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radical#5/zero: Was bringt die 800-V-Architektur?

Hochspannung in Schweden

Volvo hat sich mit dem ES90 bewusst Zeit gelassen, um den Schritt auf 800 Volt nicht als technische Demonstration, sondern als fertiges Produkt zu präsentieren. Während andere Hersteller ihre Hochvoltplattformen früh auf die Strasse brachten und nicht selten mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, ist der neue ES90 das erste Serienmodell der Marke mit dieser Architektur. Und damit so etwas wie der elektrische Wendepunkt für die Schweden. Denn die bisherigen Hochvoltarchitekturen mit 400 Volt Spannungslage kommen langsam, aber sicher an ihre Leistungsgrenzen. Wer das System fein ausspielt und technisch alle Register zieht, der schafft, wie unser Test mit dem EX90 zeigt, zwar auch mit konventionellen Packs beeindruckende 240 Kilowatt im Peak, doch das Bessere ist eben des Guten Feind. Und so fährt die jüngste Generation der Batterieentwicklung ganz klar in Richtung 800V. Der ES90 schliesst diese Spannungslücke deshalb nun technisch, konzeptionell und ein bisschen auch philosophisch.

Effizienzgewinn durch höhere Spannung

Die Grundidee ist einfach, das Ergebnis komplex: Verdoppelt man die Spannung, halbiert sich der Strom bei gleicher Leistung. Denn in der Elektrotechnik gilt: Leistung ist das Produkt aus Stromstärke und Spannung. Mit der Formel P = U x I lässt sich alles erklären. Doch was bedeutet das? Es reduziert in erster Linie Verluste und Hitzeentwicklung. Denn geringere Ströme erzeugen weniger Widerstand und dadurch weniger Wärme, was es erlaubt, dünnere Kabel und kompaktere Komponenten zu verbauen. Was wiederum Gewicht spart und die Effizienz erhöht.

Die neue Kraft am Kabel

Lange galt die magische Grenze von 500 Ampere als unüberwindbare Schallmauer an den europäischen Schnellladesäulen. In den Spezifikationen fast aller gängigen DC-Stationen tauchte diese Zahl als obere technische Limitierung auf. Ein Wert, der bei klassischer 400-Volt-Architektur gerade für 200 Kilowatt Ladeleistung reichte. Alles, was darüber hinausging, bedeutete bislang enormen Aufwand: dickere Kabel, Flüssigkeitskühlung, komplexere Hardware, aufwendigere Sicherheitsmechanismen. Doch die Branche steht nicht still und gerade Anbieter wie Alpitronic haben in den vergangenen Jahren mit jeder neuen Hypercharger-Generation die Latte ein Stück höher gelegt. Der HYC300 markierte den Standard: 500 Ampere und bis zu 300 kW Dauerleistung, alles bereits mit CCS2-Anschluss und passender Steckerkühlung. Der grössere HYC400 stemmt die 500 Ampere im Regelbetrieb und schafft im «Boost»-Modus für kurze Zeit sogar 600 Ampere. Ein Wert, den etwa der EX90 gerne annimmt und die Säule voll ausreizen kann. Doch auch bei der Ladeinfrastruktur ist der nächste Schritt greifbar. Ionity und andere Betreiber experimentieren mit 600 kW und mehr, während Hersteller wie Phoenix Contact an Steckverbindungen tüfteln, die mit kurzzeitigen Strömen von bis zu 800 oder gar 1000 Ampere umgehen können. In der Theorie sind damit Ladeleistungen im Megawattbereich möglich. Vorausgesetzt, die Fahrzeuge und die Batterietechnologie wachsen entsprechend mit. Wer sich heute also an eine aktuelle Schnellladesäule stellt, ahnt bereits: Der nächste Zug am Kabel ist nur eine Frage der Zeit. Und mit der neuen Generation 800-Volt-Fahrzeuge wie dem Volvo ES90 ist das Wettrüsten um die besten Zahlen längst wieder eröffnet.

Fortschritt macht nur im Ganzen Sinn

Beim ES90 fliesst der Strom also mit 800 Volt durch Motoren, Wechselrichter und Batterie, statt wie bisher mit 400. Das bedeutet in der Praxis: bis zu 350 kW Ladeleistung, 700 Kilometer Reichweite nach Laborzyklus und 300 nachgeladene Kilometer in zehn Minuten. Doch das Entscheidende sind nicht theoretische Höchstleistungen auf Papier. Es ist die ganzheitliche Konstruktion, das perfekte Ineinandergreifen aller Komponenten, die optimale Verzahnung, auch wenn es kein Getriebe im klassischen Sinn mehr gibt. Deshalb haben die Schweden das System der bisherigen Modelle nicht einfach übernommen, sondern die Leistungsarchitektur komplett neu aufgebaut. Batteriezellen, Elektromotoren, Inverter, das gesamte Thermo- und Lademanagement wurden für die neue Spannungsebene entwickelt. Dabei setzen die Schweden auch auf Software. Ein Bereich, in dem sie seit dem EX90 mit dem sogenannten «Superset Tech Stack» die Grundlagen gelegt haben.

Herzstück ist ein neu programmierter Batteriemanager, der zusammen mit der adaptiven Ladesoftware von Breathe Battery Technologies arbeitet. Das britische Startup, in das Volvo über seinen Tech Fund investiert hat, sorgt vor allem im Alltag für echte Vorteile. Denn das System passt die Ladeparameter in Echtzeit an Temperatur, Zellspannung und Alterung an und hält so die hohen Ladeleistungen länger konstant. Ergebnis: von 10 auf 80 Prozent in 20 Minuten. Nicht im Labor, sondern auf der Strasse.

Leiser Fortschritt mit maximaler Kompatibilität

Neben der Elektronik wurde auch die Hardware auf Effizienz getrimmt. Leichtere Motoren, kompaktere Leistungselektronik und eine optimierte Zellchemie verbessern nicht nur den Energieverbrauch, sondern auch die Fahrdynamik. 800 Volt sind hier also kein Selbstzweck, sondern Teil einer Weiterentwicklung, die das Grosseganze im Blick hat. Der ES90 nutzt diese Basis, um das zu tun, was Volvo am besten kann: Energie in Komfort übersetzen. Denn weniger elektrische Verluste bedeuten nicht nur mehr Reichweite, sondern auch weniger Wärmeentwicklung, was die Konditionierung und Klimatisierung effizienter macht und so den typischen Volvo-Vorteil, das «leise Reisen», nochmals ausbaut.

Interessant ist, dass Volvo den Übergang bewusst gestaffelt angeht. Der EX90 kam zuerst 400 Volt – und das aus gutem Grund. Denn das System ist erprobt, schnell genug und bietet auch am HPC die genannten 240 kW Spitzenleistung. Die 800-Volt-Technik des ES90 ist also kein Ersatz, sondern eine Ergänzung. Die neue Spannungsebene macht den ES90 zum Technologieträger für die künftige Modellgeneration, die auf der SPA2-Plattform basiert. Gleichzeitig bleibt sie kompatibel mit existierender Ladeinfrastruktur. Und: Das 800-Volt-System kann bei Bedarf auf 400 Volt «runterskalieren» – ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn man unterwegs an älteren Ladesäulen steht.

Wenn der Materialeinsatz-Rucksack kleiner wird

Technik allein ist das eine, die Konsequenz im Materialeinsatz das andere. Im ES90 steckt 29 Prozent recyceltes Aluminium, 18 Prozent Stahlrezyklat, dazu 16 Prozent recycelte Polymere und biobasierte Materialien. Das FSC-zertifizierte Holz im Innenraum ist kein dekoratives Detail, sondern Teil einer klaren Designphilosophie. Der neue Batteriepass auf Blockchain-Basis dokumentiert zudem, woher Lithium, Nickel und Kobalt stammen. Volvo bleibt damit der einzige europäische Hersteller, der seine gesamte Batterielieferkette transparent macht. Auch das ist Hochspannung. Nur auf ethischer Ebene.

Der ES90 ist deshalb kein Showcar für Zahlenfetischisten. Er ist das, was Ingenieure einen technisch sauberen Schritt nennen würden: konsequent, präzise und im besten Sinne unaufgeregt. Volvo hat sich die Zeit genommen, die 800-Volt-Transition nicht als Schlagzeile, sondern als System zu verstehen. Und damit vielleicht den klügsten Weg gewählt. Und genau darin liegt die wahre Kunst der Ingenieursarbeit: Fortschritt, der funktioniert.

Es ist dies eine weitere Story aus radical#5, dort der bezahlten Volvo-Beilage. Dies hier ist aber definitiv ein redaktioneller Beitrag (wir bedanken uns bei Fabian Mechtel) – und ja, wir wissen auch, dass der EX90 ab sofort auch mit 800-V-Architektur auf dem Markt ist, die Unterscheidung haben wir ganz bewusst gewählt. Mehr gute Stories gibt es im Archiv.

2 Kommentare

  1. Christian Christian

    Entschuldigung, ich bin sonst nicht so zynisch, aber hier geht mir „der Draht durch die Mütze“:
    „Der neue Batteriepass auf Blockchain-Basis dokumentiert zudem, woher Lithium, Nickel und Kobalt stammen.“ Und liefern die auch Bilder mit, wo die verwüstete, kaputte Landschaft zu sehen ist für den Abbau dieser Martialien? Also, tut, mir leid, für wie blöd wird man als Kunde gehalten? Soll das ein Kaufargument sein???
    Ich bin Volvo-Fahrer, einige hier wissen das, aber das ist ein Tiefpunkt für die Marke und ich kann mich mit diesem, hier beworbenen Produkt nicht identifizieren.
    Volvo gehört zu Geely (China) und die „seltenen Erden“ wachsen sicher nicht in Schweden….

    • Peter Ruch Peter Ruch

      Sie sollten sich das mal genauer ansehen, da sind die Lieferketten schon sehr bis ins Detail aufgelistet. Klar, es kann sein, dass das alles erstunken und erlogen ist.

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