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Porsche Tiptronic

Der weite Weg ins Glück

Man muss es wissen, bevor man über die Tiptronic urteilt: die innere Kraft des Neunelfers war aufgezehrt, damals. Ein altes Auto für eine sehr spezielle Kundschaft. Ihm fehlte es an vielem, vor allem an Komfort.

Der sollte mit der Baureihe 964 kommen. Geglättete Optik, ABS, Servolenkung, ein modernes Fahrwerk und endlich eine echte Automatik. Tiptronic als Retter des Elfers. Doch so einfach war es nicht.

Die Idee war ehrenhaft, schließlich wollte man das sportlichste Automatikgetriebe bauen, das dem Fahrer die Möglichkeit des manuellen Schaltens gab. Leicht vorzustellen, dass das mit den technischen Möglichkeiten der späten Achtziger nach heutigen Maßstäben nur bedingt möglich war.

Immerhin: der manuelle Eingriff war möglich und die Computerunterstützung im Automatik-Modus dürfte die Entwicklungsabteilungen nicht nur eine schlaflose Nacht gekostet haben. Die Anzahl an Mikrochips und Sensorik, wie der generelle Programmieraufwand war für die damalige Zeit atemberaubend.

Allerdings musste man sie fahren können, denn sie hatten einige Tricks versteckt.

An sich ist die Porsche Tiptronic ein simples elektronisch geregeltes Viergang-Planetengetriebe, was man bei ZF einkaufte. Besonders macht sie tatsächlich erst das hauseigene Steuergerät unter dem Fahrersitz.

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Es erlaubt dem Fahrer drei verschiedene Wege zum Schalten. Klassisch in „D“ schaltet der 911 nun vollautomatisch, basierend auf fünf Schaltstrategien. Welches dieser hinterlegten Programme ausgewählt wird, entscheidet er in Absprache mit der gefahrenen Geschwindigkeit, Gaspedalstellung und der Geschwindigkeit, mit der man selbiges getreten hat. Dazu kommt natürlich die Motordrehzahl, Öltemperatur, aber auch Längs- wie Querbeschleunigung.

Wer etwa zügig von der Ampel losmöchte, der schnickt das Gas einfach zügig nach unten – ohne Kickdown! – und landet in der Sport-Strategie. Hier werden die Gänge dann erst bei 6100, 6900 und 6500 Umdrehungen gewechselt. Bei einem ruhigen Gasfuss erkennt das Getriebe sofort die Autobahn-Strategie und schickt dich früh in die hohen Gänge, gerne dann auch untertourig in die Vier, obwohl du eigentlich auf der Landstraße unterwegs bist und gerne die Zwei behalten hättest. (Über Land ist die Zwei sowieso der einzig nötige Gang, mit einer Spreizung von 0 bis 128km/h ist man mit ihr immer bestens bedient!) Wer also die Strategien überlisten möchte, der muss ein wenig hektischer werden. Ein kleiner Gasstoß vor dem Kurveneingang etwa resultiert nicht mit hektischer Beschleunigung, sondern einfach mit einem zuvorkommenden Runterschalten, weil das Getriebe verstanden hat, dass es gerade etwas falsch kalkuliert hat. Das Gleiche geht übrigens, wenn man schnell aus dem Gas geht – hier bleibt die Tiptronic dann brav im eingelegten Gang.

Beim Lupfen aufpassen – wir sitzen immernoch in einem Elfer!

Nur muss man hier natürlich aufpassen. Denn auch wenn die Automatik nur dann im Sport-Modus bleibt, wenn man hektisch am Gaspedal ist, so sollte man mit der Lupferei dann doch aufpassen. Schließlich sitzen wir immer noch in einem klassischen Heckmotor-Porsche. Und wer an dieser Stelle Lastwechel-Übersteuern im Lexikon nachschlagen muss, der sollte besser weiter Mercedes SL fahren.

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Einen Effizienz-Modus gibt es im Übrigen auch: Wer gerne zaghaft mit dem Gaspedal umgeht und die Drosselklappe nicht mehr als 30 Grad öffnet, der fährt seinen 911 gar nur mit einer Dreigang-Automatik, weil die Tiptronic die Erste einfach ausspart. So zockelt man dann tatsächlich wie im Mercedes von der Linie. Es ist dann allerdings eh der Stadtverkehr die Sternstunde des fremdbestimmten Getriebes. Der 3.6-Liter Boxer drückt bereits beim Lösen der Bremse mächtig, der Wandler ist sämig wie kein Anderer und man lauscht dem heiseren Auspuffton, während man sich nicht mit einer schnappenden Kupplung bei heftigem stop&go herumärgern muss. Für eine so alte Automatik funktioniert die Tiptronic auch heute noch sagenhaft geschmeidig.

Die Zweite Methode des Schaltens ist das manuelle Anwählen der Fahrstufen 1, 2, 3 und D. Wer den Boxer wirklich manuell bis in höchste Drehzahlregionen reißen möchte, dem bleibt tatsächlich keine andere Wahl, als diese manuelle Gangvorwahl. Denn nur hier bleibt die Tiptronic im vorgewählten Gang, auch wenn der Begrenzer bei 7000 Umdrehungen klingeln sollte. Die alten Hasen behaupten übrigens, dass man die besten 0 auf 100km/h-Zeiten stets mit dieser Variante erzielte. Dabei musste man allerdings ein feines Händchen haben, wenn man nicht gleich zwei Gängen auf einmal schalten wollte, weil die Rastung in der Schaltgasse doch etwas gar lasch ausgefallen war.

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Die dritte und wichtigste Schaltmöglichkeit ist selbstredend die namensgebende: Tiptronic. Manueller Eingriff in die Gangwahl, halleluja. Nach vorne reißen zum Hochschalten, nach hinten zum Zurücklupfen. So weit, so gut? Nun ja, so manuell wie Porsche den Eingriff bezeichnet, ist er dann doch nicht. Zum Beispiel: von Hand in der Eins gestartet und wenig Gas gegeben? Schon kommt bei 4000 Umdrehungen ungefragt die Zwei. Aber auch bei hartem Anreißen: hier ist die Zwei spätestens bei 6100 Touren von alleine drin. Die Drei kommt bei 6900 und das letzte Mal wird dann bei 6500 Umdrehungen von der Drei in die Vier gewechselt. Warum genau man also nicht gleich in D geblieben ist, dessen Sport-Strategie die exakt gleichen Schaltzeitpunkte setzt? Wir wissen es auch nicht.

Großer Vorteil der Tiptronic-Variante ist allerdings die Möglichkeit gleich mehrere Gänge auf einmal zu schalten. Etwa nach einem Überholmanöver von der Zwei direkt in die Vier. Oder eben vor einer Kurve von der Vier hinunter, solange es den Motor nicht überdrehen würde – da wacht der Computer stets brav im Hintergrund. Wer in der manuellen Gasse allerdings das Herunterschalten vergisst, dem wird ebenfalls geholfen. Bei 40km/h kommt spätestens die Dritte, bei 25km/h ist dann immer die Zwei eingelegt. Nur: die Erste kommt nie von selbst. Wer also gerade im Winkelwerk die Gegner gerichtet hat, der kriecht – wenn unachtsam – an der nächsten Kreuzung wie mit einem VW Käfer weg.

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Doch es sind tatsächlich noch nicht alle Tricks, Porsche hat noch ein paar mehr Kniffe im Steuergerät abgelegt. Es gibt noch eine Art Kurvenkontrolle, um bei Querbeschleunigungen über 0.5g keine unruhestiftenden Schaltvorgänge einzubauen. Ein weiser Entschluss, allerdings klappt auch das nicht immer. Wer etwa bei hartem Herausbeschleunigen aus der Kurve durchdrehende Hinterräder erntet, dem spielt das ABS einen Streich: die Raddrehzahlsensoren erkennen unterschiedliche Drehzahlen von Vorder- zu Hinterachse und das Getriebe legt zur Beruhigung den nächsthöheren Gang ein. So ist der cremige powerslide dann auch direkt ad acta gelegt. Umgekehrt geht das natürlich auch, wem auf rutschigem Untergrund beim Runterschalten kurz die Hinterachse stehen bleibt, der darf sich ebenfalls brav gedulden, bis das Getriebe sicherheitshalber hochgeschaltet hat und wieder bereit für manuelles Runterhangeln ist. Der Kurvenscheitel ist dann meist vorbei.

Ein Fazit

Doch was bedeutet das alles am Ende? Das man mit der Tiptronic heute wunderbar leben kann. All die angesprochenen Feinheiten sind etwas, was vielleicht damals gegolten hat, wenn man sich den 911 Carrera als Sportwagen gekauft hat. Bei den mittlerweile aufgerufenen Preisen wird niemand seinen 964 dafür urteilen, dass er bei 6500 Umdrehungen automatisch zwangshochschaltet, noch dafür, dass er auf der Rennstrecke beim Zurückschalten gerne noch einmal eine Gedenksekunde beansprucht.

Heute zählen Dinge wie Ausstrahlung und Auftritt. Und das kann er. Wie der 250PS-Sechszylinder niedertouring unter Last röchelt, wenn ihm der Wandler ein wenig Freilauf gönnt – es ist wirklich wunderbar.

Natürlich sind die Gangsprünge größer als beim Handschalter, aber über 2200 Umdrehungen schnappt die Überbrückungskupplung zu und man hat dann auch den Tipsen-Elfer direkt und unmittelbar am Gas. Und das reicht, versprochen. Ein paar Mal in der Zwei voll beschleunigen und der Wunsch nach einem Handschalter ist vielleicht wirklich vergessen. Und wer jetzt mit dem Argument kommt, dass die Tiptronic den Elfer langsamer macht, dem rufen wir zu: dann fahren sie doch bitte Golf GTI. Der macht den Porsche 911 Carrera 2 heute ganz locker nass. Ob mit Tiptronic, oder ohne.

Warum wir diesen kleinen Abriss über die Tiptronic im 964 geschrieben haben? Weil wir kürzlich das Vergnügen hatten ihn auf der Hamburg-Berlin-Klassik für drei Tage zu bewegen. Wären wir vorher nie auf die Idee gekommen einen Automatik-Porsche zu fahren, so hat er am Ende dann doch mit seinem Charakter überrascht. Gerade bei all diesen kleinteiligen Wertungsprüfungen, wo sich das schwäbischen Rennpferd sonst mit der Kupplung würgen muss, ist so ein Wandler plötzlich mehr als angenehm…

Die Fahrzeuge des PorscheMuseums auf der Hamburg-Berlin-Klassik 2016
Die Fahrzeuge des PorscheMuseums auf der Hamburg-Berlin-Klassik 2016

6 Kommentare

  1. Waiblinger Waiblinger

    Super Beschreibung ,

  2. Alexander Alexander

    Hallo,
    ich habe deinen Artikel glesen und wende mich mit einem Problem an dich,
    das Porsche mit der Tiptronic nicht kennt oder kennen möchte.
    Ich fahr einen 993 aus dem Jahr 94.
    Mehrfach stand ich, nachdem ich angefahren bin, ohne einen fahrbaren Gang da und rollte an den Straßenrand. Die Gänge sprangen zwischen dem 2 und 4 hin und her und blieb dann bei 4 stehen.
    Ich startete das Fahrzeug neu und es war zunächst alle in Ordnung.
    Dies wiederholte sich unregelmäßig wieder und wieder.
    Bei der Auslesung wurde insgesamt 2x nichts festgestellt.
    Ich vermutete bisher einen Fehler bei der Stromversorgung der elektronischen Versorgung oder eine Fehler bei der Elektronik direkt.
    Leider konnte mir Porsche nicht weiterhelfen.
    Die Gefahr, dass ich im Kreuzungsbereich nicht wegkomme und mir einer reinfährt oder wie es schon passiert ist auf der Autobahn das ich nach einer Stauphase nicht losfahren konnte und ich quer zur Autobahn auf den Standstreifen rollte unterdem Hupkonzert meiner lieben genossen, ist schon riskant.
    Vielleicht hast Du einen Tip oder konkreten Hinweis woran es liegen könnte.
    Mit besten Grüßen
    Alexander

    • Admin Admin

      Hallo Alexander,
      tendenziell würde ich nach deiner Fehlerbeschreibung auf ein (elektro-)hydraulisches Problem in der Mechatronik tippen. Meist bringt da eine Getriebeölspülung/-wartung Abhilfe. Sauberes und korrekt gepegeltes Öl ist schon einmal die Basis für fehlerfreies Arbeiten des Getriebes. Auch die Schaltventile-/kugeln in der Mechatronik, die einzig für das Schalten der Gänge verantwortlich sind, freuen sich über das frisches Öl. Damit habe ich in der Vergangenheit alle ATG-Probleme lösen können – denn es sind ja eigentlich recht simple und archaische Konstruktionen. LG

  3. Alexander Alexander

    Vielen Dank,
    ich werd es mal den Porschemechanikern vorschlagen und berichten.
    Besten Dank nochmal

  4. Alexander Alexander

    Hallo, ich habe nochmal mit Porsche gesprochen aber die lehnten eine Getriebespülung kategorisch ab.
    Ich habe dann bei Lundtauto nachgefragt und die haben für nur 140€ eine Getriebespülung durchgeführt.
    Das Fahrzeug habe ich gestern abgeholt und
    es ist eine Offenbarung wie die Schaltung nun funktioniert.
    Ich hoffe, dass sich nun auch mein Problem mit der Schaltung (Automatik) erledigt hat.
    Es erschließt sich mir nicht, warum Porsche dies abgeleht hat.
    Ich bedanke mich nochmals für den Hinweis von Ihnen .
    Vielen Dank

  5. Admin Admin

    Super, das freut mich – und danke auch für das Feedback. Lob auch an Lundtauto für den fairen Preis! Weiterhin gute Fahrt mit dem Luftboxer, FM

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