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Aus dem richtigen Leben: Chevrolet Malibu

Der reine Pragmatismus

Es ging natürlich auch um Geld: 350 Dollar für gut zwei Wochen Auto-Miete, unbegrenzte Kilometer, das ist natürlich ein Brett. Und man fragt sich dann auch gleich: Wo ist da das Geschäftsmodell? Nun ist das aber nicht mein Problem, nach drei Stunden Immigration am Flughafen von Los Angeles holte ich also einen Chevrolet Malibu LT ab bei Hertz, absolut problemlos übrigens, das haben die Amis schon im Griff. Es wurden dann knapp 3000 Meilen in den nächsten Tagen, ich habe im Malibu geschlafen, gegessen, gewartet – und verspürte nicht einen Moment der Emotion für dieses Automobil. Und das ist vielleicht das Beste, was überhaupt passieren konnte.

Es war ein heftiger Trip. Nach der Ankunft gleich noch durch die Nacht von LAX hoch nach Carmel, dort morgens um fünf ein erster Kontakt mit der Polizei (weil ich meine Füsse ins Meer halten wollte, der Strand aber gesperrt ist bis um sieben), dann viel Quail und Monterey und Pebble Beach (wo mir die Kamera geklaut wurde, es fehlen deshalb auch ein paar hübsche Malibu-Bilder), weiter über Santa Cruz nach Oakland, dann Sequoia und Mojave, zum Schluss noch reichlich Los Angeles. Der Chevrolet macht alles klaglos mit, kam auf einen Schnitt von über 30 Meilen pro Gallone (zu knapp über 4 Dollar), doch er wurde auch selten gefordert, vielleicht mal 80 Meilen als Höchstgeschwindigkeit draussen in der Wüste, auf dem Los Angeles Forest Highway quietschen dann und wann die Reifen. Schöne Strecke, übrigens.

Aber ansonsten gefielen mir die ausgesprochen bequemen Sitze. Und die erstaunliche Ruhe im Malibu. Wer nun erwartet, dass ein anständiger Sechszylinder diese doch 4,92 Meter lange Limousine antreibt, der sieht sich getäuscht: Es ist ein 1,5-Liter-Vierzylinder, der es auf 163 PS bringt – und dann erst noch über ein CVT-Getriebe geschaltet wird. Doch wenn man den frontgetriebenen Chevy wie ich nicht treibt, dann hat man auch nichts zu klagen – einzig am Berg ist der der 1450 Kilo schwere Malibu sicher nicht übermotorisiert. Manchmal ist der reine Pragmatismus genau das Richtige, die fehlende Fahrfreud’ gibt mir mehr Musse, die Landschaft zu betrachten – und mir ein paar Gedanken zu machen.

Denn es ist nicht mehr viel wie früher in den USA. Es macht den Eindruck, als ob in Kalifornien auf Verkehrskontrollen unterdessen fast gänzlich verzichtet wird, man sieht kaum mehr Polizei – und entsprechend wird gefahren. Dort in der Wüste knallte mir manch ein Porsche oder eine Corvette mit deutlich übersetzter Geschwindigkeit um die Ohren. Und mit deutlich meine ich: 100 Meilen über der signalisierten Höchstgeschwindigkeit. Jeder zweite Sportwagen ist unfassbar laut, Slalom-Fahren auf dem Interstate ist mehr die Regel als die Ausnahme. Die Zeiten, als die Amerikaner in erster Linie defensiv unterwegs waren, sind endgültig vorbei. Aber man muss ja auch nicht mehr mit einer Anklage rechnen, wenn man Waren im Wert von weniger als 900 Dollar klaut – die Gesetzeshüter haben kapituliert.

Los Angeles hat gar nicht so viele Einwohner, wie man von diesem Moloch erwarten könnte, weniger als vier Millionen sind es, etwa gleich viele wie Berlin. Unter den Metropolen dieser Welt hat LA die wohl geringste Bevölkerungsdichte, es leben nur etwas mehr als 3000 Menschen auf einem Quadratkilometer (in Wien sind es fast 5000). Dafür ist das Strassennetz gigantisch: Während das doch auch weitläufige Berlin auf nicht einmal 2500 Kilometer kommt, Wien auf immerhin 2800 Kilometer, die ganze Schweiz auf 84’000 Kilometer, sind es in Los Angeles fast 25‘000 Kilometer. Gut, so ein 16-spuriger Interstate zahlt halt anders aufs Konto ein als Einbahnsträsschen allerorten. Es gibt öffentlichen Verkehr, sogar zwei Metrolinien, es fahren vereinzelt Busse, doch es ist ganz klar: Ohne Auto geht hier gar nichts. Wohl auch deshalb sind hier für die 3,8 Millionen Menschen 7,8 Millionen Autos registriert, also mehr als 2 pro Einwohner; das meistverkaufte Auto ist in LA übrigens nicht der Ford F-150 und auch nicht ein Tesla, sondern der Toyota Camry. Es gibt offiziell 78‘000 Obdachlose – und 26‘000 Restaurants, davon servieren gefühlt 8/7 Fast Food. New York mit fast doppelt so vielen Einwohner wie LA zählt deutlich weniger Restaurants.

Während es aber in New York City in jedem Block mindestens ein Lebensmittelgeschäft gibt oder zumindest einen Deli, findet man solches in LA viel seltener. Costco, Safeway, Target, sie wurden alle an die so vielen Stadtränder verdrängt, man erreicht sie nur mit dem Auto. Aber wenn man ja eh schon mit diesem unterwegs ist, kann man sich ja auch gleich im Drive Through das Nachtessen holen, dann kann man sich das Einkaufen sparen. Und das Kochen ebenfalls. Was dann wiederum der Grund dafür ist, weshalb es immer mehr Restaurants gibt und immer weniger Lebensmittelgeschäfte. Dafür schiessen Bio-Märkte wie Fusspilze aus dem Boden; ein noch kleiner Teil der Angelitas scheint erkannt zu haben, dass buchstäblich schwere Adipositas irgendwie kein Lebensziel sein kann. Aber auch sie fahren mit dem Auto ins Gym oder zum Nagelstudio, von denen es gefühlt noch mehr gibt als Restaurants.

Und was man auch überall sieht: Ausrangierte, oft komplett verwahrloste, aber trotzdem bewohnte Wohnmobile am Strassenrand. Und was man immer mehr sieht: Menschen, die in ihrem Auto leben. Da ist dann einzig noch der Fahrersitz frei, ansonsten sind überall die Habseligkeiten verstreut; das sieht oft furchtbar aus. Und ist furchtbar tragisch. So ein Malibu wäre aber dann ein praktisches Daheim, er bietet richtig viel Platz. Aber man wünscht ein solches Schicksal niemandem. Doch es ist der aktuelle Zustand der USA: Das Land ist nicht nur politisch komplett zerrissen, es schliesst auch immer mehr Menschen von lebenswürdigen Lebensumständen aus. Denen ganz oben geht es prächtig (siehe: Quail, Pebble Beach), der Mittelstand (also jene, die sich einen Malibu ab etwas über 25’000 Dollar leisten könnten) wird immer kleiner, die Chancen- und Obdachlosen immer mehr.

Szenenwechsel: Santa Cruz war einmal ein Hotspot, damals, als man noch gar nicht wusste, was das sein soll. Es heisst, dass drei hawaiianische Prinzen in Santa Cruz erstmals am amerikanischen Festland Wellen geritten haben sollen, so erklärt es zumindest ein lokales Museum. Heute ist der Beachwalk komplett zugebaut von einem Freizeitpark, dessen beste Zeiten auch schon ein paar Monde vorbei sind; es ist vielleicht nur die zweitbeste Idee, eine hölzerne Achterbahn direkt am Meer zu bauen. Ruhig ist es geworden in Santa Cruz, die Dot.com-Blase ist längst geplatzt, die verbliebenen IT-Nerds arbeiten remote, sogar Starbucks hat einige Filialen schliessen müssen. Obdachlose gibt es dafür reichlich, wobei dem anzufügen ist, dass das Klima in Santa Cruz für ein Leben unter freiem Himmel durchaus taugt.

Das musste ich nicht, aber das «Hitching Post Inn» in Santa Cruz ist auch nicht das, was man sich unter einem gelungenen Urlaub in Kalifornien vorstellt. Ein muffiges Zimmer, eine lärmende Klimaanlage, eine dauertropfende Dusche – und Nachbarn, an deren Geisteszustand man berechtigte Zweifel haben durfte. Aber ich hatte einen Termin in der Nähe, ein doch eher bescheidenes Budget – und nach drei Tagen an der Monterey Car Week, umgeben von Milliardären in rosa Hosen, schleimigen PR-Tussen, dementen Juroren und gepimpten Fünftfrauen mit Schosshündchentaschen brauchte ich dringend das Kontrastprogramm. Es fiel dann vielleicht etwas gar grob aus, den Irren neben mir, der die ganze Nacht nach Gott und seiner Mutter schrie, hätte ich gern eigenhändig von seinem wahrscheinlich tragischen Schicksal erlöst. Die Geräuschkulisse wurde noch verstärkt von einem lesbischen Paar auf der anderen Seite, das bis in die tiefen Morgenstunden aneinander zugange war, mit viel Erfolg, wie ich mitbekommen musste; auch da wurde inständig nach «oh my god» geschrien.

Ich besuche Alex, einen Engländer, der seit 40 Jahren in den USA lebt, sich auf britische Klassiker spezialisiert hat; in seiner Werkstatt steht gerade ein Jaguar D-Type, ja, ein echter. Alex jammert nicht, ihm geht es noch einigermassen gut, doch er erzählt dann von drei Internet-Abos, die er braucht, weil zwei davon sicher gerade wieder nicht funktionieren, wenn er sie benötigt. Vom nicht vorhandenen «public transport»-System, das mittlerweile sogar die Schulbusse erreicht hat. Von den Opiod-Opfern, die sein Wohnquartier unbewohnbar machen. «Die Vereinigten Staaten», sagt er, «sind ein Entwicklungsland, das sich nur noch mit seinen Bomben oben halten kann». Es sei ihm völlig egal, wer gewählt werde, Trump oder Harris, sie sind beide Mitglieder ultrarechter Organisationen.

Gut, das hat jetzt alles nicht viel zu tun mit der sechsten Generation des Chevrolet Malibu, die 2015 auf den Markt kam (quasi baugleich wie der Opel Insignia), 2019 zuletzt aufgefrischt wurde – und wohl im nächsten Jahr ersatzlos auslaufen wird (obwohl im vergangenen Jahr noch fast 150’000 Exemplare verkauft werden konnten). Es geht mit der amerikanischen Auto-Industrie in einem ähnlichen Mass darnieder wie mit der amerikanischen Gesellschaft, auch heuer erwartet man wieder schlechtere Zahlen als noch im schon nicht berauschenden Vorjahr. Kalifornien hat den Verbrenner-Aussteig bis 2035 nun endgültig beschlossen, es gibt sogar einen klaren Fahrplan. Die Frage muss aber sein: Wer kann sich das leisten? Der typische Malibu-Kunde wohl eher nicht.

Andere Auto-Geschichten haben wir in unserem Archiv.

9 Kommentare

  1. fred steiner fred steiner

    Yep 🙂

    Der Malibu von Chevrolet ist Auto. Voll-auto.
    Hab den in Ny bewegt, hier in Deutschland, wieder mal in La..
    Du sitzt, es passt, der macht.
    Und optisch, geschmeidig.

    Inzwischen : Vauwehh, das voll auf die Schnauze fällt, weil Fehlplanung +en,
    Größenwahn und ein Angebot, belanglos bis deutsch unkulinarisch ( eine Vauwehh
    kauft man wegen einem relativ geringen Preis.. DAS WORT PREIS..) kollabiert.
    die glauben sie sein Premium. In was? optisch lächerlich ( ID-1-2-3-4..)
    Was ist so schwer den Golf 70 ps und 900 Kilo um 13.900.- Euro an zu bieten?
    WAS?
    Hauptsach der fette Vorstand, holt diesmal China vom Fahrrad ( F-Piech. um 2000,lol)
    egal 🙂

  2. fred steiner fred steiner

    Ps. die meisten Obdachlosen hast in SILLY CON VALLEY!

    Dort ist am Eingang. das JP der NASA, was man unter hitec verstehen kann.
    Der stupide Rotz von Fratzenbuch Gookl und co, ist der soziale Spiegel, zu
    den Obdachlosen, und wie man aus Technologie etwas macht, das eher wenig
    mit Zukunft, Warpantrieb und echten Träumen zu tun hat.

    Und zu diesen Langweilern passt noch Amazon und Täsle..äh.. Britisch Leyland North America : “ OH WE FIND YOUR WALL TO DRIVE IN!“ ( werbespot)

    Wird wieder besser werden.

    Und die kleiner Straße über Carmel rauf ist cool. Aber mit 6l V8. Corvetteeeee..
    Und mit etwas luck hast grad Mexikaner mit Lambo hinter dir, der 4 911 GT3
    abhängen will.. und du wolltest nur den V8 genießen..
    In LA auf der Inter vor der großen Gabelung ein Ferrari V12 ( 2018 er..?) voll vorbei.
    Se german Audobahn is langsam.. lol 🙂

  3. Malibu, ja, den habe ich auch gefahren im letzten Winter, einen Monat lang, von Florida hoch bis New Jersey und dann durch Pennsylvania bis Detroit und Madison, Wisconsin. Ein Auto, das alles bietet für einen Einzelreisenden, Komfort, Platz, Effizienz. Und richtig, der kleine 1,5 Liter-Vierzylinder mit Turbo arbeitet ganz gut, ist peppig und ruhig. Ich habe diesen Malibu richtig schätzen gelernt, und ich sehe, dass Chevrolet respektive GM sehr gute, leichte und zuverlässige Autos bauen kann, wenn die Firma denn will. Ich sehe im aktuellen Malibu einen würdigen Urenkel oder Urgrossenkel der 1964 begonnen Modellreihe, und ich würde den aktuellen Malibu jederzeit einem der schweren Elektroautos vorziehen, die zwar viel versprechen, aber bestimmt eine kürzere Lebenszeit haben dürften. Lang lebe der Malibu.

  4. Jono Jono

    Harris als ultrarechts einzustufen muss einem auch erstmal einfallen. Die Briten haben einfach Humor.

    Danke für das „behind the scenes“ aus Kalifornien! Die Reisegeschichten sind eine schöne Ergänzung auf radical.

  5. Daniel Daniel

    Toller szenischer Bericht mit bildlichen Eindrücken, vielen Dank!

  6. yumiyoshi yumiyoshi

    Eine Kunst, die die Amerikaner im Autobau tatsächlich meisterhaft beherrschen, ist es, Autos zu bauen, die dich möglichst wenig mit der Tätigkeit des Autofahrens behelligen.

    • Peter Ruch Peter Ruch

      wie wahr!

  7. Christian Christian

    Amarcord – bittere Erinnerungen sagt der Italiener bei den Bildern. Da wäre noch Potential für unsere Gutmenschen, Klimakleber und Umweltretter….Make America great again? Throw America in a Garbage can now!
    Und schon beim ersten Bild dachte ich mir, hm, sieht aus wie ein Opel Insignia – is scheinbar auch einer nur unter „Amiflagge“. Na ja, die Lehre, mit einem Vierzylinder bis max. 2,0l Hubraum und dazu abgestimmter Elektronik plus Turbo die Leistungsanforderungen abzudecken, scheint all over the World sich durchzusetzten.

  8. Rolf Rolf

    Vielen Dank für den Reisebericht, auch wenn er mich sehr sehr traurig macht.

    Die USA waren mein Traumland und zwischen 1989 und 2005 war ich einige male dort, im Westen, im Osten, in Texas, in NYC und im Osten Kanadas.

    Bereits vor 30 Jahren gab es quasi getrennte Wohnghettos für die verschiedenen „Klassen“. Runter gewohnte Häuser mit zu großen, angejahrten Autos davor.
    Mittlere Bereiche mit mittleren Autos, gehobene Viertel mit gehobenen Autos und wohlhabende Viertel mit einem Zaun außen rum und einer Schranke mit Wärter.
    Vermutlich ist bald eine Mauer mit bewaffnetem Personal erforderlich, wie in den Entwicklungsländern.

    Nun ist die Schere wohl endgültig aufgegangen und die klassische Mittelschicht, die ein Land ausmacht, ist fast weg.

    Die Fotos zeigen ein wirklich übles Bild, die Straßen kaputt, die Elektrik war noch nie gut, sieht nicht mehr aus wie ein zivilisiertes und wohlhabendes Land.

    Schlimm, dass alle diese Entwicklungen der USA mit ein paar Jahren Verzögerung auch in Europa ankommen. Man spürt es schon.

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