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China: Geely

Der heimliche Riese

Es begann mit Kühlschränken, 1986. Mitte der 90er Jahre kamen Motorräder dazu, 1998 dann die ersten Automobile, nicht sonderlich grossartige Lizenz-Produkte von Daihatsu. Zehn Jahre später kaufte Geely-Gründer Li Shufu Volvo, 2017 auch noch Lotus, diesen Monat einen nicht unbeträchtlichen Anteil an Aston Martin. Ach ja, einer der grössten Einzelaktionäre der Daimler AG ist Geely auch noch, deshalb die Kooperation für den Smart #1. Wobei: 99 Prozent kommen da von den Chinesen, die Stuttgarter sind als eurpäischer Partner bloss noch «adabei». Der Firmenname, den sich Li Shufu ganz zu Beginn für sein mit geborgtem Geld gegründetes Unternehmen ausgedacht hatte, ist also Tatsache geworden: «jili» (oder eben Geely) heisst so viel wie prosperierend. Ja, selbstverständlich ist Li Shufu Milliardär – und noch jeden Tag im Büro, ungefähr 20/7.

Und es geht wirklich Schlag auf Schlag. Dieser Tage wurde der Polestar 3 vorgestellt, das erste SUV der Marke. Wie der Lotus Eletre (oben) und der Volvo EX90 (kommt dann Anfang November) basiert dieses neue Modell auf der so genannten SPA2-Plattform. Diese ist extrem skalierbar, Lotus und Volvo/Polestar können da viel Eigenleistung einbringen. Was allerdings erstaunt: SPA2 verfügt nicht über eine 800-Volt-Architektur. Da wird es dann schon noch ein paar Erklärungen brauchen, 2022 noch eine neue Plattform zu lancieren, die nicht auf dem theoretisch möglichen Stand der Technik ist, das sorgt für zumindest für Stirnrunzeln. Denn was man jetzt auf den Markt bringt, muss noch ein paar Jahre auf dem Markt bleiben.

Denn: Geely ist doch sonst so extrem fortschrittlich. Auch sehr, sehr schnell in der Entwicklung, noch schneller als Toyota. Schon im nächsten Jahr kommen die ersten Fahrzeuge von Zeekr, einer weiteren Geely-Tochter, mit einer reinen Natrium-Batterie (da fällt dann also das böse Lithium weg). Und für Ende nächstes Jahr sind erste Feststoff-Batterien angekündigt. Damit wird sich das Spiel dann sowieso komplett ändern, diese Akkus brauchen bei höherer Energiedichte viel weniger Platz. Das wiederum zur Folge hat, dass neue, kompaktere und folglich leichtere Plattformen konstruiert werden können. SPA2 ist spätestens dann schon wieder veraltet, denn diese aktuelle Plattform, die in erster Linie für Luxusprodukte verwendet wird, hat von all dem: nichts. Nicht einmal eine 800-V-Architektur.

Erklären lässt sich das vielleicht wie folgt: Polestar ist, wie Volvo sowieso und Lotus irgendwie auch, im Geist noch ein ganz klassischer Auto-Hersteller. Da braucht die Entwicklung eines Automobils zwar keine sieben Jahre mehr wie früher, doch die Planungssicherheit wird weiterhin ganz grossgeschrieben, Lieferketten, Crash-Tests, Marketinggedöns, um nur ein paar sehr unterschiedliche Stichworte zu nennen. Man hat sich also vor vier, vielleicht auch nur drei Jahren auf eine Struktur festlegen müssen – und die muss man nun durchziehen. Oder anders ausgedrückt: aussitzen.

Geely wird das nicht kümmern, man kann Volvo & Co. alleweil querfinanzieren, da geht es auch um Image. Bei anderen Marken und Produkten des Konzerns ist das in China anders: Was nicht funktioniert, kann auch schon nach einem Jahr sang- und klanglos wieder aus dem Programm gekippt werden. Danke, tschüss – die verantwortlichen Manager werden gleich mit entsorgt. Das sorgt für einen extremen Druck – und für ein extremes Tempo. Und das macht Geely zum derzeit spannendsten – und gefährlichsten? – chinesischen Auto-Hersteller. Lynk & Co. (siehe ai X/21) rollt das Feld gerade von hinten auf, da geht es nicht um den Abverkauf von Fahrzeugen (man kann sie eh nur leasen), sondern in erster Linie um Daten und die Anpassung der Algorithmen an die Kundenbedürfnisse. Zeekr ist das Sahnehäubchen, da wird die Zukunft in der Beta-Version geboten – genau so hat sich auch Tesla auf den Weg zur Eroberung der Welt gemacht.  Bloss hat Geely noch viel, viel mehr Ressourcen als Elon Musk, sowohl finanzielle wie auch personelle.

Doch kommen wir zurück zum Polestar 3. Das wird ein gutes Stück werden, optisch löst sich Polestar von Volvo. Als SUV trifft der 3. Polestar sowieso den Nerv der Zeit, da wird man ihm auch die sanfte Coupé-Form vergeben. Die technischen Daten sind beeindruckend: die «Long Range»-Variante kommt mit 360 kW Leistung und 840 Nm maximalem Drehmoment auf eine Reichweite nach WLTP von 610 Kilometer. Mit dem Performance-Paket sind es 380 kW und 910 Nm maximales Drehmoment sowie 5 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h. Nicht so toll: der Polestar 3 wiegt stolze 2,6 Tonnen. Für ein kommodes Fahren sorgt eine Zweikammer-Luftfederung, die auch sportlich eingestellt werden kann.

Der Polestar 3 verfügt über nicht weniger als fünf Radar, fünf Kameras und zwölf Ultraschallmodule. Er kommt ausserdem als erstes Fahrzeug mit einer Steuereinheit von Nvidia, die drei weitere Kameras und vier Ultraschallsensoren umfasst, welche die Umgebung des Fahrzeugs in Echtzeit abscannen. Das ist eine Vorbereitung auf das vollautonome Fahren – und bietet eine noch höhere Sensibilität der reichlich vorhandenen Sicherheitssysteme. Der Innenraum wird überwacht mit zwei weiteren Kameras, welche die Aufmerksamkeit des Fahrers unterstützen sollen. Bidirektional kann er auch. Man kann den Polestar 3 ab sofort bestellen, die Preisskala beginnt bei 99’900 Franken.

Als jüngstes Produkt aus dem Geely-Konzern kann der Volvo EX90 (Bilder oben) vermeldet werden. Wir haben ihn auch schon ausführlich beschrieben, hier.

Mehr Stromer gibt es unter: zero. Alle anderen: Archiv.

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