Mit Sicherheit
Man sieht sie auf der ganzen Welt, auch heute noch: die «Fitch Inertial Barrier», diese gelb-orange gestreiften Aufpralldämpfer. Manchmal nur als Schild und Richtungsteiler, aber auch als mit Sand gefüllte Kunststoffbehälter, die den direkten Aufprall auf ein Hindernis dämpfen können. Meist werden die «Fitch Barriers» in einem Dreieck angeordnet, damit sie die kinetische Energie besser absorbieren können. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass diese Aufpralldämpfer allein in den USA seit den 60er Jahren 17’000 tödliche Unfälle und jährlich etwa 400 Millionen Dollar an Folgeschäden verhindern konnten. Erfinder dieser «Fitch Inertial Barrier» war John Cooper Fitch, geboren 1917 in Indianapolis, verstorben 2012. Dass er sich einen ausgezeichneten Namen machte als Sicherheitsexperte, das hat einen ganz besonderen Hintergrund.
1952 hatte Mercedes bei den 24 Stunden von Le Mans alles in Grund und Boden gefahren, einen souveränen Doppelsieg erzielen können. Und doch klatschte niemand Beifall bei der Siegerehrung, denn auf dem Podium standen vier deutsche Fahrer, Hermann Lang/Fritz Riess als Sieger, Theo Helfrich/Helmut Niedermayr als Zweitplatzierte – nur sieben Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs war das dem französischen Publikum zu viel Deutschtum. Mercedes lernte aus dieser Lektion, startete erst 1955 wieder beim legendären 24-Stunden-Rennen. Fangio/Moss hiess eine der Fahrerpaarungen auf dem Mercedes 300 SLR, André Simon/Karl Kling eine zweite – und dann war da noch Pierre Levegh/John Fitch auf dem dritten Fahrzeug.
Der Franzose Pierre Levegh hatte sich den Einsatz für das Mercedes-Werksteam mit seinem Auftritt bei den 24 Stunden von Le Mans 1952 verdient. Levegh war ein Künstlername, eigentlich hiess der 1905 geborene Rennfahrer Pierre Bouillin. 1952 war er auf einem Talbot-Lago T26GS Spider unterwegs, übernahm nach 12 Stunden die Führung – und fuhr und fuhr. Sein Co-Pilot stand zwar bei jedem Boxenstopp bereit, doch Levegh stieg einfach nicht aus dem Auto, hatte nach 23 Stunden Fahrzeit sieben Runden Vorsprung – und zehn Runden vor Schluss einen Motorenschaden. Es gewann dann: Mercedes. Aber eben, das kümmerte irgendwie niemanden, Levegh war der grosse Held – und wurde 1955 von Mercedes engagiert.
Es war dann etwa um 18.20 Uhr bei den 24 Stunden von Le Mans im Jahr 1955, als der führende Mike Hawthorn in seinem Jaguar D-Type, dem Juan Manuel Fangio im Mercedes im Nacken sass, gleichzeitig Levegh und Lance Macklin (Austin-Healey) auf der Zielgeraden überrundete. Es war ein dummes Manöver, denn Hawthorn musste nachtanken, schoss quer über die Strecke an die Box – und zwang damit Macklin zu einem Ausweichmanöver, das dazu führte, das Levegh das Heck des Healey streifte, mit einer Geschwindigkeit von 240 km/h, nach links auf einen Erdhügel schleuderte, sich dabei überschlug. Wrackteile flogen in die Zuschauermassen, der Tank explodierte – mehr als 80 Zuschauer starben. Und auch Levegh, der aus seinem Fahrzeug geschleudert worden war.
Ach ja, das Rennen wurde fortgesetzt. Sieger: Mike Hawthorn (mit Beifahrer Ivor Bueb), Jaguar D-Type (weder Jaguar noch Mercedes werden in all diesen «related»-Stories je vertieft vorkommen. Aus Gründen).
Bei John Fitch, der als Co-Pilot von Pierre Levegh gar nicht erst zum Einsatz gekommen war, hinterliess diese Tragödie tiefe Spuren; er war es, der der Gattin von Levegh den Tod ihres Mannes verkündete. Zwar fuhr er 1960 noch einmal in Le Mans, doch die Geschwindigkeiten, die seinem Talent entsprachen, erreichte er da längst nicht mehr. 1966 hängte er nach den 12 Stunden von Sebring, die er zusammen mit Briggs Cunningham in einem Porsche 904 bestritt, den Helm an den Nagel: «Wir waren nur noch da um zu fahren. 12 Stunden, das versprach viel Spass. Aber wir wollten gar nicht gewinnen, wir suchten uns einfach den besten Platz aus, um das Rennen zu sehen». Nach seiner Rennfahrer-Karriere arbeitete Fitch als Ingenieur und Erfinder, unter anderem: die «Fitch Inertial Barrier».
Dabei: John Fitch hätte einer der ganz Grossen werden können. Aus gutem Haus stammend, begann er erst nach dem 2. Weltkrieg, in dem er als Pilot für das US Army Air Corps diente und es bis zum Captain brachte, mit dem Rennsport. Er bewegte einige Eigenkonstruktionen, dies so schnell, dass Briggs Cunningham auf ihn aufmerksam wurde. Fitch gewann 1951 den «Gran Premio de Eva Duarte Perón» auf einem Allard-Cadillac J2, was ihm einen Kuss der schönen Diktatorengattin einbrachte. 1951 wurde er erster SCCA-Champion, dies auf verschiedenen Fahrzeugen, etwa einem Cunningham C-2R, einem Ferrari 195 S, einem Ferrari 340 America, einem Jaguar XK120.
Fitch fuhr für Cunningham 1951 (Cunningham C2-R), 1952 (Cunningham C-4R) und 1953 (Cunningham C-5R) in Le Mans, ohne Erfolg nach 24 Stunden, aber er schaffte 1952 immerhin die schnellste Runde in der Sarthe. Er fuhr aber zusammen mit Phil Walters den Cunningham C-4R zum souveränen Erfolg bei den 12 Stunden von Sebring 1953, dem allerersten Lauf zur Sportwagen-Weltmeisterschaft. Es war ein ziemlich lockerer Sieg, der eigentlich klar schnellere Aston Martin DB3 von Duke/Collins eliminierte sich selber, Ferrari war noch nicht bereit, die Jaguar C-Type schlicht zu langsam. Doch wie es John Wyer, damals Teamchef von Aston Martin, so schön sagte: «Wir konnten uns gar nicht vorstellen, nicht zu gewinnen. Von Amerikanern in einem amerikanischen Auto geschlagen zu werden, das lag weit ausserhalb unserer Phantasie».
Auch auf Mercedes hatte John Fitch einen grossen Einfluss. Nachdem er 1952 vor den Augen von Teamchef Alfred Neubauer drei Runden auf der Nordschleife drehen durfte und dabei deutlich schneller war als alle Stuttgarter Werksfahrer, meinte «der Dicke»: «Wir melden uns bei ihnen, sollte sich etwas ergeben». Doch Fitch, der Amerikaner, dachte grösser – und überredete Neubauer, bei der Carrera Panamericana anzutreten. Was ja dann zu einem legendären Doppelsieg der Stuttgarter führte. Und Fitch ewigen Respekt von Neubauer einbrachte. 1955 erreichte er auf einem serienmässigen 300 SL den fünften Rang bei der Mille Miglia, was als eine der grössten fahrerischen Leistungen überhaupt anerkannt wird. Zweimal fuhr Fitch auch Formel 1, ein neunter Platz 1955 in Monza auf einem Maserati 250F war seine beste Platzierung.
Mit «related» soll ein Grossesganzes entstehen, wir wollen Kreise drehen, Menschen und (ihre) Fahrzeuge beschreiben, bei grossen Rennen ins Detail gehen. Und sonst haben wir ja noch das Archiv.
Gib als erster einen Kommentar ab