dies zur langweiligsten Saison aller Zeiten werden. Blöd für Mercedes ist halt, dass die eigentlich ja grossartige Siegesserie etwa so viel Emotionen weckt wie einst die gefühlt 20 Le-Mans-Erfolge von Audi, nämlich: below zero. Daran sind die Deutschen nicht (allein) schuld, es ist vielmehr (und einmal mehr) die erschreckende Chancenlosigkeit von Ferrari: kein Kampf, nur Krampf. Dass die Italiener nicht nur langsamer sind, sondern auch noch souverän in fast jedem Rennen grottenschlechte Taktikentscheidungen treffen, macht das auch nicht erfreulicher. Es macht zudem den Eindruck, dass Vettel massiv überfordert ist – und der so talentierte wie glücklose Leclerc halt (noch) nicht darf. Schuld sind sowieso immer die andern.
Es passt dies zur aktuellen Lage bei Ferrari. Die wohl ruhmreichste aller Auto-Marken hat sich in den vergangenen Jahren in eine Sackgasse manövriert mit fragwürdigen Personalentscheidungen (kennt jemand den Namen des neuen Ferrari-CEO?), einer auch nicht besseren Modellstrategie – und einer unfassbaren Arroganz. Auf dem Papier sind die Zahlen weiterhin gut, im vergangenen Jahr wurden 9251 Fahrzeuge verkauft, 853 mehr als noch im Vorjahr; der Zuwachs erfolgte in erster Linie im asiatischen Raum. Auch der Umsatz von 3,4 Milliarden Euro und der Reingewinn von 787 Millionen Euro sind beeindruckend, bloss: der letzte noch charismatische Ferrari-Boss, Luca di Montezemolo, hatte einst erklärt, dass Ferrari immer ein Auto weniger bauen solle als man verkaufen könne – und sah die Grenze bei 7000 Exemplaren pro Jahr, weil sonst die Exklusivität verlorengehe. Unterdessen gibt es aber sogar Rabatte auf neue Fahrzeuge, das war früher: unvorstellbar. Man liest in den einschlägigen Foren zudem von Qualitätsproblemen. Denn seit Ferrari an der Börse kotiert ist, verlangen die Shareholder beständiges Wachstum – was dazu führen wird, dass Ferrari auch ein SUV auf den Markt bringen wird, bald. Und sich davon verspricht, dass die Verkaufszahlen noch einmal um 50 Prozent steigen. Ein Hybrid kommt noch in diesem Jahr, der erste Stromer dann etwa 2022, das ist klar – wie es mit den Zwölfzylindern weiter gehen wird dagegen nicht. Die Verwässerung der Marke ist unaufhaltsam – und traurig.
Ein gutes Beispiel für die Ratlosigkeit in Maranello ist der Effeottotributoturboturbo, der schon nach nur vier Jahren die Nachfolge des 488 GTB antreten muss. Natürlich muss das neue Modell sein, sonst kommen die Italiener noch weiter ins Hintertreffen im Vergleich zu McLaren – schon der kleinere 600er hatte den 488er komplett nassgemacht, dem 720S aus Woking wird auch der komisch benamste neue Ferrari hinterherfahren. Zu ernsthaften Vergleichen treten die Italiener ja schon seit Jahren nicht mehr an, ausser es ist klar, dass sie gewinnen, etwa ein Drag-Race gegen einen Lada Niva. Klar, ein Ferrari ist ein Ferrari und bleibt ein Ferrari, allein schon der Name weckt in gewissen Kreisen und unter den üblichen Selbstdarstellern höhere Begehrlichkeit als ein Audi oder Hyundai, doch ewig darf das nicht dauern, dass Ferrari auch technologisch im Rückstand ist. Und das ist eines der grössten Probleme von Maranello: Immer mehr PS geht nicht (mehr), das Rennen findet jetzt beim Gewicht statt. Doch gerade in Sachen Leichtbau hat man den Anschluss verpasst, da ist nicht nur McLaren weit voran, sondern auch der ewige Konkurrent Lamborghini. Dringend etwas passieren müsste auch beim Design: die Ferrari waren bis vor wenigen Jahren immer die schönsten, elegantesten unter den Sportwagen. Die Trennung von Pininfarina scheint aber jeden Anflug von Kreativität und sämtliches Bewusstsein für automobile Schönheit erstickt zu haben.
Es kommt aber noch mehr Ärger dazu. Die hoch profitable Klassikabteilung Ferrari Classiche hatte in den vergangenen Jahrzehnten ziemlich wahllos und für viel Geld auch Fahrzeuge zertifiziert, die eine solche Auszeichnung nicht wirklich verdient hatten. Da findet nun langsam, langsam eine Korrektur statt, ein falscher Motor ist ein falscher Motor, und das kostet manch einen guten Kunden jetzt viel Geld und noch mehr Ehre. Abgesehen von den wirklichen Überfliegern stagnieren die Preise für klassische Ferrari nun schon länger, bei einigen Modellen zeigt die Kurve sogar gegen unten. Das trifft derzeit die schmierigen Investoren härter als die ernsthaften Sammler, aber kommt der Schnee einmal ins Rutschen, dann ist die Lawine nicht mehr fern. Die derzeitige Führung in Maranello wird dagegen wohl nichts ausrichten können, das beweist sie jedes Rennwochenende aufs Neue.
(Wir zeigen hier ganz bewusst nicht die grossartigsten Ferrari überhaupt, sondern einige Modelle, die am 25. Mai bei RM Sotheby’s auf der Auktion in Villa Erba unter den Hammer kommen, wir zeigen ein California-Spider-Kinderauto, den 90er Ferrari 348 TB Zagato Elaborazione und auch noch den 67er Ferrari 330 GTC Zagato (von oben nach unten). Mehr Ferrari findet sich alleweil in unserem Archiv.)
der ferrari 812 sieht ja wirklich schlimm aus. nicht weil er hässlich ist. natürlich ist er gefällig und trägt alle optischen merkmale, die man von einem luxussportwagen erwartet. das schlimme an diesem design ist, dass ihm die eigenständigkeit verloren gegangen ist. wenn nicht ferrari draufstünde, könnte man ihn genauso für die neue corvette c8 halten. und das ist wirklich bitter. noch kann ferrari vom glanz der alten tage leben und damit geld verdienen. die frage ist, wie lange das gut geht. ferrari wäre weder der erste noch der letzte legendäre hersteller, der an solchen führungsfehlern zugrunde gegangen ist.
[…] nicht lange ist es her, da haben wir in einem «Standpunkt Ferrari» einige der grundsätzlichen Probleme der Italiener beschrieben. In der Formel 1 hat sich alles […]