Der Traum
Stellen Sie sich vor, Sie seien ein Motor. Kein altes BMW-Eisenschwein, kein Mezger, kein Bizzarrini, sondern ein 08/15-Downsizing-Weltrettungstriebwerk. Stellen Sie sich vor, Sie müssten zweihundert PS aus ihren drei Zylindern pressen. Stellen Sie sich vor, Sie dürften aber keine grosse Kolbenringvorspannung fahren, hätten eine konische Effizienzhonung und müssten sich von 0W20 schmieren lassen.
0W20. Haben Sie das schon einmal in der Hand gehabt? Es ist wie Wasser. Und entsprechend eine totale Katastrophe.
Wer will es Ihnen also nachsehen, wenn Sie, während Sie im Kaltstart wie ein Ochse getreten werden, weil ja sowieso heute alles nur noch automatisch geht und eine Kühlwasseranzeige schon vor Generationen weggespart wurde, die nicht verdampften Kraftstofftropfen der Direkteinspritzung in einer Melange mit dem nicht abgestreiften Dünnflüssigöl der Zylinderwand einfach zu einer fiesen Detonation bringen, während der Kolben noch so richtig schön in der Aufwärtsbewegung ist und die Motorsteuerung völlig hilflos ist und dem Superklopfer komplett machtlos gegenübersteht?
Wenn Sie Glück haben, dann brennt die LSPI, also die «low speed pre-ignition», direkt auf den ersten Kilometern ein schönes Loch durch den Feuersteg. Wenn Sie Pech haben, muss es das Superklopfen im hohen Drehzahlbereich richten, wenn die ganzen Magermix-Verkrustungen wie Glimmstengel die Lunte frühzünden. Am Ende ist das Ergebnis das gleiche: alles fährt sich zu einem schönen Gussklumpen zusammen. Rien ne va plus.
Früher war das nicht so.
Früher hatte ein 1500er aber auch nur 75PS. Und das Rennpferd keinen Leerlauf unter 4000 Touren. Gesoffen hat es obendrein.
Es scheint aber, als hätte die aktuelle Motorengeneration das Blatt ein bisschen überreizt. Die Mischung aus billigem Material des Kostendiktats, überschnellen Entwicklungen, in denen echte Dauerläufe nicht gefahren und vor allem Konstruktionsfehler nicht entdeckt werden können, ist fatal. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Uns fällt aktuell kein Hersteller ein, der nicht mindestens eine Leiche im Keller liegen hat. Im Prinzip kann man überhaupt keinen Motor mehr als Dauerläufer kaufen, weil alle von irgendwelchen Achillesfersen geplagt werden, die ihn früher oder später niederstrecken. Gerissene Steuerketten, geschluckte Drallklappen, Kolbenkipper, abscherende Ölpumpenantriebe – you name it. Ohne echte Herstellergarantie setzen wir uns schon lange in kein eigenes Auto mehr. Denn die Schrauberei in allen Ehren, aber an so einer modernen Effizienzmöhre drehst Du freiwillig nicht einmal den Öldeckel auf.
Dass das ganze Desaster dann noch nicht einmal funktioniert, haben wir erst kürzlich wieder mit Erschrecken feststellen müssen. Wir fuhren zwei Panamera, vorneweg der bucklige Erstling, hintendran der geleckte Neue. Beide als 4S. Heisst also: einmal 4.8 freisaugende Liter verteilt auf acht Zylinder, einmal deren 2.9 Liter, zwangsbeatmet und nur mit Sechsen.
Es war früh, der Weg weit und die Autobahn leer. Die Tempi waren beeindruckend, der Alte hielt lockere 270 im Dauerlauf, untermalt vom feinen Klang der Sportauspuffanlage. Im Windschatten ein Trauerspiel. Gequält wie ein angeschossenes Reh im Ton und gar nicht einmal viel elastischer: der Neue. Am Ziel dann die Ernüchterung. Fast 15 Liter für den Einen, gerade etwas über 12 für den Anderen. Es dürfte klar sein, welcher welcher war. Problem an der Sache: auch wenn der V8 weit sparsamer ist, seine Alusil-Zeitbombe möchte man trotzdem nicht in der eigenen Garage parken.
Es ist ein Drama.
Zur Rettung eilt nun: Maserati.
Das Projekt «Nettuno» begann 2015. Mit der Einführung der Vorkammer-Zylinderköpfe in der Königsklasse des Motorsports fand auch ein kleines Entwicklerteam in Modena Interesse an der neuen Technologie. Grobe Designskizzen und erste Simulationen sollten das mögliche Potential für eine Anwendung in eigenen Motoren evaluieren. Doch schon der erste Prüfstandsmotor übertraf alle Erwartungen. Als dieser Motor keine zwei Jahre nach Start des Projekts das erste Mal in den frühen Prototypen des MC20 montiert wurde, war klar: das musste das Triebwerk für den kommenden Supersportler sein.
Emissionsgesetze, CO2-Grenzwerte, Lärmvorschriften, aber auch Themen wie Fahrbarkeit und vor allem Haltbarkeit – sollte das neue Triebwerk auch nur eine der Anforderungen zu einem späteren Entwicklungszeitpunkt nicht erfüllen können, wäre das der Todesstoss für das Projekt MC20. Entsprechend musste man sich in Modena absichern. Das kleine Team aus Entwicklern des Maserati Innovation Lab und den Spezialisten von Maserati Corse wurde aufgestockt und zog um. Am Maserati Engine Hub in der Viale Ciro Menotti wurden nicht nur Ingenieursarbeitsplätze geschaffen, es wurde ein kompletter Maschinenpark für Prototypenbau, ein moderner Prüfstandspool und eine state-of-the-art-Produktionsstrasse für die neue Motorengeneration errichtet. Denn der «Nettuno» sollte nicht nur Formel 1-Technologie in die Serie bringen, er sollte zu 100% aus Modena kommen.
Wo liegt das Geheimnis des «Nettuno»?
Dem Zielkonflikt von hoher Leistung und möglichst geringem Verbrauch wurde in der Vergangenheit hauptsächlich mit Downsizing begegnet, siehe oben. Kleinere Hubräume, weniger Zylinder, präzise gesteuerte Einspritzsysteme und hohe Aufladungsraten sorgten für weniger Reibungsverluste, gesteigerte Effizienz und dennoch stetig steigende Motorleistungen. Doch mit dem Downsizing kam auch ein Problem zurück, dass man eigentlich für gelöst hielt: die unkontrollierte Verbrennung.
Früher kannte man das Problem des Klopfens bei der Verwendung schlechter und minderwertiger Kraftstoffe. Auch bei zu grosser Frühzündung, ungleichmässiger Kraftstoffverteilung im Brennraum oder partieller Überhitzung durch Ölkohleablagerungen oder Fehler im Kühlsystem kam es zur ungewollten Selbstentzündung. Das Problem, das sich je nach Last und Drehzahl entweder wie ein metallisches Klopfen oder ein zartes Klingeln äussert, ist die mechanische und thermische Überbelastung des Motors. Verbrennungsgeschwindigkeiten, die die normale um etwa das zehnfache übertreffen und ein Einsetzen zu einem deutlich verfrühten Zeitpunkt, teilweise sogar noch im Verdichtungstakt, sorgen für einen extremen Druckanstieg im Motor, der diesen innerhalb kürzester Zeit zerstören kann.
Das Problem in modernen Downsizing-Motoren ist aber noch weit komplexer. Die Kombination aus hoher Grundverdichtung und zusätzlicher Aufladung in Kombination mit einem mageren Gemisch bildet heute die denkbar schwierigsten Randbedingungen für kontrollierte Verbrennungsvorgänge. Es kommt hier nicht nur zum bekannten Klopfen, sondern zu einem Effekt, den man Superklopfen nennt. Es ist ein Phänomen, das durch Klopfen entsteht und sich anschliessend selbstverstärkt.
Dabei tritt Superklopfen auch noch in verschiedenen Varianten auf. Ein bereits in Grundlagen erforschtes Problem nennt sich dabei «Low Speed Pre-Ignition“. Die Selbstzündung im niedrigen Drehzahl-und hohen Lastbereich ist besonders gefährlich. Bei noch kalten Direkteinspritzermotoren lagern sich nicht vollständig verdampfte Kraftstofftröpfchen an der Zylinderwand oder an der Einspritzdüse an. Durch den Temperaturanstieg bei plötzlicher Vollast beginnen diese Ablagerungen zu glühen und initiieren eine Frühzündung – und das selbstverstärkend. Doch die Gefahr lauert nicht nur im unteren Drehzahlbereich. Auch das dünnflüssige Öl aktueller Leichtlauf-Motorengenerationen birgt eine Gefahr. Schon kleinste Anhaftungen an der Zylinderwand können sich mit Kraftstofftropfen anreichern. Dieses Gemisch zündet deutlich früher als der Kraftstoff alleine. Hochgeschwindigkeitsklingeln ist die Folge. Eine Anfettung, die früher das Problem lösen konnte, würde es heute nur verstärken. Ebenso reicht eine Rücknahme des Zündwinkels nicht mehr aus. Es bleibt nur eine strikte Stilllegung der Einspritzung – mit entsprechende Komforteinbussen für den Fahrer. Denn das Hauptproblem besteht heute darin, dass die Hauptparameter aus Verdichtung, Zylinderdrücken und Kraftstoff-Luft-Verhältnis so an die Grenzen des Möglichen gehen, dass der kleinste Störfaktor zu einem verheerenden Schaden führen kann.
Nun endlich: Nettuno!
Doch kommen wir endlich zum Nettuno. Den wir in dieser Form so nicht erwartet hätten. Ganz sicher nicht von Maserati.
Die Grundkonstruktion ist klassischer Sportmotorenbau. Ein leichter und kompakter V6-Motor mit 90 Grad Zylinderwinkel. Man kennt den Block von Ferrari, F154, California T, Roma, SF90 und so weiter. Vor allem aber: Alfa Giulia. Es ist das gleiche Stück. Das Aluminium-Kurbelgehäuse ist in closed-deck-Bauweise ausgeführt, die Kolben laufen in Stahlbuchsen. Es ist eine wunderbare Konstruktion, vor allem: weil sie funktioniert. Denn was schon im alten Colombo über Jahrzehnte tat, das wird auch in Zukunft tun – und man wird sicher über die Alusil-Türstopper in Stuttgart lachen, die sie dort spätestens nach 100.000km Laufleistung zuhauf auf dem Schrott liegen haben.
Mit einer kurzhubigen Geometrie von 88 mm Bohrung zu 82 mm Hub bringt es der Nettuno auf drei Liter Hubraum. Eine echte Trockensumpfschmierung mit externem Öltank, DOHC-Layout mit variablen Steuerzeiten und Biturboaufladung gehören ebenfalls zum Nettuno.
Das grosse Highlight versteckt sich aber in den Zylinderköpfen. Denn das Herzstück des Maserati Nettuno ist sein patentiertes Zweifunken-Vorkammer-Zündsystem. Zentral zwischen den Ventilen sitzt die erste Zündkerze in einer Kammer, die vom Brennraum durch exakt ausgelegte Kanäle getrennt wird. Durch diese schiebt der Motor im Verdichtungstakt den in den Brennraum eingespritzten Kraftstoff, der sich in der Vorkammer zu einem zündfähigen Gemisch verwirbelt. Die von der Zündkerze initiierte Pilotzündung breitet sich nun durch die Vorkammerbohrungen geometrisch exakt definierte Flammstrahlen in den gesamten Brennraum aus und zündet dort das magere Restgemisch. Der Vorteil der Flammzündung ist nicht nur die schnelle Ausbreitung, sondern auch die homogene Durchbrennung des Gemischs. Das Risiko von Kraftstoffablagerungen, Restgasnestern oder lokalen Überhitzungen – und damit die Ursache für Superklopfen – ist praktisch ausgeschlossen. Nebenbei ermöglicht das Vorkammer-Brennverfahren ein Gemischabmagerung bis etwa Lambda 2 und sorgt so nicht nur für eine Verbrauchssekung von gut zehn Prozent, sondern vor allem für eine Verringerung der NOx-Rohemissionen um bis zu 90% durch den drastisch verbesserten Verbrennungsablauf und das Ausbleiben von Temperaturspitzen.
Doch neben Effizienz und der Einhaltung schärfster Abgasgesetze geht es Maserati vor allem um Leistung. Und die Daten des Nettuno sind entsprechend herausragend. 630 PS und 730 Nm geben die Italiener als Spitzenwerte an, bei einer Höchstdrehzahl von 8000 Umdrehungen pro Minute. Der spezifische Kraftstoffverbrauch soll bei beeindruckenden 289g/kWh liegen und markiert damit einen Bestwert in dieser Leistungsklasse. Dass Maserati den Motor dank einer zweiten Zündkerze im Brennraum und einer Kombination aus Direkt- und Saugrohreinspritzung auch in niedersten Drehzahlen und bei geringer Lastanforderung fahrbar gemacht hat, zeugt vom Know-How in Modena.
Und es ist der Beweis, dass das Risiko der Entwicklung zwar hoch war, aber sich am Ende doch ausgezahlt hat. Denn der Nettuno wird nicht nur den MC20-Supersportler antreiben, man wird den innovativen V6 in Zukunft in jedem neuen Maserati finden. Wohl auch in Kombination mit elektrischer Unterstützung. Die fehlt im MC20 aus gutem Grund: er soll die Marke in den Rennsport zurückbringen. Und dort zählt vor allem hohe Leistung und geringes Gewicht.
Mehr Maserati haben wir in unserem Archiv.
Die Zündkerze „ausserhalb“ mit Kanälen zum Brennraum war meines Erachtens schon 1967 im Renault 8 Gordini (R1135) zu finden, jedoch noch ohne zweite Zündkerze. Der R8 war übrigens auch ein lustiges Teil…..
Warum denn eigentlich nicht erwartet? Oder von ausgerechnet Maserati nicht? Im Grunde die alte Spritspartechnik vom GAZ-51F, seinerzeit halt noch mit Vergaser veranstaltet: http://russki-ya.blogspot.com/2011/04/in-order-to-develop-domestic-engine-in.html
Nach so vielen Jahrzehnten des Irrwitzes geht kurz vor Schluß doch noch allen zusammen letztes Verständnis dafür verloren, Sprit durchzusetzen, ohne ihm überhaupt Luft zur Verbrennung mitzugeben.
Mein Verständnis von „Einhaltung schärfster Abgasgesetze“ würde aber bedeuten, dass der Motor sicherlich nicht mager betrieben wird, da hier ein Katalysator ja nicht mehr vollständig funktioniert.
Was ist die Aussage der geringeren Stickoxide im Rohabgas dann wert, wenn das Rohabgas kaum konvertiert wird?