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Porsche 911 Turbo S «Flachbau»

Geschmacksfrage

(Manchmal geschehen interessante Dinge. Ein Mail, mit der Bitte um Rückruf. Ein Gespräch mit der Bitte um Anonymität. Ein weiteres Mail mit einer Auflistung aller in diesem Artikel behandelten Fahrzeuge, dazu diverse Kommentare, die von intensiver Recherche und noch mehr Insiderwissen zeugen. Dafür können wir uns nur bedanken. Und selbstverständlich lassen wir das hier einfliessen.)

Für das Baujahr 1994 waren die 911er der Baureihe 964 eigentlich schon ausgelaufen, aber nachdem die Exclusive-Abteilung unter der Leitung von Rolf Sprenger mit dem 911 Turbo S Leichtbau schon im Jahr zuvor einen Achtungserfolg gelandet hatte, durfte sie nochmals ran. Man war damals bei Porsche auf Geld sehr dringend angewiesen, und die «Exclusive»-Aufschläge auch bei Kleinserien waren schon beträchtlich (beim Turbo S Leichtbau waren es gut 90’000 DM gewesen). Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass man etwas gar zuversichtlich gewesen war in Sachen Option 36S, der Werksleistungssteigerung (WLS) für den 3,6-Liter-Turbo (bezeichnet als M64/50S, offiziell 385 PS (anstatt der 360) und 520 Nm maximales Drehmoment).

Das mit den Zahlen ist bei Porsche bekanntlich etwas schwierig (siehe auch: 1 Million Porsche 911). Man darf davon ausgehen, dass wahrscheinlich 155 Exemplare der leistungsgesteigerten Maschine gebaut wurden. Davon wurden wahrscheinlich 51 (oder auch 55) Exemplare ab Werk (aber in der Exclusive-Abteilung) in den Turbo 3.6 verbaut (allenfalls auch nachträglich/als Reparatur). Dazu kamen dann aber noch drei, nein, eigentlich vier Sonderserien mit den für Porsche aussergewöhnlichen Bezeichnungen X83, X84 und X85 (hiervon gab es dann zwei unterschiedliche Serien). Als Ganzes werden diese Serien unter der Option X88 zusammengefasst.

Also, die X83 waren für den japanischen Markt bestimmt, Rechtslenker, davon gab es 10 Stück. Und das mit folgenden Chassisnummer: 470222, 470285, 470291, 470311, 470326, 470335, 470344, 470362, 470386, 470388. Das Fahrzeug unten ist 470291, von RM Sotheby’s 2018 zu einem Schätzpreis von 500’000 bis 650’000 Dollar angeboten, nicht verkauft.

Nochmals so ein X83, einfach, damit man auch ein Bild von der Preisentwicklung erhält: Chassis-Nummer WP0ZZZ96ZRS470311, Gooding & Co., Amelia Island 2024, Schätzpreis 1’000’000 bis 1’250’000 Dollar:

Der X84 kam in den Rest der Welt, 15 Stück als Linkslenker, 12 Stück als Rechtslenker. Und das mit folgenden Chassisnummern: 470250, 470376, 470377, 470381, 470387, 470394, 470395, 470396, 470398, 470413, 470419, 470430, 470438, 470441, 470443, 470447, 470448, 470453, 470455, 470456, 470457, 470459, 470465, 470466, 470468, 470469, 470471.

Und die X85 waren für die USA bestimmt, es entstanden 39 Exemplare. Mit diesen Chassisnummern: 480375, 480379, 480390, 480394, 480399, 480400, 480403, 480404, 480405, 480406, 480412, 480413, 480414, 480417, 480422, 480424, 480425, 480426, 480428, 480430, 480432, 480433, 480434, 480435, 480437, 480438, 480439, 480440, 480441, 480442, 480443, 480444, 480446, 480453, 480460, 480461, 480463, 480464, 480466. Beim unten gezeigten Fahrzeug handelt es sich um 480426, von RM Sotheby’s 2018 für 654’000 Dollar verkauft.

Und weil 480426 Ende Januar 2023 bei RM Sotheby’s schon wieder unter den Hammer kommt, zeigen wir doch noch ein paar Bilder mehr:

Noch einer – Chassis-Nummer: WP0AC2965RS480441

Auktion: RM Sotheby’s, The White Collection 2023, kein Schätzpreis.

Und noch einer – Chassis-Nummer: WP0AC2964RS480446

Auktion: RM Sotheby’s, Las Vegas 2023, Schätzpreis 1’000’000 bis 1’250’000 Dollar.

Man sieht es sofort: die X83, X84 und X85 waren Flachnasen, «Flachbau», wie es offiziell hiess, «Flatnose» oder «Slantnose», wie die Amerikaner zu sagen pflegten. Bei X83 für Japan war diese Front mehr im Stil des 930er gehalten, die beiden anderen Serien erinnerten vorne optisch stark an den Porsche 968. Ob sie als hübsch betrachtet werden, das ist sicher Geschmacksfrage – obwohl sie selten sind und über die schärfste Motorvariante aller 964er verfügen, gehen die Preise nicht wirklich durch die Decke. Wobei, da müssen wir uns jetzt ganz aktuell korrigieren: X85 «Flachbau» (480439), Anfang 2022 von RM Sotheby’s für stolze 1’325’000 Dollar verkauft:

Der Rote ist übrigens der Prototyp:

Richtig seltsam waren dann die amerikanischen X85 ohne den Frontumbau, also fast ganz klassische 964er-3,6-Liter-Turbo. Unter Auskennern werden sie als «Package» bezeichnet, 17 Stück sollen gebaut worden sein, sie gehören heute zu den gesuchtesten 911ern überhaupt. Was ganz genau sie von den 51 (oder 55) ab Werk mit WLS ausgelieferten 3,6-Liter-Turbo unterscheidet, hmm: Kleinigkeiten. (Und doch sind es weitere 17 Exemplare, die in grossen, oben erwähnten Liste nicht auftauchen.) Das Fahrzeug unten ist 480447, wurde 2018 von RM Sotheby’s zu einem Schätzpreis von 775’000 bis 950’000 Dollar angeboten, aber nicht verkauft.

Weil bei der Auktion von RM Sotheby’s auf Amelia Island (5. März 2022) ein solcher «Package» (480385) angeboten wird, wollen wir doch noch einmal auf das Thema zurückkommen. Und doch noch die Unterschiede herausarbeiten, die diese 17 Fahrzeuge (zumeist) von den «normalen» 3,6-Liter-Turbo unterschieden. Weiter oben haben wir schon gelernt: die «Package» sind X85, aber ohne «Flatnose». Sie verfügen zudem über den X92-Frontspoiler vom Turbo S (X88), den X93-Heckspoiler vom Turbo S, die X99-Entlüftungen auf den hinteren Kotflügeln (natürlich auch vom Turbo S) und schliesslich noch die polierten 18-Zoll-Speedline-Felgen. Das ganze «Package»-Paket kostete stolze 20’921 Dollar Aufpreis. Folgende 17 Chassisnummern gehören dazu: 480385 (das ist das Fahrzeug, das wir unten zeigen, der erste in die USA ausgelieferte Wagen, einer von zwei in Grand-Prix-White), 480386, 480387, 480407, 480408, 480409, 480431, 480436, 480447, 480448, 480449, 480450, 480454, 480458, 480459, 480462, 480465 (alle gebaut zwischen dem 4.11.1993 und 191.1.1994, ausgeliefert zwischen dem 20.12.1993 und 16.8.1994). 10 Stück waren lackiert in Schwarz, zwei wie erwähnt in Weiss, dann gab es noch je einen in Guards Red, Midnight Blue Metallic, Viola Metallic (paint to sample), Silver Metallic (paint to sample) und Speed Yellow. Von 480385 weiss man, dass dieses Fahrzeug mit 385 Meilen auf dem Tacho als Neuwagen an einen Dr. William Kalchoff verkauft wurde. Der Schätzpreis liegt bei 900’000 bis 1’200’000 Dollar.

Was wir auch noch haben: 480409, vom RM Sotheby’s 2017 in Paris für 901’600 Euro verkauft:

In Miami im Dezember 2022 kommt bei RM Sotheby’s wieder ein «Package» zur Versteigerung, 480454, Schätzpreis 1’100’000 bis 1’300’000 Dollar, eines von zwei Exemplaren, die nach Kanada gingen. Und deshalb wieder etwas anders aussehen, etwa beim Heckspoiler und bei der Auspuffanlage. Schön auch: «triple black».

Und dann: Broad Arrow, Amelia Island 2024, Schätzpreis 1’000’000 bis 1’200’000 Dollar.

Und wieder einer – Chassis-Nummer: WP0AC2968RS480465
Auktion: RM Sotheby’s, Las Vegas 2023, Schätzpreis 1’250’000 bis 1’550’000 Dollar.

Mehr, viel mehr Porsche haben wir in unserem Archiv.

4 Kommentare

  1. Porscheandi Porscheandi

    Hallo,
    zum Thema der 964-er Turbo S Modelle (Code 36S) / X83/84/85/88 gab es einmal eine Webseite „flachbau.com“, die aber leider schon seit längerem offline bzw. anderweitig vergeben ist (heute irgendeine Bauunternehmen-Seite). Dort waren neben vielen Informationen zu einzelnen Fahrzeugen auch (angeblich) alle FINs der Fahrzeuge aufgelistet und vorhandene Fotos gepostet. Den Namen des damaligen Betreibers habe ich leider nicht – irgendeine Idee, ob man da vielleicht noch d’rankommt?

    solong,
    Porscheandi

    • Kompliment super Reserche und Bericht
      Beste Grüße
      H S

    • Peter Ruch Peter Ruch

      oh, danke!

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